2000–2009
O fest wie ein Felsen
Oktober 2006


O fest wie ein Felsen

Wir können unser Fundament des Glaubens, unser Zeugnis von der Wahrheit festigen, damit wir nicht ins Wanken geraten, nicht den Halt verlieren.

Meine lieben Brüder und Schwestern, die ich hier sehe oder die sich überall in der Welt versammelt haben, bitte üben Sie Ihren Glauben aus und beten Sie für mich, wenn ich jetzt meinem Auftrag nachkomme und zu Ihnen spreche.

1959, nicht lange nachdem ich meinen Dienst als Präsident der Kanadischen Mission mit Sitz in Toronto in Ontario angetreten hatte, traf ich N. Eldon Tanner, einen bekannten Kanadier, der einige Monate später als Assistent des Kollegiums der Zwölf Apostel berufen werden sollte, dann ins Kollegium der Zwölf Apostel und dann als Ratgeber von vier Präsidenten der Kirche.

Als ich ihn traf, war Präsident Tanner sowohl Präsident der großen Firma Trans-Canada Pipelines Ltd. als auch Präsident des Pfahles Calgary. Er war in ganz Kanada für seine Redlichkeit bekannt. Bei diesem ersten Treffen besprachen wir unter anderem die kalten kanadischen Winter, in denen Stürme toben, die Temperaturen sich über Wochen unter dem Gefrierpunkt halten und eisige Winde diese Temperaturen noch weiter senken. Ich fragte Präsident Tanner, warum die Straßen und Autobahnen im Westen Kanadas während solcher Winter weitgehend intakt blieben und wenig oder keine Anzeichen von Rissen oder Brüchen aufwiesen, während doch in vielen Gebieten, in denen der Winter weniger kalt und streng sei, die Straßen Risse, Brüche und Schlaglöcher bekämen.

Er sagte: „Die Antwort liegt darin, wie tief das Fundament des Straßenbelags gelegt wird. Wenn der Belag solide bleiben und nicht brüchig werden soll, müssen die unteren Tragschichten sehr tief gelegt werden. Wenn das Fundament nicht tief genug ist, kann die Oberfläche extremer Witterung nicht standhalten.“

Im Laufe der Jahre habe ich oft über dieses Gespräch und Präsident Tanners Erklärung nachgedacht, denn ich erkannte in seinen Worten eine tiefe Bedeutung für unser tägliches Leben. Einfach ausgedrückt: Wenn wir kein tiefes Fundament des Glaubens und kein solides Zeugnis von der Wahrheit haben, mag es uns schwerfallen, den rauen Stürmen und eisigen Winden der Widrigkeiten zu trotzen, die jedem von uns unweigerlich entgegenschlagen werden.

Das Erdenleben ist eine Zeit der Prüfung, eine Zeit, in der wir uns würdig erweisen müssen, in die Gegenwart unseres himmlischen Vaters zurückzukehren. Um geprüft werden zu können, müssen wir mit Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert werden. Diese können uns brechen und bewirken, dass unsere Seele an der Oberfläche Risse bekommt und bröckelt – jedenfalls dann, wenn das Fundament unseres Glaubens und unser Zeugnis von der Wahrheit nicht tief in uns verankert sind.

Auf den Glauben und das Zeugnis anderer können wir nur kurz bauen. Letztlich müssen wir selbst ein stabil und tief verankertes Fundament haben, sonst werden wir nicht imstande sein, den Stürmen des Lebens zu trotzen, die gewiss kommen. Diese Stürme können in vielerlei Form erscheinen. Vielleicht erleben wir Schmerz und Kummer wegen eines ungeratenen Kindes, das es vorgezogen hat, den Pfad zu verlassen, der zu ewiger Wahrheit führt, und stattdessen auf rutschigen Abhängen unterwegs ist, wo Irrtümer und Enttäuschungen lauern. Vielleicht werden wir oder ein geliebter Mensch von einer Krankheit heimgesucht, die Leid oder gar den Tod mit sich bringt. Vielleicht hinterlässt ein Unfall grausame Male in der Erinnerung oder löscht ein Leben aus. Der Tod kommt zu den Alten, die auf wankenden Beinen gehen. Sein Ruf ergeht an diejenigen, die kaum die Hälfte ihres Lebenswegs beschritten haben, und oft lässt er das Lachen kleiner Kinder verstummen.

