2000–2009
„Heiligt euch“
Oktober 2000


„Heiligt euch“

„In jedem Zeitalter und ganz besonders heute gilt der Aufruf Josuas: ‘Heiligt euch; denn morgen wird der Herr mitten unter euch Wunder tun.’“

Brüder, ich liebe und achte das Priestertum Gottes, und es ist mir eine große Ehre, zu denen zu sprechen, die es tragen. Ich möchte mich heute Abend an uns alle wenden, egal, wie alt wir sind und wie lange wir schon dienen, aber vor allem möchte ich zu den Diakonen, Lehrern und Priestern im Aaronischen Priestertum und zu den jungen, neu ordinierten ältesten im Melchisedekischen Priestertum sprechen – zu Ihnen von der heranwachsenden Generation, die bereit sein muss, vom Priestertum Gebrauch zu machen, und zwar oft zu einer Zeit und auf eine Art und Weise, die nicht vorhersehbar war.

In dem Sinn möchte ich heute mit Josua sprechen, der sich an eine frühere Generation von Priester-tumsträgern gewandt hat, an junge und nicht mehr ganz so junge Männer, die in ihrer Zeit ein Wunder wirken sollten. Zu denen, die die ungeheure Aufgabe bewältigen sollten, vor denen die Israeliten damals standen, nämlich ihr verheißenes Land aus alter Zeit erneut in Besitz zu nehmen, sagte Josua: „Heiligt euch; denn morgen wird der Herr mitten unter euch Wunder tun.“1

Ich möchte heute Abend anhand einer Begebenheit aufzeigen, wie rasch und unerwartet dieses Morgen kommen kann und wie wenig Zeit man manchmal hat, um sich noch eben, hastig und leicht verspätet, vorzubereiten.

Am Nachmittag des 30. September 1998, einem Mittwoch, also vor etwas über zwei Jahren, war eine Football-Jugendmannschaft in Inkom, Idaho, zum Training draußen. Sie hatten sich aufgewärmt und begann mit ihrem Spiel. Am Himmel brauten sich finstere Wolken zusammen, wie es im Herbst bisweilen der Fall ist, und es regnete leicht, aber das machte den Jungen, die alle begeisterte Footballspieler waren, nichts aus.

Plötzlich brach, scheinbar aus dem Nichts, das ohrenbetäubende Krachen eines gewaltigen Donnerschlags über das Footballfeld herein, gleichzeitig mit einem Blitz, der praktisch alles unter Strom setzte.

In dem Augenblick war ein junger Freund von mir, A. J. Edwards, damals noch Diakon in der Gemeinde Port Neff des Pfahls McCammon Idaho, bereit, den Ball zu spielen und ein Touchdown einzuleiten. Aber der Blitz, der Erde und Himmel hell erleuchtete, traf A. J. Edwards vom Footballhelm bis zu den Fußsohlen.

Alle Spieler spürten die Auswirkungen des Blitzes, ein paar fielen zu Boden, einer der Spieler konnte vorübergehend nichts sehen und alle waren wie benommen. Instinktiv liefen sie zu dem kleinen Pavillon am Spielfeldrand. Ein paar der Jungen fingen an zu weinen. Viele von ihnen fielen auf die Knie und begannen zu beten. Währenddessen lag A. J. Edwards regungslos auf dem Feld.

Bruder David Johnson von der Gemeinde Rapid Creek im Pfahl McCammon Idaho lief zu ihm hin. Er rief dem Trainer Rex Shaffer, der aus derselben Gemeinde kam, zu: „Ich kann seinen Puls nicht spüren, Herzstillstand!“ Die beiden Männer, beides ausgebildete Rettungssanitäter, begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, um den Jungen zu retten.

