1990–1999
Lehrt sie mit allem Eifer das Wort Gottes
April 1999


Lehrt sie mit allem Eifer das Wort Gottes

Wenn wir uns demütig durch Gebet und Studium darauf vorbereiten, bewirkt unser Unterricht auch etwas.

Am Sonntag, dem 9. Dezember 1849 um 8 Uhr morgens, kamen etwa 30 Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren an einem kleinen Klassenzimmer an, das in einem Privathaus eingerichtet worden war. Sie klopften sich vor der Tür die Schuhe ab, schüttelten sich den Schnee aus Mantel und Mütze und setzten sich auf die einfachen Bänke. Gespannt warteten sie darauf, daß der Unterricht begann. Draußen war ein verschneiter, kalter Tag, aber der Kamin erfüllte den Raum mit seinem warmen, freundlichen Feuer. Richard Ballantynes Augen strahlten, als er die Sonntagsschule zur Ordnung rief. Er leitete die Jungen und Mädchen im Gesang und sprach schließlich ein stilles, inbrünstiges Gebet, um dieses Zimmer seines Hauses der Unterweisung der Kinder im Evangelium Jesu Christi zu weihen. Seine Stimme war klangvoll, und seine Worte entfalteten sich, wie es unter dem Einfluß von Ehrfurcht und Rührung geschieht. So wurde die erste Sonntagsschule im Salt Lake Valley gegründet.

Eine Sonntagsschule ins Leben zu rufen war nichts Neues für ihn. Im heimatlichen Schottland hatte er in der Presbyterianischen Kirche, in der er aktives Mitglied war, eine Sonntagsschule gegründet. Der brennende Wunsch, junge Menschen im Licht des Evangeliums heranzuziehen, war selbstverständlich für ihn. Er war in einer Familie aufgewachsen, wo der Vater es liebte, ganze Kapitel der Bibel auswendig zu lernen und seinen Kindern vorzutragen. Es war ein Zuhause, wo man nicht einmal einen Schluck Wasser trank, ohne vorher den Hut abzunehmen und ein Dankgebet zu sprechen, wie es auch vor jeder Mahlzeit Brauch war.

In seiner schottischen Nachbarschaft verbreiteten sich Gerüchte, daß in Amerika ein neuer Prophet erweckt worden war. Anfangs schenkte Richard ihnen wenig Beachtung, aber als seine religiösen Fragen immer verwirrender wurden, suchte er eifrig nach mehr Licht und Erkenntnis. 1841 kam Elder Orson Pratt nach Edinburgh. Richard hörte seinen Worten zu und untersuchte die Kirche ein Jahr lang. Schließlich bekehrte er sich und ließ sich in der Nordsee taufen. Er sagte: “Ich war davon überzeugt, daß Joseph Smith ein Prophet und das Buch Mormon das Wort Gottes war und daß ich, wenn ich es nicht annahm, verdammt würde.” Wie so viele jener frühen Mitglieder der Kirche verkaufte er sein Geschäft und wanderte mit seiner Mutter und einigen seiner Geschwister nach Amerika aus. Am 11. November 1843, einer Zeit großer Unruhe in der Stadt, kamen sie nach Nauvoo. Schließlich verließen sie Illinois und fuhren mit Planwagen nach Winter Quarters. Dort heiratete er und traf schon bald Vorbereitungen für den langen Weg nach Westen. Im September 1848 erreichten sie das Salt Lake Valley und begannen sofort damit, ein Haus zu bauen. In diesem Haus fand die erste Sonntagsschule des Salt Lake Valley statt. Als das Gemeindehaus ­ die ehemalige 14. Gemeinde ­ fertig war, zog die Sonntagsschule in das neue Gebäude.

Sein Leben lang verspürte Bruder Ballantyne den brennenden Wunsch, die jungen Menschen das Evangelium unseres Herrn und Erlösers zu lehren. Diese Geschichte der ersten Sonntagsschule verdanke ich dem verstorbenen Conway Ballantyne Sonne, einem Vetter von mir (siehe Conway B. Sonne, Knight of the Kingdom: The Story of Richard Ballantyne, 7­48).

