1990–1999
Wiederhergestellte Wahrheit
Oktober 1994


Wiederhergestellte Wahrheit

Die vielleicht wichtigste Lektion, die der junge Joseph im heiligen Wald lernte, ist die folgende bedeutende und ewige Wahrheit: Die Himmel sind nicht verschlossen.

Vor drei Wochen war ich im Rahmen der Tage der offenen Tür im Orlando Tempel Gastgeber für Vertreter der Geistlichkeit, der Presse, der Regierung, des Bildungswesens und der Geschäftswelt. Ehe ich diese prominenten Gäste durch den Tempel führte, erläuterte ich ihnen den Standpunkt und die grundlegenden Lehren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Sie sollten wissen, warum das Evangelium Jesu Christi durch den Propheten Joseph Smith wiederhergestellt worden ist, damit sie den gottgegebenen Zweck und die ewige Bedeutung des Tempels verstehen konnten. Es geht mir heute morgen darum, die Mitglieder der Kirche daran zu erinnern, was wir da haben, und den Nichtmitgliedern verstehen zu helfen, warum die Wiederherstellung des Evangeliums nötig war.

Das Wirken des Herrn Jesus Christus in der Sterblichkeit war vergleichsweise kurz. Er wurde nur 33 Jahre alt, und sein Wirken dauerte nur drei Jahre. In diesen drei Jahren jedoch lehrte er die Menschheit alles, was nötig ist, um alle Segnungen zu empfangen, die der himmlische Vater für seine Kinder bereithält. Er beendete sein irdisches Wirken mit dem bedeutendsten Dienst am Nächsten in der Weltgeschichte: dem Sühnopfer.

Zu den wichtigsten Errungenschaften des Erretters gehörte die Gründung seiner Kirche auf Erden. Paulus lehrt: „Er gab einigen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi.” (Epheser 4:11,12.)

Als Jesus die zwölf Apostel berief, legte er ihnen die Hände auf, ordinierte sie und übertrug ihnen die Vollmacht, in seinem Namen zu handeln und die Kirche zu lenken. Petrus wird allgemein als der oberste Apostel und - nach Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Christi - als Präsident der Kirche angesehen. Die frühen Christen ertrugen Verfolgung und Mühsal. Petrus und seinen Brüdern fiel es schwer, die Kirche zusammen- und die Lehre reinzuhalten. Sie reisten viel und schrieben einander wegen der Schwierigkeiten, mit denen sie sich befassen mußten, doch der Informationsfluß war so langsam und die Kirche und ihre Lehren so neu, daß es schwer war, falsche Lehren abzuwehren, ehe sie feste Wurzeln schlagen konnten.

Dem Neuen Testament entnehmen wir, daß die frühen Apostel hart arbeiteten, um die Kirche zu erhalten, die Jesus Christus ihrer Fürsorge anvertraut hatte, und daß sie dennoch wußten: ihre Bemühungen würden am Ende vergebens sein. Paulus schrieb den Heiligen in Thessalonich, die die sehnsüchtig das Zweite Kommen Christi erwarteten: „Zuerst muß der Abfall von Gott kommen.” (2 Thessalonicher 2:3.) Auch warnte er Timotheus: „Es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, … und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden.” (2 Timotheus 4:3,4.) Petrus sah den Abfall voraus, denn er sprach von einer „Zeit des Aufatmens”, die kommen werde, ehe Gott Christus wiedersenden würde, den „der Himmel aufnehmen [muß] bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, die Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat.” (Apostelgeschichte 3:19-21.)

Mit Ausnahme von Johannes, dem Lieblingsjünger, starben schließlich Petrus und seine Mitapostel den Märtyrertod. Der Apostel Johannes und die Mitglieder der Kirche kämpften angesichts der schrecklichen Unterdrückung ums Überleben. Es ist ihr ewiges Verdienst, daß das Christentum überlebte und gegen Ende des zweiten Jahrhunderts eine beherrschende Kraft geworden war. Vielen tapferen Heiligen ist es zu verdanken, daß das Christentum alles überstanden hatte.

Unbeschadet der Bedeutung, die dem Wirken dieser Heiligen zukommt, hatten sie doch nicht die apostolische Vollmacht, die Petrus und die anderen Apostel durch Ordinierung unter den Händen Jesu Christi empfangen hatten. Als diese Vollmacht verloren war, hielten die Menschen Ausschau nach Quellen, durch die sie die Lehre verstehen konnten. In der Folge gingen viele einfache und kostbare Wahrheiten verloren.

