1990–1999
Sorge besonders für deine Familie
April 1994


Sorge besonders für deine Familie

Eltern und Großeltern, gehen Sie Ihre Zeitplanung und Ihre Prioritäten sorgfältig durch, und sorgen Sie dafür, daß die wichtigste Beziehung Ihres Lebens die meiste Zeit bekommt!

In den letzten Tagen, wenn „alles in Aufruhr” (LuB 88:91) sein wird, bietet das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi so viel Lebenswichtiges, beispielsweise daß man etwas so sieht, wie es wirklich ist (siehe Jakob 4:13).

Der bedeutende Historiker Will Durant schreibt über das Bedürfnis des Menschen, Wert und Perspektive des Vergänglichen zu erfassen: „Wir müssen wissen, daß Geringfügiges geringfügig und Wichtiges wichtig ist, ehe es zu spät dafür ist. Wir müssen die Dinge jetzt so sehen, wie sie für immer zu sein scheinen -, im Licht der Ewigkeit/” (The Story ofPhilosophy, Seite 1.)

Im Licht des Evangeliums erhalten wir einen viel tieferen Einblick in die Rolle der Familie. Ehe ich einiges anführe, was das Familienleben bedroht, denken Sie bitte zunächst darüber nach, wie ein Leben ohne Gott zu einem funktionalen Mangel an dauerhafter Perspektive führt. Gäbe es keine ewigen Wahrheiten, nach welchen Prinzipien würden die Menschen sich ausrichten? Wenn wir nicht Gott verantwortlich sind, wem dann? Außerdem: wenn es gar nichts wirklich Falsches gibt, dann ist auch niemand wirklich verantwortlich. Wir brauchen uns nicht über beunruhigende Ergebnisse zu wundern, wenn jeder nur das tut, was ihm gefällt und nicht die Rechtschaffenheit des Herrn aufrichtet, sondern seine eigenen Wege geht.

Denken Sie darüber nach, wie wirkungslos die Zehn Gebote im Leben vieler Menschen sind. Heute tragen Töten, Stehlen und Falschaussage ein soziales Stigma und unterliegen gesetzlichen Sanktionen, doch was sexuelle Unmoral, die Sabbatheiligung, das Ehren von Vater und Mutter und den Mißbrauch des Namens Gottes betrifft, so gibt es praktisch keine Sanktionen mehr. In diesem Niedergang sehen wir zum Teil die schlimmen Folgen des ethischen Relativismus, den viele Menschen sich zur Philosophie gemacht haben; Relativismus heißt, daß es keine festen göttlichen Wahrheiten gibt, sondern daß nur der Augenblick Geltung hat. Ortega y Gassett meint jedoch: „Wenn es keine Wahrheit gibt, dann kann doch der Relativismus sich selbst nicht ernstnehmen.” (The Modern Theme, wie in Duncan Williams Trousered Apes zitiert, Seite 69.)

Hören Sie nur einige der schrecklichen Trends, die, wenn nichts dagegen unternommen wird, noch geballtere schreckliche Folgen nach sich ziehen werden:

  • In zehn Jahren wird die Hälfte aller Kinder, die in Amerika geboren werden, außerehelich zur Welt kommen. (Siehe Präsident Bill Clinton, „State of the Union Address”, CNN Specials, 25. Januar 1994.)

  • Immer mehr Kinder haben niemanden, der für sie die Vaterrolle übernimmt, und schon jetzt wachsen siebzig Prozent der jugendlichen Straftäter ohne Vater auf. (Wall Street Journal, 18. November 1993, Seite A-18.)

  • Weniger als die Hälfte der Kinder, die jetzt zur Welt kommen, werden die Kindheit hindurch mit beiden leiblichen Eltern zusammenleben. (Barbara Dafoe Whitehead, Atlantic Monthly [April 1993], Seite 47.)

  • Ein Viertel aller Heranwachsenden ziehen sich eine sexuell übertragbare Krank-

  • Beide Eltern bzw. der alleinerziehende Elternteil von 55 Prozent der amerikanischen Kinder unter sechs Jahren sind berufstätig. (Ibd.)