Der junge Trainerassistent, der achtzehnjährige Bryce Reynolds, Mitglied der Gemeinde Mountain View im Pfahl McCammon Idaho, hielt dabei den Kopf von A. J. Edwards. Er sah zu, wie Bruder Johnson und Bruder Shaffer intensive Wiederbelebungsmaßnahmen durchführten, und hatte dabei eine Eingebung. Ich bin sicher, dass es buchstäblich eine Offenbarung aus dem Himmel war. Er dachte an den Priestertumssegen, den der Bischof seinem Großvater ein Jahr zuvor nach einem genauso tragischen und lebensbedrohlichen Unfall gegeben hatte. Jetzt, als er den jungen Diakon in den Armen hielt, wurde ihm klar, dass er zum ersten Mal in seinem Leben das Melchisedekische Priestertum, das er noch nicht lange trug, gebrauchen musste. Sein neunzehnter Geburtstag stand kurz bevor und er wollte auf Mission gehen. Erst seit neununddreißig Tagen war er ältester.

Ob er die Worte vernehmlich sagte oder sie nur leise vor sich hinmurmelte, auf jeden Fall sagte Elder Reynolds: „A. J. Edwards, im Namen des Herrn Jesus Christus und kraft der Vollmacht des Melchisedekischen Priestertums, das ich trage, segne ich dich, dass du ok sein wirst. Im Namen Jesu Christi, amen.“ Als Bryce Reynolds diesen kurzen, inbrünstigen Segen in der Ausdrucksweise eines Achtzehnjährigen beendet hatte, atmete A. J. Edwards zum ersten Mal wieder.

Von den vielen Gebeten und Wundern und den weiteren Pries-tertumssegen – unter anderem wurde der Junge in rasender Eile mit dem Krankenwagen nach Pocatello gefahren, dann ins Zentrum für Verbrennungen an der University of Utah – kann jeder in der Familie Edwards uns ein anderes Mal erzählen. Es genügt mir, dass ich sagen kann, dass A. J. heute als mein besonderer Gast hier ist. Ich habe vor kurzem auch mit Elder Bryce Reynolds telefoniert, der seit siebzehn Monaten in der Mission Texas Dallas treue Dienste leistet. Ich liebe diese beide wundervollen jungen Männer.

Nun, meine jungen Freundeim Aaronischen und im Melchi-sedekischen Priestertum, nicht jedes Gebet wird so rasch erhört, nicht jeder Priestertumssegen hat zur Folge, dass jemand am Leben bleibt. Manchmal hat Gott einfach etwas anderes vor, aber, junge Männer, ihr werdet die Erfahrung machen, wenn ihr sie noch nicht gemacht habt, dass in beängstigenden und gefährlichen Augenblicken euer Glaube unddas Priestertum von euch dasBeste verlangen, auch das Beste, das ihr aus dem Himmel herabrufen könnt. Ihr Jungen im Aaronischen Priestertum gebraucht das Priester-tum nicht genauso, wie ein ältester das Melchisedekische Priestertum gebraucht, aber jeder Priester- tumsträger muss ein Werkzeug in der Hand Gottes sein, und dazu muss er sich, wie Josua es sagt, heiligen. Ihr müsst bereit und würdig sein, zu handeln.

Deshalb sagt der Herr in den heiligen Schriften immer wieder: „Seid rein, die ihr die Gefäße des Herrn tragt.“2 Ich möchte euch erklären, was mit dem Tragen der Gefäße des Herrn gemeint ist. In alter Zeit bedeutete das wenigstens zweierlei, und beides hatte mit der Arbeit des Priestertums zu tun.

Zum einen bezieht es sich darauf, dass verschiedene heilige Geräte aus dem Tempel, die von König Nebukadnezzar nach Babel mitgenommen worden waren, nach Jerusalem zurückgebracht wurden. Der Herr erinnerte die Brüder von damals, die damit betraut waren, daran, wie heilig alles ist, was mit dem Tempel zu tun hat. Als sie dann diese Schüsseln, Becken, Becher und anderen Gefäße in ihre Heimat zurückbrachten, mussten sie selbst genauso rein sein wie die zeremoniellen Gegenstände, die sie trugen.3

