2010–2019
Das Priestertum und die sühnende Macht des Erretters
Herbst-Generalkonferenz 2017


Das Priestertum und die sühnende Macht des Erretters

Damit die Absichten des himmlischen Vaters erfüllt werden können, muss die sühnende Macht Christi Gottes Kindern zugänglich gemacht werden. Das Priestertum eröffnet diese Möglichkeit.

Stellen Sie sich mit mir eine Rakete vor, die zu einer Abschussrampe manövriert wird, damit sie für den Start vorbereitet werden kann. Jetzt stellen Sie sich die Zündung vor. Treibstoff wird durch kontrollierte Verbrennung in heißes Gas umgewandelt, das dann ausgestoßen wird und dabei die erforderliche Schubkraft erzeugt, um die Rakete in den Weltraum zu befördern. Stellen Sie sich zum Schluss noch die Nutzlast oder Ladung vor, die sich oben an der Rakete befindet. Der Wert der Nutzlast wird nur dann voll ausgeschöpft, wenn sie an ihren Bestimmungsort gelangt und ordnungsgemäß funktioniert. Man muss kein Raketentechniker sein, um sich denken zu können, dass ein teurer, auf die Erdumkreisung ausgelegter Kommunikationssatellit wenig Wert hat, wenn er in einer Lagerhalle vor sich hinschlummert. Eine Rakete hat schlicht die Aufgabe, eine bestimmte Nutzlast an den Zielort zu bringen.

Heute Abend möchte ich das Priestertum, das wir tragen, mit einer Rakete und die Möglichkeit, Nutznießer der sühnenden Macht des Erretters zu sein, mit der Nutzlast vergleichen, die eine Rakete abliefert.

Wegen seines Sühnopfers hat Jesus Christus die Macht und Vollmacht, die ganze Menschheit zu erlösen. Um den Zugang zu seiner sühnenden Macht zu ermöglichen, hat er einen Teil seiner Macht und Vollmacht an Männer hier auf der Erde delegiert. Diese delegierte Macht und Vollmacht wird das Priestertum genannt. Es ermöglicht den Priestertumsträgern, den Vater im Himmel und Jesus Christus bei deren Werk zu unterstützen, und das ist: die Errettung und Erhöhung der Kinder Gottes zustande zu bringen. Es wirkt insofern dabei mit, weil es den Kindern Gottes die Möglichkeit bietet, die Segnungen der sühnenden Macht des Erretters zu empfangen.

Die sühnende Macht Jesu Christi spielt eine entscheidende Rolle. Keiner von uns kann nämlich ohne Hilfe in unsere himmlische Heimat zurückkehren. Während des Erdenlebens machen wir immer wieder Fehler und übertreten Gottes Gesetze. Wir beflecken uns mit Sünde, wodurch uns der Weg zurück in Gottes Gegenwart verwehrt ist. Wir brauchen die sühnende Macht des Erretters, damit wir mit dem Vater im Himmel wieder versöhnt werden können. Jesus Christus hat die Bande des physischen Todes zerrissen und somit allen die Auferstehung ermöglicht. Er bietet uns die Vergebung unserer Sünden an, die jedoch von unserem Gehorsam gegenüber den Gesetzen und Verordnungen seines Evangeliums abhängt. Durch ihn wird uns die Erhöhung angeboten. Die Möglichkeit, Nutznießer der sühnenden Macht des Erretters zu sein, ist die wichtigste Nutzlast der Schöpfung.

Damit die Absichten des himmlischen Vaters erfüllt werden können, muss die sühnende Macht Christi Gottes Kindern zugänglich gemacht werden.1 Das Priestertum eröffnet diese Möglichkeit. Es ist die Rakete. Das Priestertum spielt eine wesentliche Rolle, weil die notwendigen heiligen Handlungen und Bündnisse auf der Erde nur kraft der damit verbundenen Vollmacht vollzogen beziehungsweise geschlossen werden. Würde das Priestertum niemandem die Möglichkeit eröffnen, Nutznießer der sühnenden Macht des Erretters zu sein, welchen Zweck hätte es dann? Wäre es nur ein aufwändig hergestellter Knallkörper, der unsere Aufmerksamkeit erregt? Gott möchte, dass das Priestertum bei mehr als bloß einem Unterricht am Sonntag oder einem Dienstprojekt zur Anwendung kommt. Er möchte, dass es die Nutzlast an den Zielort bringt.

