2002
Das siebte Gebot – ein Schild
Januar 2002


Das siebte Gebot – ein Schild

„Das Befolgen des siebten Gebots ist ein so lebenswichtiger Schild! Wenn wir diesen Schild senken oder verlieren, verlieren wir die so dringend nötigen Segnungen des Himmels.“

Es geht mir wie Jakob, der nur widerstrebend über Probleme wie Unkeuschheit und Untreue sprach – die Übertretung dessen, was von einigen als das siebte Gebot bezeichnet wird. Jakob war voll Sorge, weil das Gemüt seiner Zuhörer „überaus zart und keusch und empfindsam“ war, und er wollte „die Wunden derer, die bereits verwundet sind“, nicht noch vergrößern, „statt sie zu trösten und ihre Wunden zu heilen“ (Jakob 2:7,9). Trotzdem sind Jakobs Worte über die harten Folgen der Unkeuschheit sowohl diagnostisch als auch poetisch: „Viele Herzen [sind] gestorben, durchbohrt von tiefen Wunden.“ (Jakob 2:35.) Auch heute sind wir von vielen solchen Verwundeten umgeben, und die Liste derer, die daran zugrunde gehen, wird immer länger.

Man könnte also zu Recht auf die Gegebenheiten des Evangeliums hinweisen, die uns Zuversicht schenken, beispielsweise darauf, dass jemand, der aufrichtig umkehrt, wären seine „Sünden auch rot wie Scharlach“, sie doch „weiß werden [können] wie Schnee“ (Jesaja 1:18). Aber die Härten und der reiche Lohn der Umkehr sind nicht das Thema dieser Ansprache. Auch nicht das verdiente Lob an die vielen tapferen Jugendlichen und Erwachsenen, die keusch und treu leben – selbst wenn inzwischen nur eine schrumpfende Minderheit der amerikanischen Gesellschaft voreheliche Beziehungen für falsch hält. Daher gilt mein Lob denen, die in Bezug auf die Gebote Glauben zum Gehorsam haben, und meine Anerkennung denen, die „Glauben zur Umkehr“ haben, wenn ein Gebot verletzt worden ist (Alma 34:15; Hervorhebung hinzugefügt).

Zweifellos ziehen Unkeuschheit und Untreue schwerwiegende Folgen nach sich, wie etwa die weitreichenden, andauernden Auswirkungen der unehelichen Geburt und Vaterlosigkeit sowie Krankheiten und auseinander gerissene Familien. So viele Ehen hängen an einem seidenen Faden oder sind bereits zerbrochen. Diese stille, doch ernste Krise besteht neben den beunruhigenden internationalen Krisen und Kriegen unserer Zeit. Jesus bezeichnete die Letzten Tage als eine Zeit, da „die Völker bestürzt und ratlos sein“ werden und alles in Aufruhr sein werde (Lukas 21:25; siehe auch LuB 88:91; 45:26).

Das Befolgen des siebten Gebots ist ein so lebenswichtiger Schild! Wenn wir diesen Schild senken oder verlieren, verlieren wir die so dringend nötigen Segnungen des Himmels. Kein Mensch und kein Land kann ohne diese Segnungen lange gedeihen.

Es ist doch seltsam, dass man sich in einer Zeit, in der so viel Wert auf Ansprüche gelegt wird, kaum Gedanken darüber macht, wie man Anspruch auf die Segnungen des Himmels erhält. Stattdessen hat der abnehmende Glaube an die Unsterblichkeit zu größerer Unsittlichkeit geführt; „er verführte viele … , denn er sagte ihnen, wenn der Mensch erst tot sei, dann sei es mit ihm aus“ (Alma 30:18). Ein japanischer Denker, der unsere westliche, dem Vergnügen zugewandte Gesellschaft betrachtete, sagte fast herausfordernd:

„Wenn es nach dem Tod nichts gibt, was ist dann falsch daran, sich in der kurzen Zeit, die man noch zu leben hat, ganz dem Vergnügen hinzugeben? Der Verlust des Glaubens an das Jenseits hat der modernen westlichen Gesellschaft ein verheerendes sittliches Problem aufgebürdet.“ (Takeshi Umehara, “The Civilization of the Forest: Ancient Japan Shows Postmodernism the Way“, At Century’s End [Hg. Nathan P. Gardels, ALTI Publishing, 1995], Seite 190.)