Die zweite Bedeutung hängt mit der ersten zusammen. Für die rituelle Reinigung im eigenen Haushalt wurden ähnliche Schüsseln und Gerätschaften verwendet. Der Apostel Paulus schrieb seinem jungen Freund Timotheus diesbezüglich folgendes: „In einem großen Haus gibt es ... Gefäße aus Gold und Silber, ... aus Holz und Ton.“ Solche Gefäße waren zur Zeit des Erretters für die Reinigung üblich. Weiter sagt Paulus: „Wer sich nun ... rein [und damit würdig] hält, gleicht einem Gefäß für Reines; er ist geheiligt, für den Herrn brauchbar, zu jedem guten Werk tauglich. Flieh [also] vor den Begierden der Jugend; strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, ... it all denen, die den Herrn aus reinem Herzen anrufen.“4

In beiden biblischen Berichten wird also gesagt, dass wir Priester-tumsträger nicht nur mit heiligen Gefäßen und den Symbolen der Macht des Herrn umgehen – denkt beispielsweise an das Vorbereiten, Segnen und Austeilen des Abendmahls – sondern dass wir auch ein heiliges Werkzeug sein sollen. Aufgrund dessen, was wir tun sollen, aber, und das ist noch wichtiger, aufgrund dessen, was wir sein sollen, erklären uns die Propheten und Apostel, dass wir vor den Begierden der Jugend fliehen und mit reinem Herzen den Herrn anrufen sollen. Sie sagen uns, dass wir rein sein sollen.

Nun leben wir in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, sich die Reinheit zu bewahren. Mit der modernen Technik können selbst unsere jüngsten Brüder und Schwestern virtuell um die ganze Welt reisen, ehe sie alt genug sind, um mit dem Dreirad sicher die Straße zu überqueren. Was in meiner Generation sorglose Freizeitbeschäftigung mit Kino, Fernsehen oder Zeitschriften war, ist heute, wo Videorecorder, das Internet und der PC hinzugekommen sind, Vergnügungen geworden, die eine echte sittliche Gefahr in sich bergen. Statt Vergnügungen kann man auch Amüsements sagen, und das heißt,von der ursprünglichen lateinischen Wortbedeutung her, „mit leerenVersprechungen abspeisen“. Leider hat der Erzbetrüger bei den „Amüsements“ von heute häufig die Hand im Spiel, so dass es sich wirklich um leere Versprechungen, wenn nicht um Schlimmeres handelt.

Vor kurzem habe ich folgendes gelesen: „Unsere Freizeitbeschäftigung, sogar unser Spiel, ist eine ernste Angelegenheit, und zwar deswegen, weil es im Universum keinen neutralen Boden gibt: jeder Quadratzentimeter, jeder Bruchteil einer Sekunde wird von Gott beansprucht, während der Satan dagegenhält.“5 Ich halte das für absolut wahr, und dieser Konflikt ist nirgendwo kritischer und offensichtlicher als dort, wo es um den Sinn und die Moral, die Reinheit der jungen Menschen geht.

Brüder, ich warne euch heute unter anderem davor, dass es nur noch schlimmer wird. Die Tür zur Freizügigkeit, die Tür zu Wollust und Vulgarität und Obszönität geht offensichtlich nur in eine Richtung auf, nämlich immer weiter; sie geht nicht wieder zu. Man kann sich persönlich dafür entscheiden, sie zuzumachen, aber im geschichtlichen Sinn ist nicht zu erwarten, dass die Begierden der öffentlichkeit und öffentliche Richtlinien sie wieder schließen. Nein, im sittlichen Bereich kann man nur durch Selbstbeherrschung eine gewisse Kontrolle ausüben, sonst nicht.

