2013
Verbindet ihre Wunden
November 2013


Verbindet ihre Wunden

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Ich bete darum, dass wir uns darauf vorbereiten, jedweden Dienst im Priestertum zu leisten, den der Herr uns auf unserer irdischen Reise abverlangen mag.

Wir alle sind mit Verantwortung für andere gesegnet. Das Priestertum Gottes zu tragen bedeutet, dass man von Gott für das ewige Leben seiner Kinder verantwortlich gemacht wird. Das ist eine Tatsache, das ist großartig, und es kann mitunter ein erdrückendes Gefühl sein.

Heute Abend hören Ältestenkollegiumspräsidenten zu, die wissen, was ich meine. Ich möchte erzählen, was einer von Ihnen erlebt hat. Wahrscheinlich haben viele von Ihnen schon Ähnliches erlebt – und zwar mehr als einmal. Die Einzelheiten mögen variieren, aber die Situation ist die gleiche.

Ein Ältester, den Sie nicht gut kennen, bittet Sie um Hilfe. Er hat gerade erfahren, dass er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn noch am gleichen Tag aus der bisherigen Wohnung in eine andere in der Nähe umziehen muss.

Er und seine Frau haben bereits einen Freund gefragt, ob sie seinen Laster für den Tag borgen können, um ihr Mobiliar und ihr persönliches Eigentum zu transportieren. Der Freund hat eingewilligt. Der junge Vater beginnt, all ihren Besitz einzuladen, aber nach wenigen Minuten zieht er sich eine Verletzung am Rücken zu. Der Freund, der den Laster ausgeliehen hat, ist zu beschäftigt und kann nicht helfen. Der junge Vater ist verzweifelt. Da denkt er an Sie, seinen Ältestenkollegiumspräsidenten.

Als er Sie um Hilfe bittet, ist es bereits früher Nachmittag. Am Abend steht eine Versammlung in der Kirche an. Sie haben Ihrer Frau bereits versprochen, ihr an diesem Tag im Haushalt zu helfen. Ihre Kinder haben Sie gefragt, ob Sie nicht etwas mit ihnen unternehmen können, aber dazu sind Sie noch nicht gekommen.

Außerdem ist Ihnen bewusst, dass die Mitglieder Ihres Kollegiums – besonders die Verlässlichsten, auf die Sie in der Regel zurückgreifen – zeitlich wahrscheinlich genauso beansprucht sind wie Sie.

Der Herr wusste, dass Sie solche Tage erleben würden, als er Sie zu diesem Amt berufen hat, daher hat er eine Geschichte erzählt, die Ihnen Ansporn geben soll. Es ist ein Gleichnis für überlastete Priestertumsträger. Wir nennen es manchmal die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Doch es passt genau auf vortreffliche Priestertumsträger in diesen hektischen, schwierigen Letzten Tagen.

Die Geschichte ist wie maßgeschneidert für einen Diener im Priestertum, dem zu viel abverlangt wird. Sie müssen nur wissen, dass Sie der Samariter sind und nicht der Priester oder der Levit, die an dem Verletzten vorübergehen.

Vielleicht ist Ihnen diese Geschichte bislang nicht in den Sinn gekommen, wenn Sie vor solchen Herausforderungen standen. Ich hoffe aber, dass sie Ihnen einfällt, wenn Sie wieder einmal so einen Tag erleben, was gewiss eintreten wird.

Aus den heiligen Schriften geht nicht hervor, warum der Samariter von Jerusalem nach Jericho unterwegs war. Es ist unwahrscheinlich, dass er sich einfach zum Vergnügen allein auf den Weg gemacht hatte, da er gewusst haben muss, dass Räuber den Unvorsichtigen auflauerten. Er hatte einen guten Grund für die Reise, und wie es üblich war, hatte er ein Lasttier und auch Öl und Wein dabei.

Der Samariter, so die Worte des Herrn, hielt an, als er den Verletzten sah, denn er „hatte … Mitleid“.

Doch dabei beließ er es nicht, sondern er handelte. Behalten Sie stets die Einzelheiten des Berichts im Kopf:

„[Er] ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn.

Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.“1

Sie und die Priestertumsträger, die zu führen Sie berufen sind, können sich mindestens dreierlei gewiss sein. Erstens wird der Herr Sie, wenn Sie ihn darum bitten, mit dem Mitgefühl ausstatten, das er für Menschen in Not empfindet. Zweitens: Er wird andere, wie den Wirt, bereitstellen, die sich Ihnen anschließen, wenn Sie helfen. Und drittens: Der Herr wird – wie der barmherzige Samariter – alle, die mit anpacken, um Menschen in Not zu helfen, mehr als nur gerecht entlohnen.

