2010–2019
Wo führt das hin?
Frühjahrs-Generalkonferenz 2019


Wo führt das hin?

Wir treffen bessere Entscheidungen, wenn wir die Alternativen betrachten und uns überlegen, wo sie hinführen

Das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi bringt uns dazu, an die Zukunft zu denken. Es erklärt den Zweck des Erdenlebens und die Existenz eines Lebens danach. Es vermittelt uns Großartiges über die Zukunft, wonach wir unser jetziges Handeln ausrichten.

Im Gegensatz dazu kennen wir alle jemanden, für den nur die Gegenwart zählt: heute kaufen, heute genießen und nicht an die Zukunft denken.

Wir sind jedoch in der Gegenwart und in der Zukunft glücklicher, wenn wir uns der Zukunft immer bewusst sind. Wenn wir heute Entscheidungen treffen, sollten wir uns immer fragen: „Wo führt das hin?“

I.

Bei manchen Entscheidungen geht es darum, etwas zu tun oder nichts zu tun. Ich habe vor vielen Jahren bei einer Pfahlkonferenz in den USA von einem solchen Beispiel gehört.

Es spielte sich auf einem schönen Universitätsgelände ab. Eine Gruppe junger Studenten saß auf dem Rasen. Der Sprecher, der von dieser Begebenheit erzählte, sagte, dass alle einem niedlichen Eichhörnchen mit einem großen, buschigen Schwanz zusahen, das am Fuße eines schönen Laubbaums spielte. Mal war es auf dem Boden, mal rannte es den Stamm auf und ab oder umrundete ihn. Was war jedoch so faszinierend an diesem alltäglichen Anblick, dass eine ganze Gruppe Studenten zusah?

Ausgestreckt auf dem Rasen lag ganz in der Nähe ein Irish Setter. Er war es, für den sich die Studenten interessierten, während der Hund sich für das Eichhörnchen interessierte. Jedes Mal, wenn sich das Eichhörnchen kurz auf der anderen Seite des Baumes befand, kroch der Setter leise ein paar Zentimeter vor und nahm dann wieder seine scheinbar desinteressierte Haltung ein. Das war es, was die Studenten so faszinierte. Still und regungslos saßen sie da und beobachteten gebannt das Geschehen, dessen Ausgang immer offensichtlicher wurde.

Schließlich war der Setter nahe genug, um mit einem Satz das Eichhörnchen zu schnappen. Mit einem Schreckensschrei stürmten die Studenten vor und entrissen dem Hund das kleine Tierchen, aber es war zu spät. Das Eichhörnchen war tot.

Jeder in der Gruppe hätte jederzeit mit den Armen wedeln oder rufen können, um das Eichhörnchen zu warnen, doch niemand hatte sich gerührt. Sie hatten tatenlos zugesehen, während der unvermeidliche Ausgang des Ganzen immer näherrückte. Niemand hatte sich gefragt: „Wo führt das hin?“ Als dann das Vorhersehbare geschah, beeilten sich alle, den Ausgang abzuwenden, aber es war zu spät. Jetzt konnten sie nur noch vor Bedauern weinen.

Diese wahre Geschichte ist gewissermaßen auch ein Gleichnis. Es bezieht sich auf das, was wir in unserem eigenen Leben und im Leben anderer und in den uns umgebenden Verhältnissen sehen. Wenn wir bemerken, dass jemand oder etwas, an dem uns etwas liegt, bedroht wird, haben wir die Wahl: Wir können etwas sagen oder tun oder schweigen. Wir tun gut daran, uns zu fragen: „Wo führt das hin?“ Wenn die Folgen unmittelbar und ernsthaft sind, können wir es uns nicht leisten, nichts zu tun. Wir müssen eine angemessene Warnung aussprechen oder angemessene Maßnahmen zur Vermeidung unterstützen, solange noch Zeit dafür ist.

Bei den eben beschriebenen Entscheidungen geht es um die Wahl zwischen Handeln und Nichtstun. Meistens muss man sich jedoch zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten entscheiden. Dabei kann es sein, dass man zwischen Gut und Böse entscheiden muss, aber häufiger muss man zwischen zwei guten Optionen wählen. Auch hier sollte man sich fragen, wohin jede Option führt. Wir entscheiden uns ständig zwischen zwei guten Optionen, wobei es oft auch darum geht, wie wir unsere Zeit verbringen. Es ist ja nichts Schlechtes, wenn man Videospiele spielt, Textnachrichten schreibt, fernsieht oder mit dem Handy telefoniert. Bei all dem geht es aber auch um sogenannte „Opportunitätskosten“, was bedeutet: Wenn man seine Zeit mit dem einen verbringt, verpasst man die Gelegenheit, etwas anderes zu tun. Sie erkennen sicherlich, dass wir sorgfältig erwägen müssen, was wir verlieren, wenn wir unsere Zeit mit etwas Bestimmtem verbringen, auch wenn die Sache an sich völlig in Ordnung ist.

