2000–2009
””Es ist nicht gut, dass Mann oder Frau allein bleibt
Oktober 2001


Es ist nicht gut, dass Mann oder Frau allein bleibt

Das Ziel eines Lehrers besteht darin, den Geist einzuladen und es den Lernenden zu ermöglichen, daß sie die Wahrheit entdecken und dann motiviert sind, sie auf sich zu beziehen.

Vor einigen Monaten hat mein Mann eine liebe Freundin von uns getauft. Beim Taufgottesdienst habe ich im Geist auf ihre jahrelange Vorbereitung für dieses Ereignis Rückschau gehalten - die Grundsätze, die sorgfältig gelehrt, ständig beachtet und stillschweigend akzeptiert wurden; die Anerkennung der Hand Gottes in allen Ereignissen des Lebens; die Bestätigung durch den Geist bei schwierigen Entscheidungen, die richtig getroffen wurden. Ich dachte an die Vergangenheit, war froh über die Gegenwart und freute mich auf die Zukunft. Ich hoffte von ganzem Herzen, daß diese Freundin ihr Leben lang der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage aktiv verbunden bleiben möge - daß sie weiterhin das Evangelium lernt und danach lebt, um so die Fülle seiner Segnungen zu erfahren.

Heute Morgen, wo ich an diese Hoffnung zurückdenke, denke ich auch an die übrigen 375469 Menschen,1 die sich im vergangenen Jahr haben taufen lassen. Und dann denke ich an uns andere, an die rund neun Millionen, die irgendwann in der Vergangenheit ins Wasser der Taufe gestiegen sind. Jede Geschichte ist anders, aber jeder von uns wurde in den wahren Lehren des Gottesreichs unterwiesen, verspürte den Geist, begriff, wie die Lehren sich in unser Leben einfügen, und zeigte seine Bereitschaft, sich zu bemühen, immer danach zu leben.

Es fällt schwer, an die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit zu denken, daß nicht alle von uns „an der Kirche festhalten und nach ihren Grundsätzen leben werden”.2 Viele von uns werden die glückliche Gemeinschaft verlassen und niemals zurückkommen. Einige werden eine Zeitlang weggehen und dann zurückkehren, um mit größerer Dankbarkeit am Reich Gottes auf der Erde teilzuhaben. Tatsächlich besteht täglich für jeden von uns die Gefahr, daß wir allmählich in die Inaktivität abdriften oder sogar bewußt in diese Richtung marschieren.

Es gibt vieles, was uns hilft, aktiv zu bleiben. Heute möchte ich nur über einen Punkt sprechen. Ich möchte darauf hinweisen, daß das gewöhnliche Klassenzimmer in der Kirche eine machtvolle Umgebung für das kontinuierliche Wachstum im Evangelium ist.

Der Unterricht der Sonntagsschule, des Priestertums, der FHV, der JD, der PV, des Seminars und des Instituts kann in einem geweihten Gebäude, unter einem Baum oder zu Hause stattfinden. Aber jeder Unterricht ist Teil eines Plans für das lebenslange Lernen des Evangeliums. Wir können an die Macht dieser Stunden des Lernens große Erwartungen richten! Der Unterricht in der Kirche verschafft uns die Möglichkeit, genau das, was uns zur Taufe geführt hat, immer wieder zu erfahren. Wir lernen dort die Lehre und erhalten das Zeugnis, das bestätigt, daß sie wahr ist. Wir lernen, wie wir die Lehre auf unser tägliches Leben beziehen, und nehmen die Herausforderung an, unser Verhalten dementsprechend zu ändern.

Das Unterrichtsmaterial für alle Klassen in der Kirche sind im wesentlichen die heiligen Schriften3 - die unwandelbaren Lehren des Gottesreichs. Diese Wahrheiten haben uns zur Kirche gebracht. Wenn wir sie nicht immer weiter lernen, bleiben wir vielleicht nicht. „Und ich gebe euch das Gebot, einander in der Lehre des Reiches zu belehren, … damit ihr in allem bereit seiet”.4

Präsident Boyd K. Packer hat gesagt: „Wenn wahre Lehre verstanden wird, ändern sich die Einstellung und das Verhalten.”5 Woher wissen wir, welche Lehre wir jede Woche unterrichten sollen? Sie steht im Unterrichtsziel. Aber wie können wir die Lehre so verstehen, daß sie unser Verhalten ändert?

