2010–2019
Wie man zu guten Eltern wird
Oktober 2012


Wie man zu guten Eltern wird

Gute Eltern finden vielerlei Unterstützung für das Unterfangen, ihre Kinder im Evangelium Jesu Christi zu unterweisen.

Diesen Sommer habe ich einen besonderen Meilenstein erreicht – ich beging meinen 90. Geburtstag. Wenn man bestimmte Meilensteine im Leben erreicht, ist es nützlich und lehrreich, auf Erlebtes und Vergangenes zurückzublicken. Vielleicht sind 90 Jahre für einige meiner jüngeren Zuhörer oder Leser nicht weiter der Rede wert, aber als ich zur Welt kam, galt es als große Leistung, wenn man so lange lebte. Ich bin dem Vater im Himmel jeden Tag aufs Neue dankbar dafür, dass er mich mit einem langen Leben gesegnet hat.

Vieles hat sich im Laufe meines Lebens geändert. Ich habe den Fortschritt des Industriezeitalters miterlebt und nun auch des Informationszeitalters. Serienmäßig hergestellte Autos, Telefone und Flugzeuge waren in meiner Kindheit große Errungenschaften. Heutzutage ändert sich die Art und Weise, wie wir Informationen suchen, weitergeben und verwenden, beinahe täglich. In meinem Alter kann ich über den rasanten Umbruch in der heutigen Welt nur staunen. So mancher Durchbruch der heutigen Zeit lässt einem das Herz höher schlagen, wenn man bedenkt, welche Verbesserungen er uns bringen könnte.

Doch trotz des stürmischen Wandels um uns herum beten wir ernstlich darum und setzen uns dafür ein, dass die Werte des Evangeliums Jesu Christi Bestand haben. Einige davon sind bereits in Gefahr, verlorenzugehen. Ganz oben auf der Werteskala – und daher primäre Ziele des Widersachers – sind die Heiligkeit der Ehe und die zentrale Bedeutung der Familie. Die Familie ist ein Anker und der sichere Hafen, wo jedes Kind unseres liebevollen himmlischen Vaters zum Guten beeinflusst werden und sich ewig gültige Werte aneignen kann.

Voller Vorfreude auf die Jubelfeier zu meinem 90. Geburtstag half meine Familie mir, dankbar auf einige Erfahrungen aus meinem langen Leben zurückzublicken. Eine Nichte ließ mir beispielsweise einige Briefe zukommen, die ich im Zweiten Weltkrieg vor fast 70 Jahren vom Marinestützpunkt auf Saipan, einer Insel im Pazifik, an meine Eltern geschrieben hatte.

Einer dieser Briefe fiel mir besonders ins Auge. Ich hatte ihn an meine Mutter geschrieben – sie sollte ihn am Muttertag 1945 öffnen und lesen. Ich möchte Ihnen gern ein paar Auszüge daraus vorlesen, damit Sie verstehen können, weshalb ich meinen lieben Eltern auf ewig dankbar bin für das, was sie mir daheim beigebracht haben. Meine Eltern sind für mich das allerbeste Beispiel guter Eltern. Sie haben ihre Ehe und die richtige Erziehung der Kinder stets an die erste Stelle gesetzt.

Der Muttertagsbrief 1945 beginnt folgendermaßen:

„Liebe Mutti,

vier Jahre lang kann ich nun schon den Muttertag zu meinem großen Bedauern nicht gemeinsam mit dir begehen. Jedes Jahr wünsche ich mir, ich könnte bei dir sein und dir sagen, wie lieb ich dich habe und wie groß du in meinen Augen bist. Aber da das nun mal nicht möglich ist, muss ich mich mit dem Zweitbesten begnügen und dir ein paar Zeilen schreiben.

Dieses Jahr ist mir mehr denn je bewusst, was ich meiner lieben Mutter alles verdanke. Vor allem vermisse ich all die Kleinigkeiten, die du immer für mich getan hast. Wann ich morgens auch aufstand, ich musste mich nie darum sorgen, ob ich ein sauberes Hemd oder saubere Socken hatte. Ich musste bloß eine Schublade öffnen, und alles war da. Zu den Mahlzeiten stand immer etwas da, was mir schmeckte und unvergleichlich gut zubereitet war. Am Abend war das Bett sauber bezogen und es lagen genügend Decken da, damit ich es mir behaglich machen konnte. Das Leben daheim war wirklich eine Freude.“

Als ich diese ersten Absätze las, war ich peinlich berührt, weil sie so rührselig klangen. In einem Zelt auf einem Feldbett unter einem Moskitonetz wanderten meine Gedanken wohl deshalb so zurück zu meinem Elternhaus, weil es ein ganz besonderes war.