Sie, die Kollegiumspräsidenten, haben bestimmt schon mehr als einmal im Vertrauen darauf gehandelt, dass dies alles gewiss ist. Sie bitten andere, die das Priestertum des Herrn tragen, um Hilfe und vertrauen dabei darauf, dass sie mitfühlend reagieren werden. Sie scheuen sich nicht, diejenigen zu fragen, die in der Vergangenheit am häufigsten geholfen haben, denn Sie wissen, dass Mitgefühl ihnen nicht fremd ist. Sie bitten diese Brüder, weil Sie wissen, dass die Betreffenden in der Vergangenheit die Großzügigkeit des Herrn erfahren haben, wenn sie bereitwillig halfen. Sie bitten einige, die bereits schwer belastet sind, denn Sie wissen ja: je größer das Opfer, desto größer auch der Lohn vom Herrn. Wer in der Vergangenheit mitgeholfen hat, hat die überreiche Dankbarkeit des Erretters bereits kennengelernt.

Vielleicht werden Sie auch inspiriert, einen bestimmten Bruder nicht um Hilfe beim Beladen und späteren Entladen des Lasters zu bitten. Als Führer kennen Sie die Mitglieder Ihres Kollegiums und deren Angehörige gut. Der Herr kennt sie ganz genau.

Er weiß, wessen Frau kurz vor dem Zusammenbruch steht, weil ihr Mann einfach nicht die Zeit findet, ihr die Hilfe zu geben, die sie braucht. Er weiß, wessen Kinder davon profitieren werden, wenn sie mitbekommen, dass ihr Vater sich wieder einmal aufmacht, anderen zu helfen, oder aber wessen Kinder an diesem Tag das Gefühl brauchen, dass sie ihrem Vater wichtig genug sind, dass er Zeit mit ihnen verbringt. Er weiß jedoch auch, wer die Aufforderung zur Mithilfe gut gebrauchen kann, aber nicht den Eindruck erweckt, geeignet oder willens zu sein.

Sie können nicht alle Mitglieder Ihres Kollegiums ganz genau kennen, doch Gott kennt sie. Wie Sie es schon so viele Male getan haben, beten Sie also darum, zu erfahren, wen Sie bitten können, anderen zu dienen. Der Herr weiß, wem die Bitte um Hilfe Segen bringen wird, und auch, wessen Familie davon profitiert, dass er nicht gefragt wird. Sie können Offenbarung in dieser Form erwarten, wenn Sie im Priestertum führen.

Ich habe das als junger Mann erlebt. Ich war Erster Assistent im Priesterkollegium. Eines Tages rief mich der Bischof zu Hause an. Er wollte, dass ich mit ihm eine Witwe besuche, die es sehr schwer hatte. Er sagte, er brauche mich.

Er wollte mich von zu Hause abholen, und ich wartete mit großem Unbehagen. Ich wusste, dass der Bischof tüchtige und kluge Ratgeber hatte. Einer war ein bekannter Richter. Der andere hatte eine große Firma. Später wurde er Generalautorität. Auch der Bischof selbst wurde später noch als Generalautorität berufen. Warum also sagte der Bischof zu einem unerfahrenen Priester: „Ich brauche deine Hilfe“?

Nun, heute weiß ich besser, was er mir eigentlich sagen wollte: „Du brauchst Segen vom Herrn.“ Als wir bei der Witwe waren, wurde ich zu meinem Erstaunen Zeuge, wie er der Frau sagte, sie könne von der Kirche keine Hilfe bekommen, solange sie nicht den Haushaltsplan ausfülle, den er ihr bei einem früheren Besuch dagelassen hatte. Als er auf dem Heimweg sah, wie schockiert und verblüfft ich war, musste er lachen und sagte: „Hal, sobald sie ihre Ausgaben im Griff hat, wird sie in der Lage sein, anderen zu helfen.“

Ein andermal nahm mich der Bischof mit zu einem Besuch bei alkoholkranken Eltern, die ihre zwei verängstigten kleinen Töchter zu uns an die Tür schickten. Er unterhielt sich kurz mit den zwei kleinen Mädchen, dann machten wir uns wieder auf den Weg, und er sagte zu mir: „Wir können ihr Leben noch nicht zum Besseren wenden, aber sie können spüren, dass der Herr sie liebt.“

An einem anderen Abend nahm er mich mit zu einem Mann, der seit Jahren nicht mehr in die Kirche gekommen war. Der Bischof sagte ihm, wie gern er ihn habe und wie dringend die Gemeinde ihn brauche. Das schien den Mann nicht sonderlich zu beeindrucken. Mich beeindruckte es jedoch sehr, so wie jeder Besuch, zu dem der Bischof mich mitgenommen hat.

