2000–2009
„Ich bin das Licht, das ihr hochhalten sollt“
April 2006


„Ich bin das Licht, das ihr hochhalten sollt“

Jede unserer kleinen christlichen Taten mag nur einen kleinen Lichtpunkt darstellen, in ihrer Summe aber haben sie eine deutliche Wirkung.

In der PV habe ich eine einfache Kreuzstichstickerei mit folgendem Spruch angefertigt: „Ich werde das Licht des Evangeliums in mein Zuhause tragen.“ Ich fragte mich: „Was ist dieses Licht?“ Als Jesus Christus die Nephiten belehrte, hat er das selbst am besten erklärt: „Darum haltet euer Licht hoch, damit es der Welt leuchte.“ Und dann stellte er klar: „Ich bin das Licht, das ihr hochhalten sollt – das, was ihr mich habt tun sehen.“ (3 Nephi 18:24; Hervorhebung hinzugefügt.)

Was hatten die Nephiten ihn tun sehen, und konnte ich das etwa auch bei mir zu Hause tun? Als das Volk von ihm wünschte, er möge noch ein wenig länger bei ihm verweilen, hatte er Mitleid und blieb noch ein wenig. Er heilte sie, er betete mit ihnen, er unterwies sie, er weinte mit ihnen, er segnete ihre kleinen Kinder eines nach dem anderen, er speiste sie, er diente ihnen und ließ sie am Abendmahl teilhaben, damit sie den Bund eingehen konnten, immer an ihn zu denken. Er diente ihnen, indem er jeden Einzelnen unterwies und sich um ihn kümmerte und indem er das Werk vollendete, das sein Vater ihm zu tun geboten hatte. An sich selbst dachte er überhaupt nicht. Seit ich dies weiß, bin ich mein Leben lang bestrebt, sein Licht durch selbstlose, christliche Taten in mein Zuhause zu bringen.

Das ist keine leichte Aufgabe. Ein gutes Familienleben findet meist wenig Anerkennung. Wahrscheinlich ist es einfacher, sich zu erheben und sein Licht leuchten zu lassen, damit es den Nationen ein Banner sei (siehe LuB 115:5; Hervorhebung hinzugefügt), als dass unser Licht ein Banner für die eigene Familie ist.Manchmal sieht es niemand, wenn wir Gutes tun und unser Licht bei uns zu Hause leuchten lassen. Es liegt im Wesen des Menschen, dass man sich nach Lob und Aufmerksamkeit sehnt und danach strebt. Helaman ermahnt seine Söhne Nephi und Lehi, gute Werke zu tun wie die Vorfahren, nach denen sie benannt worden waren, und zwar „nicht …, um zu prahlen, sondern dass ihr dies tut, um euch einen Schatz im Himmel zu sammeln“ (Helaman 5:8). Man soll gute Werke nicht in der Absicht tun, Anerkennung zu erlangen.

In seinem Buch Bleak House bezeichnet Charles Dickens die Schwäche einer seiner Figuren, einer Mrs. Jellyby, als „teleskopische Menschenliebe“. Sie ist so sehr damit beschäftigt, einem leidenden Volksstamm in einem fernen Land zu helfen, dass sie ihr zerschrammtes und schmutziges Kind abweist, das trostbedürftig zu ihr kommt. Mrs. Jellyby will sichergehen, dass ihre guten Werke grandios sind und jeder sie sieht (siehe Charles Dickens, Bleak House, 1985, Seite 82–87). Vielleicht hilft so mancher lieber bei einem Hurrikan als daheim. Beides ist wichtig, aber es ist unsere vordringliche und ewige Aufgabe, zu Hause zu helfen. „Die Eltern haben die heilige Pflicht, ihre Kinder in Liebe und Rechtschaffenheit zu erziehen, für ihre physischen und geistigen Bedürfnisse zu sorgen.“ („Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Liahona, Oktober 2004, Seite 49.)

Ich denke da an eine weitere Gestalt aus der Literatur, die so ziemlich das genaue Gegenteil der Figur ist, die Dickens beschreibt. Dorothea ist die Heldin eines meiner Lieblingsromane, Middlemarch. Am Ende des Buches behält man sie wegen ihrer stillen, selbstlosen Taten für Angehörige und Freunde in Erinnerung. Dort heißt es: „Ihr ganzes Wesen … war allein auf das ausgerichtet, was auf Erden kaum Ruhm einbringt. Aber wie sich ihr Wesen auf all ihre Mitmenschen auswirkte, ließ sich weder abschätzen noch überblicken, denn die Zunahme des Guten in der Welt hängt teilweise von Taten ab, die nicht Geschichte schreiben, und dass bei dir und mir manches nicht so schlecht ist, wie es sein könnte, hängt zur Hälfte von denen ab, die im Verborgenen treu waren und deren Gräber niemand besucht.“ (George Eliot, Middlemarch, Oxford University Press, Oxford 1986, Seite 682.)

