1990–1999
Kraft im Herrn
Oktober 1993


Kraft im Herrn

Schwestern, werden Sie stark, indem Sie sich an die Quelle wahrer Stärke wenden, nämlich an den Herrn. Er liebt Sie.

Liebe Schwestern, aloha! Welche Freude es doch ist, heute Abend mit Ihnen zusammenzukommen und sich allen Schwestern in der Kirche verbunden zu fühlen, so wie es in dem Video zu sehen ist, und die Unterstützung und Weisung unserer Priestertumsführer zu haben. Ich bin dankbar für die Weisung, die uns von den Propheten und Aposteln und den übrigen Führern der Kirche zukommt.

Ich möchte Ihnen heute Abend einige Gedanken vortragen, wie man die Familie stark machen kann. Wenn ich Sie fragen würde, was die Kirche darüber lehrt, wie man die Familie stark macht, würden Sie gewiß Antworten geben wie „miteinander Zeit verbringen, gemeinsam beten, den Familienabend halten und regelmäßig die heiligen Schriften studieren”. Abgesehen von diesen wichtigen Punkten möchte ich aber heute Abend darüber sprechen, wie Sie Ihre Familie stark machen können, indem Sie sich selbst stark machen - stark im Glauben an den Erretter. Dadurch nämlich wird eine Familie stark - durch starke Menschen.

Präsident Gordon B. Hinckley hat gesagt: „Die Stärke der Kirche beruht nicht auf den Tausenden von Gemeindehäusern in aller Welt und auch nicht auf ihren Universitäten und Seminaren und Religionsinstituten. Es sind alles Einrichtungen, die zwar einem sinnvollen Zweck dienen, aber dem, was uns wirklich stark macht, nur untergeordnet sind. Die Stärke dieser Kirche ist im Herzen ihrer Mitglieder zu finden, im persönlichen Zeugnis davon, daß dieses Werk wahr ist.” (Der Stern, Oktober 1993, Seite 5.)

Wir Frauen haben alle eine Vorstellung von der idealen Familie - von der Eheschließung im Tempel mit einem aktiven Priestertumsträger und von Kindern, die gehorsam und glaubenstreu sind. Aber Präsident Ezra Taft Benson hat darauf hingewiesen, daß 1980 nur 14 Prozent der USamerikanischen Haushalte dem traditionellen Bild von der Familie entsprachen berufstätiger Ehemann, Mutter, die nicht berufstätig ist, und die Kinder noch im Haus. (Generalkonferenz, Oktober 1982.) Aus zuverlässigen Statistiken geht hervor, daß von fünf HLT-Familien in den Vereinigten Staaten nur bei einer der Mann und die Frau im Tempel geheiratet haben und Kinder da sind (siehe Tim B. Heaton, „Vital Statistics”, Encyclopedia of Mormonism, New York, 1992, 4:1532).

Wie Eider M. Russell Ballard bereits gesagt hat, sehen die Familien der Kirche alle sehr verschieden aus. Aber alle diese Familien können rechtschaffene Familien sein, deren Mitglieder einander und den Herrn lieben und einander stark machen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Hier sind zwei Steppdecken. Beide sind von Hand gefertigt und schön. Man kann sich hineinkuscheln oder ein Enkelkind darin einwickeln. Sehen Sie sich jetzt diese Steppdecke an. Sie stammt aus Hawaii und hat ein kräftiges, deutlich nachvollziehbares Muster. Wir können die eine Hälfte der Steppdecke ansehen und vorhersagen, wie die andere Hälfte aussehen wird. Manchmal verläuft auch unser Leben nach einem Muster und ist auf gute Weise vorhersehbar und in Ordnung.

Sehen Sie sich jetzt diese zweite Steppdecke an. Das Muster ist ziemlich verrückt. Manche Teile haben die gleiche Farbe, aber es gibt keine zwei Teile, die die gleiche Größe haben. Die Formen sehen merkwürdig aus. Sie treffen in merkwürdigen Winkeln aufeinander. Es ist eine unvorhersehbare Steppdecke. Manchmal ist auch unser Leben unvorhersehbar, es verläuft nicht nach einem bestimmten Muster und weist keine Ordnung auf.

Solange die Teile einer Steppdecke fest zusammengenäht sind, kann man nicht sagen, die eine Steppdecke sei eine richtige Steppdecke und die andere nicht. Beide Steppdecken können uns wärmen. Beide sind schön und mit Liebe gemacht. Es gibt auch nicht bloß einen einzigen richtigen Weg, eine Mormonin zu sein, solange wir fest im Glauben an Jesus Christus verankert sind, solange wir Bündnisse eingehen und halten, solange wir nach den Geboten leben und in Nächstenliebe zusammenwirken.

Die Situation in unserer Familie sieht für jede von uns anders aus. Wir alle brauchen Kraft, um damit fertig zu werden. Solche Kraft entspringt dem Glauben an die Liebe Jesu Christi und an die Kraft seines Sühnopfers. Wenn wir vertrauensvoll unsere Hand in die Hand des Herrn legen, haben wir einen Anspruch darauf, daß die Verheißung im Abendmahlsgebet, nämlich daß wir seinen Geist immer mit uns haben können, für uns wahr wird. Mit dieser Kraft kann man mit allen Problemen fertig werden, und neben dem Anliegen, im Geist stark zu bleiben, ist alles andere zweitrangig.

