2010–2019
Ein Gegensatz in allen Dingen
April 2016


Ein Gegensatz in allen Dingen

Gegensätze und Widerstände ermöglichen es uns, uns zu dem zu entwickeln, was wir nach dem Willen des Vaters im Himmel werden sollen.

Im Evangelium Jesu Christi ist der Erlösungsplan, den der Vater für den ewigen Fortschritt seiner Kinder aufgestellt hat, von zentraler Bedeutung. Dieser in neuzeitlicher Offenbarung dargelegte Plan hilft uns, vieles von dem zu verstehen, was uns in diesem Leben widerfährt. Ich spreche heute darüber, welch entscheidende Rolle Gegensätze und Widerstände in diesem Plan spielen.

I.

Dieses Erdenleben dient den Kindern Gottes dazu, Erfahrungen zu sammeln, die sie brauchen, „um sich auf die Vollkommenheit hin weiterzuentwickeln und letztlich als Erben ewigen Lebens ihre göttliche Bestimmung zu verwirklichen“1. Wie Präsident Thomas S. Monson heute früh so überzeugend dargelegt hat, ist dieser Fortschritt von den Entscheidungen abhängig, die wir treffen. Wir werden geprüft, um zu sehen, ob wir Gottes Gebote befolgen (siehe Abraham 3:25). Damit wir geprüft werden können, müssen wir selbständig zwischen mehreren Möglichkeiten wählen können. Und damit genügend Möglichkeiten vorhanden sind, um unsere Entscheidungsfreiheit auszuüben, brauchen wir Gegensätzliches.

Auch der übrige Teil des Plans ist von entscheidender Bedeutung. Wenn wir uns falsch entscheiden, was unvermeidlich ist, beflecken wir uns mit Sünde und müssen wieder rein gemacht werden, um weiter auf unsere ewige Bestimmung hinarbeiten zu können. Im Plan des Vaters ist ein Weg dafür vorgesehen – der Weg, durch den die ewigen Forderungen der Gerechtigkeit befriedigt werden: Ein Erretter zahlt den Preis, um uns von unseren Sünden zu erlösen. Dieser Erretter ist der Herr Jesus Christus, der einziggezeugte Sohn Gottes, des ewigen Vaters. Mit seinem Sühnopfer, seinem Leiden, wird der Preis für unsere Sünden bezahlt, sofern wir von ihnen umkehren.

Eine der besten Erklärungen dafür, wozu Gegensätze dienen sollen, ist im Buch Mormon zu finden, und zwar in den Worten, mit denen Lehi seinen Sohn Jakob belehrte.

„Denn es muss notwendigerweise so sein, dass es in allen Dingen einen Gegensatz gibt. Wenn nicht, … könnte Rechtschaffenheit nicht zustande gebracht werden, auch nicht Schlechtigkeit, weder Heiligkeit noch Elend, weder Gutes noch Böses.“ (2 Nephi 2:11; siehe auch Vers 15.)

„Darum“, fuhr Lehi fort, „hat der Herr, Gott, dem Menschen gewährt, für sich selbst zu handeln. Der Mensch könnte aber nicht für sich selbst handeln, wenn es nicht so wäre, dass er von dem einen oder dem anderen angezogen würde.“ (Vers 16.) Ebenso erklärt der Herr in einer neuzeitlichen Offenbarung: „Und es muss notwendigerweise so sein, dass der Teufel die Menschenkinder versucht, sonst könnten sie nicht für sich selbst handeln.“ (LuB 29:39.)

Gegensätze waren auch im Garten von Eden erforderlich. Hätten Adam und Eva nicht die Entscheidung getroffen, die die Sterblichkeit zur Folge hatte, erklärt Lehi, dann „wären sie in einem Zustand der Unschuld verblieben … und hätten nicht Gutes getan, denn sie kannten keine Sünde“ (2 Nephi 2:23).

Von Anfang an ging es im Plan des Vaters und auch in der Auflehnung des Satans gegen diesen Plan um selbständige Entscheidungen und Gegensätze. Der Herr offenbarte Mose, dass der Satan beim Rat im Himmel „danach trachtete, die Selbständigkeit des Menschen zu vernichten“ (Mose 4:3). Diese Vernichtung gehörte zu den Voraussetzungen dessen, was der Satan anbot. Er trat vor den Vater und sagte: „Siehe, hier bin ich, sende mich; ich will dein Sohn sein, und ich will die ganze Menschheit erlösen, dass auch nicht eine Seele verlorengeht, und gewiss werde ich es tun; darum gib mir deine Ehre.“ (Mose 4:1.)

