1990–1999
Wer Gott ehrt, den ehrt Gott
Oktober 1995


Wer Gott ehrt, den ehrt Gott

Es ist das wundervollste Gefühl im Leben, wenn man erkennt: Gott, unser himmlischer Vater, kennt einen jeden von uns; und großzügig zeigt er uns seine errettende Macht und läßt uns daran Anteil haben.

Es ist keine unbedeutende Aufgabe, heute Abend vor Ihnen zu stehen. Ich bin von Ihrem Glauben beeindruckt, habe Respekt vor dem, was in Ihnen steckt, und bin begeistert von Ihrem Pflichtgefühl gegenüber der Sache des Herrn.

Ein lieber Freund und Mitarbeiter in der Sache des Herrn, Elder Bruce R. McConkie, hatte ein Lieblingslied, das er sehr gern hörte. Er sagte, der Text bewege ihn dazu, sein Bestes zu geben. Hören Sie sich nur diese beiden Strophen an:

Ihr seid zum Werk berufen, zu dienen unserm

Gott, mit Priestertum gesegnet, gerufen durch sein

Wort, Daß ihr dann allen Völkern das Evangelium

bringt Und auf den Bergen Wahrheit, Errettung,

Frieden klingt. … Der Beistand wird euch lehren und reichlich

segnen dann, Und Christus wird mit euch sein, seid ihr nur

treu fortan.1

Welch machtvolle Verheißung diese schönen Worte verkünden! Sie gelten euch, ihr jungen Männer, die ihr das Aaronische Priestertum tragt, und euch, ihr Väter, ebenso den anderen Brüdern, die Sie das Melchisedekische Priestertum empfangen haben.

Mir ist, als sei ich erst gestern Sekretär des Diakonskollegiums in meiner Gemeinde gewesen. Wir wurden von weisen und geduldigen Männern unterrichtet, die uns mit Hilfe der heiligen Schriften unterrichteten; es waren Männer, die uns gut kannten. Sie nahmen sich die Zeit zum Zuhören und zum Lachen, zum Erbauen und Motivieren und betonten, daß wir - so wie der Herr - heranwachsen und an Weisheit zunehmen und bei Gott und den Menschen Gefallen finden konnten.2 Sie waren uns ein Vorbild. Ihr Leben spiegelte ihr Zeugnis wider.

Die Jugend ist eine Zeit des Wachstums. In diesen Entwicklungsjahren ist unser Geist empfänglich für die Wahrheit, aber auch für den Irrtum. Die Verantwortung, sich zu entscheiden, liegt bei jedem Diakon, Lehrer und Priester. Mit den Jahren werden die Entscheidungen immer komplizierter, und manchmal sind wir versucht zu wanken. Die Notwendigkeit für einen persönlichen Ehrenkodex ergibt sich nicht nur täglich, sondern häufig sogar viele Male an einem einzigen Tag.

Die Aufforderung in dem folgenden Kirchenlied, das wir in unseren Versammlungen häufig singen, vermittelt uns inspirierte Weisung:

Wähle recht, die Wahl ist dir gegeben. Wähle recht, dann führt dich Gottes Geist, und sein Licht erleuchtet dir das Leben, wenn dem Herrn das Herz du weihst?

Den festen Entschluß, das Rechte zu tun, kann man schon als Junge fassen. Auf einem Friedhof, auf dem ich an einer Beerdigung teilnahm, stand am offenen Grab ein kleiner Junge. Er hatte ein unschuldiges Gesicht, und seine leuchtenden Augen verhießen eine strahlende Zukunft. Ich sagte zu ihm: „Mein Junge, du wirst einen großartigen Missionar abgeben. Wie alt bist du?‟ Er antwortete: „Zehn.‟ „In neun Jahren werden wir nach dir Ausschau halten, damit du auf Mission gehst‟, meinte ich.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten, und sie sagte einiges über ihn aus. Er sagte: „Bruder Monson, Sie werden mich nicht suchen müssen, ich werde nämlich Sie suchen.‟ Junge Männer, einiges lernt ihr von euren Eltern, anderes wiederum in der Schule und in der Kirche. Es gibt jedoch auch Augenblicke, in denen ihr wißt, daß der Vater im Himmel euch unterweist, und ihr seid seine Schüler. Ich möchte euch heute Abend etwas vermitteln, das mir auf wirksame Weise vermittelt wurde und das ich nie vergessen habe. Es hat etwas mit Schwimmen zu tun, geht aber weit darüber hinaus.

