2010–2019
Die Kraft der Befreiung
April 2012


Die Kraft der Befreiung

Wir können vom Bösen und von der Schlechtigkeit befreit werden, wenn wir uns den Lehren aus den heiligen Schriften zuwenden.

Ein sehr guter Freund von mir schickt mir jedes Mal zur Generalkonferenz eine neue Krawatte, die ich dann in der Versammlung, in der ich spreche, tragen soll. Er hat einen sehr guten Geschmack, finden Sie nicht auch?

Mein junger Freund muss sich mit einigem herumschlagen, was ihn in mancherlei Hinsicht einschränkt, doch in vielem anderen wiederum ist er außergewöhnlich. Beispielsweise macht er mit seiner Kühnheit den Söhnen Mosias Konkurrenz, wenn es um die Missionsarbeit geht. Die Schlichtheit seiner Ansichten macht seinen Glauben bombenfest. Ich glaube, Scott kann sich gar nicht vorstellen, dass nicht jeder Mensch der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage angehört, dass nicht jeder das Buch Mormon gelesen hat und ein Zeugnis davon hat, dass es echt ist.

Ich möchte Ihnen von einer Begebenheit aus Scotts Leben erzählen. Er saß das erste Mal allein in einem Flugzeug, um seinen Bruder zu besuchen. Ein Mitreisender, der in der Nähe saß, bekam mit, wie sich Scott mit seinem Sitznachbarn unterhielt:

„Hallo. Ich heiße Scott. Wie heißen Sie?“

Der Sitznachbar sagte ihm seinen Namen.

„Was machen Sie beruflich?“

„Ich bin Ingenieur.“

„Das ist ja toll. Und wo wohnen Sie?“

„In Las Vegas.“

„Wir haben da einen Tempel. Wissen Sie, wo der Tempel der Mormonen steht?“

„Ja. Ein wirklich schönes Gebäude.“

„Sind Sie Mormone?“

„Nein.“

„Ich finde, Sie sollten einer werden. Diese Religion ist großartig. Haben Sie das Buch Mormon gelesen?“

„Nein.“

„Das sollten Sie aber machen. Es ist ein großartiges Buch!“

Ich stimme Scott von ganzem Herzen zu – das Buch Mormon ist ein großartiges Buch. Die Worte des Propheten Joseph Smith, die in der Einleitung zum Buch Mormon stehen, sind mir stets im Bewusstsein: „Ich habe den Brüdern gesagt, das Buch Mormon sei das richtigste aller Bücher auf Erden und der Schlussstein unserer Religion und wenn man sich an dessen Weisungen halte, werde man dadurch näher zu Gott kommen als durch jedes andere Buch.“

In diesem Jahr befassen wir uns im Sonntagsschulunterricht mit dem Buch Mormon. Mögen wir uns bei der Vorbereitung und im Unterricht dazu angespornt fühlen, dem kühnen Beispiel Scotts zu folgen und Menschen, die nicht unserem Glauben angehören, erzählen, was uns diese besondere heilige Schrift bedeutet.

Einer der Leitgedanken des Buches Mormon taucht im letzten Vers des ersten Kapitels in 1 Nephi auf. Nephi schreibt: „Aber siehe, ich, Nephi, werde euch zeigen, dass die liebevolle, große Barmherzigkeit des Herrn über all denen waltet, die er ihres Glaubens wegen erwählt hat, um sie mächtig zu machen, ja, zur Kraft der Befreiung.“ (1 Nephi 1:20.)

Ich möchte darüber sprechen, wie uns das Buch Mormon, das der Herr aus liebevoller Barmherzigkeit für diese Letzten Tage aufbewahrt hat, befreit, indem es uns auf reine und „richtigste“ Art und Weise die Lehre Christi aufzeigt.

Viele Begebenheiten im Buch Mormon haben mit Befreiung zu tun. Als Lehi mit seiner Familie in die Wildnis zog, ging es um die Befreiung vor der Zerstörung Jerusalems. Die Geschichte der Jarediten handelt ebenso wie die Geschichte der Mulekiten von einer Befreiung. Alma der Jüngere wurde von Sünde befreit. Helamans junge Krieger wurden in der Schlacht befreit. Nephi und Lehi wurden aus dem Gefängnis befreit. Das Thema „Befreiung“ zieht sich durch das gesamte Buch Mormon.

Es gibt zwei Begebenheiten im Buch Mormon, die einander sehr ähneln und aus denen eine wichtige Lektion hervorgeht. Die erste steht im Buch Mosia und beginnt in Kapitel 19. Dort werden wir mit König Limhi bekannt gemacht, der im Land Nephi wohnt. Die Lamaniten hatten einen Krieg gegen Limhis Volk angefangen. Der Krieg endete damit, dass die Lamaniten König Limhi zwar gestatteten, sein Volk zu regieren, dass dieses aber in ihre Knechtschaft geriet. Es war also ein reichlich gestörter Friede (siehe Mosia 19, 20).