Der Satan wollte den Plan des Vaters also auf eine Weise ausführen, durch die die Absicht des Vaters vereitelt worden wäre und durch die er die Herrlichkeit des Vaters erhalten hätte.

Der Vorschlag des Satans hätte zu vollkommener Gleichheit geführt; dadurch wäre „die ganze Menschheit [erlöst worden]“ und nicht eine Seele wäre verlorengegangen. Niemand hätte selbständig Entscheidungen treffen können. Gegensätze wären dann überflüssig gewesen. Es hätte keine Prüfungen, keine Fehlschläge und keinen Erfolg gegeben. Es hätte keinen Fortschritt gegeben, durch den die Absichten des Vaters für seine Kinder verwirklicht worden wären. In den heiligen Schriften wird berichtet, dass die Auflehnung des Satans zu einem Kampf im Himmel führte (siehe Offenbarung 12:7), bei dem sich zwei Drittel aller Kinder für den Plan des Vaters und gegen die Auflehnung des Satans entschieden und sich damit das Recht auf ein Leben als Sterbliche erwarben.

Der Satan wollte die Ehre und Macht des Vaters an sich bringen (siehe Jesaja 14:12-15; Mose 4:1,3). „Darum“, sagte der Vater, „weil jener Satan sich gegen mich auflehnte, … ließ ich ihn … hinabwerfen“ (Mose 4:3), und zwar mit allen Geistern, die ihre Entscheidungsfreiheit dazu genutzt hatten, ihm zu folgen (siehe Judas 1:6; Offenbarung 12:8,9; LuB 29:36,37). Der Satan und seine Anhänger wurden als körperlose Geister zu den Sterblichen hinabgeworfen, wo sie die Kinder Gottes nunmehr in Versuchung führen und bestrebt sind, sie zu täuschen und in Gefangenschaft zu führen (siehe Mose 4:4). So kommt es, dass der Böse, der sich auflehnte und danach trachtete, den Plan des Vaters zunichte zu machen, diesen vielmehr förderte – denn Gegensätze lassen Entscheidungen zu und erst die Möglichkeit, sich richtig zu entscheiden, führt zu dem Fortschritt, den der Vater mit seinem Plan beabsichtigt.

II.

Bezeichnenderweise ist die Versuchung, zu sündigen, nicht die einzige Art, wie sich im Erdenleben Gegensätzliches zeigt. Vater Lehi zufolge wären Adam und Eva, wenn es den Fall Adams nicht gegeben hätte, „in einem Zustand der Unschuld verblieben und hätten nicht Freude gehabt, denn sie kannten kein Elend“ (2 Nephi 2:23). Ohne die Erfahrung von Gegensätzen im Erdenleben müsste „notwendigerweise … alles aus Teilen zu einem Ganzen zusammengesetzt“ sein (Vers 11), und in diesem Ganzen gäbe es weder Glücklichsein noch Elend. Damit Gott, nachdem er alles erschaffen hatte, „nun seine ewigen Absichten, was den Zweck des Menschen betrifft, zuwege bringen konnte“, erklärte Vater Lehi weiter, „musste es notwendigerweise so sein, dass es Gegensätze gab; selbst die verbotene Frucht im Gegensatz zum Baum des Lebens, die eine war süß und die andere bitter“ (Vers 15).2 Seine Aussagen über diesen Teil des Erlösungsplans enden mit diesen Worten:

„Aber siehe, alles geschah gemäß der Weisheit dessen, der alles weiß.

Adam fiel, damit Menschen sein können, und Menschen sind, damit sie Freude haben können.“ (Vers 24,25.)

Gegensätze zeigen sich auf Erden auch in Form von Widerständen. Diese gehören ebenfalls zu dem Plan, der unseren Fortschritt hier auf Erden voranbringt.

III.

Wir alle erleben verschiedene Arten von Gegensätzen und Widerständen, die uns auf die Probe stellen. Einige dieser Prüfungen bestehen in der Versuchung, zu sündigen. Einige bestehen in Herausforderungen des Erdenlebens und nicht in Sünden. Einige sind überwältigend. Einige sind nur geringfügig. Einige sind langwierig und andere nur von kurzer Dauer. Niemand ist davon ausgenommen. Gegensätze und Widerstände ermöglichen es uns, uns zu dem zu entwickeln, was wir nach dem Willen des Vaters im Himmel werden sollen.

