1990–1999
Entscheidungen
April 1994


Entscheidungen

Die Bereitschaft des Herrn, uns bei unseren Entscheidungen beizustehen, gründet sich auf dieselben Grundsätze, die den Propheten in den Wald und den Erretter in den Garten führten.

Ich bin dankbar, daß ich heute mit Ihnen an dieser Generalkonferenz teilnehmen kann, und ich möchte die neuberufenen Brüder - Elder Hales und die anderen - meiner Wertschätzung und Unterstützung versichern.

Die vergangenen Monate waren für meine Frau und mich bei unserem Dienst im Toronto-Tempel ein geistiger Höhepunkt. Wir sind mit zwei großartigen Ratgebern und deren Frauen gesegnet sowie mit aufopfernden Tempelarbeitern, von denen einige als Vollzeitmissionare dienen. Wir leben in einem multikulturellen Gebiet, und Mitglieder mit unterschiedlicher nationaler und sprachlicher Herkunft lassen uns an ihren innersten Gefühlen teilhaben, wenn sie ihr Endowment empfangen.

Ich denke oft an die Umstände und die vielen Entscheidungen, die uns an dieser heiligen Stätte zusammenführen. Ich habe niemals gezählt, wie viele Entscheidungen ich jeden Tag treffe, aber mir ist klar, daß dies ein anhaltender Vorgang ist. Laut dem Wörterbuch besteht eine Entscheidung darin, eine Lösung herbeizuführen, die der Ungewißheit ein Ende setzt. Die Ungewißheit ist es, die Entscheidungen so schwer macht. Wenn eine Entscheidung in Eile getroffen wird oder ohne das Endergebnis abzuschätzen, dann wünschen wir uns manchmal, wir könnten die Zeiger zurückdrehen.

Vor einiger Zeit sah ich die Oper „Der Hexer”. Sie handelte von einem Prinzen und einer Prinzessin, die wegen der Anzahl Unverheirateter in ihrem Reich besorgt waren. (Klingt das nicht bekannt?) Sie baten einen Hexer, einen Trank zuzubereiten, der die Menschen in Schlaf versetzt; sobald sie erwachten, sollten sie sich in den ersten Menschen verlieben, den sie sahen. Alle Unverheirateten wurden zu einem Bankett geladen, bei dem dieser Trank gereicht wurde. Der Trank wirkte. Es ist jedoch müßig zu sagen, daß dadurch einige ziemlich ungleiche Partnerschaften entstanden. Der Prinz und die Prinzessin waren angesichts des Ergebnisses beunruhigt und erkannten, daß dies nicht die Antwort war. Lehi nannte die Lösung, als er sagte: „Der Mensch könnte aber sein Handeln nicht selbst bestimmen, wenn er nicht von dem einen oder dem anderen angezogen würde.” (2 Nephi 2:16.) Diese Freiheit wollte der Herr für uns erhalten.

Eine der bedeutendsten Entscheidungen in dieser Evangeliumszeit hat der junge Joseph Smith getroffen. Einer meiner Neffen schuf ein Gemälde, das er später als Wandgemälde für das Institutsgebäude in Logan reproduzierte. Er gab ihm den Titel „Der Wald wartet”. Es zeigt einen Jungen, der auf den heiligen Wald zugeht. Ich frage mich, worauf sich Joseph an jenem schönen Frühlingsmorgen gefaßt machte? Seine Entscheidung, in den Wald zu gehen, fußte auf seinem Wunsch, die Wahrheit zu kennen, auf seinem Glauben und seinem Gehorsam gegenüber dem Rat des Herrn. Sein Erlebnis im Wald war bedeutender, als er es sich vorstellen konnte, und hat sich auf unser aller Leben ausgewirkt. Die Grundsätze, die er befolgte, als er in den Wald ging, sollen uns als Grundlage dienen für die Entscheidungen, mit denen wir konfrontiert werden.