Ich habe in der schnellen Strömung des Provo River im schönen Provo Canyon schwimmen gelernt, und zwar an einer tiefen Stelle des Flusses, die von einem großen Felsen geschaffen wurde, der vermutlich in den Fluß gefallen war, als die Bauarbeiter, die die Eisenbahnstrecke anlegten, den Weg durch den Canyon sprengten. Die Stelle war angesichts der Tiefe von fast vier Metern, der schnellen Strömung und des Wasserstrudels unter dem Felsen gefährlich. Das war kein Ort für einen Neuling oder einen unerfahrenen Schwimmer.3

An einem warmen Sommernachmittag, als ich etwa zwölf, dreizehn Jahre alt war, nahm ich einen großen aufgeblasenen Schlauch von einem Traktorreifen, warf ihn mir über die Schulter und lief barfuß die Eisenbahnschienen hinauf, die dem Flußlauf folgten. Ich stieg etwa eine Meile oberhalb der tiefen Stelle ins Wasser, setzte mich gemütlich auf den Reifen und genoß es, gemächlich flußabwärts zu treiben. Der Fluß machte mich nicht bange, denn ich kannte seine Geheimnisse.

An jenem Tag hatten die in Utah lebenden Griechen - wie jedes Jahr - ein Treffen am Vivian Park im Provo Canyon. Griechisches Essen, griechische Spiele und Tänze standen auf der Tagesordnung. Einige verließen aber das Fest, um im Fluß zu schwimmen. Als sie an die tiefe Stelle kamen, lag sie verlassen da, denn die Nachmittagsschatten begannen schon, sie einzuhüllen.

Mein Schlauch hob und senkte sich, und ich näherte mich den Schnellen kurz oberhalb der tiefen Stelle. Da hörte ich verzweifelte Rufe. „Rettet sie! Rettet sie!‟ Eine junge Schwimmerin, die an das stille Wasser des Schwimmbades gewöhnt war, war von dem Felsen in den trügerischen Strudel gefallen. Niemand aus der Gruppe konnte schwimmen und sie retten. Plötzlich erschien ich an der Unglücksstelle. Ich sah, wie ihr Kopf zum dritten Mal unter Wasser verschwand, um in das nasse Grab zu sinken. Ich streckte die Hand aus, ergriff sie am Haar und zog sie über den Reifen in meine Arme. Am unteren Ende der tiefen Stelle war das Wasser langsamer, und ich paddelte mit meiner kostbaren Last zu den wartenden Verwandten und Freunden. Sie schlangen ihre Arme um das nasse Mädchen und küßten sie und weinten. „Gott sei Dank! Gott sei Dank, du bist in Sicherheit!‟ Dann umarmten und küßten sie auch mich. Ich war verlegen und kehrte schnell zu meinem Schlauch zurück und setzte meinen Weg zur Brücke des Vivian Park fort. Das Wasser war eisig, aber mir war nicht kalt, denn mir war warm ums Herz. Mir war klar, daß ich dazu beigetragen hatte, jemandem das Leben zu retten. Der himmlische Vater hatte die Rufe „Rettet sie! Rettet sie!‟ gehört und zugelassen, daß ich, ein Diakon, gerade als ich gebraucht wurde, dort entlangtrieb. Damals habe ich erfahren, daß es das wundervollste Gefühl im Leben ist, wenn man erkennt: Gott, unser himmlischer Vater, kennt einen jeden von uns; und großzügig zeigt er uns seine errettende Macht und läßt uns daran Anteil haben.

Betet bei der Durchführung eurer Priestertumsaufgaben immer, dann werdet ihr nicht in eine solche Lage kommen wie Alice im Wunderland. Wie Lewis Carroll erzählt, folgte Alice einem Weg durch den Wald im Wunderland und kam an eine Gabelung. Sie stand unentschlossen da und fragte die Cheshire-Katze, die plötzlich in einem nahen Baum auftauchte, welchen Weg sie einschlagen solle. „Wohin willst du?‟ fragte die Katze.

„Ich weiß nicht‟, erwiderte Alice. „Dann‟, so entgegnete die Katze, „ist es doch egal, oder?‟ Wir, die wir das Priestertum tragen, wissen, wohin wir wollen. Unser Ziel ist das celestiale Reich unseres himmlischen Vaters. Wir haben die heilige Pflicht, den deutlich gekennzeichneten Wegen, die dorthin führen, zu folgen.