Lehi hat sich selbst einmal als „zitternden Vater” (siehe 2 Nephi 1:14) bezeichnet. Auch heute gibt es zitternde Eltern und Großeltern! Einige der heutigen Familien leben in einer schlimmeren Wildnis als die Familie Lehis. Die intakte herkömmliche Familie gehört zu den vom Aussterben bedrohten Arten, und eines Tages wird die Familie vielleicht auf einer Stufe mit dem selten gewordenen Fleckenkauz stehen.

In dem Maße, wie die elterliche Fürsorge zurückgeht, brauchen wir mehr Polizei. Es gibt immer zu wenig Polizisten, wenn es zu wenig gute Eltern gibt! Ebenso gibt es nicht genug Gefängnisse, wenn es nicht genug gute Familien gibt.

Es wird viel über den Wert der Familie geredet, aber Rhetorik allein bringt noch keine Reformen zustande. Manch einer wünscht sich nostalgisch die Vergangenheit zurück; diese Leute bedauern zwar den Verfall der Familie, halten den Vorgang aber nicht für umkehrbar. Andere, denen die Flut der sozialen Folgen echte Sorgen bereitet, bauen eifrig Dämme aus Sandsäcken, selbst wenn der panische Gebrauch von Sandsäcken das bißchen übriggebliebenen Garten in der Familie zerstört. Einige wenige betrachten die Familie als eine Einrichtung, die drastisch neu definiert werden oder derer man sich entledigen muß.

Weder in der Welt noch in der Kirche gibt es vollkommene Familien, aber es gibt viele gute. Ich applaudiere im Geiste auch jenen heldenhaften Eltern, die - durch Tod oder Scheidung allein - in Rechtschaffenheit und eifrig für ihre Familie sorgen, oft gegen starke Widerstände.

Doch ach, in vielen Familien geht alles völlig schief; nur sind diese krassen Fehlschläge kein Grund, die Familie als Institution weiter zu verunglimpfen. Wir müssen den Kurs ändern und die Lecks reparieren, statt einfach „das Schiff zu verlassen”.

Ein Großteil der Verzweiflung und Gewalt unserer Zeit rührt von der ungesunden Einstellung gegenüber jeglicher Autorität her, auch der in der Familie. Vor 35 Jahren hat sich ein einsichtiger Kommentator der BBC Gedanken darüber gemacht, daß wir Erwachsene hervorbringen, deren Einstellung gegenüber der Autorität noch unklarer und ungefestigter ist, als unsere eigene und die noch weniger als ihre Eltern fähig sein werden, ihre Kinder mit einer vernünftigen Einstellung zur Autorität zu erziehen; und so kann eine tückische Lawine entstehen, deren erschreckende Wucht von Generation zu Generation zunimmt. (Zitiert in „The Listener”, 12. Februar 1959.)

Diese „erschreckende Wucht” nimmt immer mehr zu, da grundlegende soziale und politische Veränderungen heute innerhalb von „nur ein paar Jahren” (Moroni 9:12) stattfinden.

Leider ist es leichter, die Familie zu loben, als eine gute Familie aufzubauen. Es ist leichter, so wie ich jetzt über den Wert der Familie zu sprechen, als diese Wertvorstellungen in die Tat umzusetzen. Es ist leichter, den schönen Erinnerungen an ein gutes Elternhaus nachzuhängen, als der kommenden Generation ihre eigenen schönen Erinnerungen zu verschaffen.

Die deutliche Lehre erfordert, daß wir deutliche Fragen stellen. Wie kann ein Volk die Familie hochhalten, ohne sie öffentlich zu schätzen und zu schützen? Wie können wir die Familie schätzen, ohne das Elternsein zu schätzen? Wie können wir das Elternsein schätzen, wenn wir die Ehe nicht schätzen? Wie kann daheim Liebe herrschen, wenn es in der Ehe keine Liebe gibt? Viele egoistische Interessen zerren Vater und Mutter voneinander und von ihren Kindern fort.

Im Gegensatz dazu hat so vieles in der Wiederherstellung die fundamentalen Prinzipien im Zusammenhang mit der Familie zum Mittelpunkt, wozu auch die Siegelung ewiger Familien gehört. Die Heiligen der Letzten Tage können daher gar nicht anders, als bei jeder Gelegenheit für die Familie einzutreten und das Wort zu erheben, selbst wenn wir mißverstanden, zurückgewiesen oder ignoriert werden.

