2000–2009
Wie sich ein Zeugnis entwickelt
Oktober 2008


Wie sich ein Zeugnis entwickelt

Eine Bestätigung durch die sanfte, leise Stimme kann manchmal eine größere Wirkung auf unser Zeugnis haben als das Erscheinen eines Engels.

Als ich vor einigen Jahren als Gebietssiebziger in Brasilien diente, verbrachten meine Familie und ich unseren Urlaub in der schönen Stadt Florianópolis. Wie üblich gingen wir am Sonntag zur nächstgelegenen Gemeinde. Meine Frau und ich und unsere älteste Tochter besuchten den Sonntagsschulunterricht. Dort wurde über unser persönliches Zeugnis vom Evangelium gesprochen.

Irgendwann im Laufe des Unterrichts forderte die Lehrerin die Unterrichtsteilnehmer auf, von einem machtvollen geistigen Erlebnis zu erzählen, das sie hatten, als sich ihr Zeugnis von der Kirche entwickelte. Während einige Brüder und Schwestern von ihren Erlebnissen berichteten, ging ich in Gedanken meine eigenen Erfahrungen als Bekehrter durch und überlegte, was ich erzählen könnte, aber mir fiel nichts sonderlich Außergewöhnliches zur Entstehung meines Zeugnisses ein.

Als ich so nachdachte und den Erfahrungen der anderen zuhörte, merkte ich, dass die Lehrerin einen Beitrag von mir erwartete. Sie hörte den anderen Mitgliedern zu und machte mir deutlich, dass sie darauf wartete, von meinem großartigen Erlebnis zu hören. Schließlich war ich Gebietssiebziger und sollte etwas Beeindruckendes mitzuteilen haben. Da ich spürte, dass die Zeit verstrich und die Lehrerin auf meinen Beitrag wartete, strengte ich mich noch mehr an, etwas zu finden, was in diese Kategorie eines machtvollen Ereignisses passte, doch zur Enttäuschung der Lehrerin fiel mir nichts ein. So sehr ich ihr auch helfen wollte, ich konnte ihre Erwartung nicht erfüllen.

Glücklicherweise war es ein Fastsonntag, und ich nahm in der Abendmahlsversammlung die Gelegenheit wahr, den Versammelten und vor allem dieser Schwester und ihrer Sonntagsschulklasse mein Zeugnis zu geben. Ich berichtete von keinem bemerkenswerten Erlebnis, sondern gab aus tiefstem Herzen Zeugnis von den Wahrheiten des wiederhergestellten Evangeliums.

Manchmal meinen wir, wir bräuchten ein bedeutendes, machtvolles Erlebnis, um ein Zeugnis von der Kirche zu erlangen, oder ein einmaliges Ereignis, das jeden Zweifel, ob wir wirklich eine Antwort oder Bestätigung erhalten haben, auslöscht.

Präsident Boyd K. Packer hat deutlich gemacht: „Die Stimme des Geistes wird in den heiligen Schriften als weder laut noch rau beschrieben. … Es ist ‚nicht eine Stimme des Donners …, auch nicht eine Stimme von großem, heftigem Lärm‘, sondern ‚eine leise Stimme von vollkommener Milde, gleichwie ein Flüstern‘ und sie kann ‚bis tief in die Seele‘ dringen … und ‚das Herz brennen‘ lassen. … [Siehe 3 Nephi 11:3; Helaman 5:30; LuB 85:6,7.] [Denken wir] daran, dass Elija die Stimme des Herrn weder im Sturm noch im Erdbeben oder im Feuer vernahm, sondern als ‚sanftes, leises Säuseln‘ (1 Könige 19:12).“

Präsident Packer fuhr fort: „Der Geist erregt unsere Aufmerksamkeit nicht, indem er laut ruft oder uns kräftig schüttelt. Stattdessen flüstert er. Er tut sich so sanft kund, dass wir ihn vielleicht gar nicht bemerken, wenn wir zu beschäftigt sind. …

Gelegentlich wird er uns gerade so viel drängen, dass wir ihm Beachtung schenken. Meistens jedoch, wenn wir dem sanften Gefühl keine Beachtung schenken, wird sich der Geist zurückziehen und warten, bis wir suchen und horchen und auf unsere Art und Weise sagen, was auch Samuel vor alters sagte: ‚Rede, [Herr,] denn dein Diener hört.‘ (1 Samuel 3:10.)“ („Wie man geistige Erkenntnis erlangen kann“, Liahona, Januar 2007, Seite 16.)

Große Ereignisse sind keine Garantie dafür, dass unser Zeugnis stark sein wird. Laman und Lemuel sind ein gutes Beispiel dafür. Ihnen erschienen Engel und selbst dann, fast schon eine Minute später, stellten sie den Willen des Herrn in Frage. Auch von manchen bedeutenden Führern in den Letzten Tagen können wir etwas über diesen Grundsatz lernen. Sie wurden zu Beginn der Wiederherstellung aus der Höhe belehrt und waren dennoch nicht stark genug, bis ans Ende auszuharren. Diese Erfahrungen zeigen uns, dass eine Bestätigung durch die sanfte, leise Stimme manchmal eine größere Wirkung auf unser Zeugnis haben kann als das Erscheinen eines Engels.

