2000–2009
„Frei sein von“ oder „frei sein für“
Oktober 2000


„Frei sein von“ oder „frei sein für“

„Sobald wir bewusst die volle Verantwortung für unser Leben übernehmen und damit aufhören, äußeren Umstände die Schuld zu geben, fangen wir an, lebendig zu werden.“

Würde man mich fragen, was meiner Meinung nach in den letzten zweihundert Jahren das wichtigste Ereignis auf der Erde war, würde ich ohne Zögern antworten: Das, was sich infolge des Gebetes eines Jungen ereignete, der zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts im Norden des Staates New York vor Gott kniete und Fragen zu ewigen Wahrheiten stellte.

Dieser junge Mann, der Joseph Smith hieß, wurde in den Händen des Herrn Jesus Christus das Werkzeug, um für die Menschheit das Wissen von der lange verlorenen und fast vergessenen Wahrheit wiederherzustellen: Das Wissen über uns menschliche Wesen – wer wir sind, woher wir kamen, was die Bedeutung und der Zweck unserer irdischen Existenz ist und warum die Menschheit so viel Elend, Ungerechtigkeit und Unvollkommenheit erfahren hat. Schließlich wurden auch die Fragen der Menschheit über das Leben nach dem Tod und unserer letztendlichen Bestimmung beantwortet.

Selbst bis zum heutigen Tag, mehr als zweiundvierzig Jahre nachdem ich aus eigener Entscheidung den vom Herrn eingesetzten heiligen Bund der Taufe angenommen habe, versetzen mich all die wunderbaren und wundersamen Ereignisse der Wiederherstellung noch immer in Erstaunen. Wir durften nicht nur alles über die grundlegende Bedeutung des Sühnopfers Jesu Christi erfahren, es wurde uns auch offenbart, wie bedeutend das Priestertum Gottes ist. Und es wurde schließlich wiederhergestellt, damit wir allen Menschen in fürsorglicher Liebe und Geduld Errettung ermöglichen können.

Die Zeit erlaubt es mir nicht, über weitere Einzelheiten dieses wunderbaren Werkes in unserer Zeit zu sprechen, ich habe aber das Gefühl, dass ich über einen zentralen Aspekt des Reiches Gottes sprechen soll, der, wenn er nicht verstanden wird, dazu führen kann, dass unser Bild vom Erlösungsplan unscharf bleibt.

Um zur Sache zu kommen, möchte ich Ihnen von einem glaubenstreuen Bruder erzählen, der in den frühen Jahren meiner Mitgliedschaft in meinem Heimatland, in Deutschland, zum selben Zweig gehörte wie ich.

Er lebte in bescheidenen Verhältnissen und fühlte sich sehr gesegnet, da er vor kurzem eine Arbeit in einem kleinen privaten Unter-nehmen bekommen hatte. Er erzählte mir von einem bevorstehenden Geschäftsessen, zu dem traditionsgemäß alle Mitarbeiter eingeladen wurden. Er machte sich diesbezüglich Sorgen, weil er wusste, dass es am Ende ein großes Trinkgelage geben würde, wobei der Chef wahrscheinlich derjenige war, der am meisten Bier trank. Er wusste aber auch, dass es als sehr unhöflich erachtet werden würde, wenn er überhaupt nicht zu diesem Geschäftsessen ging.

Als ich ihn das nächste Malsah – das Geschäftsessen hatte inzwischen stattgefunden –, strahlte er vor Glück und er konnte es kaum abwarten, mir zu erzählen, was geschehen war. Weil er in der Firma neu war, hatte sich der Chef neben ihn gesetzt, um ihn besser kennenzu lernen. Im Laufe des Abends sah der Bruder seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, denn der Chef wollte nicht dulden, dass er kein Bier mit ihm trank, und er hatte gesagt: „Was für eine Kirche ist das, die Ihnen nicht erlaubt, ein Glas Bier mit mir zu trinken?“

Die Angst meines Freundes war nicht so groß, dass er in Panik geraten wäre. Er schaffte es, seinem Chef ruhig zu sagen, dass der Grund, weshalb er keinen Alkohol trank, nichts mit der Kirche zu tun hätte, zu der er gehörte, sondern dass er selbst mit Gott einen heiligen Bund eingegangen war, keinen Alkohol zu trinken. Wenn er diesen Bund brechen würde, wie könnte er dann in Zukunft seinen Versprechen treu sein, und wie sollte dann zum Beispiel sein Arbeitgeber darauf vertrauen können, dass er nicht log.

Wie mein Freund mir berichtete, war der Geschäftsinhaber von seinen Worten tief bewegt und umarmte ihn und brachte seine tief empfundene Bewunderung und sein Vertrauen zum Ausdruck.

Liebe Brüder und Schwestern, in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erfahren viele neue Mitglieder, insbesondere wenn sie nicht aus den Vereinigten Staaten kommen, zum ersten Mal die tatsächliche Bedeutung und das Ausmaß des Wortes „Freiheit“. Freiheit bedeutet für die meisten Menschen in der Welt die Abwesenheit von Böswilligkeit, Schmerz oder Unterdrückung. Die Freiheit, die Gott meint, wenn er zu uns spricht, geht jedoch einen Schritt weiter. Er meint Freiheit im Sinne von „frei sein für“ – die Freiheit, mit der Würde unserer Entscheidungsfreiheit zu handeln.