Manchmal erstrahlt kein Licht am Ende des Tunnels, und kein Morgengrauen folgt dem Dunkel der Nacht. Wir wähnen uns umgeben von Schmerz, weil ein Herz gebrochen ist, von Enttäuschung, weil ein paar Träume geplatzt sind, und von Verzweiflung, weil die Hoffnung geschwunden ist. Wir stimmen in die flehentliche Frage aus der Bibel ein: „Gibt es denn keinen Balsam in Gilead?“ (Jeremia 8:22.) Wir neigen dazu, unser eigenes Unglück durch das verzerrte Prisma des Pessimismus zu betrachten. Wir fühlen uns verlassen, untröstlich, allein.

Wie können wir ein Fundament legen, das stabil genug ist, derartigen Wechselfällen des Lebens standzuhalten? Wie können wir uns den Glauben und das Zeugnis bewahren, die wir brauchen, um die Freude erfahren zu können, die den Glaubenstreuen verheißen ist? Wir müssen uns unablässig und beständig bemühen. Die meisten von uns haben schon Inspiration verspürt, die so eindringlich war, dass sie uns zu Tränen rührte und uns entschlossen stimmte, dem Glauben immer treu zu bleiben. Ich habe Leute sagen hören: „Wenn ich dieses Gefühl immer haben könnte, dann hätte ich nie Mühe, das zu tun, was ich tun sollte.“ Derartige Gefühle sind jedoch vergänglich. Die Inspiration, die wir während Konferenzversammlungen wie dieser verspüren, kann verblassen und dahinwelken, wenn der Montag kommt und wir wieder mit dem gewohnten Trott konfrontiert sind – Arbeit, Schule, den Haushalt und die Familie führen. Dergleichen kann unseren Sinn mühelos vom Heiligen auf das Weltliche lenken, von dem, was erhebt, auf das, was – wenn wir eszulassen – unser Zeugnis und unser stabiles geistiges Fundament unterhöhlt.

Natürlich leben wir nicht in einer Welt, in der wir ausschließlich Geistiges erleben; aber wir können unser Fundament des Glaubens, unser Zeugnis von der Wahrheit festigen, damit wir nicht ins Wanken geraten, nicht den Halt verlieren. Wie, mögen Sie fragen, kann man am besten das Fundament erlangen und sich bewahren, das man braucht, um in der Welt, in der wir leben, in geistiger Hinsicht zu überleben?

Ich möchte Ihnen drei Ratschläge mitgeben, die uns in unserem Streben helfen können.

Erstens: Festigen Sie Ihr Fundament durch das Gebet. „Der Seele Wunsch ist das Gebet, in Freude wie in Schmerz.“ („Der Seele Wunsch ist das Gebet“, Gesangbuch, Nr. 94.)

Pflegen wir im Gebet doch wirklich Zwiesprache mit unserem Vater im Himmel! Wir können mit unseren Gebeten schnell der Wiederholung verfallen und ständig Worte sagen, über die wir uns kaum oder gar keine Gedanken gemacht haben. Wenn wir uns vor Augen halten, dass jeder von uns buchstäblich ein Geistsohn, eine Geisttochter Gottes ist, fällt es uns nicht schwer, uns ihm im Gebet zu nahen. Er kennt uns; er liebt uns; er weiß, was für uns am besten ist. Sprechen wir doch aufrichtige Gebete, die eine Bedeutung haben; sprechen wir unseren Dank aus und bitten wir um das, was wir nach unserem Gefühl brauchen. Hören wir gut zu, damit wir seine Antworten erkennen, wenn sie gegeben werden. Wenn wir dies tun, werden wir gestärkt und gesegnet. Wir lernen Gott kennen und erfahren, was er sich für uns wünscht. Wenn wir ihn kennen, wenn wir seinem Willen vertrauen, dann wird unser Fundament des Glaubens gefestigt. Wenn jemand von uns sich den Rat, immer zu beten, noch nicht so zu Herzen genommen hat, ist jetzt der beste Zeitpunkt,damit zu beginnen. Von William Cowper stammt der Satz: „Es bebt der Satan, wenn er sieht: Ein schwaches Menschlein betend kniet.“ (In William Neil, Hg. Concise Dictionary of Religious Quotations, Seite 144.)