In dem Brief an meine Mutter stand weiter:

„Noch tiefere Gefühle hege ich aber, weil du mir stets ein gutes Beispiel gegeben hast. Für uns Kinder war das Leben daheim so schön, dass wir in deine Fußstapfen treten und weiterhin dieselbe Freude empfinden wollen, die wir in unseren jungen Jahren erlebt haben. Du hast dir immer Zeit genommen, mit uns in den Canyon hinauszufahren und dort alles Mögliche mit uns zu unternehmen – wandern genauso wie Ball spielen. Papa und du, ihr seid nie allein in den Urlaub gefahren. Wir Kinder waren immer dabei. Jetzt, wo ich nicht mehr daheim wohne, rede ich gern über mein Elternhaus, denn zu Hause war es einfach schön. Ich könnte mich von dem, was du mich lehrtest, niemals abwenden, weil es ein schlechtes Licht auf deinen Charakter werfen würde. Das Leben stellt an mich die große Herausforderung, stets würdig zu sein, ein Sohn von Nora Sonne Perry genannt zu werden. Auf diesen Namen bin ich stolz, und ich hoffe, seiner stets würdig zu sein.

Hoffentlich kann ich nächstes Jahr zum Muttertag bei dir sein und diesen Ehrentag für dich so schön gestalten, wie ich es mir jetzt schon seit vier Jahren wünsche.

Der Herr segne dich für das viele Gute, was du in dieser geplagten Welt vollbracht hast.

In Liebe, Tom.“1

Als ich diesen Brief wieder las, musste ich auch an die damalige Lebensart denken – wie es in meiner Familie, der Gemeinde, dem Pfahl und der Gesellschaft zuging.

Die Lebensart eines Volkes lässt sich auch als Kultur bezeichnen. Es gibt eine ganz eigene Evangeliumskultur, worunter jene Werte, Erwartungen und Bräuche fallen, die alle Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage miteinander verbinden. Diese Evangeliumskultur – diese Lebensart – fußt auf dem Erlösungsplan, den Geboten Gottes und den Worten lebender Propheten. Nach außen hin zeigt sie sich darin, wie wir unsere Kinder erziehen und wie wir leben.

Die erste Anweisung, die Adam in Bezug auf seine Aufgaben im Erdenleben erhielt, steht in Genesis 2:24: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.“

Wenn Mann und Frau rechtmäßig und gesetzlich in der Ehe miteinander verbunden werden, bereitet das nicht nur künftigen Generationen den Weg, dass sie die Erde ererben können, sondern es verschafft auch die größte Freude und Erfüllung, die man im Erdenleben erfahren kann. Das gilt umso mehr dann, wenn kraft der Priestertumsmächte verheißen wird, dass eine Ehe für Zeit und für alle Ewigkeit Bestand haben soll. Ein Kind, das in so eine Ehe hineingeboren wird, erlebt dort eine Geborgenheit wie nirgendwo sonst.

Heutzutage, da der Widersacher so weitreichenden Einfluss hat, ist es in zunehmendem Maße erforderlich, dass gute Eltern ihre Kinder zuhause unterweisen. Wir wissen ja, dass der Satan das Fundament unserer Gesellschaft, nämlich die Familie, zu untergraben und zu vernichten sucht. Klug getarnt, zersetzt er in aller Welt die Verpflichtung gegenüber der Familie und unterwandert die Kultur und die Bündnisse unserer treuen Mitglieder. Die Eltern müssen sich bewusst machen, dass eine ihrer heiligsten und wichtigsten Aufgaben darin besteht, ihre Kinder zuhause zu erziehen und zu lehren. Andere Einrichtungen wie Kirche und Schule können die Eltern dabei unterstützen, ihr Kind für seinen Lebensweg zu erziehen (siehe Sprichwörter 22:6), doch schlussendlich ist diese Aufgabe den Eltern übertragen. Nach dem großen Plan des Glücklichseins sind es gute Eltern, denen die Erziehung und Entfaltung der Kinder des himmlischen Vaters anvertraut wird.

Den Eltern ist also eine beachtliche Verantwortung auferlegt. Doch gute Eltern finden auch vielerlei Unterstützung für das Unterfangen, ihre Kinder im Evangelium Jesu Christi zu unterweisen. Ich möchte auf fünf Punkte eingehen, was Eltern unternehmen können, um eine ausgeprägtere Familienkultur zu schaffen:

Erstens können Eltern unseren ewigen Vater im Gebet aufrichtig bitten, dass er ihnen hilft, die Kinder, die er ihnen gesandt hat, zu lieben, zu verstehen und anzuleiten.

Zweitens können sie gemeinsam als Familie beten, in den heiligen Schriften lesen und den Familienabend abhalten und möglichst oft gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, um beim Essen miteinander zu sprechen und Werte zu vermitteln.

Drittens können sich Eltern das Auffangnetz der Kirche in vollem Umfang zunutze machen und sich mit PV-Lehrerinnen, Jugendführern und Klassen- oder Kollegiumspräsidentschaften besprechen. Die Eltern können denen, die berufen und eingesetzt sind, in der Kirche für ihre Kinder da zu sein, ein grundlegendes Bild davon verschaffen, was ihr Kind im Moment im Besonderen und im Einzelnen braucht.