Wenn wir Glauben haben, dann beten wir oft und aufrichtig, und sein Geist lehrt uns, worum wir beten sollen (siehe Römer 8:26,27). Dann haben wir das Einfühlungsvermögen, das wir brauchen, um unseren Mitmenschen dienen zu können. Wir haben die Weisheit, die wir für unsere kirchlichen Berufungen brauchen. Wir können zu unserem Mann, unseren Kindern, unseren Eltern und Freunden eine liebevolle, auf Achtung beruhende partnerschaftliche Beziehung aufbauen. Wenn wir den Geist Christi immer mit uns haben, haben wir einen weisen Ratgeber, wenn die Bedürfnisse unserer Kinder uns verwirren. Uns wird geholfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, und wir sind stark genug, sie auch auszuführen. Wir sind und haben treue Freunde und spüren auch in uns, ob der Rat, den wir von anderen erhalten, wirklich das ist, was wir brauchen. Wir haben eine klare Vorstellung von den Idealen des Evangeliums und streben danach, schicken uns aber geduldig in die Grenzen der Wirklichkeit. Durch den Glauben an Jesus Christus können wir unsere Möglichkeiten optimal nutzen, mit unseren Problemen fertig werden und zu beidem die richtige Einstellung wahren.

Eine starke Familie bringt starke Persönlichkeiten hervor, die ihrerseits die übrigen Familienmitglieder stark machen. Wir bauen einander abwechselnd auf. Das habe auch ich selbst erfahren.

Als mein Mann und ich geheiratet haben, war ich Heilige der Letzten Tage, während er Kongregationalist war. Es beunruhigte mich, daß ich ein Nichtmitglied heiratete, aber wir glaubten beide fest an Jesus Christus, und ich hatte das Gefühl, Ed werde weiter nach der Wahrheit suchen und sie annehmen. Zehn Monate nach unserer Hochzeit ließ er sich taufen. Wir waren in unserer Verwandtschaft die einzigen Heiligen der Letzten Tage, aber wir konnten ja einander stark machen.

Als Ed das Melchisedekische Priestertum übertragen wurde, begeisterte uns beide der Gedanke an das Priestertum. Er war der erste Priestertumsträger in der Familie Okazaki, und ich hatte natürlich keine Verwandten, die das Priestertum trugen. Das Priestertum war etwas, worüber wir redeten und das wir gemeinsam zu verstehen suchten. Ich war so dankbar für Eds Güte und für die vielen Möglichkeiten, die die Kirche ihm bot, anderen zum Segen zu gereichen. Ed nahm das Priestertum nie als etwas Selbstverständliches hin. Es galt ihm immer als Vorzug, von dem er voll Danksagung und Demut Gebrauch machte. Zur Partnerschaft in unserer Ehe gehörte es, daß ich Ed in seinen Berufungen unterstützte und daß ich spürte, daß er mich in meinen unterstützte.

1988 wurden wir zu einem Interview beim Missionarskomitee der Kirche gebeten. Wir nahmen an, daß eine Berufung auf uns zukam, deshalb ging Ed, der zwei Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, der sich auch auf sein Herz ausgewirkt hatte, erst einmal zum Arzt, um zu erfahren, ob er einen Auftrag annehmen konnte. Der Arzt bestand unerbittlich darauf, daß Ed das Land nicht verlassen dürfe. Als Ed dann gefragt wurde, ob er auch einen Auslandsauftrag annehmen werde, mußte er zu seiner großen Enttäuschung wiederholen, was der Arzt ihm gesagt hatte. Ich hätte Ed von ganzem Herzen in seiner Berufung unterstützt, aber es sollte nicht sein.

Dann wurde ich ein paar Wochen später in den Hauptausschuß der PV berufen. Eineinhalb Jahre später wurde ich in mein derzeitiges Amt in der FHV berufen.

Als ich eingesetzt wurde, sagte Präsident Thomas S. Monson, der uns seit Jahren kannte: „Eddie, Chieko hat dich in deinen Berufungen im Priestertum unterstützt – in der Bischofschaft, als Missionspräsident und als Regionalrepräsentant. Jetzt bist du an der Reihe, sie zu unterstützen.” Ed lächelte und erklärte sich dazu bereit. Natürlich brauchte er sich dazu nicht zu ändern.

Ed und ich fanden es wunderbar, als Familie im Evangelium zu wachsen. Wir waren dankbar, daß wir stark genug waren, für unsere Söhne zu sorgen und sie zu selbständigen Menschen heranwachsen zu sehen, die jetzt stark genug sind, anderen zu helfen. Wir freuten uns über die Stärke, die unsere intelligente und einfühlsame Schwiegertochter in unsere Familie einbrachte. Wir freuten uns, als unsere Enkelsöhne geboren wurden und selbst dem Kreislauf des Familienlebens folgten.