Ein guter Bürger zu sein bedeutet deshalb auch, gut zu sein und beispielsweise genau zu wissen, was der Unterschied ist zwischen „seinen Nächsten begehren“ und „seinen Nächsten lieben“. Matthew Arnold hat bemerkt: „Die Natur kümmert sich nicht um Keuschheit, … aber dem Menschen bedeutet sie viel.“ (Philistinism in England and America, The Complete Prose Works of Matthew Arnolds, Band 10, Hg. R. H. Super, [1974], Seite 160.) Und ich möchte hinzufügen: Gott bedeutet sie noch unendlich mehr!

Die starken Neigungen des natürlichen Menschen stehen dem siebten Gebot entgegen; sie umfassen das Fleischliche, Sinnliche und Teuflische, das dem Menschen schadet (siehe Mosia 3:19; 16:3; Mose 5:13). Sollten diese drei Wörter zu hart klingen, dann bedenken Sie, Brüder und Schwestern, welch schreckliches Ziel der Widersacher verfolgt, nämlich „dass alle Menschen so elend seien wie er selbst“ (2 Nephi 2:27). Das Elend bleibt nicht gern für sich!

Eine der besten Möglichkeiten, „den natürlichen Menschen“ abzulegen, besteht darin, ihn auszuhungern (siehe Mosia 3:19). Ist er geschwächt, kann man sich leichter von ihm befreien. Andernfalls besteht er darauf, seine Fahrkarte an jeder Haltestelle des Zuges der Versuchung abstempeln zu lassen. Leider helfen Strafpredigten meist auch nicht gegen den natürlichen Menschen, denn die Begierde erstickt das Wort (siehe Markus 4:19).

Das siebte Gebot zu brechen wird leider dadurch erleichtert, dass raffinierte Sophisten manchen einreden, dass, „was auch immer jemand tue“, in Wirklichkeit „kein Verbrechen“ sei (Alma 30:17). Denn manche hören gern etwas Geringeres als die Wahrheit, etwas, das den Ohren schmeichelt, und sie folgen deshalb denen, die versuchen, die scharfkantigen unbequemen Gebote zu glätten (siehe 2 Timotheus 4:3.) Und doch bleibt das Sprichwort wahr: „Wer Ehebruch treibt, ist ohne Verstand.“ (Sprichwörter 6:32.) Andere beachten die Gebote nicht, weil sie sich mit etwas ganz anderem beschäftigen. Dostojewskij lässt einen seiner Charaktere sagen: „Die Zeitalter vergehen und die Menschheit verkündet durch die Lippen ihrer Weisen, dass es kein Verbrechen gibt und daher keine Sünde; es gibt nur Hunger.“ (Fjodor Michailowitsch Dostojewskij, Die Brüder Karamasow.)

Der Widersacher hat auch den Begriff von der Privatsphäre künstlich aufgebläht, so dass es leichter ist, die Eigenverantwortung abzustreifen. Schließlich genügen ein paar Mausklicks am Computer, um, heimlich und schnell, auf feindliches Gebiet zu gelangen, ohne sich einer Passkontrolle unterziehen zu müssen; das abgestumpfte Gewissen bleibt dann die einzige Schranke.

Gott hat aber nicht zweierlei Ausgaben der Zehn Gebote gegeben, eine für drinnen und eine für draußen! Es gibt auch keine zwei anerkannten Wege zur Umkehr. Ein Wochenende des Bedauerns mag natürlich ein gewisses „Trauern der Verdammten“ hervorrufen, führt aber nicht zu der „mächtigen Wandlung“, die nur durch „gottgewollte Traurigkeit“ bewirkt wird (Mormon 2:13; Mosia 5:2; Alma 5:13,14; siehe auch 2 Korinther 7:10).

Ja, wir Menschen können uns immer noch frei entscheiden. Ja, im Himmel fand sogar ein Kampf statt, um unsere Entscheidungsfreiheit zu bewahren. Aber hier unten wird die große Gabe der Entscheidungsfreiheit oft einfach sang- und klanglos aufgegeben!

Es gibt so viele Möglichkeiten, das schützende siebte Gebot fest an seinem Platz zu verankern. Aufschlussreich ist beispielsweise, dass Davids Fall zumindest teilweise dadurch erleichtert wurde, dass er nicht dort war, wohin die Pflicht ihn gerufen hatte: „Um die Jahreswende, zu der Zeit, in der die Könige in den Krieg ziehen, … [blieb] David selbst … in Jerusalem.“ (2 Samuel 11:1,2.) Darauf folgten, wie Sie wissen, die begehrlichen Blicke vom Dach und all das Elend, das daraus entstand. Dass wir „an heiliger Stätte“ stehen sollen, heißt aber nicht, dass wir einfach dort bleiben, um es zu genießen (siehe LuB 87:8; siehe auch Matthäus 24:15).

