2000–2009
Blickt auf Christus, streckt eure Hände zu ihm aus und kommt zu ihm
Oktober 2006


Blickt auf Christus, streckt eure Hände zu ihm aus und kommt zu ihm

Der Messias streckt uns seinen Arm der Barmherzigkeit entgegen, immer bestrebt, uns zu empfangen – wenn wir uns entscheiden, zu ihm zu kommen.

In Minerva Teicherts beeindruckenden Gemälde Christus im roten Gewand steht der Erretter der Menschheit majestätisch mit ausgebreiteten Armen, in den Händen die Nägelmale. Zärtlich und mitfühlend blickt er auf die Frauen hinab, die ihre Hände nach ihm ausstrecken.

Vor allem gefällt mir die Symbolik: Frauen, die ihre Hände nach dem Erretter ausstrecken. Wir sehnen uns danach, dem Herrn nahe zu sein, denn wir wissen, dass er jede von uns liebt und sich wünscht, uns auf ewig mit den Armen seiner Liebe zu umfangen.1 Seine Berührung kann geistige, emotionale und körperliche Leiden heilen. Er ist unser Fürsprecher, unser Vorbild, der gute Hirt, unser Erlöser. Auf wen sonst sollten wir blicken, zu wem sonst unsere Hände ausstrecken, zu wem sonst kommen – wenn nicht zu Jesus Christus, zum „Urheber und Vollender des Glaubens“.2

Er hat verkündet: „Ja, wahrlich, … wenn ihr zu mir kommt, werdet ihr ewiges Leben haben. Siehe, mein Arm der Barmherzigkeit ist euch entgegengestreckt, und wer auch immer kommt, den werde ich empfangen.“3 Seine Verheißung fordert uns nicht nur auf, unsere Hände zu ihm auszustrecken, sondern auch den so bedeutsamen nächsten Schritt zu tun: zu ihm zu kommen.

Dies ist wirklich eine motivierende, aufmunternde Lehre. Der Messias streckt uns seinen Arm der Barmherzigkeit entgegen, immer bestrebt, uns zu empfangen – wenn wir uns entscheiden, zu ihm zu kommen. Wenn wir „mit voller Herzensabsicht“4 zu Christus kommen, dann spüren wir seine liebevolle Berührung auf ganz persönliche Weise.

„Eine Frau“5 traf diese Entscheidung und verspürte seine Berührung. „Darunter war eine Frau, die schon seit zwölf Jahren an Blutungen litt und bisher von niemand geheilt werden konnte.

Sie drängte sich von hinten an ihn heran und berührte den Saum seines Gewandes. Im gleichen Augenblick kam die Blutung zum Stillstand.

Da fragte Jesus: Wer hat mich berührt? Als alle es abstritten, sagten Petrus und seine Gefährten: Meister, die Leute drängen sich doch von allen Seiten um dich und erdrücken dich fast.

Jesus erwiderte: Es hat mich jemand berührt; denn ich fühlte, wie eine Kraft von mir ausströmte.

Als die Frau merkte, dass sie es nicht verheimlichen konnte, kam sie zitternd zu ihm, fiel vor ihm nieder und erzählte vor allen Leuten, warum sie ihn berührt hatte und wie sie durch die Berührung sofort gesund geworden war.

Da sagte er zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“6

Ich habe mich gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn diese Frau, die an Blutungen litt, nicht genug an den Erretter geglaubt hätte, um alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um den Saum seines Gewandes zu berühren. Ich stelle mir vor, dass es in diesem Gedränge schon ein Kunststück war, so dicht an ihn heranzukommen. Sie zweifelte jedoch nicht,7 sondern blieb beharrlich.

Wir müssen auf gleiche Weise zeigen, dass der Glaube an den Herrn tief genug in unser Herz gedrungen ist, um uns zum Handeln zu bewegen.

Eine Freundin hat mir von einer Situation erzählt, in der sie untröstlich war. Sie litt so sehr wegen eines tragischen Ereignisses in der Familie, dass sie an jenem Tag nicht einmal aus dem Haus gehen konnte. Unangemeldet kam eine FHV-Schwester zu ihr und sagte: „Ich hatte das Gefühl, dass du mich brauchst.“ Die Schwester stellte keine weiteren Fragen, sondern nahm meine Freundin einfach in die Arme und fragte sie: „Möchtest du, dass wir ein Gebet sprechen?“ Nach dem Gebet ging die Schwester wieder. Diese liebevolle Berührung und einfühlsame Vorgehensweise trug sehr dazu bei, das gebrochene Herz meiner Freundin zu heilen.

Diese liebevolle FHV-Schwester hörte nicht nur auf den Geist, sondern handelte auch gemäß dieser Eingebung. Sie zeigte wahrhaftig, dass der göttliche Einfluss, der in den Lehren der Errettung zu finden ist, sie so tief berührt hatte, dass sie sich täglich darum bemühte, christlich zu handeln. Ihre Taten spiegelten wider, dass sie wusste, dass „die Liebe niemals aufhört“8.