Viertens können Eltern ihren Kindern häufig Zeugnis geben. Sie können sie dazu anhalten, die Gebote Gottes zu halten, und ihnen die Segnungen versprechen, die der Vater im Himmel seinen treuen Kindern verheißt.

Fünftens können wir in unserer Familie einfache, eindeutige Regeln und Erwartungen festlegen. Wir können schöne Familientraditionen und Bräuche einführen sowie einen „Wirtschaftsplan“ für die Familie, damit die Kinder Aufgaben im Haushalt übernehmen und sich ein Taschengeld verdienen können. So können sie lernen, wie man mit Geld umgeht, Geld spart und vom selbstverdienten Geld den Zehnten zahlt.

Diese Anregungen für eine ausgeprägtere Familienkultur gehen Hand in Hand mit unserer Kirchenkultur. Eine aufgewertete Familienkultur ist für unsere Kinder ein Schutz vor den feurigen Pfeilen des Widersachers (siehe 1 Nephi 15:24), denen sie in der Jugendkultur, in der Unterhaltungs- und Promi-Kultur, in der Kredit- und Anspruchskultur und in der Internet- und Medienkultur ohne Unterlass ausgesetzt sind. Eine starke Familienkultur hilft unseren Kindern, in der Welt zu leben und doch nicht „von der Welt“ zu sein (siehe Johannes 15:19).

Präsident Joseph Fielding Smith hat gesagt: „Es ist die Pflicht der Eltern, die Kinder die errettenden Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi zu lehren, damit sie wissen, warum sie sich taufen lassen müssen, und damit ihnen der Wunsch ins Herz gepflanzt wird, nach der Taufe weiterhin die Gebote Gottes zu halten, damit sie in seine Gegenwart zurückkehren können. Möchten Sie, meine guten Brüder und Schwestern, Ihre Familie, Ihre Kinder bei sich haben? Möchten Sie an Ihre Väter und Mütter, die Ihnen vorausgegangen sind, gesiegelt werden? Wenn ja, dann müssen Sie schon an der Wiege mit der Erziehung beginnen. Sie müssen Ihre Kinder durch Wort und Tat lehren.“2

In der Proklamation zur Familie steht:

„Mann und Frau tragen die feierliche Verantwortung, einander und ihre Kinder zu lieben und zu umsorgen. ‚Kinder sind eine Gabe des Herrn.‘ (Psalm 127:3.) Eltern haben die heilige Pflicht, ihre Kinder in Liebe und Rechtschaffenheit zu erziehen, sich ihrer physischen und geistigen Bedürfnisse anzunehmen und sie zu lehren, dass sie einander lieben und einander dienen, die Gebote Gottes befolgen und gesetzestreue Bürger sein sollen, wo immer sie leben. …

Gott hat es so vorgesehen, dass der Vater in Liebe und Rechtschaffenheit über die Familie präsidiert und dass er die Pflicht hat, dafür zu sorgen, dass die Familie alles hat, was sie zum Leben und für ihren Schutz braucht. Die Mutter ist in erster Linie für das Umsorgen und die Erziehung der Kinder zuständig. Vater und Mutter müssen einander in diesen heiligen Aufgaben als gleichwertige Partner zur Seite stehen.“3

Ich bin davon überzeugt, dass es nach Gottes Willen vor allem Aufgabe der Mutter ist, die nächste Generation zu umsorgen und zu unterweisen. Und doch ist es wundervoll, wenn man erlebt, wie Mann und Frau eine echte Partnerschaft zuwege bringen, in der sie ihren Einfluss bündeln und sie sowohl über ihre Kinder als auch mit ihren Kindern wirklich reden können.

Der Ansturm des Schlechten auf unsere Kinder ist heutzutage schwerer zu durchschauen und unverfrorener denn je. Wenn wir eine ausgeprägte Familienkultur schaffen, streifen wir unseren Kindern eine weitere Schutzhülle über, die sie vor weltlichen Einflüssen abschirmt.

Möge Gott Sie, die guten Mütter und Väter in Zion, segnen! Ihrer Obhut hat er seine ewigen Kinder anvertraut. Als Eltern sind wir Partner Gottes, ja, wir bringen sogar – Hand in Hand mit ihm – sein Werk und seine Herrlichkeit unter seinen Kindern zustande. Wir haben die heilige Pflicht, dabei unser Allerbestes zu geben. Davon gebe ich Zeugnis im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Muttertagsbrief von L. Tom Perry an seine Mutter, abgeschickt von Saipan, vom 3. Mai 1945

  2. Joseph Fielding Smith, Herbst-Generalkonferenz 1948

  3. „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Liahona, November 2010, Umschlagrückseite