Kleine Defekte an einer Rakete können dazu führen, dass die Mission scheitert. Brüchige Dichtungen und Werkstoffermüdung können zu einer Fehlfunktion der Rakete führen. Um das Priestertum sinnbildlich vor brüchigen Dichtungen und Werkstoffermüdung zu bewahren, schützt Gott sowohl die Übertragung als auch die Ausübung des Priestertums.2 Die Übertragung des Priestertums ist durch Priestertumsschlüssel geschützt, nämlich die dem Menschen verliehenen Rechte der Präsidentschaft.3 Die Ausübung des Priestertums ist ebenfalls durch Priestertumsschlüssel geschützt und zudem durch Bündnisse, die der Priestertumsträger eingeht. Folglich wird die Ausübung des Priestertums sowohl durch Priestertumsschlüssel als auch durch Bündnisse geregelt. Ein Mann erhält seinen Priestertumsauftrag ganz persönlich; der Auftrag hängt auch von ihm selbst ab.4 Das Priestertum ist kein verschwommener Ausgangspunkt für autonome Befugnis.

Man empfängt sowohl das Aaronische als auch das Melchisedekische Priestertum durch einen Bund.5 Gott legt die Bedingungen fest, der Mensch willigt ein. Allgemein gefasst gelobt ein Priestertumsträger in einem Bund, Gott bei seinem Werk zu helfen. Zu Beginn dieser Evangeliumszeit erklärte Jesus Christus: „[Der Bund des Priestertums ist] um euretwillen auf euch bestätigt[,] und nicht allein um euretwillen, sondern um der ganzen Welt willen[, weil] sie nicht zu mir kommen.“6

Daraus geht hervor: Der Zweck des Priestertums besteht darin, andere einzuladen, zu Christus zu kommen, und ihnen zu helfen, das wiederhergestellte Evangelium anzunehmen. Wir haben das Priestertum, damit wir den Kindern des himmlischen Vaters dabei helfen können, von der Last der Sünde befreit zu werden und wie er zu werden. Durch das Priestertum wird die Macht des Göttlichen im Leben all derer kundgetan, die Evangeliumsbündnisse eingehen und halten und die damit verbundenen heiligen Handlungen empfangen.7 Auf diese Weise kommen wir alle zu Christus, werden rein gemacht und mit Gott versöhnt. Die sühnende Macht Christi wird durch das Priestertum zugänglich gemacht, das die Nutzlast an ihren Zielort bringt.

Bündnisse mit Gott sind eine ernste und feierliche Sache. Man muss sich darauf vorbereiten, sich Wissen darüber aneignen und sie mit dem Vorsatz eingehen, sie zu ehren. Aus einem Bund wird eine Selbstverpflichtung. Der englische Dramatiker Robert Bolt drückt dies in etwa so aus: Ein Mann schließt nur dann einen Pakt (oder Bund), wenn er sich ganz und gar zu einem Versprechen verpflichten will. Er schafft eine Verbindung zwischen dem tatsächlich gegebenen Versprechen und seiner Tugend. Wenn ein Mann einen Bund schließt, hält er sich selbst – wie Wasser – in den zum Schöpfen geformten Händen. Und sollte er die Finger öffnen, kann er nicht darauf hoffen, sich wiederzufinden. Wer einen Bund bricht, hat kein Ich mehr, das er verpflichten, keine Garantie, die er geben kann.8

Ein Träger des Aaronischen Priestertums verpflichtet sich, Böses zu meiden, andere bei ihrer Versöhnung mit Gott zu unterstützen und sich darauf vorzubereiten, das Melchisedekische Priestertum zu empfangen.9 Er erfüllt diese heiligen Pflichten, wenn er Menschen unterweist, sie tauft, die Mitglieder der Kirche stärkt und weitere Menschen auffordert, das Evangelium anzunehmen. Dies sind seine „Raketenfunktionen“. Gott verheißt seinerseits Hoffnung, Vergebung, den Dienst von Engeln sowie die Schlüssel des Evangeliums der Umkehr und der Taufe.10