Während wir daran denken, daß wir den 150. Jahrestag der Gründung der Sonntagsschule feiern, sollten wir uns der Verantwortung, gute Lehrer zu sein, wieder bewußt werden. Nahezu jeder Umgang und jede Beziehung, die wir pflegen, erfordert den Vorgang des Unterrichtens. Eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern besteht darin, ihre Kinder zu unterweisen. Viele unserer Tätigkeiten in der Arbeitswelt verlangen, daß wir Lehrer sind. Jede Aufgabe, die wir in der Kirche erhalten, ist auch in irgendeiner Weise mit Unterrichten verbunden. Der Herr unterweist uns in Lehre und Bündnisse:

“Und ich gebe euch das Gebot, einander in der Lehre des Reiches zu belehren.

Lehrt eifrig ­ und meine Gnade wird mit euch sein ­, damit ihr noch vollkommener unterwiesen seiet in Theorie, in Grundsätzlichem, in der Lehre, im Gesetz des Evangeliums, in allem, was das Reich Gottes betrifft und was ratsam ist, daß ihr es versteht.” (LuB 88:77,78.)

Am 1. Januar haben wir ein neues Hilfsmittel erhalten, das uns hilft, bessere Lehrer zu werden. Das neue Handbuch Anweisungen der Kirche enthält ein Kapitel, in dem der Evangeliumsunterricht und die Führung behandelt werden. Die Grundsätze, die darin ausgeführt sind, sind allgemein gültig. Zwei Abschnitte in diesem Kapitel beziehen sich auf die besondere Art und Weise, wie ein Lehrer sich darauf vorbereiten kann, seine Aufgaben besser zu erfüllen.

Der erste Teil dieser Anweisungen hält uns dazu an, dem Beispiel des Erretters zu folgen und so zu lehren, wie er gelehrt hat. Durch göttliche Unterweisung wurde der Herr für die größte aller Aufgaben in der Sterblichkeit vorbereitet. Im Evangelium nach Lukas lesen wir:

“Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit, und seine Gnade ruhte auf ihm. (Lukas 2:40.)

Danach folgt die einzige Beschreibung in den heiligen Schriften, die wir über die frühe Kindheit des Erretters haben. Als er zwölf Jahre alt war, reiste er mit seinen Eltern nach Jerusalem, um, wie es bei ihnen Brauch war, das Paschafest zu feiern. Als sie von dem Fest nach Hause zurückkehrten, entdeckten sie, daß Jesus nicht bei ihnen war. Sie kehrten nach Jerusalem zurück und fanden ihn dort.

“Und es begab sich: nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern; sie hörten ihm zu und stellten ihm Fragen.

Und alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten.” (JST Lukas 2:46,47.)

Dieses Beispiel aus den frühen Lebensjahren des Erretters zeigt die Dringlichkeit, die er in Bezug auf das Lehren des Wortes Gottes empfand. Ein Prophet, der eine ähnliche Dringlichkeit verspürte, war Jakob, Nephis jüngerer Bruder. Jakob und sein Bruder Joseph waren zu Priestern und Lehrern ihres Volkes geweiht worden. Sie nahmen ihre Aufgaben sehr ernst und glaubten, daß, wenn sie ihr Volk nicht mit allem Eifer lehrten, sie persönlich zur Rechenschaft gezogen würden. In Vers 19 im ersten Kapitel seines Buchs schreibt Jakob:

“Und wir machten unser Amt vor dem Herrn groß, übernahmen die Verantwortung und wollten die Sünden des Volkes auf unser eigenes Haupt nehmen, wenn wir es nicht mit allem Eifer das Wort Gottes lehrten; wenn wir darum mit aller Kraft arbeiteten, würde ihr Blut nicht auf unser Gewand kommen; andernfalls aber würde ihr Blut auf unser Gewand kommen, und wir würden am letzten Tag nicht makellos befunden werden.” (Jakob 1:19.)

Wie der Erretter sollte auch ein Lehrer die Dringlichkeit spüren, das Wort Gottes zu lernen. In Lehre und Bündnisse, Abschnitt 93, erfahren wir, daß der Erretter “zuerst nicht die Fülle empfing, sondern er empfing Gnade um Gnade” (Vers 12). In seiner Ermahnung an Hyrum Smith erteilte der Herr allen Lehrern weisen Rat. Er sagte:

“Trachte nicht danach, mein Wort zu verkünden, sondern trachte zuerst danach, mein Wort zu erlangen, und dann wird deine Zunge sich lösen; und dann, wenn du es wünschst, wirst du meinen Geist und mein Wort haben, ja, und die Macht Gottes, um Menschen zu überzeugen.” (LuB 11:21.)

