2010–2019
Bereitet den Weg
April 2017


Bereitet den Weg

Dem Aaronischen und dem Melchisedekischen Priestertum wurden zwar nicht derselbe Auftrag und dieselbe Vollmacht übertragen, dennoch sind sie im Werk der Errettung untrennbar als Partner miteinander verbunden.

Mit 30 Jahren begann ich, für einen Einzelhandelskonzern in Frankreich zu arbeiten. Eines Tages bat mich der Präsident, ein guter Mann, der einem anderen Glauben angehörte, in sein Büro zu kommen. Seine Frage ließ mich aufhorchen: „Ich habe gerade erfahren, dass Sie in Ihrer Kirche Priester sind. Stimmt das?“

Ich antwortete: „Ja, das ist richtig. Ich trage das Priestertum.“

Sein Interesse war durch meine Antwort offensichtlich geweckt und er fasste weiter nach: „Haben Sie denn an einem theologischen Seminar studiert?“

„Aber ja“, erwiderte ich, „im Alter von 14 bis 18 Jahren habe ich fast täglich Seminarlektionen studiert.“ Er fiel fast vom Stuhl.

Ich war sehr überrascht, als er mich einige Wochen später wieder in sein Büro kommen ließ und mir die Stelle des geschäftsführenden Direktors in einem Unternehmen des Konzerns anbot. Erstaunt brachte ich meine Bedenken zum Ausdruck, dass ich zu jung und unerfahren sei, um eine solch große Verantwortung zu übernehmen. Mit einem wohlwollenden Lächeln meinte er: „Das mag richtig sein, macht aber nichts. Ich kenne Ihre Grundsätze und ich weiß, was Sie in Ihrer Kirche gelernt haben. Ich brauche Sie!“

Er hatte Recht mit dem, was mir in der Kirche beigebracht worden war. Die folgenden Jahre waren anstrengend, und ich weiß nicht, ob ich ohne die Erfahrungen, die ich schon als Junger Mann bei meinem Dienst in der Kirche gesammelt hatte, auch nur den geringsten Erfolg gehabt hätte.

Ich durfte in einem kleinen Zweig aufwachsen. Weil wir nur wenige waren, waren die Jugendlichen dazu aufgerufen, aktiv in allen Bereichen des Zweigs mitzuarbeiten. Ich hatte sehr viel zu tun, und das Gefühl, nützlich zu sein, gefiel mir. Sonntags amtierte ich beim Abendmahl, diente in meinem Priestertumskollegium und erfüllte noch einige andere Berufungen. Unter der Woche begleitete ich oft meinen Vater und andere erwachsene Priestertumsträger. Wir machten Heimlehrbesuche bei Mitgliedern, trösteten die Kranken und Bedrängten und halfen den Bedürftigen. Niemand schien auf den Gedanken zu kommen, dass ich zu jung war, um zu dienen oder gar zu führen. Für mich war das alles normal und ganz natürlich.

Der Dienst, den ich in meiner Jugend leistete, half mir, ein Zeugnis zu entwickeln und mein Leben im Evangelium zu verankern. Ich war von guten und mitfühlenden Männern umgeben, die sich fest entschlossen waren, ihren Mitmenschen mit dem Priestertum ein Segen zu sein. Ich wollte sein wie sie. Durch den gemeinsamen Dienst mit ihnen lernte ich, mehr als mir damals bewusst war, in der Kirche und auch in der Welt zu führen.

Viele Junge Männer, die das Aaronische Priestertum tragen, sind heute Abend hier anwesend oder verfolgen die Versammlung anderswo. Wenn ich auf die Anwesenden schaue, sehe ich, dass viele von euch neben reifen Männern sitzen, vielleicht eurem Vater, Großvater, älteren Bruder oder Priestertumsführer. Sie alle tragen das Melchisedekische Priestertum. Sie haben euch lieb und sind zum Großteil auch deshalb hierher gekommen, um bei euch zu sein.

Diese Zusammenkunft mehrerer Generationen bietet ein herrliches Bild der Einigkeit und Bruderschaft, die zwischen den beiden Priestertümern Gottes bestehen. Dem Aaronischen und dem Melchisedekischen Priestertum wurden zwar nicht derselbe Auftrag und dieselbe Vollmacht übertragen, dennoch sind sie im Werk der Errettung untrennbar als Partner miteinander verbunden. Sie arbeiten Hand in Hand und brauchen einander sehr.

