2000–2009
Achtung und Ehrfurcht
April 2009


Achtung und Ehrfurcht

Wir müssen bei uns zu Hause und in unseren Klassenräumen auf gegenseitige Achtung und Ehrfurcht vor Gott Wert legen.

Im letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir von einem liebevollen Gespräch zwischen Petrus und dem auferstandenen Christus. Dreimal fragt der Erretter: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?“ Und jedes Mal, wenn Petrus ihm versichert, dass er ihn liebt, sagt Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“1

In der heutigen Welt ist es dringend notwendig, die Seele unserer Kinder und Jugendlichen mit „lebendigem Wasser“2 und dem „Brot des Lebens“3 zu nähren. Wie Petrus lieben auch wir den Herrn, und deshalb bemühen sich heute Eltern und Führer eifrig, in jedes Herz ein Zeugnis von Jesus Christus und seinem Evangelium zu pflanzen. Wir lehren in der Familie, bei der Missionsarbeit und in den Kapellen und Klassenräumen unserer Gemeindehäuser. Wir bereiten uns vor und bitten darum, dass der Heilige Geist bei uns ist. Wenn es uns aber wirklich gelingen soll, die Lämmer und Schafe des Herrn mit einem Zeugnis und dem Heiligen Geist zu nähren, müssen wir außerdem bei uns zu Hause und in unseren Klassenräumen auf gegenseitige Achtung und Ehrfurcht vor Gott Wert legen.

Meine Bitte an Eltern, Lehrer und Führer lautet heute: Arbeiten wir gemeinsam daran, Achtung und Ehrfurcht zu lehren, vorzuleben und zu fördern, damit unsere Kinder und Jugendlichen gestärkt werden und der Geist der Andacht bei uns zu Hause und in der Kirche zugegen sein kann.

Ich meine, dass unsere Fähigkeit, Ehrfurcht vor Gott vorzuleben, und auch unsere Glaubwürdigkeit zunehmen, wenn wir einander mit Achtung begegnen. In der heutigen Gesellschaft werden Anstand, Würde und Höflichkeit von allen Seiten und in allen Medien angegriffen. Für unsere Jugendlichen und Kinder ist unser Beispiel äußerst wichtig – wie wir, Eltern und Führer, unseren Mitmenschen Achtung erweisen –, denn sie sehen nicht nur die Medien, sondern beobachten auch uns! Sind wir das Vorbild, das wir sein sollen?

Stellen Sie sich selbst diese Fragen: Bin ich zu Hause ein Vorbild, indem ich die Menschen, die ich am meisten liebe, mit Achtung behandle? Wie benehme ich mich bei einer Sportveranstaltung? Wenn mein Kind mit einem Lehrer, einem Trainer oder einem Gleichaltrigen eine Meinungsverschiedenheit hat, höre ich mir dann beide Seiten an? Achte ich das Eigentum anderer und gehe ich auch sorgfältig mit meinem um? Wie verhalte ich mich gegenüber Menschen, mit deren Ansichten über Religion, Lebensstil oder Politik ich nicht übereinstimme?

Wenn wir als Eltern und Lehrer Achtung vorleben und lehren, festigen wir im Herzen unserer Kinder die Überzeugung, dass jeder von uns wahrhaftig ein Kind Gottes ist und wir in alle Ewigkeit Brüder und Schwestern sind. Anstatt auf die Unterschiede konzentrieren wir uns auf das, was wir gemeinsam haben – auf die Eigenschaften des Herzens, die die Familie Gottes verbinden.

Gegenseitige Achtung und Ehrfurcht vor Gott sind eng miteinander verwandt. Sie sind in der Demut und der Liebe verwurzelt. Präsident David O. McKay sagte, dass „Ehrfurcht tiefe Achtung, gepaart mit Liebe“4 sei, und Elder L. Tom Perry erklärte, dass „Ehrfurcht aus unserer Bewunderung und Achtung, die wir für die Gottheit empfinden, entsteht“.5 PV-Kinder erfahren etwas über diesen Gedanken, wenn sie diese Strophe eines PV- Liedes singen:

Andacht ist mehr als nur ruhig zu sitzen,

denn Andacht ist Liebe zum Herrn.