Schließlich geht die Entstehung der Nationen auf Familien zurück, und Familien wird es noch geben, wenn der Allmächtige „allen Nationen ein völliges Ende bereitet” hat (LuB 87:6). Für die Heiligen der Letzten Tage sollte jedes Jahr ein „Jahr der Familie” sein. Allerdings müssen wir Heiligen der Letzten Tage uns mit unserer eigenen Familie mehr Mühe geben - viel mehr! Es muß dort weniger Händeringen und mehr liebevolle Umarmungen geben.

Von allem, was zur „Vervollkommnung der Heiligen” geschieht, kommt nichts dem gleich, was in einer intakten Familie getan wird. Präsident David O. McKay hat gelehrt: „Die Familie ist die Grundlage eines rechtschaffenen Lebens, und keine andere Institution kann ihren Platz einnehmen oder ihre wesentlichen Funktionen erfüllen.” (Siehe Vorwort zu Family Home Evening Manual, 1965.) Manchmal, unbeabsichtigt, können sogar gewisse Kirchenaktivitäten außerhalb des Lehrplans, wenn sie unsensibel durchgeführt werden, das Familienleben behindern.

Es ist sehr lehrreich, was der auferstandene Jesus zu den Nephiten gesagt hat, nämlich: „Geht nach Hause und denkt über das nach, was ich gesagt habe”, und dann betet, und macht euch „für den morgigen Tag” bereit (3 Nephi 17:3). Jesus hat sie nicht in ihre Vereinslokale und Parlamente, ja, nicht einmal in ihre Pfahlhäuser geschickt!

Wenn wir unsere familiären Pflichten ganz erfüllen wollen, müssen wir auch unsere Kinder wirklich lehren, „die Lehre von der Umkehr, vom Glauben an Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes”, zu verstehen (LuB 68:25). Wie unterscheidet sich doch dieses Bild vom Elternsein von dem der Welt! Marie Winn beklagt in ihrem Buch Children without Childhood eine „steigende, doch ungerechtfertigte Tendenz, Kinder so zu behandeln, als könnten sie Erfahrungen der Erwachsenenwelt ohne Einschränkung bewältigen”. (Siehe Marie Winn, Children without Childhood, 1983, Seite 5.)

Brüder und Schwestern, wir können solche Tendenzen vielleicht nicht ändern, aber wir können uns ihnen versagen.

Wenn es den Eltern nicht gelingt, außer Anständigkeit auch Gotteslehre zu vermitteln, dann ist die Familie nur eine Generation von schwerwiegendem geistigen Verfall entfernt, denn dann hat sie ihre geistige Kraft verloren.

Außer liebevoller „Geselligkeit”, die eines Tages „mit ewiger Herrlichkeit verbunden” sein wird, betonen wir als Mittel zur Abhilfe das Familiengebet, den Familienabend und das Schriftstudium mit der Familie (siehe LuB 130:2). Darüber hinaus kann persönliche Offenbarung maßgeschneiderte Führung und Gewißheit vermitteln.

Die Anwendung der grundlegenden Hilfsmittel braucht ihre Zeit und wird nicht alles auf der Stelle in Ordnung bringen. Was könnte aber grundlegender sein als Liebe in der Familie, wo es doch jedes Jahr 4 Millionen bekannte Fälle von häuslicher Gewalt gibt, das ist fast die amerikanische Geburtenrate! (Siehe „Callers Weigh in on Domestic Abuse”, CNN, 6. November 1993; The World Almanac, Seite 954.) In Amerika kommt alle zwei Tage zusammengenommen eine ganze Schulklasse durch Gewalttätigkeit ums Leben. (Deseret News, 20. Januar 1994, Seite Al.)

Wir brauchen mehr Mütter, die die Wahrheit kennen, und deren Kinder nicht daran zweifeln, daß ihre Mutter die Wahrheit kennt (siehe Alma 56:48). Wir brauchen mehr gütige und rücksichtsvolle Väter, deren Autorität sich auf ihr gutes Beispiel stützt. Mehr Kinder sollten sich ihrer Eltern erinnern können, wie es die Tochter eines Propheten, nämlich Helen Lee Goates tut: „Ein Vater, der bei aller Festigkeit doch milde war, und eine Mutter, die bei aller Milde doch fest war.” (That My Family Should Partake, Seite 56.)

