2010–2019
Der Geist der Offenbarung
April 2011


Der Geist der Offenbarung

Es gibt den Geist der Offenbarung wirklich – er kann in jedem von uns und in der Kirche wirken und tut dies auch.

Ich bin dankbar, dass das Lied, das nach meinen Worten gesungen wird, mit Inspiration ausgewählt wurde: „Have I Done Any Good?“ [Auch: Habe ich es gut gemacht?] (Hymns, Nr. 223.) Ich habe den Hinweis verstanden.

Ich möchte Sie bitten, sich zwei Erfahrungen vor Augen zu führen, die die meisten von uns schon einmal mit Licht gemacht haben.

Die eine Erfahrung macht man, wenn man ein dunkles Zimmer betritt und den Lichtschalter betätigt. Denken Sie daran, wie augenblicklich eine gleißende Flut den Raum erleuchtet, sodass die Dunkelheit weicht. Was zuvor kaum oder gar nicht zu sehen war, tritt nun klar und deutlich hervor. Für diese Erfahrung ist es typisch, wie plötzlich und intensiv man das Licht wahrnimmt.

Die andere Erfahrung macht man, wenn man den anbrechenden Tag beobachtet. Können Sie sich vorstellen, wie das Licht am Horizont langsam und fast unmerklich stärker wird? Im Gegensatz zu dem Licht, das man in einem dunklen Raum einschaltet, bricht das Licht beim Sonnenaufgang nicht plötzlich hervor. Vielmehr wird es allmählich und kontinuierlich immer heller, und die dunkle Nacht weicht einem strahlenden Morgen. Schließlich geht die Sonne am Horizont auf. Der sichtbare Beweis des bevorstehenden Sonnenaufgangs zeigt sich jedoch bereits Stunden bevor die Sonne tatsächlich am Horizont erscheint. Für diese Erfahrung ist es typisch, wie sacht und allmählich man das Licht wahrnimmt.

Aus diesen beiden alltäglichen Erfahrungen mit Licht wird uns viel über den Geist der Offenbarung klar. Ich bete darum, dass der Heilige Geist uns inspiriert und leitet, wenn wir uns nun mit dem Geist der Offenbarung und den Grundmustern befassen, wie man Offenbarung empfängt.

Der Geist der Offenbarung

Offenbarung ist die Kommunikation zwischen Gott und seinen Kindern hier auf Erden. Sie ist eine der größten Segnungen, die man mit der Gabe und mit der Gegenwart des Heiligen Geistes verbindet. Der Prophet Joseph Smith sagte: „Der Heilige Geist ist ein Offenbarer“ und „Niemand kann den Heiligen Geist empfangen, ohne auch Offenbarung zu erhalten.“ (Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph Smith, Seite 145.)

Der Geist der Offenbarung ist jedem zugänglich, der durch die rechte Priestertumsvollmacht zwei errettende heilige Handlungen, nämlich die Taufe durch Untertauchen zur Sündenvergebung und die Gabe des Heiligen Geistes durch Händeauflegen, empfangen hat – und der voller Glauben der Aufforderung nachkommt, die durch das Priestertum ausgesprochen wird: „Empfange den Heiligen Geist.“ Diese Segnung ist nicht den präsidierenden Beamten der Kirche vorbehalten; vielmehr können und sollen alle, die heilige Bündnisse eingegangen sind, jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, das das Alter der Verantwortlichkeit erreicht hat, diese Segnung empfangen und daran teilhaben. Durch den aufrichtigen Wunsch und unsere Würdigkeit öffnen wir uns dem Geist der Offenbarung.

Joseph Smith und Oliver Cowdery machten bei der Übersetzung des Buches Mormon eine wertvolle Erfahrung mit dem Geist der Offenbarung. Diese Brüder lernten, dass sie jede Erkenntnis erlangen konnten, die notwendig war, um ihre Arbeit zu vollenden, wenn sie voll Glauben und mit aufrichtigem Herzen darum baten und daran glaubten, dass sie sie empfangen würden. Im Laufe der Zeit wurde ihnen klar, dass der Geist der Offenbarung sich normalerweise darin zeigt, dass einem durch die Macht des Heiligen Geistes Gedanken und Gefühle in den Verstand und ins Herz kommen (siehe LuB 8:1,2; 100:5-8). Der Herr wies sie an: „Nun siehe, dies ist der Geist der Offenbarung; siehe, dies ist der Geist, durch den Mose die Kinder Israel auf trockenem Grund durch das Rote Meer führte. Darum ist dies deine Gabe; mache davon Gebrauch.“ (LuB 8:3,4.)