Wenn es euch schwer fällt, in Bezug auf das, was ihr anschaut und anhört, was ihr sagt und tut, Selbstbeherrschung zu üben, dann bittet den Vater im Himmel um Hilfe. Betet zu ihm wie Enos, der mit Gott rang und sich gewaltig im Geist abmühte.6 Ringt wie Jakob, der mit dem Engel rang und sich weigerte loszulassen, bis der Engel ihn gesegnet hatte.7 Sprecht mit euren Eltern. Sprecht mit eurem Bischof. Lasst euch von all den guten Leuten um euch herum helfen. Meidet um jeden Preis alle, die euch in Versuchung führen, euren Willen schwächen und euer Problem nur noch schlimmer machen. Wenn sich jemand heute Abend nicht ganz würdig fühlt, dann kann er es werden – durch die Umkehr und das Sühnopfer des Herrn Jesus Christus. Der Erretter hat für euch geweint und geblutet und den Tod auf sich genommen, er hat alles getan, damit ihr glücklich seid und errettet werdet, also wird er euch auch jetzt nicht im Stich lassen!

Und dann könnt ihr anderen helfen, zu denen ihr jetzt und in Zukunft ausgesandt werdet, da ihr das Priestertum Gottes tragt. Dann könnt ihr, als Missionar, „für die Kirche ein Arzt sein“, wie der Herr es einmal ausgedrückt hat.8

Ihr jungen Männer, wir lieben euch. Wir machen uns Sorgen um euch und wollen euch helfen, so gut wir können. Vor fast zweihundert Jahren schrieb William Wordsworth, die Welt sei zu sehr mit uns. Was würde er dann heute über das sagen, was sich in unsere Seele und unsere Gefühle drängt? Wenn wir über die Probleme sprechen, die euch zu schaffen machen, wissen wir natürlich, dass die meisten jungen Männer treu nach dem Evangelium leben und fest entschlossen vor dem Herrn dastehen. Ich bin sicher, dass das die überwältigende Mehrheit derer betrifft, die heute Abend zuhören. Aber die Warnungen, die wir den wenigen mitgeben, dienen auch den Glaubenstreuen als wichtige Erinnerung.

In der überaus schwierigen und entmutigenden Zeit des Zweiten Weltkriegs sagte Winston Churchill den Engländern: „Für jeden kommt ... der ganz spezielle Augenblick, wo ihm im übertragenen Sinn auf die Schulter geklopft wird und sich ihm die Möglichkeit eröffnet, das ganz Besondere zu tun, was nur er kann und was genau seinen Talenten entspricht. Wie traurig es doch ist, wenn er in diesem Augenblick unvorbereitet ist und die Arbeit, die zu seiner größten Stunde führen konnte, nicht vollbringen kann.“

In diesem noch ernsteren Krieg, der ja geistiger Natur ist, Brüder, mag tatsächlich der Tag kommen, und gewiss wird er auch kommen, an dem, unter unerwarteten Umständen oder in großer Not, sozusagen der Blitz einschlägt und die Zukunft in eurer Hand ist – in physischer, geistiger, sittlicher oder anderer Hinsicht. Seid bereit, wenn der Tag kommt. Seid stark. Seid immer rein. Haltet das Priestertum, das ihr tragt, in Ehren, und achtet es. Ich gebe Zeugnis von diesem Werk, von der Macht, die uns gegeben wurde, nämlich es zu leiten, und davon, dass wir würdig sein müssen, wenn wir davon Gebrauch machen. Brüder, ich bezeuge: in jedem Zeitalter und ganz besonders heute gilt der Aufruf Josuas: „Heiligt euch; denn morgen wird der Herr mitten unter euch Wunder tun.“ Im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Josua 3:5.

  2. Beispielsweise Jesaja 52:11; 3 Nephi 20:41; LuB 38:42; 133:5.

  3. Siehe 2 Könige 25:14,15; Esra 1:5-11.

  4. 2 Timotheus 2:20-22; Hervorhebung hinzugefügt.

  5. C.S. Lewis, Christian Reflections, Hg. Walter Hooper (1967), 33.

  6. Siehe Enos 1:2-10.

  7. Siehe Genesis 32:24-26.

  8. Siehe LuB 31:10.