Das ernsthafte Studium des Wortes des Herrn ist die Grundlage dafür, anderen das Wissen, das wir uns angeeignet haben, weitergeben zu können.

Wie gesegnet sind wir, daß uns die Worte der heiligen Propheten durch die vielen Evangeliumszeiten hindurch erhalten geblieben sind. Weil der Herr seinen Propheten gebot, schriftliche Aufzeichnungen seiner Lehren anzufertigen, überliefern uns das Alte und das Neue Testament vom Anbeginn der Zeit bis heute fortlaufende Evangeliumslehre. Dann wurde das Buch Mormon auf wundersame Weise als weiterer Zeuge der Mission unseres Herrn und Erretters hervorgebracht. Darüber hinaus haben wir die Offenbarungen, die in Lehre und Bündnisse enthalten sind, und die Lehren und Offenbarungen der Köstlichen Perle.

Weil das Unterrichten eine derart universelle Aufgabe darstellt, ist es notwendig, daß sich jedes Mitglied der Kirche darauf vorbereitet, indem es die heiligen Schriften studiert.

Im zweiten Teil der Anweisungen in dem Kapitel des neuen Handbuchs, das sich mit dem Unterrichten befaßt, wird davon gesprochen, wie wichtig es ist, daß wir durch den Geist lehren. In Lehre und Bündnisse, Abschnitt 42, lesen wir:

“Und sie sollen darauf achten, daß sie die Bündnisse und Satzungen der Kirche befolgen, und diese sollen sie lehren, wie sie vom Geist geleitet werden.

Und der Geist wird euch durch das Gebet des Glaubens gegeben; und wenn ihr den Geist nicht empfangt, sollt ihr nicht lehren.” (LuB 42:13,14.)

Wir dürfen den Heiligen Geist, eine Person der Gottheit, als ständigen Begleiter mit uns haben, der uns bei unserer Vorbereitung als Lehrer erbaut und inspiriert. Wir sollten uns durch Gehorsam gegenüber Gottes Geboten vorbereiten, damit unser Vertrauen stark wird, wenn wir den Herrn anrufen, damit sein Geist uns groß macht, wenn wir unterrichten. Wenn der Geist uns leitet, können wir mit großer Macht unterrichten. Ebenfalls in Lehre und Bündnisse lesen wir, inwiefern der geisterfüllte Austausch von Wissen zwischen Gebendem und Nehmendem der eigentliche Wesenskern inspirierten Unterrichtens ist:

“Wahrlich, ich sage euch: Wenn jemand von mir ordiniert ist und ausgesandt wird, das Wort der Wahrheit durch den Tröster zu predigen, im Geist der Wahrheit ­ predigt er dann durch den Geist der Wahrheit oder auf eine andere Weise?

Wenn es auf eine andere Weise geschieht, ist es nicht von Gott.

Und weiter: Wenn jemand die Wahrheit empfängt ­ empfängt er sie durch den Geist der Wahrheit oder auf eine andere Weise?

Wenn es auf eine andere Weise geschieht, ist es nicht von Gott.

Warum könnt ihr also nicht verstehen und erkennen, daß jemand, der das Wort durch den Geist der Wahrheit empfängt, es so empfängt, wie es durch den Geist der Wahrheit gepredigt wird?

Darum können der, der predigt, und der, der empfängt, einander verstehen, und sie werden beide erbaut und freuen sich miteinander.” (LuB 50:17­22.)

Wenn wir uns demütig durch Gebet und Studium darauf vorbereiten, bewirkt unser Unterricht auch etwas. Dann unterstützt uns der Geist, wenn wir das Wort lehren, in übereinstimmung und Harmonie mit dem, was der Herr von unserem Unterricht erwartet.