Als Joseph Smith die Übersetzung des Buches Mormon abgeschlossen hatte, musste er noch einen Verleger finden, was nicht einfach war. Der Umfang dieses stattlichen Manuskripts und die Kosten für das Drucken und Binden tausender Exemplare waren erschreckend. Zuerst wandte Joseph sich an E. B. Grandin, einen Drucker in Palmyra, der sich jedoch weigerte. Dann suchte er einen anderen Drucker in Palmyra auf, der ihm ebenfalls eine Absage erteilte. Er reiste 40 Kilometer weit nach Rochester und fragte bei dem bekanntesten Drucker im Westen des Staates New York an, doch dieser lehnte ebenfalls ab. Ein anderer Drucker in Rochester war zwar bereit, doch machten die Umstände diese Option unzumutbar.

Wochen waren vergangen, und Joseph muss angesichts der Widrigkeiten bei der Erfüllung seines göttlichen Auftrags ratlos gewesen sein. Der Herr machte es ihm nicht leicht, aber er machte es möglich. Josephs fünfter Anlauf, ein zweiter Versuch bei Grandin, dem Drucker in Palmyra, war erfolgreich.3

Jahre danach litt Joseph unter der qualvollen Gefangenschaft im Gefängnis zu Liberty. Als er um Hilfe betete, erklärte ihm der Herr, „dass dies alles [ihm] Erfahrung bringen und [ihm] zum Guten dienen“ werde (LuB 122:7).

Wir alle erleben auf Erden auch Widrigkeiten, die nicht durch unsere eigenen Sünden verursacht werden, wie zum Beispiel Krankheit, Behinderung und Tod. Präsident Thomas S. Monson hat gesagt:

„Einige von Ihnen haben sich angesichts ihres Leids vielleicht schon einmal beklagt und sich darüber gewundert, warum unser Vater im Himmel es zulässt, dass Sie nun gerade diese Schwierigkeiten durchmachen müssen. …

Unser Erdenleben war nie dazu bestimmt, leicht oder immer angenehm zu sein. Unser Vater im Himmel … weiß, dass wir durch schwierige Herausforderungen, herzzerreißenden Kummer und durch schwierige Entscheidungen lernen, uns entwickeln und geläutert werden. Ein jeder von uns erlebt finstere Tage, wenn ein geliebter Mensch stirbt, schmerzliche Zeiten, wenn die Gesundheit dahin ist, oder fühlt sich im Stich gelassen, wenn er meint, ein geliebter Mensch habe ihn verlassen. Diese und andere Prüfungen stellen unsere Fähigkeit, durchzuhalten, wahrhaft auf die Probe.“4

Unsere Bemühungen, den Sabbat besser heiligzuhalten, stellen ein weniger aufreibendes Beispiel für Widerstände dar. Der Herr hat uns geboten, den Sabbat heiligzuhalten. Mit manchen Entscheidungen verstoßen wir möglicherweise gegen dieses Gebot. Bei anderen Entscheidungen darüber, wie wir unsere Zeit am Sabbat verbringen, stellt sich ganz einfach die Frage, ob das, was wir uns vorgenommen haben, lediglich gut, besser oder gar am besten ist.5

Um zu veranschaulichen, was für einen Widerstand Versuchungen darstellen, werden im Buch Mormon drei Methoden beschrieben, die der Teufel in den Letzten Tagen anwendet. Erstens wird er „an jenem Tag … im Herzen der Menschenkinder wüten und sie zum Zorn aufstacheln gegen das, was gut ist“ (2 Nephi 28:20). Zweitens „wird er [Mitglieder] beschwichtigen und sie in fleischlicher Sicherheit wiegen“ und sagen: „Zion gedeiht, alles ist wohl.“ (Vers 21.) Drittens wird er uns sagen, „es gebe keine Hölle; und [ich] bin kein Teufel, denn es gibt keinen“ (Vers 22), und deshalb gibt es auch weder richtig noch falsch. Wegen dieser Widrigkeiten werden wir ermahnt, in Zion nicht sorglos zu sein (siehe Vers 24).

In der heutigen Zeit scheinen die Kirche in ihrer göttlichen Mission und wir in unserem Privatleben auf immer größere Widerstände zu stoßen. Da die Kirche immer stärker wird und wir Mitglieder an Glauben und Gehorsam zunehmen, verstärkt vielleicht auch der Satan seinen Widerstand, damit es für uns auch weiterhin „in allen Dingen einen Gegensatz gibt“.