Ein Träger des Melchisedekischen Priestertums verpflichtet sich, die Aufgaben zu erfüllen, die mit dem Aaronischen Priestertum verbunden sind, und seine Berufung im Melchisedekischen Priestertum groß zu machen.11 Er tut dies durch das Halten der Gebote, die mit diesem Bund einhergehen. Zu den Geboten gehört, dass er „den Worten des ewigen Lebens eifrig Beachtung [schenkt]“‚ indem er „von jedem Wort [lebt], das aus dem Mund Gottes hervorkommt“12, für Jesus Christus und für dessen Werk in den Letzten Tagen Zeugnis gibt,13 nicht über sich prahlt14 und ein Freund des Erretters wird und ihm wie ein Freund vertraut.15

Gott verheißt seinerseits, dass der Träger des Melchisedekischen Priestertums Schlüssel erhält, um die Geheimnisse Gottes zu verstehen. Er wird vollkommen werden, sodass er in der Gegenwart Gottes stehen kann. Er wird imstande sein, seine Aufgabe im Erlösungswerk zu erfüllen. Jesus Christus wird den Weg vor diesem Priestertumsträger bereiten und bei ihm sein. Der Heilige Geist wird im Herzen des Betreffenden sein und Engel werden ihn stützen. Sein Körper wird gestärkt und erneuert werden. Er wird Erbe der Segnungen Abrahams sein und, zusammen mit seiner Frau, Miterbe Jesu Christi des Reiches des himmlischen Vaters.16 Dies sind kostbare und überaus große Verheißungen.17 Größere kann man sich nicht vorstellen.

Jedem Mann, der das Melchisedekische Priestertum empfängt, bestätigt Gott seine an den Bund geknüpften Verheißungen mit einem Eid.18 Dieser Eid gehört nur zum Melchisedekischen Priestertum,19 und Gott ist derjenige, der den Eid schwört, nicht der Priestertumsträger.20 Da diese einzigartige Situation mit seiner göttlichen Macht und Vollmacht verbunden ist, leistet Gott einen Eid, und zwar in den eindringlichsten Worten, die ihm zur Verfügung stehen, um uns zuzusichern, dass seine Verheißungen stets bindend und unwiderruflich sind.

Es hat schwerwiegende Folgen, wenn jemand Priestertumsbündnisse bricht und sich gänzlich von ihnen abwendet.21 Wenn man in einer Priestertumsberufung leichtfertig oder gleichgültig ist, ist es, als verursache man bei einem Raketenteil die Ermüdung eines Werkstoffs. Ein solches Verhalten gefährdet den Bund des Priestertums, weil es dazu führen kann, dass die Mission scheitert. Wer den Geboten Gottes gegenüber ungehorsam ist, bricht den Bund. Demjenigen, der den Bund immer wieder bricht und nicht umkehrt, werden die verheißenen Segnungen entzogen.

Mir wurde die Beziehung zwischen der „Priestertumsrakete“ und der Nutzlast, nämlich der Möglichkeit, Nutznießer der sühnenden Macht Christi zu sein, vor mehreren Jahren erst richtig klar. An einem Wochenende hatte ich zwei Aufträge. Zum einen sollte ich den ersten Pfahl in einem Land gründen, zum andern einen jungen Mann interviewen und, wenn alles in Ordnung war, seine Priestertums- und Tempelsegnungen wiederherstellen. Dieser 30-jährige Mann hatte sich noch als Teenager der Kirche angeschlossen. Er hatte eine Mission erfüllt. Als er heimkehrte, geriet er jedoch auf Abwege und verlor seine Mitgliedschaft in der Kirche. Einige Jahre später „ging er in sich“22. Mit der Hilfe liebevoller Priestertumsführer und freundlicher Mitglieder kehrte er um und wurde durch Taufe wieder in die Kirche aufgenommen.