Als Limhis Volk von der Ausbeutung durch die Lamaniten genug hatte, überredete es den König, wieder gegen diese in die Schlacht zu ziehen. Dreimal wurde Limhis Volk geschlagen. Schwere Lasten wurden ihm auferlegt. Schließlich demütigte es sich und schrie mächtig zum Herrn, er möge es befreien (siehe Mosia 21:1-14). In Vers 15 von Kapitel 21 lesen wir die Antwort des Herrn: „Und nun war der Herr wegen ihrer Übeltaten langsam, ihr Schreien zu vernehmen; dennoch hörte der Herr ihre Schreie und fing an, den Lamaniten das Herz zu erweichen, sodass sie anfingen, ihre Lasten leichter zu machen; doch hielt der Herr es nicht für richtig, sie aus der Knechtschaft zu befreien.“

Bald darauf traf Ammon mit ein paar Männern aus Zarahemla ein, und so arbeitete man mit Gideon, einem der Führer aus Limhis Volk, einen Plan aus. Dieser gelang, und man entkam der Ausbeutung durch die Lamaniten. Der Herr war langsam, ihr Schreien zu vernehmen. Warum? Wegen ihrer Übeltaten.

Die zweite Begebenheit ähnelt dieser in vielen Punkten, es gibt aber auch Unterschiede. Den Bericht darüber finden wir in Mosia 24.

Alma und sein Volk hatten sich im Land Helam niedergelassen, als ein lamanitisches Heer die Landesgrenzen überschritt. Man traf zusammen und fand zu einer friedlichen Lösung (siehe Mosia 23:25-29). Bald darauf begannen die Anführer der Lamaniten, dem Volk Alma ihren Willen aufzuzwingen. Sie luden ihm schwere Lasten auf (siehe Mosia 24:8). In Vers 13 lesen wir: „Und es begab sich: Die Stimme des Herrn erging an sie in ihren Bedrängnissen, nämlich: Erhebt das Haupt und seid voller Trost, denn ich weiß von dem Bund, den ihr mir gemacht habt; und ich werde mit meinem Volk einen Bund machen und es aus der Knechtschaft befreien.“

Das Volk Alma wurde aus der Hand der Lamaniten befreit und gelangte sicher zurück nach Zarahemla, wo es sich mit dem dortigen Volk vereinigte.

Worin unterschieden sich das Volk von Alma und das Volk von König Limhi? Offensichtlich gab es mehrere Unterschiede: Das Volk von Alma war friedfertig und rechtschaffener; man hatte sich bereits taufen lassen und war einen Bund mit dem Herrn eingegangen; man hatte sich vor dem Herrn schon gedemütigt, bevor die Bedrängnisse ihren Anfang nahmen. All diese Unterschiede lassen es nur recht und billig erscheinen, dass der Herr diese Menschen auf wundersame Weise rasch aus der Hand befreite, die sie knechtete. Aus diesen Schriftstellen erfahren wir etwas darüber, wie der Herr die Kraft der Befreiung ausübt.

In Prophezeiungen, in denen das Leben und die Mission Jesu Christi vorhergesagt werden, wird uns die Befreiung verheißen, die er uns gewährt. Sein Sühnopfer und die Auferstehung ermöglichen uns allen die Befreiung vom körperlichen Tod, und, sofern wir umkehren, die Befreiung vom geistigen Tod, was uns die Segnungen des ewigen Lebens einbringt. Die Verheißungen des Sühnopfers und der Auferstehung, die Verheißungen der Befreiung vom körperlichen und vom geistigen Tod machte Gott dem Mose, als er sagte: „Denn siehe, dies ist mein Werk und meine Herrlichkeit – die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen.“ (Mose 1:39.)

Den Glaubensansichten, die uns in den heiligen Schriften so schön dargelegt werden, treten jedoch die Verfechter des Säkularismus entgegen, die die altbewährten Grundsätze aus diesen heiligen Schriften in Frage stellen – Schriften, die uns jahrhundertelang Richtschnur gewesen sind, weil darin die ewigen Werte und Maßstäbe festgelegt sind, die unsere Lebensführung bestimmen. Sie behaupten, dass die Lehren aus der Bibel falsch und die Lehren des Meisters veraltet seien. Sie verkünden laut, jeder Mensch müsse frei sein, sich seine Maßstäbe selbst zu setzen; sie wollen die Rechte der Gläubigen abändern. Das stellt einen Gegensatz zu dem dar, was uns die heiligen Schriften und die Worte der Propheten lehren.