Das vollkommene Beispiel für die enge Beziehung zwischen diesen zwei Priestertümern findet man in der Zusammenarbeit von Jesus und Johannes dem Täufer. Kann man sich Johannes den Täufer überhaupt ohne Jesus vorstellen? Wie wäre die göttliche Mission des Erretters ohne das vorbereitende Werk des Johannes verlaufen?

Johannes dem Täufer war eine der edelsten Missionen aufgetragen worden, die es je gegeben hat. Er sollte „den Weg des Herrn … bereiten“1, ihn mit Wasser taufen und ein Volk vorbereiten, ihn zu empfangen. Dieser gerechte und heilige Mann,2 der zum geringeren Priestertum ordiniert worden war, war sich der Bedeutung und der Grenzen seiner Mission und seiner Vollmacht vollkommen bewusst.

Die Menschen strömten zu Johannes, weil sie ihn hören und sich von ihm taufen lassen wollten. Zu Recht wurde er als Mann Gottes geehrt. Doch als Jesus in die Öffentlichkeit trat, fügte sich Johannes demütig dem, der größer war als er. Er erklärte: „Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, … der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren.“3

Jesus, der Messias, der Einziggezeugte des Vaters, der das höhere Priestertum trug, erkannte seinerseits demütig die Vollmacht des Johannes an. Über ihn sagte der Erretter: „Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer.“4

Stellen Sie sich doch nur einmal vor, wie es in unseren Priestertumskollegien aussähe, wenn die Beziehung zwischen den Trägern der zwei Priestertümer von dem Beispiel geprägt wäre, das Jesus und Johannes der Täufer gegeben haben. Meine jungen Brüder im Aaronischen Priestertum, wie Johannesʼ Aufgabe ist es auch die eure, für das große Werk des Melchisedekischen Priestertums „den Weg … zu bereiten“5. Das tut ihr auf vielerlei Weise. Ihr amtiert in den heiligen Handlungen der Taufe und des Abendmahls. Ihr helft, ein Volk für den Herrn vorzubereiten, indem ihr das Evangelium predigt, „das Haus eines jeden Mitglieds“6 besucht und über die Kirche wacht.7 Ihr unterstützt die Armen und die Bedürftigen, wenn ihr Fastopfer einsammelt, und kümmert euch um das Gemeindehaus und andere zeitliche Mittel. Eure Aufgabe ist wichtig, notwendig und heilig.

Meine erwachsenen Brüder, ob Vater, Bischof, JM-Berater oder einfach Träger des Melchisedekischen Priestertums: Sie können dem Beispiel des Erretters folgen, indem Sie sich Ihren Brüdern zuwenden, die das geringere Priestertum tragen, und sie bitten, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. In Wirklichkeit kommt diese Bitte vom Herrn selbst. Er hat gesagt: „Darum nehmt diejenigen mit euch, die zum geringeren Priestertum ordiniert sind, und sendet sie vor euch her, dass sie Vereinbarungen treffen und den Weg bereiten und Vereinbarungen erfüllen, die ihr selbst nicht erfüllen könnt.“8

Wenn Sie Ihre jüngeren Brüder auffordern, „den Weg [zu] bereiten“, helfen Sie ihnen, die heilige Vollmacht, die sie tragen, zu erkennen und zu ehren. Dadurch wiederum helfen Sie ihnen, ihren eigenen Weg zu bereiten, denn dann bereiten sie sich auf den Tag vor, an dem sie das höhere Priestertum empfangen und ausüben.

Ich möchte Ihnen die wahre Geschichte von Alex erzählen, einem ruhigen, umsichtigen und intelligenten jungen Priester. Sein Bischof fand ihn eines Sonntags ganz verzweifelt und allein in einem Klassenraum. Der junge Mann erklärte, wie schwer und schmerzlich es für ihn sei, ohne seinen Vater, der nicht der Kirche angehörte, in die Kirche zu kommen. Unter Tränen sagte er dann, dass es wahrscheinlich besser sei, wenn er die Kirche verließe.

In aufrichtiger Sorge um diesen jungen Mann mobilisierte der Bischof sogleich den Gemeinderat, um Alex zu helfen. Sein Plan war einfach: Sie mussten dafür sorgen, dass Alex aktiv blieb und ein festes Zeugnis vom Evangelium entwickelte. Sie mussten ihn mit guten Menschen umgeben und ihm wichtige Aufgaben übertragen.

Kurzerhand scharten sich alle Brüder im Priestertum und alle Mitglieder der Gemeinde um Alex. Sie zeigten ihm, dass sie ihn gern hatten, und unterstützten ihn. Der Hohepriestergruppenleiter, ein Mann von großem Glauben und voller Liebe, wurde ihm als Heimlehrpartner an die Seite gestellt. Mitglieder der Bischofschaft nahmen ihn unter ihre Fittiche und machten ihn zu ihrem engsten Mitarbeiter.

