2000–2009
Ein Zeugnis
April 2008


Ein Zeugnis

Erkenntnis fördert Gehorsam, und Gehorsam führt zu weiterer Erkenntnis.

Ein Zeugnis vom Evangelium ist die persönliche Erkennt-nis, die der Heilige Geist uns ins Herz gibt, dass bestimmte Tatsachen, die für die Ewigkeit Bedeutung haben, wahr sind, und die Überzeugung, dass sie wahr sind. Zu diesen Tatsachen gehören das Wesen der Gottheit und unsere Beziehung zu deren drei Mitgliedern, die Wirksamkeit des Sühnopfers und die Wirklichkeit der Wiederherstellung.

Ein Zeugnis vom Evangelium ist kein Reisebericht, keine Krankengeschichte und auch kein Liebesbeweis für unsere Angehörigen. Es ist keine Predigt. Präsident Kimball hat gesagt, dass in dem Augenblick, in dem wir anfangen zu predigen, unser Zeugnis beendet ist.1

I.

Wenn wir jemanden Zeugnis geben hören oder vielleicht selbst Zeugnis geben möchten, kommen verschiedene Fragen auf.

  1. In einer Zeugnisversammlung sagt ein Mitglied: „Ich weiß, dass der Vater und der Sohn dem Propheten Joseph Smith erschienen sind.“ Ein Besucher fragt sich: „Was meint er damit, wenn er sagt, dass er das weiß?“

  2. Ein junger Mann, der sich auf seine Mission vorbereitet, fragt sich, ob sein Zeugnis stark genug ist, um als Missionar tätig sein zu können.

  3. Ein Jugendlicher hört das Zeugnis seiner Eltern oder eines Lehrers. Wie hilft ein solches Zeugnis demjenigen, der es hört?

II.

Was meinen wir, wenn wir Zeugnis geben und sagen, dass wir wissen, dass das Evangelium wahr ist? Vergleichen Sie diese Art Wissen mit „Ich weiß, dass es draußen kalt ist“ oder „Ich weiß, dass ich meine Frau liebe“. Hierbei handelt es sich um drei unterschiedliche Arten von Wissen, die man auch jeweils anders erwirbt. Das Wissen über die Außentemperatur lässt sich wissenschaftlich belegen. Das Wissen, dass wir unseren Ehepartner lieben, ist persönlich und subjektiv. Auch wenn es sich nicht wissenschaftlich belegen lässt, ist es doch wichtig. Die Vorstellung, dass alles Wissen, was von Bedeutung ist, auf wissenschaftlichen Beweisen beruht, ist schlicht falsch.

Obwohl es einige „Beweise“ für Evangeliumswahrheiten gibt (siehe beispielsweise Psalm 19:2; Helaman 8:24), liefern wissenschaftliche Methoden keine geistige Erkenntnis. Genau das machte Jesus deutlich, als er auf das Zeugnis von Simon Petrus, dass er der Messias sei, antwortete: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ (Matthäus 16:17.) Der Apostel Paulus hat das erklärt. In einem Brief an die Korinther sagte er: „So erkennt auch keiner Gott – nur [durch den] Geist Gottes.“ (1 Korinther 2:11; siehe auch Johannes 14:17.)

Im Gegensatz dazu erkennen wir alles Menschliche auf menschliche Weise, aber „der irdisch gesinnte Mensch … lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann.“ (1 Korinther 2:14.)

Aus dem Buch Mormon wissen wir, dass Gott uns die Wahrheit von Geistigem durch die Macht des Heiligen Geistes kundtut (siehe Moroni 10:4,5). In neuzeitlicher Offenbarung hat Gott uns verheißen, dass wir dadurch „Kenntnis“ erlangen, dass er sie „durch den Heiligen Geist“ unserem Verstand und unserem Herzen mitteilt (siehe LuB 8:1,2).

Einer der schönsten Aspekte des Plans, den der himmlische Vater für seine Kinder hat, ist, dass jeder von uns für sich selbst wissen kann, dass dieser Plan wahr ist. Dieses offenbarte Wissen beruht nicht auf Büchern, auf wissenschaftlichen Beweisen oder dem, was wir mit unserem Verstand ergründen können. Wie der Apostel Petrus können wir dieses Wissen direkt vom himmlischen Vater erhalten, durch das Zeugnis des Heiligen Geistes.

