2013
O wie groß der Plan unseres Gottes!
Juni 2013


O wie groß der Plan unseres Gottes!

In einer Zeit, als ich viel Kummer und Einsamkeit im Herzen trug, schenkte mir meine Kenntnis vom Evangelium die Zuversicht, weiter vorwärtszugehen.

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two young men in white

Illustrationen von Cynthia Clark

Ich bin an einem Ort aufgewachsen, wo die Kirche kaum bekannt ist – in Berkh im Norden der Mongolei. Ich bin der mittlere von drei Brüdern, und wir verbrachten als Kinder viel Zeit miteinander. Als mein älterer Bruder für seine weitere Ausbildung in die Stadt zog, vermisste ich ihn sehr. Zwei Jahre später kam er in den Sommerferien nach Hause. In diesem Sommer ging meine Familie drei Monate lang in den Bergen jagen. Es waren mit die schönsten Sommerferien, die ich je erlebt hatte.

Mein Bruder erzählte mir von der Kirche, der er sich angeschlossen hatte, der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Damals lehnte ich christliche Kirchen jedoch grundsätzlich ab, deshalb hörte ich ihm nur mit halbem Ohr zu.

An einem Herbsttag kamen wir vom Jagen nach Hause und stellten fest, dass wir Besucher aus der Stadt hatten. Sie waren von der Kirche, von der mir mein Bruder erzählt hatte. Er kehrte noch am selben Abend mit ihnen in die Stadt zurück. Später erfuhren wir, warum er gegangen war: Er hatte eine Missionsberufung erhalten. Er hatte kein Wort davon gesagt, dass er seine Papiere eingereicht hatte! Bald darauf ging mein älterer Bruder auf Mission in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Zum Evangelium bekehrt

Im nächsten Jahr zog ich in die Stadt, um dort zu studieren. Die Familie, bei der ich wohnte, gehörte, wie ich bald feststellte, ebenfalls der Kirche an. Am Sonntagmorgen luden sie mich ein, mit ihnen in die Kirche zu gehen. Da ich schon viel über die Kirche gehört hatte, war ich bereit, einmal mitzugehen.

Aber ich ging nicht nur einmal, sondern oftmals mit zur Kirche! Ich hatte dort immer ein so friedliches Gefühl. Die Menschen waren nett und begrüßten mich immer freundlich. Die Kirche war ganz anders, als ich sie mir vorgestellte hatte. Bald hörte ich die Missionarslektionen an. Fast zwei Jahre lang unterhielt ich mich regelmäßig mit den Missionaren.

Ich wusste, dass ich mich taufen lassen wollte, aber meine Taufe musste verschoben werden, weil ich Probleme damit hatte, mich an das Wort der Weisheit zu halten. Es fiel mir schwer, aber schließlich war ich für die Taufe bereit. Ich hatte das Glück, dass mein älterer Bruder mich taufte, der wenige Monate zuvor von seiner Mission zurückgekehrt war. Wenn ich an diesen Augenblick zurückdenke, kommen mir manchmal die Tränen. Es war der glücklichste Augenblick meines Lebens.

Nachdem ich mich also der Kirche angeschlossen hatte, sprach mein Bruder fast jeden Tag über Missionsarbeit. Er spornte mich an, auf Mission zu gehen. Mit seiner Hilfe füllte ich meine Missionspapiere aus. Ich werde nie vergessen, wie glücklich mein Bruder und ich damals waren.

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Ein schlimmes Erlebnis

Eines Abends rief mich mein Bruder an, denn er wollte sich nach der Arbeit mit mir treffen und noch einiges im Hinblick auf meine Mission mit mir besprechen. Wir vereinbarten, uns zu einer bestimmten Zeit auf dem Hauptplatz zu treffen.

Damals fanden in der Mongolei gerade Parlamentswahlen statt. Als wir uns auf dem Hauptplatz trafen, fand dort wegen der Wahlen eine Demonstration statt. Die Polizei war da, doch die Demonstration eskalierte und entwickelte sich zu einem gewalttätigen, bedrohlichen Aufruhr. Ein großes Gebäude und einige Autos standen in Flammen, und die Leute schrien. Es war beängstigend.

Mein Bruder und ich hatten uns zwar weit von der Demonstration entfernt getroffen, aber er machte sich Sorgen. Er gab mir Geld für ein Taxi und wies mich an, sofort nach Hause zu fahren. Er sagte mir, wir würden uns am nächsten Tag sehen. Auch er wollte gleich nach Hause gehen, denn er wohnte nicht weit von seiner Arbeitsstätte entfernt. Das Taxi kam an, und wir verabschiedeten uns rasch voneinander, ehe ich abfuhr.

Bald stellte sich heraus, dass die Behörden wegen des Aufruhrs alle Straßen gesperrt hatten. Da ich nicht nach Hause konnte – ich wohnte in einem Vorort –, verbrachte ich die Nacht an meinem Arbeitsplatz. Überall sah man gepanzerte Fahrzeuge und bewaffnete Soldaten. Die Kämpfe weiteten sich aus, und in der Nacht wurde der Notstand ausgerufen. Das blieb vier Tage so.

Als der Notstand aufgehoben wurde, holte mich mein Schwager ab. Bei ihm zuhause warteten schon alle Verwandten auf uns. Sie weinten. Ich erfuhr, dass mein älterer Bruder auf dem Weg zu seiner Wohnung erschossen worden war.

Ich dachte, mir würde das Herz brechen. Wegen dieser Demonstration war mein Bruder mit 24 Jahren gestorben. Die Tage nach dem Tod meines Bruders waren die schrecklichsten meines Lebens.

Mitten in diesem Kummer erhielt ich meine Missionsberufung. Nachdem ich meine Bekehrung, meine Taufe und das Ausfüllen meiner Missionspapiere gemeinsam mit meinem Bruder erlebt hatte, musste ich jetzt meine Missionsberufung alleine öffnen. Zu meiner Überraschung wurde ich in mein eigenes Land berufen.

Da ich allein war, kniete ich mich an Ort und Stelle nieder und dankte meinem Vater im Himmel im Gebet. Und ich betete für meinen Bruder. Ich hörte beim Beten nicht auf zu weinen. Mein Herz war voller Kummer und Einsamkeit, aber ich verspürte auch das Zeugnis des Heiligen Geistes vom Erlösungsplan tiefer als je zuvor, und meine Glaube wurde gestärkt.

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Von links nach rechts: Amarsanaa und seine Brüder Dorjsuren und Amarsaikhan

Ein Zeugnis von Gottes Plan

Mein Bruder konnte nicht dabei sein, als ich meine Missionsberufung öffnete, aber ich werde ihm immer dankbar sein. Ich bin auch sehr dankbar, dass Gott uns durch das Sühnopfer Jesu Christi den Erlösungsplan gegeben hat. Es ist ein erstaunlicher Plan. Wenn wir diesem Plan folgen, verspüren wir inneren Frieden.

In den heiligen Schriften steht: „O wie groß der Plan unseres Gottes! Denn … das Paradies Gottes [muss] die Geister der Rechtschaffenen freigeben und das Grab den Leib der Rechtschaffenen …; und der Geist und der Leib werden einander wiederhergestellt, und alle Menschen werden unverweslich und unsterblich, und sie sind lebendige Seelen.“ (2 Nephi 9:13.)

Ich weiß, dass mein Bruder in der Geisterwelt lebt. Dieses Wissen gibt mir das nötige Vertrauen, meine Mission gut zu erfüllen. Ich weiß, dass er in schwierigen Zeiten bei mir sein wird – und auch der Herr wird bei mir sein.