Der Bischof berichtete: „Wir gaben Alex etwas zu tun. Bei Hochzeiten und Beerdigungen übernahm er den Ordnungsdienst. Er assistierte mir bei der Weihung von Gräbern, taufte mehrere neue Mitglieder, ordinierte Junge Männer zu Ämtern im Aaronischen Priestertum, unterrichtete die Jugendlichen, unterwies Interessierte gemeinsam mit den Missionaren, schloss das Gebäude für Konferenzen auf und schloss es spät abends nach den Konferenzen wieder ab. Er nahm an Dienstprojekten teil, begleitete mich, wenn ich ältere Mitglieder im Hospiz besuchte, hielt Ansprachen in der Abendmahlsversammlung, reichte Kranken im Krankenhaus oder zu Hause das Abendmahl und wurde einer von nur einer Handvoll Leute, auf die ich mich als Bischof voll und ganz verlassen konnte.“

Bild
Alex mit seinem Bischof

Ganz allmählich veränderte sich Alex. Sein Glaube an den Herrn wuchs. Er entwickelte Vertrauen in sich selbst und in die Macht des Priestertums, das er trug. Der Bischof schloss mit den Worten: „Alex war und wird immer eine der größten Segnungen in meiner Zeit als Bischof sein. Was war es doch für eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten! Ich glaube wirklich, dass nie ein junger Mann auf Mission gegangen ist, der durch seinen Dienst im Priestertum besser vorbereitet war.“9

Meine lieben Bischöfe, im Rahmen Ihrer Ordinierung und Einsetzung als Bischof Ihrer Gemeinde haben Sie die heilige Berufung, als Präsident des Aaronischen Priestertums und des Priesterkollegiums zu dienen. Mir ist bewusst, dass Sie eine schwere Last tragen. Dennoch müssen Sie Ihre Pflicht gegenüber diesen Jungen Männern zu einer Ihrer höchsten Prioritäten machen. Sie dürfen sie nicht vernachlässigen oder diese Verantwortung an andere delegieren.

Ich bitte Sie, denken Sie über jeden der jungen Träger des Aaronischen Priestertums in Ihrer Gemeinde nach. Nicht einer von ihnen darf sich jemals ausgeschlossen oder nutzlos fühlen. Gibt es einen Jungen Mann, dem Sie und andere Brüder im Priestertum helfen könnten? Bitten Sie ihn, an Ihrer Seite zu dienen. Allzu oft versuchen wir, unsere Jungen Männer zu unterhalten und verweisen sie in eine Zuschauerrolle, während sich ihr Glaube und ihre Liebe zum Evangelium am besten entwickeln können, wenn sie ihr Priestertum groß machen. Wenn sie aktiv am Erlösungswerk teilnehmen, werden sie mit dem Himmel verbunden und sie werden sich ihres göttlichen Potenzials bewusst.

Das Aaronische Priestertum ist mehr als eine Altersgruppe, ein Unterrichts- oder Aktivitätenprogramm oder gar ein Begriff, mit dem man die Jungen Männer in der Kirche bezeichnet. Es ist die Macht und die Vollmacht, am großen Werk zur Errettung der Seelen teilzuhaben – der Seelen dieser Jungen Männer, die sie innehaben, und der Seelen derer, denen sie dienen. Stellen wir das Aaronische Priestertum an seinen rechtmäßigen Platz, einen erwählten Platz. Es ist für alle Jungen Männer in der Kirche ein Platz des Dienens, der Vorbereitung und der erbrachten Leistungen.

Meine lieben Brüder im Melchisedekischen Priestertum, ich fordere Sie auf, die unentbehrliche Verbindung, durch die die zwei Priestertümer Gottes vereint werden, zu festigen. Befähigen Sie Ihre Jugendlichen im Aaronischen Priestertum, den Weg für Sie zu bereiten. Sagen Sie ihnen voll Zuversicht: „Ich brauche dich.“ Ihr jungen Träger des Aaronischen Priestertums, ich bete darum, dass ihr, wenn ihr mit euren älteren Brüdern dient, hört, wie die Stimme des Herrn zu euch sagt: „Du bist gesegnet, denn du sollst Großes tun. Siehe, du warst ausgesandt, nämlich wie Johannes, um den Weg vor mir zu bereiten.“10 Im Namen Jesu Christi. Amen.