Wer „auf diese Weise glücklich“ lebt (2 Nephi 5:27), ist klug genug, schützende geistige Manieren zu entwickeln. Sie spiegeln sich in seiner Kleidung, seiner Sprache, seinem Humor und seiner Musik wider, womit er zeigt, dass er ein fest entschlossener Jünger ist.

Will man spätere Schwierigkeiten vermeiden, darf man zudem keine Sünden, von denen man nicht umgekehrt ist, in die Ehe mitbringen, denn sonst befänden sich die Ehepartner unter einem ungleichen Joch (siehe 2 Korinther 6:14). Ebenso können Mann und Frau bewusst vermeiden, dass sie sich auseinanderleben, indem sie in ihrer Treue nicht nachlassen und sich nicht in der starken Strömung fangen lassen, die zu den Wasserfällen führt. Gemieden werden muss auch der Sumpf des Selbstmitleids, der niemanden weiterbringt. Darin gibt man das bisschen Verantwortungsgefühl, das noch bleibt, leicht auf, indem man die Einschränkungen des Gewissens und der Bündnisse beiseite schiebt und dabei versucht, sich vor anderen zu rechtfertigen bei dem, was „in den Augen Gottes ein Gräuel“ ist (Lukas 16:15).

Die trügerische, rasante Fahrt der Sinnlichkeit zu durchschauen ist eine weitere wichtige Schutzmaßnahme. So sind zum Beispiel manche von denen, die sich mit ihrer unsittlichen Lebensweise über das siebte Gebot hinwegsetzen, wie Kain, der erklärte: „Ich bin frei.“ (Mose 5:33.) Das war, nachdem er das sechste Gebot gebrochen und Abel erschlagen hatte. Diese falsche Auffassung von Freiheit lässt uns an die warnenden Worte des Petrus denken: „Denn von wem jemand überwältigt worden ist, dessen Sklave ist er.“ (2 Petrus 2:19; siehe auch 2 Nephi 2:26-30.) Manch eine überspannte Seele mag inmitten von Knechtschaft und Sünde noch ein Lachen vortäuschen, doch hier trifft das Sprichwort zu: „Auch beim Lachen kann ein Herz leiden, das Ende der Freude ist Gram.“ (Sprichwörter 14:13.)

In einer Zeit, in der man sich zu Recht Gedanken über den Wahrheitsgehalt von Werbung macht, beleidigen manche irreführenden Bezeichnungen den Verstand: Ecstasy müsste eigentlich Elend heißen; Rave ist keine begeisterte Schwärmerei, sondern in Wirklichkeit ein trauriges Gebrumm, hervorgerufen von Amok laufender Sinnlichkeit. Beispielsweise glauben manche Beteiligten törichterweise, ein bisschen anzügliches Tanzen sei harmlos. Doch sie sündigen nicht „unwissend“ (3 Nephi 6:18). Indem sie den Feind nachahmen und unterschätzen, gefährden sie sich am Ende selbst und verwirren und enttäuschen dabei noch ihre Freunde!

Haben Sie sich je gefragt, warum in dieser Szene der Sinnlichkeit so oft mit blinkendem, jedoch gedämpftem Licht gearbeitet wird? Oder warum all der Glanz? Oder warum dieser als Musik getarnte Lärm? Weil das Böse, das sich vor der Morgendämmerung fürchtet, dem festen, prüfenden Blick heller Wahrheit nicht standhalten kann und auch nicht bestehen kann, wenn jemand durch stilles Nachdenken sein Gewissen erforscht.

Der Trommelschlag der Desensibilisierung betäubt also die Geschmacksknospen der Seele, indem man unrechtmäßig auf das rechtmäßige Bedürfnis, dazuzugehören und geliebt zu werden, reagiert, wobei sowohl das Raubtier als auch das Opfer leider „kein Gefühl mehr dafür“ haben (1 Nephi 17:45; siehe auch Epheser 4:19; Moroni 9:20).

Henry Fairlie schrieb, dass „im Mittelpunkt des Lebens eines lüsternen Menschen gewöhnlich eine schreckliche Leere zu finden ist“ (Henry Fairlie, The Seven Deadly Sins Today [1978], Seite 187.) Trotzdem reden manche naiven Jugendlichen davon, sie müssten mal wieder auftanken, wo doch in Wirklichkeit nichts bleibt als Leere und giftige Erinnerungen. „Lust“, schrieb Fairlie weiter, „ist nicht am Partner interessiert, sondern nur an der Befriedigung ihres eigenen Verlangens. … Sie stirbt im Morgengrauen, und wenn sie am Abend zurückkehrt, um sich erneut auf die Suche zu machen, hat sie das, was vorher war, ausgelöscht.“ (The Seven Deadly Sins Today, Seite 175.)