Ich habe die Stärke meiner Söhne nie mehr zu schätzen gewußt als letztes Jahr, als mein Mann im Sterben lag. Wir drei haben einander unterstützt und uns miteinander beraten, aber Ken übernahm die Führung, als es darum ging, mit den Ärzten und dem Krankenhaus zu verhandeln. Als Ed dann starb, übernahm Bob die Führung und traf die Vorbereitungen für die Beerdigung und die rechtlichen Schritte, die es zu treffen galt. Ich übernahm die Führung, als es um die Planung des Beerdigungsgottesdienstes ging. Wir durchliefen alle in unserem Schock und Kummer verschiedene Phasen, aber wir hatten die anderen als Stütze. Wenn einer von uns in einer bestimmten Situation besonders gefordert wurde, war ihm das möglich. Wenn wir uns mit unserem Kummer zurückziehen mußten, konnten wir auch das, denn dann trat einer der anderen vor und war der Führer.

Ich habe meine Familie als Beispiel angeführt, weil ich selbst erlebt habe, daß wir uns in solchen Krisen als erstes unserer Familie zuwenden. Aber wie unsere familiären Umstände auch aussehen mögen, ich glaube, die Kraft, die wir brauchen, können wir uns immer holen, denn sie stammt von Jesus Christus und seiner Liebe. Manchmal befähigt uns unser Glaube, aus dieser Liebe Kraft zu schöpfen. Manchmal stärken uns der Glaube und die Liebe unserer Mitmenschen.

Wir wissen nicht, welche Herausforderungen und welches Unglück das Leben noch für uns bereithält. Aber die heiligen Schriften verheißen uns: „Für Gott ist nichts unmöglich.” (Lukas 1:37.) Und mit dem Apostel Paulus können wir sagen: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.” (Philipper 4:13.)

Die heiligen Schriften sind voll von Zeugnissen von der Kraft, die von Jesus Christus ausgeht. Ich fühle mich immer innerlich gestärkt, wenn ich lese, wie die Propheten sich freuen.

Mose jubelte: „Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden.” (Exodus 15:2.)

David sang: „Gott ist meine starke Burg, er gab mir meinen Weg ohne Hindernis frei.” (2 Samuel 22:33.)

Jesaja verhieß der Herr: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; hab keine Angst, denn ich bin dein Gott. Ich helfe dir, ja, ich mache dich stark, ja, ich halte dich mit meiner hilfreichen Rechten.” (Jesaja 41:10.)

Wie können wir uns solchen Glauben an die Kraft Jesu Christi aneignen? David hat den Menschen seiner Zeit einen Rat gegeben, den ich hier aufgreifen möchte: „Fragt nach dem Herrn und seiner Macht, sucht sein Antlitz allezeit!” (l Chronik 16:11.) „Wohl den Menschen, die Kraft finden in dir. … Sie schreiten dahin mit wachsender Kraft.” (Psalm 84:6,8.)

Schwestern, werden Sie stark, indem Sie sich an die Quelle wahrer Stärke wenden, nämlich an den Herrn. Kommen Sie zu ihm. Er liebt Sie. Er möchte, daß Sie glücklich sind, und jubelt über Ihr Verlangen nach Rechtschaffenheit. Machen Sie ihn zu Ihrer Stärke, zu Ihrem täglichen Begleiter, zu Ihrem Stock und Ihrem Stab. Lassen Sie sich von ihm trösten. Es gibt keine Last, die wir allein tragen müßten. Seine Gnade macht alle unsere Schwächen wett.

Ihre Stärke macht auch andere stark - Ihre Kinder, Ihren Mann, Ihre Freunde und Ihre Schwestern im Evangelium. Und diese Stärke fließt dann wieder Ihnen zu, wenn Sie sie brauchen. Meine Lebensumstände haben sich im Laufe der Jahre immer wieder geändert. Ich war eine alleinstehende Frau, dann die Frau eines Nichtmitglieds, dann Partnerin in einer Tempelehe, Mutter, Schwiegermutter und Großmutter und bin jetzt Witwe. Ich habe in allen diesen Lebenslagen die Liebe Jesu Christi erfahren. Mein Glaube ist belohnt worden, und ich habe in meiner Familie die Gegenwart und Macht des Herrn verspürt.

Liebe Schwestern, unsere Lebensumstände mögen zwar nicht immer ideal sein, aber wir können uns doch darum bemühen, ihnen gerecht zu werden. Aus tiefstem Herzen und mit über fünfzigjähriger Erfahrung in der Kirche bezeuge ich: Jesus Christus begegnet uns allen mit der gleichen Barmherzigkeit, der gleichen heilenden Kraft und der gleichen vollkommenen Liebe. Er versichert uns, daß sein Werk und seine Herrlichkeit darin bestehen, unsere Unsterblichkeit und unser ewiges Leben zustande zu bringen. Welche Freude es uns doch bereitet, über das ewige Leben mit unserer Familie als Teil der großen Familie Gottes nachzusinnen.

Das sage ich im Namen unseres Erretters Jesus Christus. Amen,