Um die Lehre wirklich zu verstehen, müssen wir sehen, wie wir sie auf uns beziehen können. In den Leitfäden sollen die Geschichten, Beispiele, Aktivitäten und Spiele dem Lernenden helfen, die Lehre auf sich zu beziehen.

Weil das Alltagsleben in den 160 Ländern, wo wir Unterricht halten, so verschieden ist, sind die Geschichten und Beispiele in den Leitfäden für die Lernenden manchmal unverständlich. Der Lehrer kann darüber beten und Anpassungen vornehmen, muß aber darauf achten, daß das, was er im Unterricht tut, auch wirklich die Lehre wiedergibt.

Einem Lehrer geht es nicht nur darum, einen Vortrag über die Wahrheit zu halten, sondern er hat ein höheres Ziel. Er möchte den Geist einladen und solche Unterrichtsmethoden verwenden, die es den Lernenden erleichtern, selbst die Wahrheit zu erkennen und so zur Anwendung motiviert zu werden. Es scheint zwar Menschen zu geben, die geborene Lehrer sind, aber jeder kann sich Unterrichtstechniken aneignen. Was kann ein Lehrer tun, um ein besserer Lehrer zu werden? Könnten Sie vielleicht anderen zuschauen und dadurch lernen? Vielleicht einen guten Lehrer bitten, Ihren Unterricht zu beobachten und Ihnen Anregungen zu geben? Wie steht es mit Ihrer PV-Leitung, wenn Sie PV-Lehrerin sind, oder mit der Sonntagsschulleitung, wenn Sie in der Sonntagsschule unterrichten? Wenn Sie den Lehrerschulungskoordinator um Hilfe bitten, erschließen Sie sich dadurch viele Hilfsquellen.6 In dieser Kirche muß sich niemand allein abmühen. Überall gibt es Hilfe. Wir können mutig und gebeterfüllt danach streben, neue Methoden zu lernen und zu üben.

Ein junger Mann hat mir einmal etwas erzählt, was ich nicht vergessen kann. In seinem Bericht darüber, wie er aktiv, dann völlig inaktiv und danach wieder aktiv war, beschrieb er zwei Klassenzimmer. Er sagte: „Als ich ungefähr 15 war, fing ich an, mir wegen der Kirche viele Fragen zu stellen. Ich dachte, ich könnte vielleicht in der Kirche über meine Fragen reden, aber das geschah nicht. In der Priestertumsklasse wurde die meiste Zeit über das Baseballspiel vom Abend vorher geredet. In der Sonntagsschule war es fast genauso - vielleicht gab es in den letzten fünf Minuten ein bißchen Unterricht, wo der Lehrer Fragen stellte nach dem Motto, Ratet mal, was der Leitfaden dazu sagt’”.

Dann passierte alles mögliche - er blieb samstags lange auf, die Sonntagsversammlungen wurden auf einen früheren Zeitpunkt verlegt - der junge Mann kam nicht mehr zur Kirche. Es vergingen einige Jahre, bis er selbst zur Kirche zurückfand. Diesmal strahlte er, als er über seine Sonntagsschulklasse sprach:

„Der Lehrer sah eigentlich nach nichts aus, aber er war so begeistert. Er hat keine Minute verschwendet. Er hat wichtige Fragen gestellt. Alle hatten die heiligen Schriften mit. Sie schlugen Schriftstellen auf, äußerten ihre Gedanken und hörten einander zu. Sie sprachen über Schulprobleme und darüber, wie sie zu der Lektion paßten. Man merkte, daß alle in der Klasse verschieden waren, aber sie hatten alle etwas gemeinsam - alle wollten das Evangelium lernen. Nach fünf Minuten wußte ich, daß ich dorthin gehörte.”

Wie verschieden diese Erfahrungen doch waren! Können Sie sich Hunderttausende von Klassenzimmern vorstellen, wo die Lehrer jeden Sonntag wissen, daß „der Schüler das Lernen übernehmen muß. Darum muß man den Schüler zum Handeln motivieren. Wenn der Lehrer im Mittelpunkt steht und allein redet und handelt, ist es fast sicher, daß er die Schüler am Lernen hindert.”7

Ein guter Lehrer denkt nicht: „Was soll ich heute im Unterricht tun?”, sondern: „Was werden meine Schüler heute im Unterricht tun?” Er fragt nicht: „Was werde ich heute durchnehmen?”, sondern: „Wie helfe ich meinen Schülern, das zu entdecken, was sie wissen müssen?”8 Ein guter Lehrer wünscht sich keine Schüler, die nach dem Unterricht über ihren großartigen und ungewöhnlichen Lehrer sprechen, sondern die über das großartige Evangelium sprechen.

