2010–2019
Sanftmütig und von Herzen demütig
Oktober 2013


Sanftmütig und von Herzen demütig

Sanftmut bedeutet nicht Schwachheit, sondern dass man gütig und freundlich ist.

Mormon hat aufgezeigt, dass niemand „Glauben und Hoffnung haben [kann], wenn er nicht sanftmütig und von Herzen demütig ist“1. Er fügte hinzu, dass ohne diese Eigenschaften „sein Glaube und seine Hoffnung unnütz [seien], denn niemand ist vor Gott annehmbar als nur die Sanftmütigen und die von Herzen Demütigen“2.

Sanftmut ist die Eigenschaft derjenigen, die „im Leid gottesfürchtig, rechtschaffen, demütig, belehrbar und geduldig [sind]“3. Wer diese Eigenschaft besitzt, ist bereit, Jesus Christus zu folgen, und sein Temperament ist ruhig, nachgiebig, tolerant und fügsam.

Der Apostel Paulus hat erklärt, Sanftmut sei eine Frucht des Geistes.4 Folglich kann man sie am einfachsten erlangen, wenn man „aus dem Geist [lebt]“5. Und um aus dem Geist zu leben, müssen wir durch unsere Lebensweise Rechtschaffenheit vor dem Herrn erkennen lassen.

Wenn wir den Namen Christi auf uns nehmen, wird von uns erwartet, dass wir uns bemühen, seine Eigenschaften anzunehmen und unsere Wesensart dahingehend zu ändern, dass wir ihm jeden Tag etwas ähnlicher werden. Der Heiland hat seine Jünger mit den Worten ermahnt: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“6 Wenn wir zu Christus kommen und auf alles verzichten, was ungöttlich ist, und Gott lieben, wird durch die Gnade Christi der Tag kommen, da wir in Christus vollkommen gemacht werden.7

„Eigenschaften, die Christus besitzt, … sind Gaben von Gott. Wir erhalten sie, wenn wir unsere Entscheidungsfreiheit rechtschaffen nutzen. … Mit dem Wunsch, Gott zu gefallen, [müssen wir uns unserer] Schwächen bewusst [werden und] bereit und eifrig darauf bedacht [sein, uns] zu verbessern.“8

Sanftmut ist unverzichtbar, wenn wir Christus ähnlicher werden wollen. Ohne sie können sich weitere wichtige Tugenden nicht entwickeln. Sanftmut bedeutet nicht Schwachheit, sondern dass man gütig und freundlich ist und Stärke, Gelassenheit, ein gesundes Selbstwertgefühl und Selbstbeherrschung an den Tag legt.

Sanftmut gehört zu den herausragenden Merkmalen des Erlösers. Er selbst hat zu seinen Jüngern gesagt: „Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig.“9

Glücklicherweise ist uns von Geburt an der Same der Sanftmut ins Herz gelegt. Uns muss aber klar sein, dass dieser Same nicht im Handumdrehen wachsen und sich entwickeln kann. Es ist ein Vorgang, der Zeit benötigt. Christus bittet uns, unser Kreuz täglich auf uns zu nehmen,10 was erfordert, dass wir es beständig wollen und anstreben.

Präsident Lorenzo Snow, der fünfte Prophet unserer Evangeliumszeit, hat erklärt: „Es ist unsere Pflicht, dass wir uns bemühen, vollkommen zu werden, … uns jeden Tag [zu] verbessern, dass wir unseren Weg in der vergangenen Woche betrachten und es diese Woche besser machen, dass wir es heute besser machen als gestern.“11 Der erste Schritt zur Sanftmut besteht also darin, dass man sich Tag für Tag verbessert. Jeden Tag müssen wir versuchen, besser zu sein als am Tag zuvor, und somit Schritt für Schritt weiterkommen.

Präsident Snow sagte weiter:

„Wir haben unsere kleinen Torheiten und unsere Schwächen; wir müssen uns bemühen, sie so schnell wie möglich zu überwinden, und unseren Kindern ebendieses Empfinden ins Herz prägen, damit … sie lernen, sich unter allen Umständen anständig vor [Gott] zu betragen.