Vor einiger Zeit habe ich über das Thema „Gut, besser, am besten“ gesprochen. Damals habe ich gesagt: „Allein die Tatsache, dass etwas gut ist, [ist] noch kein triftiger Grund …, es auch zu tun. Die Menge des Guten, was wir tun könnten, beansprucht weit mehr Zeit, als uns dafür zur Verfügung steht. Einiges ist besser als gut, und dem sollten wir in unserem Leben vorrangig Aufmerksamkeit widmen. … Wir müssen einiges, was gut ist, aufgeben, um etwas anderes zu wählen, was besser oder am besten ist, weil wir dadurch Glauben an den Herrn Jesus Christus entwickeln und unsere Familie stärken.“1

Denken Sie voraus. Welche Auswirkungen haben unsere gegenwärtigen Entscheidungen auf die Zukunft? Denken Sie daran, wie wichtig es ist, eine Ausbildung zu erlangen, sich mit dem Evangelium zu befassen, am Abendmahl teilzunehmen, um unsere Bündnisse zu erneuern, und in den Tempel zu gehen.

II.

Die Frage „Wo führt das hin?“ ist auch maßgebend dafür, wie wir uns selbst sehen oder bezeichnen. Zuallererst ist jeder von uns ein Kind Gottes mit der potenziellen Bestimmung, ewiges Leben zu erlangen. Jede andere Bezeichnung, sei es der Beruf, die ethnische Zugehörigkeit, körperliche Merkmale oder Auszeichnungen, ist aus ewiger Sicht vergänglich oder unbedeutend. Entscheiden Sie sich nicht dafür, sich selbst so zu bezeichnen oder zu sehen, dass Sie einem Ziel, das Sie anstreben könnten, Grenzen setzen.

Meine Brüder – und auch meine Schwestern, die Sie meine Worte hier hören oder lesen –, ich hoffe, Sie wissen, warum wir als Ihre Führer Ihnen genau das sagen und raten, was wir sagen und raten. Wir haben Sie lieb, und der Vater im Himmel und sein Sohn Jesus Christus haben Sie lieb. Ihr Plan für uns ist der „[große] Plan des Glücklichseins“ (Alma 42:8). Dieser Plan sowie ihre Gebote, heiligen Handlungen und Bündnisse führen uns zum größten Glück und zur größten Freude in diesem und im nächsten Leben. Als Diener des Vaters und des Sohnes sagen und raten wir das, was sie uns durch den Heiligen Geist auftragen. Uns liegt nur daran, das zu verkünden, was wahr ist, und Sie zu ermutigen, das zu tun, was der Vater und der Sohn als den Weg zum ewigen Leben, der „größte[n] aller Gaben Gottes“ (Lehre und Bündnisse 14:7), vorgegeben haben.

III.

Hier nun ein weiteres Beispiel dafür, wie sich eine gegenwärtige Entscheidung auf die Zukunft auswirkt. Es geht um die Entscheidung, jetzt ein Opfer zu bringen, um ein wichtiges zukünftiges Ziel zu erreichen.

Bei einer Pfahlkonferenz in Cali in Kolumbien erzählte eine Schwester, dass sie und ihr Verlobter den Wunsch hatten, im Tempel zu heiraten. Der nächste Tempel war damals jedoch weit weg in Peru. Also sparten sie lange Zeit für die Busfahrkarten. Endlich nahmen sie den Bus nach Bogotá. Als sie dort ankamen, erfuhren sie jedoch, dass alle Plätze im Bus nach Lima schon besetzt waren. Sie konnten entweder unverheiratet nach Hause zurückfahren oder an einem anderen Ort als dem Tempel heiraten. Zum Glück bot sich noch eine andere Lösung. Sie konnten im Bus nach Lima mitfahren, wenn sie bereit waren, während der gesamten Reise von fünf Tagen und fünf Nächten auf dem Boden zu sitzen. Sie entschieden sich dafür. Die Schwester erzählte, dass es beschwerlich war, obwohl einige Fahrgäste ihnen manchmal ihren Sitzplatz überließen, um sich auf dem Boden auszustrecken.

Was mich am meisten an ihrer Ansprache beeindruckte, war ihre Aussage, dass sie dankbar seien, auf diese Weise zum Tempel gelangt zu sein, weil sich dadurch ihre Einstellung zum Evangelium und zur Eheschließung im Tempel geändert habe. Der Herr hat die beiden mit dem Fortschritt belohnt, der daraus erwächst, dass man Opfer bringt. Die Schwester merkte auch an, dass diese fünftägige Reise zum Tempel ihre Geistigkeit sehr viel mehr gestärkt habe als viele Tempelbesuche, die keine Opfer abverlangten.

Im Laufe der Jahre, seit ich dieses Zeugnis gehört habe, habe ich überlegt, wie anders das Leben dieses jungen Paares wohl verlaufen wäre, wenn es sich anders entschieden hätte – wenn es das Opfer für die Eheschließung im Tempel nicht gebracht hätte.

Brüder, wir treffen unzählige Entscheidungen, manch große und manch scheinbar kleine. Rückblickend erkennen wir, welche Auswirkungen manche unserer Entscheidungen auf unser Leben hatten. Wir treffen bessere Entscheidungen, wenn wir die Alternativen betrachten und uns überlegen, wo sie hinführen. Wenn wir das tun, befolgen wir Präsident Russell M. Nelsons Rat, von Anfang an das Ende vor Augen zu haben.2 Für uns ist das Ende stets der durch Bündnisse vorgezeichnete Weg durch den Tempel hin zum ewigen Leben, der größten aller Gaben Gottes.

Ich gebe Zeugnis für Jesus Christus und für die Auswirkungen seines Sühnopfers und die anderen Wahrheiten seines immerwährenden Evangeliums. Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Dallin H. Oaks, „Gut, besser, am besten“, Liahona, November 2007, Seite 104, 107

  2. Siehe Russell M. Nelson, „Gemeinsam voran“, Liahona, April 2018, Seite 7