Die meisten Lehrer erkennen nie die volle Wirkung ihres Unterrichts. Ich bin mir sicher, daß die Lehrerin in der PV niemals vorhersehen konnte, daß die Art und Weise, wie sie unterrichtete, mich so beeindrucken würde, daß ich ihre Unterrichtsmethoden viele Jahre später in einer Verwaltungsratssitzung in New York nachahmte. Sie schaffte es wundervoll, unsere Aufmerksamkeit durch ihr Anschauungsmaterial wach zu halten. Die Flanelltafel, die sie im Unterricht verwendete, war damals sehr beliebt.

Gehen wir jetzt im Schnelldurchlauf zu einem wichtigen Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn über. 1962 nahm ich eine Position als Controller eines großen New Yorker Einzelhandelsunternehmens an. Eine meiner neuen Aufgaben bestand darin, dem Verwaltungsrat einen Budgetvorschlag zu präsentieren. Wochen vor dieser Präsentation wurde ich ins Büro des Präsidenten des Unternehmens gebeten und davon in Kenntnis gesetzt, welche hohen Ansprüche der Verwaltungsrat an denjenigen stellt, der das Budget präsentiert. Mir wurde eingeschärft, eine Präsentation zu geben, die den Verwaltungsrat motivierte und seine Unterstützung für unseren Vorschlag sicherte. Ich verließ sein Büro mit einem Gefühl der Ohnmacht und beladen mit Selbstzweifeln.

Am nächsten Tag suchte ich den Sitzungssaal auf und versuchte, mir eine Möglichkeit auszudenken, wie ich meine Präsentation wirkungsvoll gestalten konnte. Als ich da saß, sah ich ein großes Stück Flanell, daß den größten Teil der Wand bedeckte. Ich bin sicher, daß es wegen seiner akustischen Eigenschaften dort angebracht war. Als ich das große Flanellstück betrachtete, fiel mir meine PV-Lehrerin ein, und ich dachte daran, wie sie ihre Flanelltafel benutzt hatte. Ich bestellte in Salt Lake City auf der Rückseite mit Flanell versehenes Papier. Nachdem es angekommen war, fertigte ich darauf drei verschiedene Budgetentwürfe an. Als die Präsentation zu Ende war und sich die Diskussion darüber anschloß, konnte ich jeden Entwurf nach Bedarf durch einen anderen ersetzen. Die Mitglieder des Verwaltungsrats waren von meiner Präsentation und der Verwendung der Flanelltafeltechnik fasziniert. Jedesmal, wenn ich einen unserer Alternativvorschläge machte und die Folgen erklärte, die sich daraus ergaben, sprangen sie sofort zum ersten Entwurf zurück, für den wir ihre Zustimmung haben wollten. Die Präsentation schien sehr wirkungsvoll zu sein, und als alles vorbei war, wurde ich beglückwünscht. Ich weiß nicht, ob diese Präsentation ausschlaggebend dafür war oder nicht, aber in der darauffolgenden Woche wurde ich ins Büro des Präsidenten gebeten und darüber informiert, daß der Verwaltungsrat meiner Beförderung von der Managementebene auf die Vorstandsebene zugestimmt hatte.

Dies ist nur ein einfaches Beispiel dafür, wie guter Unterricht, ob zu Hause, in einem Klassenzimmer des Gemeindehauses oder an irgendeinem anderen Ort, ungeahnten Einfluß auf einen Menschen und seine Zukunft haben kann. Ein großer Lehrer kann bei vielen Menschen Großes bewirken.

Präsident David O. McKay hat darüber, wie wichtig das Unterrichten ist, folgendes gesagt: “Der Beruf des Lehrers ist der edelste Beruf der Welt. Von der angemessenen Erziehung und Ausbildung der Jugend hängt die Dauerhaftigkeit und Reinheit der Familie ab, die Sicherheit und der Fortbestand der Nation. Eltern geben einem Kind die Möglichkeit zu leben; der Lehrer versetzt es in die Lage, ein gutes Leben zu führen.” (David O. McKay, Gospel Ideals [1953], 436).

Möge Gott uns segnen, damit wir mit festerem Vorsatz studieren, uns besser vorbereiten und lernen, ein besserer Lehrer zu sein. Denken wir alle daran, daß die Evangeliumsbotschaft der Welt durch inspirierten Unterricht gebracht wird. Es ist mein demütiges Gebet, daß wir alle die Herausforderung annehmen, unsere Brüder und Schwestern mit allem Eifer das Wort Gottes zu lehren. Im Namen Jesu Christi, amen.