Welch ein Segen ist es doch, dass wir im Buch Mormon den Bericht über die Mission unseres Herrn und Erretters haben und somit einen zweiten Zeugen für die Lehre, die in der Bibel verkündet wird! Warum ist es wichtig, dass die Welt sowohl die Bibel als auch das Buch Mormon besitzt? Ich glaube, die Antwort ist im 13. Kapitel von 1 Nephi zu finden. Nephi berichtet: „Und der Engel sprach zu mir, nämlich: Diese letzten Aufzeichnungen, die du bei den Andern gesehen hast [das Buch Mormon], sollen die Wahrheit der ersten bestätigen [also der Bibel], die von den zwölf Aposteln des Lammes stammen, und sollen die klaren und kostbaren Dinge, die daraus weggenommen worden sind, kundtun und sollen allen Geschlechtern, Sprachen und Völkern kundtun, dass das Lamm Gottes der Sohn des ewigen Vaters und der Erretter der Welt ist und dass alle Menschen zu ihm kommen müssen, sonst können sie nicht errettet werden.“ (Vers 40.)

Weder die Bibel noch das Buch Mormon reichen für sich allein genommen aus. Beide sind notwendig, damit wir die Lehre Christi in vollem Umfang erfassen und weitergeben können. Dass ein Buch vom anderen abhängig ist, schmälert beider Bedeutung nicht. Sowohl die Bibel als auch das Buch Mormon sind für unsere Errettung und Erhöhung notwendig. Präsident Ezra Taft Benson hat ausdrücklich gesagt: „Wenn die Bibel und das Buch Mormon gemeinsam verwendet werden, werden falsche Lehren zuschanden gemacht.“ („A New Witness for Christ“, Ensign, November 1984, Seite 8.)

Zum Abschluss möchte ich zwei Schilderungen anführen – eine aus dem Alten Testament, die andere aus dem Buch Mormon –, die belegen, wie beide Bücher ineinanderwirken.

Die Geschichte Abrahams beginnt mit seiner Befreiung von den götzendienerischen Chaldäern (siehe Genesis 11:27-31; Abraham 2:1-4). Später wurden er und seine Frau Sara von ihrem Kummer befreit, und es wurde ihnen verheißen, dass alle Völker der Erde durch ihre Nachkommenschaft gesegnet sein würden (siehe Genesis 18:18).

Im Alten Testament steht der Bericht darüber, wie Abraham seinen Neffen Lot aus Ägypten mitnimmt. Als er sich ein Stück Land aussuchen darf, entscheidet sich Lot für die Jordangegend und schlägt dort sein Zelt gegenüber von Sodom auf, einer Stadt, in der große Schlechtigkeit herrscht (siehe Genesis 13:1-12). Die meisten Schwierigkeiten, denen sich Lot später in seinem Leben gegenübersieht, und es gibt deren viele, lassen sich auf diese erste Entscheidung zurückführen, den Eingang seines Zeltes nach Sodom hin auszurichten.

Abraham, der Vater der Glaubenstreuen, machte in seinem Leben andere Erfahrungen. Gewiss gab es etliche Herausforderungen, aber es war ein gesegnetes Leben. Wir wissen nichts darüber, in welche Richtung der Eingang von Abrahams Zelt ausgerichtet war, aber der letzte Vers in Kapitel 13 von Genesis enthält einen deutlichen Hinweis. Da heißt es: „Da zog Abram [oder Abraham] mit seinen Zelten weiter und ließ sich bei den Eichen von Mamre in Hebron nieder. Dort baute er dem Herrn einen Altar.“ (Genesis 13:18.)

Genau weiß ich es nicht, aber ich glaube schon, dass der Eingang von Abrahams Zelt auf den Altar ausgerichtet war, den er dem Herrn gebaut hatte. Wie ich zu diesem Schluss komme? Weil ich die Geschichte aus dem Buch Mormon kenne, wie König Benjamin sein Volk anweist, sich zu versammeln, um seine letzte Rede zu hören. König Benjamin gab nämlich die Anweisung, die Zelte mit dem Eingang zum Tempel hin aufzuschlagen (siehe Mosia 2:1-6).

Wir können vom Bösen und von der Schlechtigkeit befreit werden, wenn wir uns den Lehren aus den heiligen Schriften zuwenden. Der Heiland ist der große Befreier, denn er befreit uns von Tod und Sünde (siehe Römer 11:26; 2 Nephi 9:12).

Ich erkläre, dass Jesus der Messias ist und dass wir ihm näherkommen können, indem wir das Buch Mormon lesen. Das Buch Mormon ist ein weiterer Zeuge für Jesus Christus. Das erste Zeugnis für unseren Erretter ist das Alte und das Neue Testament – die Bibel.

Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, was mein Freund Scott über das Buch Mormon gesagt hat: „Es ist ein großartiges Buch!“ Ich bezeuge Ihnen, dass das Buch Mormon unter anderem deshalb so großartig ist, weil es mit der Bibel Hand in Hand geht. Im Namen Jesu Christi. Amen.