Was bedeutet es demnach, frei zu sein? Frei zu sein bedeutet, so weit gereift zu sein, dass uns die gefährlich vielen Pflichten, die wir als Mensch haben, voll und ganz bewusst sind. Wir haben erfahren, dass alles, was wir tun, und sogar das, was wir sagen oder denken, Folgen hat. Wir erkennen, dass wir viel zu lange geglaubt haben, Opfer irgendwelcher Umstände zu sein.Im Johannesevangelium, 8:32,lesen wir:

„Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“

Wenn wir unser Herz für die Botschaft von der Wahrheit Gottes, wie sie in unserer Zeit wiederhergestellt worden ist, öffnen, fangen wir an zu verstehen, warum es so viel Elend, Schmerz, Leid und Hunger gab und immer noch gibt. In dem Maß,in dem wir lernen, die offenbarte Wahrheit in unserem Leben anzunehmen, wächst unser Glaube an den lebendigen Sohn Gottes und darum empfangen wir geistige Gaben in bisher ungeahnter Fülle. Wir begreifen, dass für diejenigen, die an Jesus Christus glauben, nichts unmöglich ist. Wir werden von falschen Zwängen befreit und das engstirnige Denken, das eine Folge von Tragödien und falschen Traditionen ist, verschwindet.

Je besser wir verstehen, wie unermesslich und vollkommen der Erlösungsplan ist, desto mehr erkennen wir, wie klein und unvollkommen wir sind. Wenn wir uns so demütig sehen und wenn wir ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist haben, hilft uns das, den höchst heiligen Bund mit dem himmlischen Vater zu verstehen und ihn schließlich durch die Taufe anzunehmen.

Wir gehen diesen Bund gern ein, weil wir wissen, dass es zwischen dem Wunsch und dem Bund einen großen Unterschied gibt. Wenn wir etwas nur wünschen, arbeiten wir nur dann an diesem Ziel, wenn es gerade passt. Sind wir aber durch einen heiligen Bund wie die Taufe gebunden, lernen wir, durch Gehorsam alle Hindernisse zu überwinden. Und indem wir dies tun, werden wir mit der Gegenwart des Geistes und somit schließlich mit Erfolg gesegnet. Sobald wir bewusst die volle Verantwortung für unser Leben übernehmen und damit aufhören, äußeren Umstände die Schuld zu geben, fangen wir an, lebendig zu werden.

Eines wissen wir natürlich: „Frei sein zu“ bedeutet, dass wir falsche Entscheidungen treffen können. Falsche Entscheidungen haben ihre unbarmherzigen Folgen und wenn wir nicht davon ablassen und sie korrigieren, führen sie uns in Schmerz und Elend. Falsche Entscheidungen führen, wenn sie nicht korrigiert werden, zur größtmöglichen Katastrophe im Leben eines jeden Menschen, nämlich dazu, dass er in der zukünftigen Welt vom himmlischen Vater getrennt wird.

Wenn wir diese lebenspendende Botschaft empfangen haben, fangen wir an zu verstehen, dass wir in unserem bisherigen Leben wie ein Fußballspieler waren, der völlig deprimiert mitten auf dem Spielfeld stand, weil wir das Ziel und die Regeln des Spiels nicht kannten. Wir wussten nicht, zu welcher Mannschaft wir gehörten und wer unser Trainer war. Nur im Bewusstsein des wiederhergestellten Evangeliums wird unser Spielplan klar und wir wissen, dass Jesus Christus und seine wiederhergestellte Kirche und das Priestertum für uns die einzige Möglichkeit darstellen, hier auf der Erde erfolgreich zu sein.

Jesus Christus möchte – gemäß unserer eigenen rechtschaffenenEntscheidungen – uns die Fähigkeit dazu geben, dass sich durch unseren Glauben und unsere Taten die Umstände, die uns in der Vergangenheit zu Gefangenen machten, schließlich ändern. Im Buch Mormon erfahren wir, dass der Erlöser zusammen mit einer Heerschar heiliger Engel über unser Leben wacht. Wir lesen dort:

„Und haben denn ... die Wun-dertaten aufgehört? Siehe, ich sage euch: Nein; auch haben die Engel nicht aufgehört, den Menschenkindern zu dienen. Denn siehe, sie sind ihm untertan, um gemäß dem Wort seines Gebots zu dienen, um sich denen zu zeigen, die starken Glauben ... haben.“ (Moroni 7:29,30.)

Mit der Freiheit, die wir in unserer Zeit erhalten haben, übernehmen wir durch unseren Einblick in den göttlichen Plan, den er für uns hat, die volle Verantwortung. Bleiben wir der liebenden, fürsorglichen Hand unseres Erlösers immer nah, damit wir Sicherheit und Freude finden mögen. Ich sage dies in tiefer Demut. Und ich geben Ihnen als Ihr Bruder und Diener mein Zeugnis davon, dass ich weiß, dass Jesus lebt und dass er das Oberhaupt dieses Werks ist. Ich sage dies im Namen Jesu, amen.