Wenn ein Mann einen Tag lang mit seiner Frau leben kann, ohne sich zu streiten, jemanden unfreundlich zu behandeln oder den Geist Gottes … zu betrüben, dann ist [er] so weit vollkommen. Dann soll er versuchen, am nächsten Tag genauso zu handeln. Aber angenommen, dieser Versuch schlägt am nächsten Tag fehl, so ist das kein Grund, am dritten Tag nicht wieder erfolgreich sein zu können.“12

Der Herr erkennt unseren Eifer und unsere Beharrlichkeit an und gibt uns das, was wir infolge unserer Unvollkommenheit und menschlichen Schwächen nicht erreichen können, hinzu.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Sanftmut besteht darin, dass wir lernen, unser Temperament zu zügeln. Da uns allen der natürliche Mensch innewohnt und wir in einer Welt leben, in der wir großen Belastungen ausgesetzt sind, kann es durchaus zu einer schwierigen Aufgabe werden, Selbstbeherrschung zu lernen. Denken Sie einen Augenblick darüber nach, wie Sie reagieren, wenn jemand Ihren Wünschen nicht augenblicklich nachkommt. Was ist, wenn jemand Ihren Vorstellungen nicht zustimmt, obwohl Sie felsenfest davon überzeugt sind, die richtige Lösung für ein Problem gefunden zu haben? Wie reagieren Sie, wenn Sie beleidigt werden, wenn jemand Ihre Bemühungen kritisiert oder schlichtweg unfreundlich ist, weil er schlechte Laune hat? In solchen Momenten und auch in anderen schwierigen Situationen müssen wir lernen, uns zu beherrschen und unsere Gedanken geduldig und durch sanftes Zureden auszudrücken. Das gilt vor allem in der Familie und in der Beziehung zu unserem Partner für die Ewigkeit. In den 31 Jahren, die ich nun mit meiner lieben Frau verheiratet bin, hat sie mir das immer wieder sanft ins Gedächtnis gerufen, wenn wir uns den beunruhigenden Herausforderungen des Lebens gegenübersahen.

In seinem zweiten Brief an Timotheus hat der Apostel Paulus unter anderem dargelegt:

„Ein Knecht des Herrn soll nicht streiten, sondern zu allen freundlich sein, ein geschickter und geduldiger Lehrer, der auch die mit Güte zurechtweist, die sich hartnäckig widersetzen. Vielleicht schenkt Gott ihnen dann die Umkehr, damit sie die Wahrheit erkennen [und] wieder zur Besinnung kommen.“13

Wenn wir beherrscht reagieren, ruhig und gelassen bleiben und Streit vermeiden, machen wir uns nach und nach bereit, die Gabe der Sanftmut zu erlangen. Präsident Henry B. Eyring hat einmal gesagt: „Wenn wir voll Glauben unsere Launen zügeln und unseren Stolz bezwingen, gibt der Heilige Geist seine Zustimmung, und heilige Verheißungen und Bündnisse sind uns sicher.“14

Ein weiterer Schritt zur Sanftmut ist Demut. Der Herr gab Thomas B. Marsh durch den Propheten Joseph Smith mit auf den Weg: „Sei demütig, dann wird der Herr, dein Gott, dich an der Hand führen und dir auf deine Gebete Antwort geben.“15

Ich glaube, Brüder und Schwestern, dass nur jemand, der demütig ist, die Antworten des Herrn auf seine Gebete erkennen und verstehen kann. Wer demütig ist, ist belehrbar und erkennt, wie abhängig er von Gott ist. Und er möchte sich dem Willen Gottes fügen. Wer demütig ist, ist sanftmütig und dazu imstande, andere anzuregen, sich ebenso zu verhalten. Gott hat den Demütigen verheißen, dass er sie an der Hand führen wird. Ich glaube fest daran, dass wir Umwege und Kummer vermeiden, wenn wir Hand in Hand mit dem Herrn gehen.