Zum Beispiel: Im Jahre 325 fand in Nizäa ein großes Konzil statt. Das Christentum war bereits aus den dumpfen Verliesen Roms zur Staatsreligion des römischen Imperiums aufgestiegen, doch die Kirche hatte noch immer Schwierigkeiten, und zwar hauptsächlich weil die Christen nicht in der Lage waren, sich untereinander über grundlegende Punkte der Lehre zu einigen. Um die Differenzen auszuräumen, beauftragte Kaiser Konstantin eine Gruppe christlicher Bischöfe damit, ein für allemal die offiziellen Lehren der Kirche festzulegen.

Es war nicht leicht, Übereinstimmung zu erzielen. Bei so grundlegenden Themen wie der Natur Gottes waren die Meinungen unterschiedlich und fest, und es wurde leidenschaftlich debattiert. Beschlüsse wurden nicht durch Inspiration gefaßt, sondern durch Mehrheitsvotum, und einige Gruppen, die damit nicht einverstanden waren, spalteten sich ab und gründeten neue Kirchen. Ähnliche Konzile über die Lehre fanden in den Jahren 451, 787 und 1545 mit ebenso zwiespältigen Ergebnissen statt.

Die schöne Schlichtheit des Evangeliums Jesu Christi wurde von einem Feind attackiert, der noch zerstörerischer war als die Geißeln und Kreuze des früheren Rom, nämlich von den philosophierenden Mäandern uninspirierter Männer. Die Lehre stützte sich mehr auf Meinungsströmungen als auf Offenbarung. Dieser Zeitabschnitt wird das finstere Mittelalter genannt. Die Zeit war hauptsächlich darum finster, weil das Licht des Evangeliums Jesu Christi verlorengegangen war.

Im Jahre 1517 bewegte der Geist den deutschen Priester Martin Luther, der sich Sorgen machte, weil die Kirche so weit von dem Evangelium abgewichen war, das Christus gelehrt hatte. Sein Wirken führte zur Reformation, einer Bewegung, die von Visionären wie Johannes Calvin, Ulrich Zwingli, John Wesley und John Smith aufgenommen wurde.

Ich glaube, diese Reformatoren waren dazu inspiriert, ein religiöses Klima zu schaffen, in dem Gott die verlorenen Wahrheiten und die Priestertumsvollmacht wiederherstellen konnte. In gleicher Weise inspirierte Gott die frühen Erforscher und Kolonisatoren Amerikas und die Autoren der Verfassung der Vereinigten Staaten, ein Land und ein Regierungssystem zu entwickeln, in dem die Wahrheit wiederhergestellt werden konnte.

1820 war die Welt bereit für die „Wiederherstellung von allem”, von der Petrus und die anderen heiligen Propheten Gottes seit Anbeginn der Welt gesprochen hatten (siehe Apostelgeschichte 3:21).

Zu dieser Zeit ging eine Welle religiöser Aufregung durch den Staat New York. Geistliche der verschiedenen Glaubensgemeinschaften eiferten um Anhängerschaft unter den gläubigen Menschen in den Städten und Bezirken; so auch in Palmyra, wo Joseph Smith Senior und Lucy Mack Smith mit ihren Kindern wohnten.

Auch Familie Smith war von der religiösen Aufregung ergriffen worden, und einige aus der Familie wurden für die eine oder andere Glaubensgemeinschaft gewonnen. Mutter Smith und drei ihrer Kinder, nämlich Hyrum, Samuel und Sophronia, schlössen sich der einen Kirche an, Vater Smith und Alvin, der älteste Sohn, gingen zu einer anderen.

Der vierzehnjährige Joseph Junior überlegte, welcher Kirche er sich anschließen sollte, und er untersuchte jede Gemeinschaft sorgfältig, hörte den jeweiligen Geistlichen zu und versuchte, die Wahrheit herauszufinden. Er wußte, es ist nur „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe” (Epheser 4:5), doch wer recht hatte, wußte er nicht.

„Inmitten dieses Wortkriegs und Tumults der Meinungen”, schrieb er später, „sagte ich mir oft: Was ist da zu tun? Welche von allen diesen Parteien hat recht, oder haben sie alle unrecht? Und falls eine recht hat - welche ist es, und woran soll ich sie erkennen?” (Joseph Smith - Lebensgeschichte 1:10.)

Joseph Smith versuchte, seine Fragen aus der heiligen Schrift zu beantworten. Als er die Bibel las, stieß er auf einen schlichten und direkten Rat im Brief des Jakobus: „Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemand einen Vorwurf.” (Jakobus 1:5.)