Ich möchte die Worte „davon Gebrauch machen“ in Bezug auf den Geist der Offenbarung hervorheben. In den heiligen Schriften wird das Wirken des Heiligen Geistes häufig als „leise, sanfte Stimme“ (1 Könige 19:12; siehe auch 1 Nephi 17:45 und 3 Nephi 11:3) und als „Stimme von vollkommener Milde“ (Helaman 5:30) beschrieben. Da uns der Geist auf sanfte und zarte Weise zuflüstert, ist es verständlich, warum wir schlechte Medien, Pornografie und schädliche, abhängig machende Substanzen und Verhaltensweisen meiden sollen. Diese Mittel des Widersachers können unsere Fähigkeit, die leisen Botschaften, die Gott uns durch die Macht seines Geistes eingibt, zu erkennen und danach zu handeln, schwächen und schließlich zerstören. Wir alle müssen uns ernsthaft und gebeterfüllt überlegen, wie wir die Verlockungen des Teufels zurückweisen und auf rechtschaffene Weise vom Geist der Offenbarung Gebrauch machen können – persönlich sowie in der Familie.

Offenbarungsmuster

Offenbarung empfängt man auf verschiedene Weise, beispielsweise durch Träume, Visionen, Gespräche mit Himmelsboten und Inspiration. Einige Offenbarungen empfängt man plötzlich und intensiv, andere eher unmerklich und allmählich. Die beiden von mir beschriebenen Erfahrungen mit dem Licht lassen uns diese beiden Grundmuster der Offenbarung besser nachvollziehen.

Das Licht in einem dunklen Zimmer einzuschalten, ist damit vergleichbar, dass man eine Botschaft von Gott ganz schnell, vollständig und mit einem Mal erhält. Viele von uns haben dieses Offenbarungsmuster kennengelernt, als ein aufrichtiges Gebet erhört wurde oder wir gemäß Gottes Willen und Zeitplan die nötige Führung oder den nötigen Schutz erhielten. Schilderungen solch plötzlicher und intensiver Kundgebungen finden wir in den heiligen Schriften, über sie wird in der Geschichte der Kirche berichtet, und sie ereignen sich in unserem Leben. Ja, diese mächtigen Wunder geschehen tatsächlich. Dennoch ist dieses Offenbarungsmuster eher selten als üblich.

So wie das Licht beim Sonnenaufgang allmählich zunimmt, ist es, wenn man von Gott eine Botschaft „Zeile um Zeile …, Weisung um Weisung“ (2 Nephi 28:30) empfängt. Meistens empfängt man Offenbarung nach und nach, in kleineren Schritten. Sie wird uns gemäß unserem Wunsch und unserer Würdigkeit und Vorbereitung zuteil. Solche Mitteilungen vom Vater im Himmel fallen allmählich und auf sanfte Weise „auf [unsere Seele] wie der Tau vom Himmel“ (LuB 121:45). Dieses Offenbarungsmuster ist weiter verbreitet und nicht so selten. Es zeigt sich in der Geschichte Nephis, der mehrfach versuchte, die Messingplatten von Laban zu erhalten, bevor es ihm schließlich gelang (siehe 1 Nephi 3 und 4). Letzten Endes wurde er vom Geist nach Jerusalem geführt und „wusste nicht im Voraus, was [er] tun sollte“ (1 Nephi 4:6). Nephi lernte auch nicht mit einem Mal, wie man ein Schiff in gediegener Machart baut; vielmehr zeigte ihm der Herr „von Zeit zu Zeit, wie [er] die Holzstämme für das Schiff bearbeiten sollte“ (1 Nephi 18:1).