Mancher Widerstand kommt sogar von Mitgliedern der Kirche. Einige widersetzen sich mit eigenen Gedanken oder ihrer eigenen Weisheit prophetischem Rat und beanspruchen dafür ein Etikett, das aus der Politik stammt, nämlich das der „loyalen Opposition“. Ein solches Konzept mag in einer Demokratie angebracht sein, in der Regierung des Gottesreiches aber, wo man zwar Fragen schätzt, aber keinen Widerstand, hat es keine Berechtigung (siehe Matthäus 26:24).

Noch ein Beispiel. In der Anfangszeit der Geschichte unserer Kirche gibt es vieles, womit einige ihren Widerstand begründen, wie etwa das, was Joseph Smith in der einen oder anderen Situation getan oder nicht getan hat. Diesen allen sage ich: Üben Sie Glauben aus und vertrauen Sie auf die Lehre des Herrn, dass wir sie „an ihren Früchten … erkennen“ werden (Matthäus 7:16). Die Kirche unternimmt große Anstrengungen, um alle vorhandenen Aufzeichnungen offenzulegen. Trotz allem, was wir veröffentlichen können, bleiben bei unseren Mitgliedern manchmal grundlegende Fragen zurück, die sich durch Studium allein nicht beantworten lassen. Das ist ein „Gegensatz in allen Dingen“, der sich durch die Geschichte der Kirche auftut. Manches kann man nur durch Glauben erfahren (siehe LuB 88:118). In erster Linie müssen wir uns auf unseren Glauben an das Zeugnis verlassen, das wir vom Heiligen Geist empfangen haben.

Selten greift Gott in die Selbständigkeit eines seiner Kinder ein, indem er gegen einige Menschen einschreitet, um es anderen leichter zu machen. Doch er macht uns die Last unserer Bedrängnisse leicht und gibt uns die Kraft, sie zu ertragen, so wie beim Volk Almas im Land Helam (siehe Mosia 24:13-15). Er bewahrt uns zwar nicht vor jeder Katastrophe, erhört aber unsere Gebete, sie abzuwenden (wie bei dem ungewöhnlich heftigen Wirbelsturm, der die Weihung des Tempels in Fidschi zu verhindern drohte)6, oder er schwächt ihre Auswirkungen ab (wie bei dem Terroranschlag am Flughafen von Brüssel, bei dem so viele umkamen, während unsere vier Missionare lediglich Verletzungen davontrugen).

Trotz all der Gegensätze und Widerstände in diesem Leben hat Gott uns zugesichert, dass er unsere „Bedrängnisse [zu unserem] Gewinn weihen“ wird (2 Nephi 2:2). Wir wurden ferner darüber aufgeklärt, dass wir unsere Erfahrungen im Erdenleben und Gottes Gebote im Zusammenhang mit dem großen Plan der Erlösung sehen müssen, durch den wir den Sinn des Lebens kennen und wissen, dass es einen Erlöser gibt. In seinem Namen lege ich für die Wahrheit all dessen Zeugnis ab. Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Liahona, November 2010, Umschlagrückseite

  2. Auch aus neuzeitlichen Offenbarungen geht hervor, dass wir das Süße nicht kennen könnten, wenn wir nicht das Bittere hätten (siehe Lehre und Bündnisse 29:39).

  3. Siehe Michael Hubbard MacKay und Gerrit J. Dirkmaat, From Darkness unto Light: Joseph Smith’s Translation and Publication of the Book of Mormon, 2015, Seite 163–179

  4. Thomas S. Monson, „Joy in the Journey“, Ansprache bei der Frauenkonferenz an der BYU, 2. Mai 2008, womensconference.ce.byu.edu. In einer kurzen Abhandlung über Sportsgeist und Demokratie von John S. Tanner, derzeit Präsident der BYU Hawaii, finden wir folgende Erkenntnisse zu diesem uns allen vertrauten Thema: „Es ist nicht nur eine bürgerliche Pflicht, sondern ein religiöses Gebot, dass man lernt, wie man mit Anstand verliert. Gott hat das Erdenleben so angelegt, dass es mit Sicherheit ‚in allen Dingen einen Gegensatz gibt‘ (2 Nephi 2:11). Rückschläge und Niederlagen sind Teil seines Plans, und dieser dient unserer Vervollkommnung. … Niederlagen spielen bei unserem ‚Streben nach Vollkommenheit‘ eine wesentliche Rolle.“ (Notes from an Amateur, 2011, Seite 57.)

  5. Siehe Dallin H. Oaks, „Gut, besser, am besten“, Liahona, November 2007, Seite 104–108

  6. Siehe Sarah Jane Weaver, „Rededication Goes Forward“, Church News, 28. Februar 2016, Seite 3f.