Am besten lernt man dort, wo man sich geborgen fühlt. Das bedeutet, daß die Fragen und Beiträge jedes einzelnen anerkannt werden. Wenn wir uns dazugehörig fühlen, können wir Fragen stellen, die uns helfen, das Evangelium zu verstehen. Wir können über unsere Einsichten und unseren Glauben sprechen und helfen damit vielleicht einem anderen.9 Wir können in dem Bemühen, das Gelernte auf uns zu beziehen, Fehler machen, ohne deswegen in Verlegenheit zu geraten. Wenn wir andererseits das Gefühl haben, daß wir uns schützen oder verteidigen müssen oder daß wir rechtschaffener aussehen müssen, als wir sind, dann verschwenden wir unsere Energie, und wir und andere lernen nicht soviel, wie wir lernen könnten. Lehrer und Lernender müssen gemeinsam dafür sorgen, daß Geborgenheit entsteht.

Ich habe gehört, wie Schwester Janette Beckham, die JD-Präsidentin, ganz einfach über das Unterrichten gesprochen hat. Sie hat gesagt:

„Die Lehrerin hat die Aufgabe, die Lektion vorzustellen und die Grundlage zu legen. Der Mittelteil gehört den Lernenden, die sich beteiligen und sich darum bemühen, die Lektion zu verstehen und sie auf sich zu beziehen. Die Lehrerin muß auf die Zeit achten, denn die letzten Minuten gehören wieder ihr. Sie muß die Lehre, die durchgenommen worden ist, deutlich darlegen und zusammenfassen, damit es bei den Lernenden darüber keine Mißverständnisse gibt. Dann kann sie von dem betreffenden Grundsatz Zeugnis geben.”10

Kommen Sie zum Schluß mit mir in eine Klasse der zwölf- und dreizehnjährigen JD. Hören Sie sich an, wie die Lernenden die Lehre entdecken. Achten Sie darauf, wie die Lehrerin für ein Lernerlebnis sorgt, so daß die Mädchen zwischen der Lehre und dem wirklichen Leben einen Bezug herstellen können. Spüren Sie auch das Zeugnis des Geistes:

Unsere Lehrerin rückt ihren Stuhl näher in den Halbkreis der fünf Mädchen. „Vor der Tür wartet Besuch für uns”, beginnt sie den Unterricht. „Es ist Schwester Jonas. Sie will euch ihr Baby zeigen und euch erzählen, wie sie sich jetzt als Mutter fühlt. Schaut euch das Baby an, und achtet auch darauf, wie die Mutter mit dem Baby umgeht, was sie tut und sagt. Wenn sie wieder gegangen ist, wollen wir darüber reden.”

Schwester Jonas kommt herein und bleibt sieben, acht Minuten, um über ihr Baby zu sprechen und Fragen zu beantworten. Die Mädchen bedanken sich, und sie verläßt den Raum.

„Ein süßes Baby, nicht wahr?” sagt die Lehrerin in das begeisterte Murmeln der Mädchen. „Aber was ist euch an der Mutter aufgefallen?”

Eine Antwort: „Sie war glücklich.” Eine andere: „Sie hat das Baby die ganze Zeit in den Armen gewiegt.” Es kommen noch einige Antworten, dann fängt Katie langsam an: „Sie hat - mmh - so leise geredet.”

„Kannst du mehr darüber sagen?” fragt die Lehrerin.

„Also, sie hat so gesprochen wie meine Mutter, als sie aus dem Krankenhaus anrief und sagte, daß wir ein Schwesterchen bekommen haben.”

Die Lehrerin wendet sich an die anderen Mädchen. „Was denkt ihr? Ist das noch jemand aufgefallen?”

Die Mädchen überlegen. Es kommen Antworten wie Ehrfurcht, Himmel, Liebe.