Wie gut man die Lust auch verkleiden und zurechtmachen mag, sie ist kein Ersatz für Liebe, vielmehr erstickt sie, Brüder und Schwestern, die Entwicklung wahrer Liebe, was dazu führt, dass die Liebe bei vielen erkaltet (siehe Matthäus 24:12). Kein Wunder, dass uns gesagt wird: „Sieh zu, dass du alle deine Leidenschaften zügelst, dass du von Liebe erfüllt seist.“ (Alma 38:12.) Sonst breiten sich die Leidenschaften in unserer Seele aus, und für etwas anderes ist kein Platz mehr.

Früher hatte die Gesellschaft oft hilfreiche, wenn auch sanfte, ausgleichende und zügelnde Mechanismen – darunter die Familie, die Kirche und die Schule –, um extremen Verhaltensweisen Einhalt zu gebieten. Aber viel zu oft fehlen manche dieser Mechanismen, funktionieren nicht richtig oder sind nicht eindeutig genug.

Und außerdem wird die aktuelle Entwicklung zusätzlich dadurch beschleunigt, dass es modern ist, niemand zu verurteilen und alles Unrecht, das begangen wird, zu entschuldigen – solange jemand auch noch etwas Lobenswertes vollbringt. Hat denn Mussolini schließlich nicht dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fuhren? Wer gegen das siebte Gebot verstößt, mag dennoch einen wertvollen Beitrag leisten, aber er zahlt einen verborgenen persönlichen Preis (siehe Alma 28:13). Über König Morianton lesen wir: „Und er ließ dem Volk Gerechtigkeit angedeihen, nicht aber sich selbst – wegen seiner vielen Hurerei.“ (Ether 10:11.) Morianton, der offenbar ein gerechter König war und nicht auf die Person sah, achtete jedoch nicht auf sich selbst! Seine selbst beigebrachten Wunden wurden durch den äußeren Schmuck von Reichtümern und Gebäuden verdeckt (siehe Ether 10:10–12).

Das alles ist so ernüchternd, dass das Folgende gesagt werden muss, und ich zögere nicht, es zu sagen: Aus den Offenbarungen erfahren wir, dass Sünder, die nicht umkehren, entsprechend ihren Sünden leiden müssen, wie Jesus für unsere Sünden gelitten hat, denn sie werden eines Tages die volle Gerechtigkeit Gottes erfahren (siehe LuB 19:16–18). Darüber hinaus werden diejenigen, die auf verschiedene Weise dieses, oft von Drogen begleitete, Drama der Unsittlichkeit beharrlich fördern und intensivieren – ob sie es nun veranstalten, ermöglichen oder davon profitieren – sich auch noch bewusst all dem Elend stellen müssen, das sie bei so vielen verursacht haben!

Schließlich, Brüder und Schwestern, gibt es Zeiten und Umstände, wo ein wahrer Jünger bereit sein muss, ganz allein dazustehen! Unsere Bereitschaft, das hier und jetzt zu tun, entspricht dem, was Christus damals in Getsemani tat, als er allein auf seinen Knien war. Als er das Sühnopfer vollbrachte, war niemand bei ihm (siehe LuB 133:50; Matthäus 26:38–45).

Die Glaubenstreuen stehen jedoch nicht ganz allein da. Der Engel, der Christus in Getsemani beistand, um ihm Kraft zu geben, musste ihn schließlich verlassen (siehe Lukas 22:43). Wenn wir jedoch den Schild des Glaubens an Gott und an seine Gebote hochhalten, werden seine Engel „rings um [uns]“ sein, „um [uns] zu stützen“, und sie werden uns „in ihre Obhut nehmen“ (LuB 84:88; 109:22). Von dieser Verheißung gebe ich Zeugnis! Was den Widerstreit in unserer Seele angeht, Brüder und Schwestern, gebe ich davon Zeugnis, dass wir selbst bestimmen, wo es langgeht. Wir legen fest, wie glücklich wir in diesem Leben und im Jenseits sein werden. Ich gebe auch Zeugnis, dass wir, wenn wir die Gebote – darunter auch das siebte Gebot – halten, Gott bitten, uns die Hand zu führen, wenn wir den Kurs bestimmen. Es ist die Hand dessen, der uns alles geben will, was er hat (siehe LuB 84:38). Im Namen Jesu Christi. Amen.