2000–2009
Über sie wachen und sie stärken
April 2000


Über sie wachen und sie stärken

Der Erretter lässt Sie die Liebe spüren, die er für diejenigen hat, denen Sie dienen. Die Berufung ist eine Einladung, so wie er zu werden.

Hunderttausende sind im vergangenen Jahr getauft und als Mitglieder der Kirche konfirmiert worden. Jeder von ihnen erhielt die Möglichkeit, in einer Berufung zu dienen. Diese Erfahrung beeinflusst ihre Zukunft und die Zukunft der Kirche. Viele von uns erinnern sich daran, wie sie zum ersten Mal eine Ansprache gehalten, eine Versammlung geleitet oder als offizieller Besucher an einer Tür geklingelt haben. Mein Herz klopft ein wenig schneller, wenn ich nur daran denke.

Die neuen Mitglieder sind vielleicht nur Tage oder Wochen nach ihrer Taufe berufen worden zu dienen. Manche haben nie gesehen, wie jemand den Dienst ausgeführt hat, der ihnen übertragen worden ist. Da wir keine Berufsgeistlichen haben, war die Herausforderung, in einer Berufung zu dienen, nicht nur den neuen Mitgliedern vorbehalten. Im vergangenen Jahr sind schätzungsweise fast zwei Millionen Heilige der Letzten Tage entweder neu dazu berufen worden, Hirte zu sein, oder sie haben einige neue Schafe zugewiesen bekommen, über die sie wachen sollen. Nicht ganz die Hälfte derer, die berufen wurden, waren Jugendliche, manche von ihnen gerade einmal zwölf, dreizehn Jahre alt. über dreißigtausend Missionare wurden in diesem Zeitraum berufen und eingesetzt. Die meisten von ihnen waren unter zwanzig. Sie gingen nach nur kurzer Schulung und mit wenig Erfahrung hinaus.

Jemand, der mit Organisationen in der Welt vertraut ist, wäre vielleicht der Ansicht, dass eine so rapide wachsende Kirche, die auf so viele unerfahrene Laien angewiesen ist, zum Scheitern verurteilt sei. Selbst die, die berufen wurden, waren vielleicht durchaus besorgt. Wenn sie die Herausforderung jedoch mit den Augen des Glaubens so sehen, wie sie wirklich ist, ersetzt Vertrauen die Angst, denn sie wenden sich an Gott.

Meine Botschaft richtet sich zunächst an diejenigen, die neu berufen worden sind, in der Kirche zu dienen, dann an diejenigen, diesie berufen haben, und schließlich an diejenigen, denen sie dienen werden.

Zunächst an die Neuberufenen: Ihr Vertrauen hängt davon ab, ob Sie die Berufung als das ansehen, was sie ist. Ihre Berufung zu dienen kommt nicht von Menschen. Gott hat sie Ihnen anvertraut. Und der Dienst besteht nicht darin, einfach nur eine Aufgabe zu erfüllen. Wie die Berufung auch genannt wird, sie ist die Möglichkeit und die Verpflichtung, über die Kinder unseres himmlischen Vaters zu wachen und sie zu stärken. Das Werk des Erretters besteht darin, ihre Unsterblichkeit und ihr ewiges Leben zustande zu bringen (siehe Mose 1:39). Er hat uns berufen, anderen zu dienen, damit wir unseren ebenso wie ihren Glauben stärken können. Er weiß, dass wir ihn kennen lernen, wenn wir ihm dienen.

Ein inspirierter Prophet betrachtete das Dienen als den Weg, der uns dahin führt, das zu wollen, was der Herr will. Er schrieb: „Denn wie soll jemand einen Herrn kennen, dem er nicht gedient hat und der für ihn ein Fremder ist und der den Gedanken und Absichten seines Herzens ferne steht?“ (Mosia 5:13.)

Da Jesus Christus Sie in seinen Dienst berufen hat, können Sie mit großem Vertrauen darangehen. Erstens können Sie sicher sein, dass er Sie kennt und weiß, zu welchem Wachstum Sie fähig sind. Er hat Sie vorbereitet. Berufungen werden Sie fordern--oft zu Beginn und immer auch im Lauf der Berufung--, aber er gibt Ihnen den Heiligen Geist als Begleiter. Der Heilige Geist sagt Ihnen, was Sie tun sollen, wenn Ihre eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen nicht ausreichen (siehe Johannes 14:26). Der Heilige Geist gibt Ihnen ein, mit überzeugung Zeugnis zu geben. Der Erretter lässt Sie die Liebe spüren, die er für diejenigen hat, denen Sie dienen. Die Berufung ist eine Einladung, so wie er zu werden (siehe 3 Nephi 27:27).