Noch jemand näherte sich Hunderte von Jahren vor den Tagen Joseph Smiths dem Wald. Obgleich er vom Opfer, das er bringen sollte, zuvor gesprochen hatte, hatte er vielleicht nicht völlig begriffen, was für ein schweres Erlebnis ihm bevorstand. Er machte sich auf den Weg im Bewußtsein, daß er Macht über Leben und Tod hatte und Engeln gebieten konnte, ihm zu Hilfe zu kommen. Er spricht davon, daß seine Seele betrübt sei, ja, zu Tode, und er schildert diese Erfahrung als eine, die ihn der Schmerzen wegen zittern, aus jeder Pore bluten und an Leib und Geist leiden ließ. (Siehe LuB 19:18.) Aufgrund seiner Liebe und seines Gehorsams gegenüber dem Vater konnte er zu Petrus sagen: „Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muß?” (Matthäus 26:54.) Er erfüllte seine Mission, zu der er vorherordiniert war, und öffnete allen das Tor zur Errettung und zum ewigen Leben.

Wir gingen auf den Wald der Ungewißheit zu, als wir auf unsere Berufung auf diese Erde warteten. Es muß ein besorgniserregendes und beängstigendes Erlebnis gewesen sein, als wir unsere Lieben verließen und durch den Schleier gingen. Als Spartakus von einem seiner Anhänger gefragt wurde, ob er Angst habe zu sterben, sagte er: „Nicht mehr, als geboren zu werden.” Daß unser Vorherdasein auch eine Prüfungszeit war, in der wir frei waren zu wählen, wurde von unseren Propheten bestätigt. Alma deutet an, daß unser überaus großer Glaube und unsere guten Werke uns das Anrecht auf das Priestertum eingetragen haben. (Siehe Alma 13:3.)

Einen Wald gibt es, der auf uns alle wartet - nämlich der Tod. Wenngleich er nicht wahlfrei ist, sondern akzeptiert werden muß, so legen unsere Entscheidungen hier das Fundament für das, was uns dort erwartet. Wie der Erretter erkennen auch wir, daß diese Erfahrung auf uns zukommen muß, aber wir verstehen nicht völlig, was vor uns liegt. Man würde eigentlich annehmen, daß jeder so viel Information wie möglich sammeln möchte, um sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Manch einer wiegt sich statt dessen in einem Gefühl der Sicherheit und achtet nicht auf die Warnung des Herrn, der zufolge „ohne seine Verordnungen und die Vollmacht des Priestertums … die Macht der Frömmigkeit den Menschen im Fleisch nicht offenbar”. (LuB 84:21.) In uns muß sich ein Wandel durch Heiligung vollziehen, der nur durch Gehorsam gegenüber den Gesetzen und durch Einhaltung der heiligen Handlungen zustandekommt.

Der Grund, warum der Herr dem Mose gebot, in der Wildnis das Offenbarungszelt und im Land der Verheißung ein Haus zu bauen, war, „damit diese Verordnungen, die schon, noch ehe die Welt war, verborgen wurden, offenbart werden konnten” (LuB 124:38). Joseph erhielt den Auftrag, dem Namen des Herrn ein Haus zu bauen, damit die Verordnungen, die verlorengegangen oder fortgenommen waren, wiederhergestellt werden konnten. Wenn wir uns die vielen verfügbaren Schriften durch den Kopf gehen lassen, müssen wir zu dem Schluß kommen, daß die Fülle der Segnungen des Herrn im Tempel zu finden ist. Dort machen wir uns bereit, den wichtigsten aller Wälder zu betreten, in dem sich die Verheißung ewiger Gesellschaft und Familie endlich verwirklicht, „wo alles, was mein Vater hat, ihm gegeben wird” (siehe LuB 84:38). Wenngleich wir die Bedeutung dieser Segnungen nicht verstehen können, so müssen wir die Entscheidungen heute treffen.