Sowohl in der Geschichte der Kirche als auch im eigenen Leben finden wir reichlich Beispiele dafür, wie man vom Herrn „Zeile um Zeile …, Weisung um Weisung“ Offenbarung empfängt. Beispielsweise wurden dem Propheten Joseph Smith im heiligen Hain nicht alle grundlegenden Wahrheiten des wiederhergestellten Evangeliums auf einmal kundgetan. Diese kostbaren Schätze wurden offenbart, wenn die Umstände gegeben waren und der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Präsident Joseph F. Smith erklärte, wie sich dieses Offenbarungsmuster in seinem Leben zeigte: „Als [Junge] habe ich den Herrn oft gebeten, er möge mir doch etwas Wunderbares zeigen, damit ich ein Zeugnis bekam. Aber der Herr versagte mir die Wunder und zeigte mir die Wahrheit Zeile um Zeile, Weisung um Weisung, … bis er mich die Wahrheit vom Scheitel bis zur Sohle erkennen ließ und Zweifel und Furcht mich völlig verlassen hatten. Er brauchte dazu keinen Engel aus dem Himmel zu senden und musste auch nicht mit der Posaune eines Erzengels sprechen. Durch die Eingebungen der leisen, sanften Stimme des Geistes des lebendigen Gottes gab er mir das Zeugnis, das ich besitze. Und durch diesen Grundsatz und diese Macht gibt er allen Menschenkindern Erkenntnis von der Wahrheit, die dann bei ihnen verbleibt und sie die Wahrheit erkennen lässt, wie Gott sie kennt, sodass sie den Willen des Vaters tun, wie Christus ihn tut. Das können noch so wundervolle Kundgebungen niemals bewirken.“ (Frühjahrs-Generalkonferenz 1900.)

Wir als Mitglieder der Kirche neigen dazu, wunderbaren und ergreifenden Kundgebungen des Geistes so viel Gewicht beizulegen, dass wir das übliche Muster, wie der Heilige Geist sein Werk vollbringt, womöglich nicht zu würdigen wissen oder gar völlig verkennen. Allein dass der Weg so einfach ist (siehe 1 Nephi 17:41), auf dem wir schrittweise kleine geistige Eingebungen empfangen, die sich mit der Zeit und in der Summe zu der ersehnten Antwort oder benötigten Führung verdichten, kann bewirken, dass wir „über das Ziel [hinausschauen]“ (Jakob 4:14).

Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die an der Kraft ihres Zeugnisses Zweifel haben und ihre geistigen Fähigkeiten unterschätzen, weil sie nicht ständig herrliche und starke Eingebungen empfangen. Vielleicht meinen wir, wenn wir an Joseph Smith im heiligen Hain, Saulus auf dem Weg nach Damaskus oder Alma den Jüngeren denken, dass mit uns etwas nicht stimmt oder uns etwas fehlt, wenn uns nicht so etwas wie diese bekannten und geistig eindrucksvollen Beispiele widerfährt. Wenn Ihnen ähnliche Gedanken oder Zweifel gekommen sind, denken Sie bitte daran, dass das ganz normal ist. Gehen Sie nur weiterhin gehorsam und voller Glauben an den Erlöser voran. Wenn Sie das tun, können Sie nicht fehlgehen (siehe LuB 80:3).

Präsident Joseph F. Smith sagte einmal: „Zeigen Sie mir Heilige der Letzten Tage, die sich auf Wunder, Zeichen und Visionen verlassen müssen, um in der Kirche standhaft zu bleiben, dann zeige ich Ihnen Mitglieder, … die vor Gott keinen guten Stand haben und sich auf Glatteis begeben haben. Nicht wundervolle Kundgebungen werden der Wahrheit bei uns Geltung verschaffen, sondern Demut und treuer Gehorsam gegenüber den Geboten und Gesetzen Gottes.“ (Frühjahrs-Generalkonferenz 1900.)

Eine andere bekannte Erfahrung mit dem Licht macht uns eine weitere Wahrheit begreiflich, was das Offenbarungsmuster betrifft, etwas „Zeile um Zeile, Weisung um Weisung“ zu empfangen. Manchmal ist es bei Sonnenaufgang bewölkt oder neblig. Bei bedecktem Himmel ist es schwieriger, das Licht wahrzunehmen, und es ist unmöglich, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, wann die Sonne am Horizont erscheint. Dennoch gibt es auch an einem solchen Morgen genügend Licht, um zu erkennen, dass es Tag ist und wir unseren Aufgaben nachgehen können.