Ihr Jungen Damen verbringt in diesen Jahren der Vorbereitung viel Zeit in der Schule oder bei der Arbeit, wo ihr Lob, Anerkennung, Preise, Auszeichnungen oder sonstige Trophäen bekommt. Wenn ihr aus diesem Stadium heraustretet und Mütter werdet, erlebt ihr einen drastischen Rückgang an Anerkennung von außen. Und doch findet man in keiner anderen Funktion mehr Gelegenheit, so selbstlos wie Christus zu dienen, als wenn man sich täglich um hunderte körperliche, emotionale und geistige Bedürfnisse kümmert. Ihr werdet das Licht des Evangeliums in eure Familie bringen, und zwar nicht, um gesehen zu werden, sondern um aufzubauen – um starke Männer und Frauen voll Licht aufzubauen.

Zu Hause ist man ja unter sich, da zeigt man sich leider oft nicht von der besten Seite. Daheim benehmen wir uns manchmal am schlechtesten gegenüber denen, die uns am wichtigsten sind. Ich erinnere mich noch ganz genau an einen Morgen, als ich 14 Jahre alt war. Bevor ich in die Schule ging, war ich zu meinen Eltern und Brüdern grob und unfreundlich gewesen. Nachdem ich das Haus verlassen hatte, war ich zum Busfahrer höflich und zu meinen Mitschülerinnen freundlich. Mir fiel meine widersprüchliche Handlungsweise auf, und ich hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen. Ich bat den Lehrer, mich für ein paar Minuten zu entschuldigen, damit ich zu Hause anrufen konnte. Ich entschuldigte mich bei meiner Mutter für mein Verhalten und sagte ihr, wie lieb ich sie hatte und wie dankbar ich ihr war, und versprach, ihr das künftig besser zu zeigen.

Für die meisten Leute ist es schwer, auch nur einen Tag lang in der Familie ohne Streit auszukommen. In den zweihundert Jahren, wo das Volk Nephi in einer vollkommenen Gesellschaft lebte, „gab es im Land keinen Streit. Und es gab weder Neid noch Hader, noch Aufruhr, noch Hurerei, noch Lüge, noch Mord, noch irgendeine Art von Sittenverderbnis; und gewiss konnte es kein glücklicheres Volk unter allem Volk geben, das von der Hand Gottes erschaffen worden war.“ (4 Nephi 1:15,16.)

Manch eine unter uns ist in eine Familie mit großen Schwierigkeiten hineingeboren worden. Doch selbst gute Familien stehen vor vielen Herausforderungen. Wir müssen uns bemühen, zu Hause das zu tun, was Christus bei den Nephiten getan hat. In der Proklamation über die Familie steht: „Ein glückliches Familienleben kann am ehesten erreicht werden, wenn die Lehren des Herrn Jesus Christus seine Grundlage sind.“ (Liahona, Oktober 2004, Seite 49.) Wir müssen das Licht sein, das unserer Familie hilft, Sünde, Zorn, Neid und Streit zu überwinden. Wir können gemeinsam beten, miteinander weinen, einer des anderen Wunden heil machen, einander selbstlos lieben und einander dienen.

Ihr Mädchen bereitet euch jetzt darauf vor, euer zukünftiges Zuhause und eure zukünftige Familie zu stärken, indem ihr das Licht des Evangeliums in euer jetziges Zuhause und eure jetzige Familie tragt. Das Kleine, scheinbar Unbedeutende, was ihr tut, kann viel bewirken. Ich habe gelesen, dass es in Höhlen in Neuseeland kleine Glühwürmchen gibt, von denen jedes für sich nur einen unbedeutenden Lichtpunkt erzeugt. Wenn jedoch Millionen davon in der Höhle leuchten, erzeugen sie so viel Licht, dass man dort sogar etwas lesen kann. Jede unserer kleinen Taten stellt vielleicht auch nur einen Lichtpunkt dar, in ihrer Summe aber haben sie eine deutliche Wirkung. Heute Abend wird uns der Chor mit dem Lied „Mein Licht“ daran erinnern, wie wichtig es ist, dass wir unser kleines Licht leuchten lassen:

Mein Licht des Glaubens und Gebets

scheint hell, auch wenn es klein.

Es stammt vom Himmel und es strahlt

so hell wie der Sonnenschein.

„Verbirg es nicht, verbirg es nicht“,

so weist der Herr mich an.