Vernachlässigen wir nicht das Familiengebet! Es ist ein wirksames Mittel gegen Sünde und beschert uns folglich Freude und Glück im Übermaß. Wie das alte Sprichwort sagt: „Betet die Familie zusammen, so bleibt sie auch zusammen.“ Wenn wir unseren Kindern Beispiel geben, was das Beten betrifft, helfen wir ihnen damit auch, für sich selbst ein tiefes Fundament des Glaubens zu legen und das Zeugnis zu entwickeln, das sie ihr Leben lang brauchen werden.

Mein zweiter Ratschlag: Befassen wir uns mit den heiligen Schriften und sinnen wir „Tag und Nacht darüber [nach]“, wie der Herr uns im Buch Josua auffordert (Josua 1:8).

2005 kamen hunderttausende Heilige der Letzten Tage Präsident Gordon B. Hinckleys Aufforderung nach, das Buch Mormon bis zum Ende des Jahres zu lesen. Ich glaube, im Dezember 2005 wurde ein noch nie da gewesener Rekord aufgestellt, was die Stunden betrifft, die dafür aufgewendet wurden, dieses Ziel pünktlich zu erreichen. Als wir diese Aufgabe erfüllten, wurden wir gesegnet; unser Zeugnis wurde gefestigt, unsere Erkenntnis vertieft. Ich möchte uns allen ans Herz legen, weiterhin in den heiligen Schriften zu lesen und sie zu studieren, damit wir sie verstehen und das, was wir aus ihnen lernen, im Leben anwenden können. Ich wandele die Worte des Dichters James Phinney Baxter etwas ab:

Wer ewig lernt und doch niemals etwas weiß,

gleicht dem, der ewig pflügt und doch niemals sät.

(„The Baxter Collection“, Baxter Memorial Library, Gorham, Maine.)

Wenn wir dem Schriftstudium jeden Tag Zeit widmen, festigt das zweifellos unser Fundament des Glaubens und unser Zeugnis von der Wahrheit.

Rufen Sie sich mit mir in Erinnerung, welche Freude Alma spürte, als er vom Land Gideon auf dem Weg nach Süden in das Land Manti war und die Söhne Mosias traf. Alma hatte sie eine Weile nicht gesehen und war überglücklich, als er feststellte, dass „sie … noch immer seine Brüder im Herrn [waren]; ja, und sie waren in der Erkenntnis der Wahrheit stark geworden; denn sie waren Männer mit gesundem Verständnis, und sie hatten eifrig in den Schriften geforscht, um das Wort Gottes zu kennen“ (siehe Alma 17:1,2).

Mögen auch wir das Wort Gottes kennen und unser Leben danach ausrichten!

Meine dritter Ratschlag, was ein stabiles Fundament des Glaubens und das Zeugnis betrifft, hat mit Dienen zu tun.

Eines Morgens fuhr ich auf dem Weg ins Büro an einer chemischen Reinigung vorbei, bei der ein Schild im Fenster stand. Darauf war zu lesen: „Auf den Service kommt es an.“ Diese Botschaft auf dem Schild wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Plötzlich erkannte ich, warum. Es kommt tatsächlich auf den Service an – den Dienst, den wir leisten, den Dienst für den Herrn!