Joseph Smith erzählt weiter: „Nie ist einem Menschen eine Schriftstelle mit mehr Gewalt ins Herz gedrungen als diese damals mir. Es war so, als ergieße sie sich mit großer Macht in mein ganzes Gemüt. Immer wieder dachte ich darüber nach, denn ich wußte, wenn überhaupt jemand Weisheit von Gott brauchte, so war ich es. Ich wußte ja nicht, wie ich mich verhalten sollte, und solange ich nicht mehr Weisheit erlangte, als ich damals besaß, würde ich es auch nie wissen.” (Joseph Smith - Lebensgeschichte 1:12.)

Mit dem schlichten Glauben der Jugend und bewegt durch die Inspiration des Heiligen Geistes beschloß Joseph Smith, in einen kleinen Wald nahe des Wohnhauses zu gehen und die Verheißung des Jakobus auf die Probe zu stellen.

An einem schönen, klaren Frühlingsmorgen zog sich er sich in den Wald zurück. Dort blieb er an einem stillen, abgeschiedenen Fleck stehen. Er vergewisserte sich, daß er allein war. Dann kniete er sich hin und fing an zu beten. Kaum hatte er damit begonnen, kam eine überwältigende Finsternis über ihn, als wenn eine böse Macht ihn zu vernichten suchte. Doch statt aufzugeben flehte Joseph noch intensiver zu Gott - und Gott selbst antwortete.

Wir lesen in Joseph Smiths Bericht: „Ich sah gerade über meinem Haupt eine Säule aus Licht, heller als die Sonne, allmählich herabkommen, bis es auf mich fiel. … Als das Licht auf mir ruhte, sah ich zwei Gestalten von unbeschreiblicher Helle und Herrlichkeit über mir in der Luft stehen. Eine von ihnen redete mich an, nannte mich beim Namen und sagte, dabei auf die andere deutend: Dies ist mein geliebter Sohn. Ihn höre!” (Joseph Smith - Lebensgeschichte 1:16,17.)

Ich bezeuge: Diese Wesen waren Gott, der himmlische Vater, und sein auferstandener Sohn, Jesus Christus, die in einer der erhabensten geistigen Manifestationen aller Zeiten erschienen!

Sie wiesen Joseph Smith an, sich keiner der bestehenden Kirchen anzuschließen.

Als ihre Absicht erfüllt war, zogen der Vater und der Sohn, Jesus Christus, sich zurück; der junge Joseph Smith war körperlich erschöpft, doch geistig war er mit aufregender, wiederhergestellter Wahrheit bereichert worden. Er wußte mit Sicherheit, daß es Gott, den himmlischen Vater, und Jesus Christus, seinen Sohn, wirklich gibt, denn er hatte sie gesehen. Er wußte, daß es sich um zwei getrennte, eigenständige Persönlichkeiten handelte. Er wußte, daß es auf dem Angesicht der Erde keine Kirche gab, die mit der Vollmacht des Priestertums im Namen des himmlischen Vaters und Jesu Christi handeln konnte.

Die vielleicht wichtigste Lektion, die der junge Joseph Smith im heiligen Wald lernte, ist diese bedeutende und ewige Wahrheit: Die Himmel sind nicht verschlossen. Gott spricht mit den Sterblichen. Er liebt uns, die Heutigen, genau so, wie er die Menschen vor alters geliebt hat. Welch ein Trost ist doch diese Gewißheit in einer Welt voller Verwirrung und Entmutigung! Welcher Friede, welche Sicherheit kommen ins Herz des Menschen, der weiß: Gott im Himmel kennt uns, und wir - der einzelne wie die Gesamtheit - sind ihm wichtig, er spricht mit uns je nach unseren Bedürfnissen, und zwar entweder direkt oder durch seine lebenden Propheten.

Meine lieben Freunde, ich bezeuge Ihnen: Das ist wahr; der Vater und der Sohn sind dem jungen Joseph Smith in einer wundervollen Vision erschienen, und das war ein Schritt zur Wiederherstellung der Fülle des Evangeliums Jesu Christi auf Erden. Durch spätere, ebenso wundersame Erlebnisse wurde Joseph Smith zum Werkzeug Gottes -

• bei der Übersetzung von alten Aufzeichnungen, die eine heilige Schrift enthielten: Das Buch Mormon, ein weiterer Zeuge für Jesus Christus,

• bei der Wiederherstellung der Priesterrumsvollmacht,

• bei der Wiederherstellung der Siegelungsschlüssel, damit das Herz der Kinder sich ihren Vätern zuwendet,

• bei der Errichtung der wiederhergestellten Kirche Jesu Christi in diesen Letzten Tagen, mit der Fülle des Evangeliums, wie es in der Zeitenmitte vom Erretter und seinen Aposteln gelehrt worden ist,

• bei der Erfüllung biblischer Prophezeiungen,

• bei der Vorbereitung des Zweiten Kommens Jesu Christi.