Wenn wir geistige Wahrheiten durch geistige Mittel erkannt haben, können wir uns dieses Wissens so sicher sein, wie sich Gelehrte und Wissenschaftler der verschiedenen Kenntnisse sicher sind, die sie mit anderen Methoden erlangt haben.

Der Prophet Joseph Smith hat uns ein wunderbares Beispiel dafür gegeben. Als er verfolgt wurde, weil er den Menschen von seiner Vision berichtete, verglich er seine Situation mit der des Apostels Paulus, der verspottet und geschmäht wurde, als er sich vor König Agrippa verteidigte (siehe Apostelgeschichte 26). „Aber das alles tat der Wirklichkeit seiner Vision keinen Abbruch“, sagte Joseph. „Er hatte eine Vision gesehen; er wusste es, und alle Verfolgung unter dem Himmel konnte nichts daran ändern. … So war es auch mit mir“, so fuhr er fort. „Ich hatte tatsächlich ein Licht gesehen, und mitten in dem Licht hatte ich zwei Personen gesehen, und sie hatten wirklich zu mir gesprochen … Ich hatte eine Vision gesehen, das wusste ich; und ich wusste, dass Gott es wusste; und ich konnte es nicht leugnen, und ich wagte es auch gar nicht.“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:24,25.)

III.

Das war das Zeugnis von Joseph Smith. Wie steht es mit unserem? Wie können wir dahin gelangen, dass wir wissen und bezeugen, dass das, was er gesagt hat, wahr ist? Wie erlangt man das, was wir als Zeugnis bezeichnen?

Der erste Schritt, Wissen irgendeiner Art zu erlangen, ist der ernsthafte Wunsch, etwas zu erfahren. Wenn es um geistiges Wissen geht, besteht der nächste Schritt darin, Gott in aufrichtigem Gebet zu bitten. In neuzeitlicher Offenbarung heißt es:

„Wenn du bittest, wirst du Offenbarung um Offenbarung, Erkenntnis um Erkenntnis empfangen, damit du die Geheimnisse und das Friedfertige erkennen mögest – das, was Freude bringt, das, was ewiges Leben bringt.“ (LuB 42:61.)

Alma berichtet, was er getan hat: „Siehe, ich habe viele Tage gefastet und gebetet, um dies für mich selbst wissen zu können. Und nun weiß ich für mich selbst, dass es wahr ist; denn der Herr, Gott, hat es mir durch seinen Heiligen Geist kundgetan.“ (Alma 5:46.)

Wenn wir uns ein Zeugnis wünschen und danach streben, dürfen wir nicht vergessen, dass wir es nicht passiv erwerben können, sondern dass bei diesem Vorgang von uns erwartet wird, dass wir etwas tun. Jesus hat gesagt: „Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, wird erkennen, ob diese Lehre von Gott stammt oder ob ich in meinem eigenen Namen spreche.“ (Johannes 7:17.)

Eine andere Möglichkeit, nach einem Zeugnis zu trachten, erscheint erstaunlich, wenn man sie mit den Methoden vergleicht, wie Wissen auf anderen Gebieten erworben wird. Wir erlangen oder festigen ein Zeugnis, indem wir Zeugnis geben. Jemand hat sogar einmal gesagt, dass manch einer sein Zeugnis eher im Stehen erlangt, während er es gibt, als auf den Knien, während er darum bittet.

Ein persönliches Zeugnis ist grundlegend für unseren Glauben. Entsprechend ist das, was wir tun müssen, um ein Zeugnis zu erlangen, zu festigen und zu bewahren, entscheidend für unser geistiges Leben. Darüber hinaus müssen wir jede Woche vom Abendmahl nehmen (siehe LuB 59:9), um der kostbaren Verheißung würdig zu sein, dass sein Geist immer mit uns sein wird (siehe LuB 20:77). Natürlich ist dieser Geist die Quelle unseres Zeugnisses.

IV.

Wer ein Zeugnis vom wiederhergestellten Evangelium hat, der hat auch die Pflicht, andere daran teilhaben zu lassen. Im Buch Mormon heißt es, dass wir „allzeit und in allem und überall, wo auch immer [wir uns befinden mögen], als Zeugen Gottes“ auftreten sollen (siehe Mosia 18:9).