In ähnlicher Weise empfangen wir oft Offenbarung, ohne dass wir genau erkennen, wie oder wann wir sie empfangen. Eine wichtige Begebenheit in der Geschichte der Kirche verdeutlicht diesen Grundsatz.

Im Frühjahr 1829 unterrichtete Oliver Cowdery an einer Schule in Palmyra in New York. Als er von Joseph Smith erfuhr und dass dieser das Buch Mormon übersetzte, hatte Oliver das Gefühl, er solle dem jungen Propheten seine Hilfe anbieten. Infolgedessen reiste er nach Harmony in Pennsylvania und wurde Josephs Schreiber. Der Zeitpunkt seiner Ankunft und seine Hilfe trugen wesentlich zum Hervorkommen des Buches Mormon bei.

Der Erretter offenbarte Oliver später, dass dieser, wann auch immer er um Führung gebetet hatte, vom Geist des Herrn geführt worden war. „Wäre es nicht so gewesen“, erläuterte der Herr, „so wärst du nicht an den Ort gekommen, wo du jetzt bist. Siehe, du weißt, dass du mich gefragt hast und ich deinen Verstand erleuchtet habe; und nun sage ich dir dies alles, damit du weißt, dass du durch den Geist der Wahrheit erleuchtet worden bist.“ (LuB 6:14,15.)

So empfing Oliver durch den Propheten Joseph Smith eine Offenbarung und erfuhr, dass er bereits zuvor Offenbarung empfangen hatte. Anscheinend hatte Oliver nicht erkannt, wie und wann er Weisung von Gott empfangen hatte, und er brauchte diese Belehrung, um den Geist der Offenbarung besser begreifen zu können. Im Grunde genommen hatte Oliver im Licht gestanden, als die Sonne an einem bewölkten Morgen aufging.

Bei vielen Ungewissheiten und Schwierigkeiten im Leben verlangt Gott von uns, dass wir unser Bestes geben, für uns selbst handeln und nicht auf uns einwirken lassen (siehe 2 Nephi 2:26) und auf ihn vertrauen. Wir mögen keine Engel sehen, keine Stimme aus dem Himmel hören oder überwältigende geistige Eingebungen empfangen. Wir mögen oft vorangehen und dabei hoffen und beten, dass wir im Einklang mit Gottes Willen handeln – ohne absolute Gewissheit zu haben. Doch wenn wir unsere Bündnisse in Ehren halten, die Gebote befolgen und uns noch konsequenter darum bemühen, Gutes zu tun und uns zu verbessern, können wir sicher sein, dass Gott unsere Schritte lenken wird. Wir können etwas sagen und gewiss sein, dass Gott unsere Worte inspirieren wird. Das ist zum Teil die Bedeutung der Schriftstelle, die da lautet: „Dann wird dein Vertrauen in der Gegenwart Gottes stark werden.“ (LuB 121:45.)

Ich verheiße Ihnen, wenn Sie sich aufrichtig um den Geist der Offenbarung bemühen und davon Gebrauch machen, werden Sie „im Licht des Herrn [gehen]“ (Jesaja 2:5; siehe auch 2 Nephi 12:5). Manchmal spüren Sie den Geist der Offenbarung plötzlich und intensiv, ein andermal eher unmerklich und allmählich, und oftmals so sanft, dass Sie ihn gar nicht bewusst wahrnehmen. Doch unabhängig davon, wie Sie diese Segnung empfangen, wird das Licht, das sie Ihnen schenkt, Ihre Seele erleuchten und erweitern und Ihr Verständnis erleuchten (siehe Alma 5:7; 32:28) und Sie und Ihre Familie führen und schützen.

Ich gebe als Apostel mein Zeugnis, dass der Vater und der Sohn leben. Es gibt den Geist der Offenbarung wirklich – er kann in jedem von uns und in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wirken und tut dies auch. Dass dies wahr ist, bezeuge ich im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.