Als junger Mann in Porto Alegre in Brasilien lernte ich von zwei Missionarinnen vieles über die Kirche. Ich weiß noch, dass ich auf eine Antwort auf meine Gebete wartete – auf ein großes, unbestreitbares Erlebnis. Doch dazu kam es nie. Das bedeutet nicht, dass ich nicht genügend Gewissheit entwickelt hätte, um mich der wiederhergestellten Kirche anzuschließen.

Alma erklärt, wie man ein Zeugnis nährt: „Aber siehe, wenn ihr eure Geisteskraft weckt und aufrüttelt, um mit meinen Worten auch nur einen Versuch zu machen, und zu einem kleinen Teil Glauben ausübt, ja, selbst wenn ihr nicht mehr könnt, als dass ihr den Wunsch habt zu glauben“, – und ich glaube, das war bei mir als Untersucher der Fall – „dann lasst diesen Wunsch in euch wirken, ja, bis ihr auf eine Weise glaubt, sodass ihr einem Teil meiner Worte Raum geben könnt.“ (Alma 32:27.)

All meine Erfahrungen seit jenen Tagen als Untersucher der Kirche und später als Missionar und noch später als Vater und Priestertumsführer bildeten zusammen eine Sammlung von Erfahrungen und zumeist sanften Gefühlen, die keinen Zweifel daran lassen, dass das Samenkorn „ein gutes Samenkorn ist“ (siehe Alma 32:30).

Alma erklärte zur Entstehung des Zeugnisses weiter: „Nun wollen wir das Wort mit einem Samenkorn vergleichen. Wenn ihr nun Raum gebt, dass ein Samenkorn in euer Herz gepflanzt werden kann, siehe, wenn es ein wahres Samenkorn oder ein gutes Samenkorn ist, wenn ihr es nicht durch euren Unglauben ausstoßt, sodass ihr dem Geist des Herrn Widerstand leistet, siehe, so wird es anfangen, in eurer Brust zu schwellen; und wenn ihr dieses Schwellen spürt, so werdet ihr anfangen, in euch zu sagen: Es muss notwendigerweise so sein, dass dies ein gutes Samenkorn ist oder dass das Wort gut ist, denn es fängt an, meine Seele zu erweitern; ja, es fängt an, mein Verständnis zu erleuchten; ja, es fängt an, mir köstlich zu sein.“ (Alma 32:28.)

Manche Menschen erlangen ihr Zeugnis also vielleicht durch ein einmaliges und unbestreitbares Ereignis. Andere hingegen erlangen ihr Zeugnis durch eine ganze Reihe von Erfahrungen, die vielleicht nicht so bemerkenswert sind, zusammengenommen aber zweifelsfrei bezeugen, dass das, was wir gelernt und wonach wir gelebt haben, wahr ist.

Heute, nach vielen Jahren als Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, kann ich mich wahrscheinlich an die meisten der vielen Erlebnisse, die mein Zeugnis geprägt haben, nicht mehr erinnern. Dennoch haben all diese Erfahrungen ihre Spuren hinterlassen und zu meinem Zeugnis von der wiederhergestellten Kirche beigetragen. Heute besitze ich eine absolute Gewissheit von den Wahrheiten des Evangeliums Jesu Christi.

Ich möchte gerne schließen, indem ich nicht nur der Schwester, die jene Sonntagsschulklasse unterrichtete, sondern Ihnen allen mein Zeugnis zum Ausdruck bringe. Ich weiß, dass unser himmlischer Vater lebt. Ich weiß, dass er uns liebt. Wir sind seine Kinder. Er hört unsere Gebete. Ich weiß, dass Jesus Christus unser Erretter ist. Er ist gestorben, er ist auferstanden und er hat für unsere Sünden gesühnt. Sein Sühnopfer ist mir jeden Tag meines Lebens ein Segen.

Ich bezeuge, dass die Kirche Jesu Christi in diesen Letzten Tagen durch den Propheten Joseph Smith wiederhergestellt worden ist. Er war ein Prophet Gottes. Ich weiß, dass wir heute von einem lebenden Propheten, Präsident Thomas S. Monson, geführt werden. Ich weiß, dass er ein Prophet für unsere Zeit ist, so wie Mose, Abraham und Jesaja Propheten für ihre Zeit waren.

Das Buch Mormon ist wie die Bibel das Wort Gottes und ein weiterer Zeuge für den Erretter. Ich weiß, dass die Macht des Priestertums wiederhergestellt wurde und vielen Heiligen auf der ganzen Welt ein Segen ist. Und das alles bezeuge ich im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.