Dem himmlischen Vater fühl ich mich ganz nahe,

ich denke an ihn ja so gern.6

Den meisten Kindern ist Andacht jedoch nicht angeboren. Sie ist eine Eigenschaft, die sie durch beispielhafte Eltern und Führer und durch Übung lernen. Bedenken Sie jedoch: Wenn Ehrfurcht in der Liebe verwurzelt ist, dann muss sie auch mit Liebe vermittelt werden. Jegliche Härte in unserer Erziehung führt zu Unmut, nicht zu Ehrfurcht. Beginnen Sie also frühzeitig und erwarten Sie nicht zu viel. Ein Kleinkind kann durchaus lernen, die Arme zu verschränken und sich fürs Gebet bereit zu machen. Doch dies erfordert Zeit, Geduld und Beständigkeit. Denken wir daran, dass das Kind nicht nur zum ersten Mal etwas über Ehrfurcht erfährt, sondern womöglich auch zum ersten Mal versuchen muss, Selbstdisziplin zu üben.

Dieser Lehrvorgang und die Entwicklung von Selbstdisziplin erfolgt Zeile um Zeile und Weisung um Weisung. Auf diese Weise lernt ein Kind, während der Gebete und des Abendmahls andächtig zu sein. Es sitzt während der Versammlung bei seinen Eltern. Später dann, wenn es lernt, zu fasten, das Wort der Weisheit zu befolgen, im Umgang mit dem Internet eine gute Wahl zu treffen und das Gesetz der Keuschheit zu halten, wächst seine Selbstdisziplin. Das ist bei uns allen so: Unsere Fähigkeiten und unser Verständnis nehmen zu. Wir helfen unseren Kindern und Jugendlichen, wenn wir ihnen ein Vorbild sind, sie lehren und sie in diesem Lernvorgang anspornen, denn Selbstbeherrschung ist nicht nur die Basis für Selbstachtung, sondern auch notwendig dafür, dass der Heilige Geist uns lehren, uns etwas bestätigen und Zeugnis geben kann.

Ich erinnere mich an eine Ansprache, die Präsident Boyd K. Packer vor beinahe zwanzig Jahren bei der Generalkonferenz hielt. Sie hatte den Titel „Ehrfurcht führt zu Offenbarung“.7 Diesen Satz habe ich all die Jahre in meinem Herzen bewahrt. Er erinnert mich daran, dass wir in unserem Herzen, in unserer Familie und in unseren Versammlungen Stätten der Andacht schaffen müssen, die es ermöglichen, dass der Heilige Geist uns tröstet, führt, lehrt und Zeugnis gibt. Denn wenn der Heilige Geist jedem von uns bezeugt, dass Gott unser Vater und Jesus Christus unser Erlöser ist, dann ist das genau die Offenbarung, die zu wahrer, aus Liebe und tiefer Achtung entstandener Ehrfurcht führt.

Was können wir also als Eltern und Führer tun? Wir können Ehrfurcht vorleben, indem wir demütig beten, eine dem Gebet angemessene Ausdrucksweise benutzen und die Namen der Gottheit aussprechen, wie es sich gehört. Wir können mit den heiligen Schriften behutsam umgehen und mit Überzeugung aus ihnen lehren.

Die Ehrfurcht wird zunehmen, wenn wir nicht nur den Generalautoritäten, sondern auch den örtlichen Priestertumsführern und Hilfsorganisationsleitern mit der gebührenden nötigen Achtung begegnen. Meinen Pfahlpräsidenten kenne ich sehr gut, seit über dreißig Jahren ist er ein guter Freund, und wir reden uns mit Vornamen an. Aber jetzt, in seiner Berufung als Priestertumsführer, bemühe ich mich ganz bewusst – in der Öffentlichkeit und auf jeden Fall auch in der Kirche –, von ihm als Präsident Porter zu sprechen. Wenn wir unseren Kindern und Jugendlichen beibringen, dass es sich gehört, Führer der Kirche als Präsident, Bischof, Bruder oder Schwester anzusprechen, nehmen Respekt und Ehrfurcht zu. Außerdem vermitteln wir dadurch die Lehre, dass die Führer der Kirche von Gott berufen sind und ihnen heilige Aufgaben übertragen wurden.

Als Eltern und Führer müssen wir beispielhaft zeigen, was ehrfürchtiges Verhalten in unseren Versammlungen bedeutet. Die Kapelle dient unterschiedlichen Zwecken, aber am Sonntag ist sie ein Ort der Gottesverehrung. Wir versammeln uns, um Bündnisse zu erneuern, die unsere Seele heilen. Wir kommen, um die Lehre zu lernen und unser Zeugnis zu stärken. Missionare bringen Untersucher mit. Nur in einer andächtigen Atmosphäre kann der Heilige Geist die wahren Lehren des Evangeliums, die durch Gottes Wort, Musik, Zeugnisse und Gebete verkündet werden, bestätigen.