Bei der Führung in Orlando habe ich unseren Gästen, die nicht unseres Glaubens waren, gesagt, daß ich es wohl verstehe, wenn sie diese Botschaft für ein wenig erschütternd halten. Ich habe meinen neuen Freunden in Orlando genau wie heute morgen Ihnen hier gesagt, daß das Evangelium entweder wiederhergestellt worden ist oder nicht. Entweder ist die ursprüngliche Kirche des Erretters mitsamt ihren Lehren verlorengegangen oder nicht. Entweder hatte Joseph Smith diese bemerkenswerte Vision oder nicht. Entweder ist das Buch Mormon ein weiterer Zeuge für Jesus Christus oder nicht. Entweder wurde die Fülle des Evangeliums Jesu Christi auf Erden durch Gottes

erwählten Propheten der Letzten Tage wiederhergestellt oder nicht.

Die Wahrheit ist tatsächlich nicht komplizierter als das. Entweder ist alles so geschehen, wie ich es bezeugt habe, oder nicht. Als Apostel des Herrn Jesus Christus in den Letzten Tagen bezeuge ich wie auch Millionen gläubige Mitglieder der Kirche in aller Welt, daß das, was ich Ihnen heute morgen gesagt habe, wahr ist. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist durch Joseph Smith auf Erden wiederhergestellt worden, und sie wird heute von einem lebenden Propheten geführt. Ich weiß das!

Diese Information bedeutet uns persönlich aber nur dann etwas, wenn wir selbst wissen, daß sie wahr ist. Glücklicherweise gibt es einen einfachen und sicheren Weg, um das festzustellen. Es braucht etwas Mühe und aufrichtiges Beten. Doch das ist es wert!

Im letzten Kapitel des Buches Mormon macht Moroni, ein Prophet vor alters, denjenigen eine bedeutende Verheißung, die eines Tages sein heiliges Buch lesen würden. Die Verheißung gilt für jeden aufrichtigen Wahrheitssucher. Er schreibt: „Und ich möchte euch auffordern: Wenn ihr dieses hier empfangt, so fragt Gott, den ewigen Vater, im Namen Christi, ob es wahr ist; und wenn ihr mit aufrichtigem Herzen, mit wirklichem Vorsatz fragt und Glauben an Christus habt, wird er euch durch die Macht des Heiligen Geistes kundtun, daß es wahr ist. Und durch die Macht des Heiligen Geistes könnt ihr von allem wissen, ob es wahr ist.” (Moroni 10:4,5.)

Moroni hält uns dazu an, direkt an der Quelle der Wahrheit Antworten auf unsere Fragen zu suchen. Wenn wir Gott demütig und aufrichtig bitten, dann wird er uns helfen, Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden. Wie der Erretter selbst seinen Jüngern gesagt hat: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien.” (Johannes 8:32.)

Brüder und Schwestern, wir kennen die Wahrheit. Und weil das so ist, wird von uns erwartet, daß wir alle Kinder des himmlischen Vaters daran teilhaben lassen. Liebe Freunde der Kirche, lassen Sie bitte diese Gelegenheit nicht verstreichen, eine persönliche Offenbarung von Gott zu empfangen. Denken Sie über das nach, was ich gesagt habe. Erwägen Sie es sorgsam. Messen Sie es an allem, was Sie glauben. Halten Sie fest an allem, was wahr ist, und fügen Sie dem die Fülle des wiederhergestellten Evangeliums Jesu Christi hinzu. Ziehen Sie in Betracht, was Sie beim Zuhören empfunden haben. Sie können selbst wissen, daß es wahr ist, indem Sie Gott fragen. Horchen Sie auf seine Antwort; handeln sie gemäß dem, was sie dann empfinden.

Wenn Sie das tun, dann werden Sie, so glaube ich, so wie ich wissen, daß die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die wahre Kirche Gottes auf Erden ist. Möge Gott Sie, meine lieben Freunde, mit dem Frieden und der Freude des Evangeliums segnen. Darum bete ich im Namen Jesu Christi. Amen.