Im Buch Mormon lesen wir vom großmütigen König Benjamin. Mit der wahren Demut eines inspirierten Führers spricht er darüber, dass es immer sein Wunsch war, seinem Volk zu dienen und es auf den Pfaden der Rechtschaffenheit zu führen. Dann verkündet er ihnen:

„Weil ich zu euch gesagt habe, dass ich meine Tage in eurem Dienst verbracht habe, [wünsche ich] nicht damit zu prahlen …; denn ich habe nur im Dienste Gottes gestanden.

Und siehe, ich sage euch dies, damit ihr Weisheit lernt, damit ihr lernt, dass, wenn ihr im Dienste eurer Mitmenschen seid, ihr nur im Dienste eures Gottes seid.“ (Mosia 2:16,17.)

Das ist der Dienst, auf den es ankommt, der Dienst, zu dem wir alle berufen sind: der Dienst für den Herrn Jesus Christus.

Auf Ihrem Lebensweg werden Sie feststellen, dass Sie nicht der einzige Reisende sind. Es sind noch andere unterwegs, die Ihre Hilfe brauchen. Da muss Füßen Halt gegeben, eine Hand ergriffen, einem Verstand Mut zugesprochen, ein Herz inspiriert, eine Seele errettet werden.

Vor dreizehn Jahren hatte ich die Ehre, einem wunderhübschen 12- jährigen Mädchen, Jami Palmer, einen Segen zu geben. Man hatte gerade Krebs bei ihr festgestellt, und sie war verängstigt und bestürzt. Sie wurde später operiert und machte eine schmerzhafte Chemotherapie durch. Heute ist sie vom Krebs geheilt und eine aufgeweckte, hübsche Frau von 26 Jahren, die in ihrem Leben viel erreicht hat. Vor einiger Zeit habe ich erfahren, dass die finsterste Stunde, als alle Zukunft irgendwie trostlos schien, die war, als sie erfuhr, dass ihr vom Krebs befallenes Bein mehrfach operiert werden müsse. Eine seit langem geplante Wanderung mit ihrer JD-Klasse, die über einen beschwerlichen Weg zur Timpanogos-Höhle in den Wasatch-Bergen etwa 60 Kilometer südlich von Salt Lake City führen sollte, kam für sie nicht mehr in Frage, dachte sie. Jami sagte ihren Freundinnen, dass sie die Wanderung ohne sie machen müssten. Ich bin sicher, dass ihre Stimme brüchig und ihr Herz voller Enttäuschung war. Doch dann erwiderten die anderenJungen Damen mit Nachdruck: „Nein, Jami, du kommst mit!“

„Aber ich kann nicht gehen“, kam gequält die Antwort.

„Dann tragen wir dich eben bis nach oben, Jami!“ Und das taten sie auch.

Heute ist diese Wanderung Geschichte, aber in Wirklichkeit ist sie viel mehr. Der schottische Dichter James Barrie schrieb einmal: „Gott schenkt uns Erinnerungen, damit wir im Dezember des Lebens noch Rosen aus dem Juni haben.“ (Nach James Barrie, in Laurence J. Peter, Hg., Peter’s Quotations: Ideas for Our Time, Seite 335.) Keines dieser netten jungen Mädchen wird jemals den denkwürdigen Tag vergessen, als der Vater im Himmel liebevoll und zustimmend lächelnd herabschaute und Wohlgefallen an dem hatte, was er sah.

Wenn Gott uns zu seinem Werk beruft, fordert er uns auf, uns ihm zu nahen, und wir verspüren in unserem Leben seinen Geist.

Mögen wir bei unserem Bemühen, ein stabiles Fundament für unser Leben zu legen, an diese herrliche Verheißung Gottes denken:

Sei ruhig, ich bin bei dir; drum fürchte dich nicht,

denn ich bin dein Gott, geb dir Hilfe und Licht.

Ich gebe dir Stärke und sicheren Stand

und halt dich an meiner allmächtigen Hand.

(„How Firm a Foundation“, Hymns, Nr. 85.)

Möge sich ein jeder von uns für diesen Segen bereitmachen, darum bete ich demütig im Namen Jesu Christi, unseres Erlösers. Amen.