In einer intakten Familie lernt man an aller erster Stelle zuhören, vergeben, loben und Freude an der Leistung anderer. Dort können wir lernen, unseren Egoismus zu zügeln, zu arbeiten, umzukehren und zu lieben. In einer Familie mit geistiger Perspektive zerstört das Gestern nicht das Morgen. Wenn wir manchmal eine Dummheit begehen, dann weiß die liebevolle Familie, daß dies nicht das letzte Wort war, daß der letzte Vorhang noch nicht gefallen ist.

Manch einem mögen diese und ähnliche Hilfsmittel zu simpel erscheinen, um eine von so vielen Anfechtungen befallene Gesellschaft zu heilen. Im antiken Israel, das auch in Anfechtung stand, verachteten einige Menschen auch die einfachen, von Gott gegebenen Hilfsmittel, und sie kamen um (siehe l Nephi 17:41).

Offensichtlich spiegelt die Familie unsere Prioritäten wider. In Anbetracht der gegenwärtigen Umstände - sind die Eltern bereit, auf nur eine einzige Sache zu verzichten und die gesparte Zeit und die Talente statt dessen der Familie zu widmen? Eltern und Großeltern, gehen Sie Ihre Zeitplanung und Ihre Prioritäten sorgfältig durch, und sorgen Sie dafür, daß die wichtigste Beziehung Ihres Lebens die meiste Zeit bekommt! Selbst Brigham Young, der sich dem Herrn geweiht hatte, wurde vom Herrn gesagt: „Sorge besonders für deine Familie.” (LuB 126:3.) Manchmal sind es die Gewissenhaften, die dieser Botschaft am meisten bedürfen!

Die Gesellschaft muß sich wieder neu auf ihre Quellen besinnen, nämlich die Familie, wo Wertvorstellungen gelehrt werden, wo nach ihnen gelebt und mit ihnen experimentiert wird und wo sie erhalten werden. Andernfalls werden wir erleben, wie sich die Flutwelle fortsetzt und sogar noch mehr vernichtende Korruption und Gewalt erzeugt. (Siehe Genesis 6:11,12; Matthäus 24:37.)

Wenn man die Regenmacher weitermachen läßt, dann strömt der Regen auch weiter, und die Fluten werden weiterhin kommen. Deiche und Sandsäcke werden sie nicht halten können. Immer mehr Familien und sogar ganze Völker werden darunter leiden, wenn sie auf den Sand der Weltlichkeit statt auf den Granit des Evangeliums gebaut sind.

In dem Maße, wie die Anzahl der dysfunktionalen Familien zunimmt, ergießt sich ihr Versagen in die ohnehin belasteten Schulen und auf die Straße. Das ist schon jetzt kein schönes Bild.

Die Staaten, in denen der traditionelle Idealismus dem modernen Zynismus weicht, vertun die Segnungen des Himmels, und sie verlieren auch in den Augen der Bürger ihre Berechtigung.

Inmitten des babylonischen Gewimmels von Patentrezepten in „wer weiß wie vielen Sprachen in der Welt” gibt es doch eine Perspektive der Rettung und Erlösung. Sie erfordert, daß wir erkennen, wer Christus ist, wie er lebte und wofür er starb. Schließlich war er es, der uns eine geistige Perspektive für die Familie gab. (Siehe l Korinther 14:10; Johannes 10:27.)

Es ist daher angebracht, daß wir am Ende dieses Ostertages über Jesus und das Sühnopfer nachdenken - wie er sich in Getsemani am Boden krümmte. Mit seinem Blut veränderte er die Grammatik des Todes. Bis Getsemani und Golgota war der Tod ein abschließender, endgültiger Punkt. Doch dann krümmte sich auch der Tod - und wurde ein bloßes Komma!

Preis sei Jesus dafür, daß er die Sünden und das Leid der „Familie Adams” auf sich nahm. Wir wollen uns ab sofort bemühen, besonders für unsere Familie zu sorgen, so wie Jesus es für seine Familie tat, nämlich „die menschliche Familie der ganzen Erde” (2 Nephi 2:20). Im Namen Jesu Christi. Amen.