Eine der eindrucksvollsten Aussagen über die Beziehung zwischen der Gabe eines Zeugnisses und der Pflicht, Zeugnis abzulegen, steht im 46. Abschnitt des Buches Lehre und Bündnisse. In dieser Offenbarung, in der verschiedene geistige Gaben beschrieben werden, heißt es:

„Einigen ist es durch den Heiligen Geist gegeben zu wissen, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist und dass er für die Sünden der Welt gekreuzigt worden ist.

Anderen ist es gegeben, dass sie ihren Worten glauben, damit auch sie ewiges Leben haben können, wenn sie weiterhin treu bleiben.“ (Vers 13,14; siehe auch Johannes 20:29.)

Diejenigen, die die Gabe haben, zu wissen, haben offensichtlich die Pflicht, Zeugnis abzulegen, damit diejenigen, die die Gabe haben, ihren Worten zu glauben, ebenfalls ewiges Leben haben können.

Noch nie zuvor war es so dringend erforderlich, dass wir privat und öffentlich unseren Glauben bekunden (siehe LuB 60:2). Auch wenn einige sich als Atheisten bezeichnen, gibt es doch viele, die für weitere Wahrheiten über Gott offen sind. Gegenüber diesen aufrichtig Suchenden müssen wir bekräftigen, dass Gott, der ewige Vater, existiert, dass die Mission unseres Herrn und Erretters, Jesus Christus, göttlich ist und dass die Wiederherstellung tatsächlich stattgefunden hat. Wir müssen tapfer zu unserem Zeugnis von Jesus stehen. Ein jeder von uns hat viele Gelegenheiten, Freunden und Nachbarn, Kollegen und Bekannten seine geistige Überzeugung kundzutun. Wir müssen diese Gelegenheiten nutzen, um unsere Liebe zum Erlöser, unser Zeugnis von seiner göttlichen Mission und unsere Entschlossenheit, ihm zu dienen, zum Ausdruck zu bringen.2 Auch unsere Kinder sollen uns häufig Zeugnis geben hören. Wir müssen unsere Kinder auch dadurch stärken, dass wir sie ermutigen, sich selbst über ihr wachsendes Zeugnis zu definieren und nicht nur über die Anerkennung, die sie durch ein Stipendium, durch sportliche oder schulische Leistungen erhalten.

V.

Wir leben in einer Zeit, in der einige den Glauben derer, die sie als Mormonen bezeichnen, falsch darstellen und uns sogar wegen unseres Glaubens verunglimpfen. Wenn wir auf solche Fehldarstellungen stoßen, ist es unsere Pflicht, uns zu äußern und unsere Lehre und das, woran wir glauben, klarzustellen. Wir müssen unsere Glaubensansichten selbst zum Ausdruck bringen, statt zuzulassen, dass andere mit ihren Fehldarstellungen das letzte Wort haben. Hier ist unser Zeugnis gefordert, das wir einem Bekannten in einem Gespräch geben oder das wir in einer kleinen oder einer großen Zusammenkunft öffentlich geben. Wenn wir Zeugnis von der Wahrheit geben, die wir erkannt haben, müssen wir, wie es uns aufgetragen ist, „voll Milde und voll Sanftmut“ sprechen (siehe LuB 38:41). Wir dürfen niemals überheblich sein, herumschreien oder andere schmähen. Wie der Apostel Paulus sagte, müssen wir uns von der Liebe leiten lassen, wenn wir die Wahrheit verkünden (siehe Epheser 4:15). Nicht jeder muss unserem Zeugnis zustimmen, aber niemand kann es widerlegen.

VI.

Abschließend möchte ich auf die Beziehung zwischen Gehorsam und Erkenntnis eingehen. Manchmal wird den Mitgliedern, die ein Zeugnis haben und ihr Handeln unter der Leitung ihrer kirchlichen Führer danach ausrichten, blinder Gehorsam vorgeworfen.

Gewiss, wir haben Führer und müssen uns natürlich an ihre Entscheidungen und Anweisungen halten, wenn es darum geht, wie die Kirche zu organisieren ist und wie die erforderlichen heiligen Handlungen des Priestertums vollzogen werden. Aber wenn es darum geht, die Wahrheit des Evangeliums zu erfahren und zu erkennen – um unser persönliches Zeugnis –, dann hat jeder von uns eine direkte Beziehung zu Gott, dem ewigen Vater, und zu seinem Sohn, Jesus Christus, und zwar durch das machtvolle Zeugnis des Heiligen Geistes. Das können unsere Kritiker nicht verstehen. Es ist ihnen ein Rätsel, dass wir vereint den Führern der Kirche folgen und doch jeder für sich, ganz unabhängig, Erkenntnis besitzt.