Bald seid ihr bereit, auf Mission zu gehen. Es ist schön, daß ihr willens und bereit seid, dort zu dienen, wohin der Geist des Herrn euch führt. Das ist an sich schon ein Wunder, wenn man bedenkt, in welcher Zeit wir leben.

Missionsarbeit ist Schwerarbeit. Der Missionsdienst stellt hohe Anforderungen und erfordert lange Stunden des Studiums und der Vorbereitung, damit der Missionar selbst der göttlichen Botschaft, die er verkündigt, gewachsen ist. Sie ist ein Werk der Liebe, aber auch des Opferns und des Pflichtgefühls.

Die besorgte Mutter eines angehenden Missionars fragte mich einmal, was ihr Sohn vor seiner Missionsberufung lernen solle. Ich bin sicher, sie erwartete eine inhaltsschwere Antwort mit den bekannteren Voraussetzungen für den Dienst, die wir alle kennen. Ich antwortete nur: „Bringen Sie Ihrem Sohn Kochen bei, aber lehren Sie ihn vor allem, mit seinen Mitmenschen auszukommen. Er wird glücklicher und produktiver sein, wenn er sich diese beiden wichtigen Fähigkeiten aneignet.‟

Junge Männer, ihr macht euch für eure Mission bereit, wenn ihr eure Pflicht als Diakon, Lehrer und Priester lernt und sie dann entschlossen und liebevoll und in dem Bewußtsein, daß ihr im Dienst des Herrn steht, verrichtet.

Manchmal erfolgt das Lernen in aller Stille. Vor einigen Wochen habe ich eine Abendmahlsversammlung in einem Pflegeheim in Salt Lake City besucht. Als das Anfangslied angesagt wurde, saßen die Priester still am Abendmahlstisch, ehe sie ihre Aufgaben verrichteten. Einem Patienten vorn in dem großen Raum fiel es schwer, das Gesangbuch aufzuschlagen. Ohne Aufforderung glitt einer der jungen Männer an seine Seite und schlug das richtige Lied auf und legte den Finger des Behinderten an den Beginn der ersten Strophe. Sie lächelten einander verständnisvoll zu, und der Priester kehrte an seinen Platz zurück. Diese schlichte Geste der Liebe und Hilfsbereitschaft beeindruckte mich. Ich gratulierte ihm und sagte: „Du wirst ein guter Missionar sein.‟

Manchen Missionaren ist es gegeben, daß sie sich gut auszudrücken verstehen, während andere das Evangelium besser kennen. Andere wiederum sind Spätentwickler, die Tag für Tag gewandter und erfolgreicher werden. Meidet die Versuchung, die Leiter in der Missionshierarchie emporklettern zu wollen. Es ist unwichtig, ob ihr Distriktsleiter, Zonenleiter oder Assistent des Präsidenten seid. Als Missionspräsident hatte ich Missionare, die neue Missionare so gut schulten, daß ich sie nicht für andere Führungsaufgaben einsetzen mochte.

Die Ankunft auf Mission kann manchmal überwältigend und beängstigend sein. Präsident Harold B. Lee sprach mit mir eines Tages über diejenigen, die sich unzulänglich fühlen und beunruhigt sind, wenn sie eine Berufung in der Kirche erhalten. Er gab mir den Rat: „Vergessen Sie nicht: Wem der Herr ein Amt gibt, den macht er auch fähig.‟

Als ich Präsident der Kanada-Mission Toronto war, kam ein Missionar in unsere Mission, dem manche Fähigkeiten, die die anderen hatten, fehlten. Aber er stürzte sich engagiert in seine Missionsarbeit. Die Arbeit fiel ihm schwer, aber er gab tapfer sein Bestes.

Auf einer Zonenkonferenz, an der eine Generalautorität teilnahm, hatten die Missionare bei dem Schriftstellenquiz, das der Besucher durchführte, nicht besonders gut abgeschnitten. Der Besucher bemerkte dann etwas sarkastisch: „Ich glaube nicht, daß diese Gruppe auch nur die Titel der grundlegenden Missionarsbroschüren und deren Verfasser kennt.‟