Die Tempeltore eröffnen uns viele Erfahrungen. Die wachsende Zahl der „Tempelmappen”, die wir mit Hilfe unserer Computer anlegen können, wird bald einen großen Teil der Arbeit einnehmen, die in den Tempeln verrichtet wird. Wir werden dadurch an anderen heiligen Handlungen teilnehmen, bei denen wir unerwartete Erfahrungen machen werden. Wenn wir unsere Familie, unsere Freunde oder Mitglieder unserer Gemeinde einbeziehen und als Gruppe die Arbeit für unsere Ahnen verrichten, können wir gemeinsam an geistigen und kostbaren Augenblicken teilhaben. Ich habe die Auswirkung auf Bekehrte gesehen, die zum ersten Mal mit Freunden kommen und einen Familiengruppenbogen mitbringen und die Arbeit im Siegelungsraum verrichten. Wir können ebenfalls als Tempelarbeiter für Gemeinde- und Pfahl-Tempelfahrten berufen werden und Engagement vermitteln, das eine größere Wertschätzung des Tempels mit sich bringt. Im Abschnitt 109 von Lehre und Bündnisse lesen wir, „daß alle, die über die Schwelle des Hauses des Herrn treten, deine Macht verspüren und sich gedrängt fühlen anzuerkennen, daß du es geheiligt hast und daß es dein Haus ist, eine Stätte deiner Heiligkeit”. (LuB 109:13.)

Die Bereitschaft des Herrn, uns bei unseren Entscheidungen beizustehen, gründet sich auf dieselben Grundsätze, die den Propheten in den Wald und den Erretter in den Garten führten. Manchmal wünschen wir, das Leben wäre eine Führung, bei der wir weder für die Einzelheiten noch für unsere sichere Ankunft verantwortlich sind. Vor kurzem sah ich in einem Laden ein kleines Gerät namens „Entscheidungshilfe für Manager”. Man drückte auf einen Knopf, und ein Blinklicht wies auf eine Antwort hin wie „Unbedingt”, „Niemals” oder „Warum nicht?”. Können wir es uns leisten, unsere Zukunft einem Zufall zu überlassen, wenn der Herr uns ermuntert, zu bitten, zu suchen und anzuklopfen (siehe Matthäus 7:7)?

Leider werden viele wichtige Entscheidungen getroffen, wenn wir äußerst unerfahren sind. Unser Wunsch nach Freiheit kann gefährlich sein, wenn wir nicht die angemessenen Richtlinien befolgt haben. Das Buch Mythology von Edith Hamilton erzählt von einem Jungen namens Ikarus und seinem Vater. Sie waren auf Kreta gefangen und bauten sich Flügel aus Federn, die durch Wachs zusammengehalten wurden.

Sie hofften, damit in die Freiheit fliegen zu können; und der Junge sollte sie ausprobieren. Sein Vater warnte ihn davor, der Sonne zu nahe zu kommen, damit das Wachs nicht schmelze. Ikarus war angesichts seiner neugefundenen Freiheit freudig erregt und erhob sich zu weit in die Lüfte. Das Wachs schmolz, die Flügel fielen auseinander, und der Junge stürzte in den Tod. Unsere Zukunft kann durch unkontrollierte Freiheit gefährdet werden.

Unsere vorrangige Entscheidung muß es sein, nach einem Zeugnis vom Evangelium zu trachten und unseren Glauben an den Herrn Jesus Christus zu festigen. Er ist ein liebevoller und besorgter Vater, wie dies in den folgenden Worten in, Lehre und Bündnisse’ 67:1 zum Ausdruck kommt: „Ihr Ältesten meiner Kirche, die ihr euch versammelt habt, deren Gebete ich vernommen habe und deren Herz ich kenne und deren Wünsche vor mich gekommen sind.” Er läßt uns bei unseren Entscheidungen nicht im Stich, denn er hat verheißen: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen.” (Johannes 14:18.) Der Beistand ist der Geist der Offenbarung, der uns alle Wahrheit bestätigt.

Ich bin dankbar, daß ich dem Herrn dienen darf und für den Geist, der mein Herz und meine Seele berührt hat. Ich bin auch dankbar für meine wunderbare Frau und meine glaubenstreuen Kinder. Ich bezeuge allen: Dieses Werk stammt von Gott, Jesus Christus steht an der Spitze dieses Werks. Im Namen Jesu Christi. Amen.