Einige Zeit darauf beantragte er die Wiederherstellung seiner Priestertums- und Tempelsegnungen. Wir vereinbarten, uns an jenem Samstag um 10 Uhr im Gemeindehaus zu treffen. Als ich zu den vorher anberaumten Interviews eintraf, war er schon da. Er war so darauf erpicht, das Priestertum wiederzubekommen, dass er es einfach nicht abwarten konnte.

Bei unserem Gespräch zeigte ich ihm den Brief, in dem stand, dass Präsident Thomas S. Monson seinen Antrag persönlich geprüft und das Interview genehmigt hatte. Diesem sonst so gefassten jungen Mann kamen die Tränen. Dann sagte ich ihm, dass das Datum unseres Interviews im Prinzip von keinerlei Bedeutung für sein Leben sei. Verdutzt sah er mich an. Ich erklärte ihm, dass sein Mitgliedsschein, sobald ich seine Segnungen wiederhergestellt hatte, nur das ursprüngliche Datum seiner Taufe, seiner Konfirmierung, seiner Priestertumsordinierung und seines Endowments enthalten werde. Erneut kamen ihm die Tränen.

Ich bat ihn, etwas aus dem Buch Lehre und Bündnisse vorzulesen:

„Siehe, wer von seinen Sünden umgekehrt ist, dem ist vergeben, und ich, der Herr, denke nicht mehr an sie.

Ob jemand von seinen Sünden umkehrt, könnt ihr daran erkennen: Siehe, er wird sie bekennen und von ihnen lassen.“23

Zum dritten Mal traten ihm Tränen in die Augen. Daraufhin legte ich ihm die Hände auf und stellte im Namen Jesu Christi und mit der Vollmacht des Melchisedekischen Priestertums und im Auftrag des Präsidenten der Kirche seine Priestertums- und Tempelsegnungen wieder her.

Wir wurden von großer Freude erfüllt. Er wusste, dass er wieder bevollmächtigt war, das Priestertum Gottes zu tragen und auszuüben. Er wusste, dass seine Tempelsegnungen wieder voll und ganz wirksam waren. Sein Schritt war beschwingt und er strahlte nur so vor Glück. Ich war sehr stolz auf ihn und ich spürte, wie stolz auch der Vater im Himmel auf ihn war.

Danach wurde der Pfahl gegründet. An den Versammlungen nahmen viele begeisterte, treue Heilige teil, die eine hervorragende Pfahlpräsidentschaft in ihrem Amt bestätigten. Doch selbst dieses historische Ereignis, dass in einem Land der erste Pfahl gegründet wurde, wurde von der Freude, die ich verspürte, als ich die Segnungen dieses jungen Mannes wiederherstellte, in den Schatten gestellt.

Ich habe erkannt: Wenn ein Pfahl gegründet wird oder wenn wir das Priestertum Gottes auf irgendeine Weise ausüben, so besteht der Zweck darin, dass wir den Vater im Himmel und Jesus Christus bei ihrem Werk unterstützen, jedem Kind Gottes die Möglichkeit zur Errettung und Erhöhung zu bieten. Wie die Rakete, deren Zweck darin besteht, eine Nutzlast an den Zielort zu bringen, bringt uns das Priestertum das Evangelium Jesu Christi und ermöglicht es einem jeden, Bündnisse zu schließen und die damit verbundenen heiligen Handlungen zu empfangen. Dadurch kann das „sühnende Blut Christi“24 in unserem Leben Anwendung finden, während wir den heiligenden Einfluss des Heiligen Geistes verspüren und die Segnungen erlangen, die Gott verheißt.

Ich lege Ihnen ans Herz: Befolgen Sie die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums und gehen Sie darüber hinaus Priestertumsbündnisse ein und halten Sie diese. Empfangen Sie Gottes Eid und seine Verheißung. Machen Sie Ihre Aufgaben im Priestertum groß und helfen Sie dem Vater im Himmel und Jesus Christus. Wenden Sie das Priestertum an, um jemand anderem die Möglichkeit zu geben, Nutznießer der sühnenden Macht des Erretters zu sein! Wenn Sie dies tun, erlangen Sie und Ihre Familie große Segnungen. Ich bezeuge, dass der Erlöser lebt und dieses Werk leitet. Im Namen Jesu Christi. Amen.