Vielleicht lässt sich dieses Rätsel dadurch erklären, dass jeder von uns zwei verschiedene Verbindungswege zu Gott hat. Einmal gibt es den Verbindungsweg der Führung durch unseren Propheten und andere Führer der Kirche. Dieser Verbindungsweg, bei dem es um die Lehre, die Verordnungen und die Gebote geht, mündet in Gehorsam. Dann gibt es noch einen anderen, ganz direkten Verbindungsweg zu Gott, nämlich unser persönliches Zeugnis. Dabei geht es darum, dass es Gott wirklich gibt, um unsere Beziehung zu ihm und darum, dass sein wiederhergestelltes Evangelium wahr ist. Dieser Verbindungsweg mündet in Erkenntnis. Beide Verbindungswege verstärken einander: Erkenntnis fördert Gehorsam (siehe Deuteronomium 5:27; Mose 5:11), und Gehorsam führt zu weiterer Erkenntnis (siehe Johannes 7:17; LuB 93:1).

Wir alle handeln gemäß unserer Erkenntnis, wir gehorchen ihr. Ob in Wissenschaft oder Religion: Es ist kein blinder Gehorsam, wenn wir gemäß einer Erkenntnis handeln, die einen Bezug zum Gegenstand unseres Tuns hat. Ein Wissenschaftler lässt sich eine zuverlässige Bescheinigung über den Inhalt oder die Bedingungen eines bestimmten Experiments geben und handelt dann entsprechend. Für einen Gläubigen ist, in Fragen der Religion, die Quelle der Erkenntnis geistiger Natur, aber das Prinzip ist das Gleiche. Wenn wir als Heilige der Letzten Tage im Herzen ein Zeugnis vom Heiligen Geist erhalten, dass das wiederhergestellte Evangelium wahr ist und Gott in unserer Zeit einen Propheten berufen hat, dann ist unsere Entscheidung, diesen Lehren zu folgen, kein blinder Gehorsam.

Wann immer wir Zeugnis geben, dürfen wir nicht hochmütig oder stolz sein. Denken wir an die Zurechtweisung im Buch Mormon, die einem Volk erteilt wurde, das so stolz war auf das, was Gott ihm gegeben hatte, dass es seine Nächsten bedrängte (siehe Jakob 2:20). Jakob sagte, „dass so etwas für [Gott], der alles Fleisch erschaffen hat, ein Gräuel ist“, denn „das eine Geschöpf ist in seinen Augen ebenso kostbar wie das andere“ (Jakob 2:21). Später mahnte Alma: „Ihr sollt nicht ein Fleisch höher schätzen als das andere, noch soll ein Mensch sich höher dünken als der andere.“ (Mosia 23:7.)

Ich schließe mit meinem Zeugnis. Ich weiß, dass wir einen himmlischen Vater haben, dessen Plan uns auf die Erde bringt und die Bedingungen und das Ziel unserer ewigen Reise festlegt. Ich weiß, dass wir einen Erlöser haben, Jesus Christus, dessen Lehren den Plan erklären, und dessen Sühnopfer uns die Unsterblichkeit sichert und uns ewiges Leben ermöglicht. Ich weiß, dass der Vater und der Sohn dem Propheten Joseph Smith erschienen sind, um die Fülle des Evangeliums in diesen Letzten Tagen wiederherzustellen. Und ich weiß, dass wir heute von einem Propheten geführt werden, Präsident Thomas S. Monson, der die Schlüssel innehat, Priestertumsträger zu ermächtigen, die heiligen Handlungen zu vollziehen, die für unseren Fortschritt hin zum ewigen Leben vorgeschrieben sind. Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Siehe The Teachings of Spencer W. Kimball, Hg. Edward L. Kimball, 1982, Seite 138

  2. Siehe beispielsweise Jeanne Newman, „Dem Ton einer Posaune gleich“, Der Stern, August 1985, Seite 21ff.