Wir sind ein freundliches Volk und mögen einander, doch die Andacht wird zunehmen, wenn wir uns außerhalb der Kapelle unterhalten und wenn die Abendmahlsversammlung mit dem musikalischen Vorspiel beginnt und nicht erst mit dem Anfangsgebet. Wir tragen zur Andacht bei, wenn wir mit einem weinenden Kind die Kapelle verlassen und in einen anderen Raum gehen, wo wir die Versammlung weiterverfolgen können, bis das Baby oder das unruhige Kind sich beruhigt hat. Andacht bedeutet auch, dass man das Handy und andere elektronische Geräte abstellt. In einer Versammlung der Kirche SMS zu schreiben oder E-Mails zu lesen, zeigt nicht nur einen Mangel an Ehrfurcht, sondern lenkt auch ab und stellt eine Respektlosigkeit gegenüber den Umsitzenden dar. Wir leben Andacht also vor, indem wir an der Versammlung teilnehmen, den Sprechern zuhören und gemeinsam die Lieder Zions singen.

Unsere Lehrer in der Primarvereinigung, der Sonntagsschule und in den Programmen für die Jugendlichen haben viele Möglichkeiten, Achtung und Ehrfurcht zu lehren und vorzuleben. Ich möchte dazu einige Anregungen geben.

Zuallererst müssen wir Liebe für unsere Schüler entwickeln. Oft braucht das Kind, das am meisten stört, Ihre Liebe am dringendsten.

Nehmen Sie sich Zeit zu erklären, was Andacht bedeutet und warum sie wichtig ist. Zeigen Sie ein Bild vom Erlöser. Sprechen Sie darüber, welches Verhalten Sie erwarten, und seien Sie dann liebevoll und konsequent, wenn Sie dieses Verhalten nicht nur fördern, sondern auch erwarten.

Seien Sie vorbereitet. Bereiten Sie nicht nur das Unterrichtsmaterial vor, sondern bereiten Sie sich selbst darauf vor, mit dem Geist zu lehren. Viele Probleme mit der Andacht können durch einen gut vorbereiteten Unterricht, an dem die Schüler beteiligt sind, gelöst werden.

Sprechen Sie mit den Eltern behinderter Kinder, um festzustellen, was man von dem Kind erwarten kann, denn jedes Kind verdient die Chance, Fortschritt zu machen.

Nutzen Sie die Einrichtungen der Gemeinde, um Unterstützung zu erhalten. Wenn Kinder oder Jugendliche Schwierigkeiten mit der Andacht haben, dann ist dies oft ein Problem der ganzen Gemeinde. Sprechen Sie Ihre Bedenken im Gemeinderat an, wo die Führungskräfte der Gemeinde zusammen daran arbeiten können, auf allen Ebenen Achtung und Ehrfurcht zu verbessern.8

Vor Jahren verhieß Präsident Packer denjenigen, die ehrfürchtig am Gottesdienst teilnehmen, die Segnungen des Herrn. Gewiss sind diese Verheißungen auch heute gültig: „Wir werden zwar gewiss keine sofortige wundersame Wandlung erleben, aber, so wahr der Herr lebt, es wird eine leise Wandlung stattfinden. Die geistige Kraft im Leben der Mitglieder und in der Kirche wird zunehmen. Der Herr wird seinen Geist reichlicher über uns ausgießen. Wir werden weniger beunruhigt, weniger verwirrt sein. Wir werden offenbarte Antworten auf persönliche und familiäre Probleme finden.“9

Ich glaube den Verheißungen eines Propheten. Ich weiß, dass ich einen lieben Vater im Himmel habe und dass sein Sohn, Jesus Christus, mein Erlöser ist. Ich bete darum, dass unsere Ehrfurcht zunimmt und unsere tiefe Liebe zu ihnen widerspiegelt und dass wir uns dadurch auch mehr bemühen, ihre Schafe zu weiden. Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Siehe Johannes 21:15-17

  2. Siehe Johannes 4:10-14

  3. Johannes 6:48

  4. David O. McKay, Frühjahrs- Generalkonferenz 1967

  5. L. Tom Perry, „Serve God Acceptably with Reverence and Godly Fear“, Ensign, November 1990, Seite 70

  6. „Andacht ist Liebe“, Liederbuch für Kinder, Seite 12

  7. Siehe Boyd K. Packer, „Ehrfurcht führt zu Offenbarung“, Der Stern, Januar 1992, Seite 19ff.

  8. Lehren, die größte Berufung, Seite 79-87

  9. Der Stern, Januar 1992, Seite 21