Präsident Gordon B. Hinckley hat über Sie, Millionen von glaubenstreuen FHV-Schwestern, die ebenso wie diese mitfühlende Schwester die „immerwährende“9 Christusliebe, nämlich die Nächstenliebe, widerspiegeln, gesagt: „Diese wunderbaren und selbstlosen Frauen haben zahllose Male den Leidenden zur Seite gestanden, den Verletzten die Wunden versorgt, den Betrübten Zuspruch und Trost gespendet, … diejenigen, die gestürzt sind, aufgerichtet und ihnen die Kraft, den Mut und den Willen gegeben, weiterzumachen.“10

Eben dieser Wille, voranzugehen, hin zu unserem Erretter, erfordert es manchmal, dass wir auf der Stelle Umkehr üben. Das bedeutet, dass wir erkennen, dass wir Fehler gemacht haben oder etwas nicht getan haben, was wir hätten tun können, um jemanden zu ermutigen oder ihm zu helfen. Diese Kurskorrekturen in Gedanken, Wort oder Tat sind unerlässlich für alle, die den Wunsch haben, zu Christus zu kommen. Sie stehen für einzelne Entscheidungen darüber, wie wir einander wortwörtlich und im übertragenen Sinn berühren können.

Wir nahen uns dem Erretter, wenn wir andere liebevoll in die Arme nehmen. Oder auch nicht. Wir lindern emotionale oder körperliche Wunden. Oder auch nicht. Wir betrachten andere mit liebevollen und nicht mit kritischen Augen. Oder auch nicht. Wir bitten um Vergebung für Schaden, den wir verursacht haben, selbst wenn es unabsichtlich geschah. Oder auch nicht. Wir bewältigen die schwere geistige Arbeit, denjenigen, die uns gekränkt haben, zu vergeben. Oder auch nicht. Wir bringen das, was wir in persönlichen Beziehungen falsch gemacht oder übersehen haben, sofort in Ordnung, wenn es uns bewusst geworden ist. Oder auch nicht.

Wie Sie weiß auch ich, was es bedeutet, grundlegende Kurskorrekturen vorzunehmen. Einmal hatte ich, ohne jede Absicht, eine Schwester in meiner Gemeinde gekränkt. Ich musste diese Sache bereinigen, aber ich muss zugeben, dass mein Stolz mich davon abhielt, zu ihr zu gehen und sie um Verzeihung zu bitten. Familie, andere Verpflichtungen und so weiter – ich fand Wege, meine Umkehr aufzuschieben. Ich war mir sicher, dass sich das Ganze von selbst erledigen würde. Doch das geschah nicht.

Mitten in der Nacht – und das nicht nur in einer Nacht, sondern mehrfach – wachte ich mit der klaren Erkenntnis auf, dass ich nicht den Weg ging, den der Herr für mich vorgesehen hatte. Ich handelte nicht gemäß meines Glaubens, dass sein Arm der Barmherzigkeit mir tatsächlich entgegengestreckt war – sofern ich richtig handelte. Ich betete um Stärke und Mut, demütigte mich, besuchte die Schwester und bat sie um Verzeihung. Es war für uns beide ein schönes, heilendes Erlebnis.

Manchmal ist eine Kurskorrektur ganz unmittelbar, wenn wir beispielsweise unsere eiligen Schritte nach den Versammlungen in der Kirche nicht zum Ausgang lenken, sondern – stattdessen – hinübergehen, um eine einsame Schwester zu begrüßen, von der wir wissen, dass sie lange reden wird. Oft ist die Korrektur jedoch langfristig, wenn wir beispielsweise immer wieder Gefühle der Bitterkeit überwinden, wenn uns Angehörige gedankenlos behandeln, und uns darum bemühen, eine positive Beziehung aufzubauen. Diese einzelnen Kurskorrekturen, entscheidende Momente der Umkehr, schenken regelmäßig „als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit“.11

Da wir nach dieser Frucht der Gerechtigkeit streben, ist es kein Wunder, dass wir – wie die Frauen in Minerva Teicherts herrlichem Kunstwerk – unsere Hände sehnsüchtig und anbetend zum Erretter ausstrecken, denn wir wissen, dass „er den Arm der Barmherzigkeit zu denen ausstreckt, die ihr Vertrauen in ihn setzen“.12 Und da diese herrliche Verheißung wahr ist: Auf wen sonst sollten wir dann blicken, zu wem sonst unsere Hände ausstrecken, zu wem sonst kommen – wenn nicht zu Jesus Christus, dem Licht der Welt, dem Lamm Gottes, dem Messias?

Ich weiß, dass „der Sohn der Rechtschaffenheit sich erheben [wird] mit Heilung in seinen Flügeln“,13 nicht nur für die Frau, die an Blutungen litt, sondern für uns alle. Er wird uns führen und segnen und uns sammeln – wenn wir uns entscheiden, zu ihm zu kommen. Mögen wir dies jeden Tag unseres Lebens tun.

Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Siehe 2 Nephi 1:15

  2. Siehe Hebräer 12:2

  3. Siehe 3 Nephi 9:14

  4. Siehe 3 Nephi 10:6

  5. Siehe Markus 5:25

  6. Lukas 8:43-48

  7. Siehe Jakobus 1:6

  8. Siehe Moroni 7:46

  9. Siehe Moroni 8:17

  10. „Mormone sollte ‚besser‘ heißen“, Der Stern, Januar 1991, Seite 55

  11. Siehe Hebräer 12:11

  12. Mosia 29:20

  13. Siehe 3 Nephi 25:2