Sie können natürlich fragen: „Wie kann ich dadurch, dass ich meine Berufung auf diese Weise betrachte, zuversichtlicher sein, dass ich erfolgreich sein werde?“ Die Antwort darauf lautet: Wenn Sie sie auf diese göttliche Weise betrachten, ist es wahrscheinlicher, dass Sie sich an die einzige Quelle um Hilfe wenden, die Sie nie im Stich lässt.

Ich habe vor kurzem erlebt, wie ein junger Mann von einer neuen Berufung fast überwältigt wurde. Der Herr hatte seinen Diener inspiriert, diesen jungen Mann als Präsident eines Pfahles zu berufen. Der junge Mann war nie zuvor Bischof gewesen. Er hatte nie in der Pfahlpräsidentschaft gedient. In dem Pfahl gab es viele Männer mit größerer Reife und Erfahrung.

Die Berufung stimmte ihn sehr demütig. Seine Frau fragte den Diener des Herrn, der ihn berufen hatte, mit Tränen in den Augen: „Sind Sie sicher?“ Ihr Mann sagte ruhig, dass er dienen werde. Seine Frau nickte zustimmend, wobei ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Wie Sie es vielleicht auch getan hätten, wollte er mit seinem Vater sprechen, der weit entfernt lebte. Er rief ihn am Nachmittag an. Sein Vater war sein ganzes Leben lang Bauer gewesen. Er hatte den Jungen zum Mann erzogen, indem er ihn Kühe melken ließ undindem der Sohn seinen Vater dabei beobachtete, wie er sich mit Nachbarn unterhielt, um herauszufinden, wie es ihnen ging. Am nächsten Morgen erzählte er in seiner ersten Ansprache als Pfahlpräsident von seinem Gespräch mit seinem Vater:

„Viele, die mich kennen, wissen, dass ich kein Mann bin, der viele Worte macht. Das muss ich von meinem Vater haben. Als ich ihn gestern anrief, um ihm zu sagen, dass ich als Pfahlpräsident berufen worden bin, gab er mir nur zur Antwort: Tja, da solltest du aber viel beten.’ Das war sein Rat. Einen besseren Rat hätte er mir nicht geben können.“

Sein Vater hätte es nicht besser machen können. Und Sie verstehen auch warum. Der Herr ist seine einzige Hoffnung auf Erfolg. Die größte Hilfe kommt durch den Heiligen Geist. Die Diener des Herrn können ohne ihn nicht erfolgreich sein. Wir können nur dann den Heiligen Geist als Begleiter haben, wenn wir inständig darum bitten und uns dafür qualifizieren. Und beides erfordert, dass wir viel beten--mit wirklichem Glauben an unseren himmlischen Vater und an seinen geliebten Sohn und an den Heiligen Geist beten (siehe LuB 90:24; Glaubensartikel 1:1).

Um den Heiligen Geist als Begleiter haben zu können, müssen wir von Sünde gesäubert sein (siehe LuB 50:29). Das geschieht nur, wenn wir genug Glauben an Jesus Christus haben, um umzukehren und bereit zu sein, Vergebung zu erlangen (siehe LuB 3:20). Und dann müssen wir uns von der Sünde fern halten. Dazu ist es notwendig, dass wir oft und inständig beten (siehe3 Nephi 18:18).

„Da solltest du aber viel beten“ ist ein guter Rat für alle Diener des Herrn, ob neu oder erfahren. Es ist das, was seine klugen Diener tun. Sie beten.

Die Jünger, die bei Jesus Christus waren, als er auf der Erde lebte, bemerkten, dass er betete. Er war der Sohn Gottes. Er war Jahwe. Und doch betete er so oft zu seinem himmlischen Vater, dass seine Jünger erkannten: um seine Diener sein zu können, mussten sie wissen, wie man betet. Also baten sie ihn, es sie zu lehren. Sie kennen den Bericht:

„Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat.“ (Lukas 11:1.)

Da sagte er zu ihnen: „So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde.“ (Matthäus 6:9,10.)

„Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung.“ (Lukas 11:4.)