Die Lehrerin: „Ich glaube, ich verstehe, was ihr meint. Diese Worte fallen uns ein, weil wir merken, daß hier ein großes Geschenk vom Vater im Himmel gekommen ist. Er liebt uns und vertraut uns so sehr, daß er bereit ist, uns von seiner schöpferischen Kraft abzugeben. Wir sind dankbar dafür und empfinden Ehrfurcht davor. Mutterschaft ist etwas Göttliches.”

Nachdem unsere Lehrerin die Lehre so deutlich erklärt und Zeugnis gegeben hat, geht sie zu einer Aktivität über, bei der die Mädchen überlegen, welche Eigenschaften ihrer Mütter zeigen, daß sie wissen, wie göttlich die Mutterschaft ist. „Wir können uns jetzt auf die Mutterschaft vorbereiten, wenn wir eine dieser Tugenden, von denen wir gerade gesprochen haben, üben - daß wir vielleicht geduldiger sind oder freundlicher oder positiver. Könnte sich jede von euch eine aussuchen und diese Woche üben?”

Jedes Mädchen erklärt, was es sich ausgesucht hat. Unsere Lehrerin gibt Zeugnis. Das Schlußgebet wird gesprochen.

Ein einfacher Unterricht. Keine sensationellen Geschichten, keine außerordentlich begabte Lehrerin, sondern eine, die sich mit Beten vorbereitet und Methoden anwendet, durch die die Mädchen die wahre Lehre verstehen und auf sich beziehen.

Vorige Woche habe ich unsere frisch getaufte Freundin angerufen und gefragt, wie alles so läuft. Sie antwortete begeistert: „Mein Mann und ich sind als Lehrer der 15- und 16jährigen berufen worden, und ich lerne so viel!” Das hat mich beruhigt und begeistert. Es gibt keinen besseren Ort als ein Klassenzimmer - für sie und für uns.

Präsident Hinckley macht uns Mut: „Wir stehen gemeinsam in diesem Werk. Wir haben ein großes Werk zu vollbringen. Jeder Lehrer und jede Lehrerin können sich verbessern.”11 Ich möchte hinzufügen: Jeder Lernende kann sich verbessern. Und jedes Klassenzimmer kann ein besseres Klassenzimmer werden.

Ich bete darum, daß wir auch weiterhin aneinander festhalten, indem wir im Klassenzimmer sinnvoll lernen. Im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Statistischer Bericht 1995, Der Stern, Juli 1995, Seite 19.

  2. Hinckley, Gordon B., „Halten Sie an der Kirche fest, und leben Sie nach ihren Grundsätzen. Ich verheiße Ihnen, Sie werden glücklich sein, Sie werden einen bedeutsamen Beitrag leisten, und Sie werden allen Grund haben, Gott auf den Knien für alles zu danken, was er für Sie getan hat, als er Ihnen diese wunderbaren

  3. Der Lehrplan - Anweisungen für, M .>. Priestertumsführer und HO-Führungsbeamte, Seite 1.

  4. LuB 88:77,80.

  5. „Wenn wahre Lehre verstanden wird, ändern sich die Einstellung und das Verhalten. Wenn man sich mit den Lehren des Evangeliums auseinandersetzt, ändert sich das Verhalten schneller, als wenn man sich mit dem Verhalten auseinandersetzt.” (Der Stern, Januar 1987, Seite 15.)

  6. Lehren, die größte Berufung; Die Lehrerschulung - Anweisungen für Priestertumsführer und HO-Führungsbeamte, 35028 150, 1/93; Teach One Another, Video, VHS 53148.

  7. Das Evangelium lehren, Handbuch für CES-Führungsbeamte und Lehrer, Seite 14.

  8. Das Evangelium lehren, Seite 13.

  9. Siehe Römer 1:12.

  10. Beckham, Janette H., unveröffentlichte Ansprache.

  11. „Wir alle sind hierin gemeinsam, und wir haben ein großes Werk zu vollbringen. Jeder Lehrer und jede Lehrerin können sich verbessern. Jeder Beamte kann besser werden, als er heute ist. Jeder Vater kann besser werden, und jede Mutter kann sich verbessern. Jeder Ehemann, jede Ehefrau und jedes Kind können sich verbessern. Wir sind auf der Straße, die zu Unsterblichkeit und ewigem Leben führt, und der heutige Tag ist ein Teil davon. Laßt uns das niemals vergessen. (Gordon B. Hinckley, Church News, 4. November 1995, Seite 2.)