Eines der eindrucksvollsten Beispiele für Sanftmut aus der Neuzeit, das ich kenne, ist das von Bruder Moses Mahlangu. Seine Bekehrung begann damit, dass er 1964 ein Buch Mormon erhielt. Er war von diesem Buch zutiefst beeindruckt, entdeckte aber erst Anfang der 70er Jahre, als er einmal eine Straße entlangging, ein Logo unserer Kirche an einem Gebäude in Johannesburg. Bruder Mahlangus Interesse war geweckt und er betrat das Haus, um mehr über die Kirche zu erfahren. Man teilte ihm freundlich mit, dass er weder den Gottesdienst besuchen noch sich taufen lassen könne, da die Gesetze des Landes dies damals nicht zuließen.

Bruder Mahlangu nahm diese Entscheidung mit Sanftmut, Demut und ohne Groll hin. Doch er wünschte sich immer noch von ganzem Herzen, mehr über die Kirche zu erfahren. Daher bat er die Führungsbeamten der Gemeinde, während der Versammlungen am Sonntag ein Fenster des Gemeindehauses offen zu lassen, damit er draußen sitzen und den Gottesdienst verfolgen könne. Etliche Jahre besuchten Bruder Mahlangu, seine Familie und Freunde die Kirche regelmäßig „durchs Fenster“. Eines Tages im Jahr 1980 teilte man ihnen mit, dass sie die Versammlungen besuchen und sich taufen lassen dürften. Welch ein herrlicher Tag für Bruder Mahlangu!

Später gründete die Kirche einen Zweig in seinem Viertel in Soweto. Das war nur durch die Entschlossenheit, den Mut und die Treue von Menschen wie Bruder Mahlangu möglich geworden, die über so viele Jahre hinweg unter schwierigen Umständen treu geblieben waren.

Ein Freund Bruder Mahlangus, der sich zur gleichen Zeit der Kirche angeschlossen hatte, erzählte mir diese Geschichte, als ich den Pfahl Soweto besuchte. Am Ende unseres Gesprächs umarmte er mich. In diesem Augenblick, Brüder und Schwestern, fühlte ich mich, als sei ich von den liebevollen Armen des Erlösers umfangen. Sanftmut strahlte aus den Augen dieses guten Bruders. Mit gütigem Herzen und tiefer Dankbarkeit bat er mich, Präsident Thomas S. Monson doch zu berichten, wie dankbar und gesegnet er und viele andere seien, weil sie das wahre Evangelium gefunden hätten. Die beispielhafte Sanftmut Bruder Mahlangus und seines Freundes hat wahrlich einen guten Einfluss auf viele gehabt – besonders aber auf mich.

Brüder und Schwestern, ich glaube, dass der Erlöser Jesus Christus das beste Beispiel für Sanftmut ist. Ja, in den letzten Augenblicken seines Erdenlebens wurde er zu Unrecht beschuldigt und verurteilt, trug unter Schmerzen sein Kreuz nach Golgota, wurde von seinen Feinden verspottet und verflucht, im Stich gelassen von vielen, die ihn kannten und seine Wunder gesehen hatten, und schließlich ans Kreuz geschlagen.

Selbst nachdem er körperlich heftigste Qualen erlitten hatte, wandte sich der Herr an seinen Vater und sprach aus der Tiefe seines sanftmütigen und demütigen Herzens: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“16 Christus hat unermesslich an Körper und Geist gelitten, damit wir die Möglichkeit haben, unseren geistigen Charakter zu ändern und sanftmütig zu werden wie er.

Ich bezeuge, dass Jesus Christus unser Erlöser ist. Ich bezeuge Ihnen, dass es uns dank seiner Liebe möglich ist, uns zu ändern. Es ist möglich, unsere Schwächen hinter uns zu lassen. Es ist möglich, die schlechten Einflüsse in unserem Leben von uns zu weisen, Zorn zu beherrschen, sanftmütig zu werden und die Eigenschaften zu entwickeln, die der Erlöser hat. Er hat uns den Weg gewiesen. Er hat uns das vollkommene Beispiel gegeben und uns allen geboten, so zu werden, wie er ist. Er lädt uns ein, ihm und seinem Beispiel zu folgen und ihm ähnlich zu werden. Davon gebe ich Zeugnis im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.