Wir benützen beim Beten selten genau die gleichen Worte. Aber die Worte dieses Gebets sind eine perfekte Zusammenfassung dessen, worum ein Diener des Herrn inständig bittet, um für die Verheißung bereit zu sein, die der Erretter allen gibt, die er beruft: „Und wo euch jemand empfängt, da werde ich auch dabei sein, denn ich werde vor eurem Angesicht hergehen. Ich werde zu eurer rechten Hand sein und zu eurer linken, und mein Geist wird in eurem Herzen sein und meine Engel rings um euch, um euch zu stützen.“ (LuB 84:88.)

Betrachten Sie dieses Gebet als Beispiel dafür, wie wir dienen sollen. Das Gebet beginnt mit Ehrfurcht vor unserem himmlischen Vater. Dann spricht der Herr vom Reich, vom Kommen des Reiches. Ein Diener, der ein Zeugnis davon hat, dass dies die wahre Kirche Jesu Christi ist, freut sich über ihren Fortschritt und hat den Wunsch, alles zu geben, um sie aufzurichten.

Der Erretter selbst dient als Beispiel für den Maßstab, den er mit den folgenden Worten des Gebets gesetzt hat: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde.“ (Matthäus 6:10.) So betete er in höchster Not, als er für alle Menschen und die ganze Welt das Sühnopfer vollbrachte (siehe Matthäus 26:42). Ein treuer Diener betet dafür, dass selbst die anscheinend geringste Aufgabe so getan wird, wie Gott es tun würde. Es bewirkt sehr viel, wenn wir mehr für Gottes Erfolg arbeiten und beten als für unseren eigenen.

Dann legte der Erretter den folgenden Maßstab für uns fest, nämlich dass wir rein sein müssen: „Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung.“ (Lukas 11:4.) Die Stärke, die wir denen, über die wir wachen, geben sollen, kommt vom Erretter. Wir und sie müssen vergeben, damit er uns vergibt (siehe Matthäus 6:14). Wir und sie können nur hoffen, rein zu bleiben, wenn wir seinen Schutz haben und die Herzenswandlung erleben, die sein Sühnopfer ermöglicht. Wir brauchen diese Wandlung, um den Heiligen Geist als ständigen Begleiter bei uns zu haben. Vielleicht scheint eine solche Gabe für uns und für diejenigen, denen wir dienen, zu erhaben und zu weit entfernt zu sein, aber ein Prophet des Herrn namens Samuel berief und salbte einen jungen Mann namens Saul. Samuel verhieß Saul an diesem Tag: „Dann wird der Geist des Herrn über dich kommen, und du wirst wie sie in Verzückung geraten und in einen anderen Menschen verwandelt werden.“ (1 Samuel 10:6.)

Diese Verheißung erfüllte sich--nicht nach vielen Jahren oder Monaten oder auch nur Tagen. Hören Sie, was im 1 Samuel, zehntes Kapitel, steht:

„Als sich Saul nun umwandte, um von Samuel wegzugehen, verwandelte Gott sein Herz. Und noch am gleichen Tag trafen alle diese Zeichen ein.

Als sie, Saul und sein Knecht, nach Gibea gelangten, kam ihnen tatsächlich eine Schar von Propheten entgegen. Der Geist Gottes kam über Saul, und Saul geriet mitten unter ihnen in prophetische Verzückung.“ (1 Samuel 10:9,10.)

Sie können Vertrauen haben, wenn Sie im Dienst des Herrn stehen. Der Erretter hilft Ihnen, das zu tun, wozu er Sie berufen hat--sei es für eine bestimmte Zeit als Arbeiter in der Kirche oder für immer als Mutter oder Vater. Sie können darum beten, dass Sie ausreichend Hilfe erhalten, um die Arbeit zu tun, und Sie wissen, dass Sie sie erhalten.

Nun ein Wort an diejenigen, die diese Berufungen in der Kirche ausgesprochen haben. Als Sie das taten, sprachen Sie ihnen das Vertrauen des Herrn aus. Aber er setzt sein Vertrauen auch in Sie. So wie diese Mitglieder berufen wurden, über andere zu wachen und sie zu stärken, stehen Sie selbst unter der gleichen Verpflichtung, über sie zu wachen und sie zu stärken. Wenn Sie die Berufung ausgesprochen, die Betreffenden aber nicht geschult oder dafür gesorgt haben, dass sie ausreichend geschult wurden, dann haben Sie sie und auch den Herrn im Stich gelassen. Auch wenn sie geschult werden, wird der Weg für sie schwierig. Sie wissen das, und deshalb müssen Sie über sie wachen und zuhören, um festzustellen, wann sie gestärkt werden müssen. Sie geben ihnen gerade so viel Hilfe, dass ihr Glaube daran gestärkt wird, dass der Herr über sie und über die Menschen, denen sie dienen, wacht und sie sich vertrauensvoll an ihn wenden können. Um das gut tun zu können, müssen Sie selbst viel beten--um Führung beten und für sie beten.