„Lass scheinen hell dein kleines Licht,

dass jeder es sehen kann.“

Schein hell, schein hell, schein hell, klar und schön!

Schein hell, schein hell, lass alle Welt es sehn!

(Liederbuch für Kinder, Seite 96.)

Wir können unser Licht leuchten lassen, wenn wir auf unseren kleinen Bruder aufpassen, uns in der Schulkantine zu unserer Schwester setzen, im Haushalt mithelfen, Streitsucht ablegen, uns am Erfolg anderer erfreuen, Süßigkeiten teilen, einen Kranken pflegen, unseren Eltern am Abend ein Wort des Dankes auf das Kissen legen, jemandem eine Kränkung vergeben, Zeugnis geben.

In Rumänien habe ich die siebzehnjährige Raluca kennen gelernt, die sich vor kurzem der Kirche angeschlossen hat. Ihre Taufe war ein freudiger Anlass, denn auch ihre ganze Familie besuchte den Taufgottesdienst. Ihre Mutter und ihre Schwester verspürten dort den Geist und wollten von den Missionaren unterwiesen werden. Darüber machte sich der Vater Sorgen, denn er fürchtete, seine ganze Familie an diese fremdartige Kirche zu verlieren. Deswegen erlaubte er es nicht, und eine Zeit lang herrschte Uneinigkeit in der Familie. Doch Raluca dachte daran, dass sie bei der Taufe versprochen hatte, den Namen Jesu Christi auf sich zu nehmen. Sie bemühte sich, sein Licht hochzuhalten, indem sie zu Hause das tat, was er getan hätte. Sie war eine Friedensstifterin. Sie war ein Vorbild. Sie war eine Lehrerin. Sie brachte Heilung.

Schließlich wurde das Herz ihres Vaters erweicht, und er ließ zu, dass die anderen mehr über die Kirche erfahren. Dann wurden auch sie getauft. Und zuletzt schloss sich der Vater zur Freude aller der Kirche an. Er sprach bei seiner Taufe und sagte, dass es in seiner Familie eine Zeit lang so war, als schlügen im selben Haushalt zwei Herzen in unterschiedlichem Takt. Doch nun seien sie eins im Glauben und in der Taufe, und ihre Herzen seien in Einigkeit und Liebe miteinander verbunden. Er dankte den Missionaren und Mitgliedern, die ihnen geholfen hatten. Dann zollte er seiner Tochter Raluca besondere Anerkennung, denn sie hatte sich in dieser schwierigen Zeit wahrhaft christlich verhalten; er sagte, sie sei Friedensstifterin gewesen, habe Heilung gebracht, sei Lehrerin, Vorbild und das Licht gewesen, das schließlich die ganze Familie in die Kirche Jesu Christi gebracht hatte.

Wir alle haben ein Licht. Wenn ich heute Abend in eure Gesichter blicke und mir all die Mädchen vergegenwärtige, die ich in aller Welt kennen gelernt habe, dann sehe ich eure Gesichter leuchten – „ja, wie die Gesichter von Engeln“ (Helaman 5:36). So war es auch bei den Söhnen Helamans in einer Welt, die von der Finsternis der Sünde überschattet war – die Gesichter Nephis und Lehis „leuchteten über die Maßen“ (Helaman 5:36). Die Umstehenden wollten auch dieses Licht haben und fragten: „Was sollen wir tun, damit diese Wolke der Finsternis sich hebe und uns nicht mehr überschatte?“ (Helaman 5:40.) Sie erfuhren, dass sie umkehren und an Jesus Christus glauben müssten. Als sie dies taten, zerteilte sich die Wolke der Finsternis, und sie wurden von Licht – von einer Feuersäule – umschlossen und mit unaussprechlicher Freude erfüllt (siehe Helaman 5:43-45).

Wenn ihr euer Licht leuchten lasst, werden andere auch ein größeres Licht finden. Gibt es irgendjemanden, der euer Licht mehr braucht als eure Familie? Euch bemerkenswerte Junge Damen, deren Gesicht so strahlt, betrachte ich als die Stärke der Gegenwart und als die Hoffnung für die Zukunft sowohl in eurer Familie als auch in der Kirche.

Jesus Christus ist das Licht, das wir hochhalten müssen. „Er ist das Licht, das Leben und die Hoffnung der Welt. Sein Weg ist der Pfad, der zum Glücklichsein hier auf der Erde und zu ewigem Leben in der künftigen Welt führt.“ („Der lebendige Christus – das Zeugnis der Apostel“, Liahona, April 2000, Seite 2f.) Mögen wir alle sein Licht leuchten lassen. Im Namen Jesu Christi. Amen.