Das war für mich der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Ich widersprach: „Ich glaube schon, daß sie sie kennen.‟ „Dann wollen wir mal sehen,‟ sagte er und ließ die Missionare aufstehen. Auf der Suche nach einem Missionar, mit dem er den Beweis antreten konnte, wählte er keinen der intelligent wirkenden, erfahrenen, eleganten Missionare aus, sondern gerade meinen neuen Missionar, dem es so schwer fiel, sich derartiges Wissen anzueignen. Mir sank das Herz buchstäblich. Ich sah den flehenden Blick im Gesicht des Missionars. Ich wußte, er war vor Angst wie gelähmt. Ich betete, und wie ich betete: „Himmlischer Vater, steh ihm bei.‟ Und er stand ihm bei. Nach einer langen Pause fragte der Besucher: „Wer hat die Broschüre Der Plan der Erlösung geschrieben?‟ Nach - wie es schien - einer Ewigkeit antwortete der Missionar zitternd: „John Morgan.‟ „Wer hat Welche Kirche hat recht? geschrieben?‟

Wieder eine Pause, dann kam die Antwort: „Mark E. Petersen.‟ „Und Der Zehnte des Herrn?‟

„James Talmage hat das geschrieben,‟ kam die Antwort. So ging es durch die Liste der Missionarsbroschüren, die wir verwendeten. Schließlich kam die Frage: „Gibt es noch eine Broschüre?‟ „Ja. Sie heißt: Was kommt nach der Taufe?‟ „Wer hat sie geschrieben?‟ Ohne zu zögern antwortete der Missionar. „Der Name des Verfassers steht nicht in der Broschüre, aber mein Missionspräsident hat mir gesagt, daß Elder Mark E. Petersen sie im Auftrag von Präsident David O. McKay geschrieben hat.‟

Da bewies die Generalautorität innere Größe. Er wandte sich mir zu und sagte: „Präsident Monson, ich muß mich bei Ihnen und Ihren Missionaren entschuldigen. Sie kennen die grundlegenden Broschüren und ihre Verfasser.‟ Das hat mich damals beeindruckt, und wir wurden gute Freunde.

Und der Missionar? Er erfüllte ehrenhaft seine Mission und kehrte nach Hause in den Westen zurück. Später wurde er als Bischof berufen. Jedes Jahr bekomme ich eine Weihnachtskarte von ihm, seiner Frau und seinen Kindern. Er unterschreibt immer mit seinem Namen und fügt dann hinzu: „Von Ihrem besten Missionar.‟

Jedes Jahr wenn diese Karte eintrifft, denke ich an das Erlebnis, und etwas, was ich aus dem ersten Buch Samuel gelernt habe, erfüllt mir das Herz. Sie wissen sicher noch, daß der Prophet Samuel vom Herrn angewiesen wurde, nach Betlehem zu Isai zu gehen, und zwar mit der Offenbarung, daß sich unter den Söhnen Isais der König finden sollte. Samuel tat, wie der Herr ihm geboten hatte. Alle Söhne Isais wurden ihm vorgestellt - sieben. Sie sahen zwar gut aus und waren von stattlicher Gestalt, aber der Herr sagte Samuel, keiner von ihnen sei der Erwählte. „Und er fragte Isai: Sind das alle deine Söhne? Er antwortete: Der jüngste fehlt noch, aber der hütet gerade die Schafe. Samuel sagte zu Isai: Schick jemand hin, und laß ihn holen. … Isai schickte also jemand hin und ließ ihn kommen. … Da sagte der Herr: Auf, salbe ihn! Denn er ist es.‟4

Was wir daraus lernen können, findet sich im 16. Kapitel des ersten Buches Samuel, und zwar in Vers 7: „Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz.‟5

Als Träger des Priestertums können wir uns alle wie ein einziger Mann für Weisung vom Vater im Himmel würdig machen, während wir unseren Berufungen nachgehen. Wir stehen im Werk des Herrn Jesus Christus. Wir, so wie diejenigen in alter Zeit, sind seinem Ruf gefolgt. Wir haben einen Auftrag von ihm. Wir werden den feierlichen Auftrag Mormons, das Wort unter seinem Volk zu verkünden, erfolgreich erfüllen. Er hat geschrieben: „Siehe, ich bin ein Jünger Jesu Christi, des Gottessohnes. Ich bin von ihm berufen worden, sein Wort unter diesem Volk zu verkünden, damit sie immerwährendes Leben haben.‟6

Mögen wir dies niemals vergessen: „Wer Gott ehrt, den ehrt Gott.‟ Im Namen Jesu Christi. Amen. G

  1. „Ye Who Are Called to Labor‟, Hymns, 1985, Nr. 321

  2. Siehe Lukas 2:52

  3. „Choose the Right‟, Hymns, 1985, Nr. 239

  4. l Samuel 16:11,12

  5. l Samuel 16:7

  6. 3Nephi5:13