Schließlich noch ein Wort an diejenigen, denen die Neuberufenen dienen. Wir haben die gleiche Möglichkeit und Verpflichtung wie sie. Wir müssen über sie wachen und sie stärken. Jeder von uns hat unzählige Gelegenheiten, das zu tun. Bei jeder Versammlung, jedem Unterricht, jeder Aktivität, die Sie besuchen, gibt es jemand, der etwas tut, was für ihn an die Grenze seiner Fähigkeiten geht--oder sogar ein wenig darüber hinaus. Die meisten von uns begegnen solchen Situationen mit der Einstellung, die uns die Welt lehrt, und sind vielleicht schnell dabei, es als minderwertig zu betrachten. Wie leicht denkt man: In der wahren Kirche des Herrn muss man doch eine bessere Leistung erwarten können.

Es gibt mehr als einen Weg, um dem Herrn dabei zu helfen, sie zu dieser besseren Leistung zu erheben. Einer davon ist, unser Missfallen auszudrücken oder zu zeigen. Ich war der Nutznießer eines anderen Weges, des besseren Weges. Ich habe es sehr wohl gespürt, wenn ich meine Sache nicht gut gemacht habe, wenn ich gesprochen oder unterrichtet oder eine Versammlung geleitet habe. Die meisten Menschen wissen es, wenn sie versagen. Ich wusste es immer, wenn ich etwas nicht gut machte, und ich schaute auf und sah unter den Zuhörern jemand, der mich scheinbar nicht beachtete und die Augen geschlossen hatte. Ich lernte, mich nicht darüber zu ärgern. Und dann öffneten sie die Augen und lächelten mich mit einem aufmunternden Blick an, der unmissverständlich war. Es war ein Blick, der so deutlich zu mir sprach, als ob sie zu mir gesagt hätten: Ich weiß, dass der Herr dir helfen und dich aufrichten wird. Ich bete für dich. Ich habe Situationen erlebt, in denen viele, die mir zuhörten, das getan haben. Und ich wurde über meine mir bekannten Fähigkeiten hinaus erhoben--zumindest über das, was ich für meine Fähigkeiten hielt. Sie können in dieser Weise dienen, wenn Sie erleben, dass jemand sich in seinem Dienst schwer tut. Da müssen Sie schon viel beten, aber Sie können über andere wachen und sie stärken, selbst wenn Ihre einzige Berufung in der Kirche momentan darin besteht, ein Jünger Jesu Christi zu sein, und Ihr einziges Werkzeug darin besteht, zu beten und zu lächeln und zu ermutigen.

In der Kirche zeigt sich ein Wunder. Ich kann es sehen, wenn ich nach nur kurzer Zeit wieder in ein Land, das ich bereist habe, zurückkehre. Die Mitglieder und die Führer haben sich geändert. Wie Alma verheißen hat, ist ihre Seele erweitert worden und ihr Verständnis ist erleuchtet und ihr Sinn erweitert worden (siehe Alma 32:28,34). Sie haben einander im Glauben an den Herrn Jesus Christus gedient. Er hat ihnen als Antwort auf inständige Gebete den Heiligen Geist als Begleiter gesandt. Weil sie übereinander gewacht, Zeugnis gegeben und einander geliebt und geholfen haben, hat der Herr das Wunder bewirkt, dass diese demütigen Söhne und Töchter Gottes im Herzen gewachsen sind und ihre Fähigkeiten zugenommen haben.

Ich weiß, dass Gott Vater lebt. Er hört und gibt Antwort auf unsere Gebete. Ich bezeuge, dass sein geliebter Sohn, Jesus Christus, Gordon B. Hinckley als seinen Propheten und Präsidenten berufen hat. Ich bezeuge, dass uns der Meister durch seine bevollmächtigen Diener beruft und uns in seinem Dienst unterstützt und verwandelt. Im heiligen Namen Jesu Christi, amen.