Ich habe keine Möglichkeit herauszufinden, ob der Bischof darüber gebetet hat, welcher Priester davon profitieren würde, ihn bei diesen Besuchen zu begleiten. Es kann gut sein, dass er auch andere Priester viele Male mitgenommen hat. Der Herr jedoch wusste, dass ich eines Tages Bischof sein und diejenigen, deren Glaube erloschen war, einladen würde, sich wieder an der Flamme des Evangeliums zu wärmen. Der Herr wusste, dass mir eines Tages im Priestertum die Verantwortung für hunderte und sogar tausende Kinder des himmlischen Vaters übertragen werden würde, die materiell schwere Not litten.

Ihr Jungen Männer könnt nicht wissen, auf welche Aufgaben im Priestertum der Herr euch vorbereitet. Die größere Herausforderung für jeden Priestertumsträger besteht jedoch darin, geistig Hilfe zu leisten. Diesen Auftrag hat ein jeder von uns. Er ergibt sich aus unserer Zugehörigkeit zu einem Kollegium. Er ergibt sich aus unserer Zugehörigkeit zu einer Familie. Wenn der Glaube von jemandem aus dem Kollegium oder aus der Familie vom Satan angegriffen wird, werdet ihr mit ihm fühlen. Ihr werdet euch dieses Menschen in seiner Not mit heilendem Balsam für seine Wunden annehmen, genauso wie der barmherzige Samariter es getan hat.

Als Vollzeitmissionare werdet ihr zu tausenden Menschen in großer geistiger Not gehen. Ehe ihr sie unterweist, werden viele davon nicht einmal wissen, dass sie geistige Wunden haben, die endloses Leid nach sich ziehen, wenn man sie nicht behandelt. Im Auftrag des Herrn werdet ihr diese Menschen retten. Nur der Herr kann ihre geistigen Wunden verbinden, sofern sie die Verordnungen annehmen, die zu ewigem Leben führen.

Als Mitglied eines Kollegiums, als Heimlehrer und als Missionar könnt ihr anderen Menschen nur dann dabei helfen, geistigen Schaden zu beheben, wenn euer eigener Glaube lebendig ist. Dazu gehört viel mehr, als regelmäßig in den heiligen Schriften zu lesen und darüber zu beten. Das schnell dahingesagte Gebet und der flüchtige Blick in die heiligen Schriften sind keine ausreichende Vorbereitung. Die Bestätigung, die ihr brauchen werdet, ergibt sich aus diesem Rat in Abschnitt 84 im Buch Lehre und Bündnisse: „Sorgt euch auch nicht im Voraus, was ihr sagen sollt; sondern häuft in eurem Sinn beständig die Worte des Lebens auf wie einen Schatz, dann wird euch zur selben Stunde das Maß eingegeben werden, das einem jeden zugemessen werden soll.“2

Auf diese Verheißung kann man nur Anspruch erheben, wenn man die Worte des Lebens aufhäuft wie einen Schatz, und das beständig. Unter dem Aufhäufen in diesem Vers verstehe ich auch, dass man in Verbindung mit den Worten innerlich etwas spürt. Wenn ich beispielsweise versuche, jemandem zu helfen, dessen Glaube an die göttliche Berufung des Propheten Joseph Smith ins Wanken geraten ist, denke ich daran, was ich empfunden habe.

Es geht nicht nur darum, was im Buch Mormon steht. Es ist das Empfinden, dass es mit Sicherheit wahr ist, das sich jedes Mal einstellt, wenn ich auch nur wenige Zeilen aus dem Buch Mormon lese. Ich kann nicht versprechen, dass es jedem so gehen wird, der sich mit Zweifel am Propheten Joseph Smith oder am Buch Mormon infiziert hat. Aber ich weiß, dass Joseph Smith der Prophet der Wiederherstellung ist. Ich weiß, dass das Buch Mormon das Wort Gottes ist, denn ich habe es behandelt wie einen Schatz.

Aus Erfahrung weiß ich, dass Sie sich vom Geist die Wahrheit bestätigen lassen können, denn ich habe diese Bestätigung bekommen. Diese Bestätigung brauchen wir alle, ehe der Herr uns zu einem Reisenden führen kann, der uns wichtig ist und der von den Feinden der Wahrheit übel zugerichtet wurde.

Es gibt noch einen weiteren Vorbereitungsschritt. Es ist typisch für den Menschen, dass er gegen das Leid anderer abstumpft. Das ist einer der Gründe, warum der Erretter so große Mühen auf sich genommen hat, um über sein Sühnopfer zu sprechen und darüber, dass er die Schmerzen und die Leiden aller Kinder des himmlischen Vaters auf sich nimmt, damit er weiß, wie er ihnen beistehen kann.

Sogar die besten der sterblichen Priestertumsträger des Vaters im Himmel haben Mühe, an diesen Maßstab für Mitgefühl heranzukommen. Als Mensch neigen wir zur Ungeduld mit demjenigen, der die Wahrheit, die uns so offenkundig ist, nicht erkennen kann. Wir müssen aufpassen, dass unsere Ungeduld nicht als Verurteilung oder Ablehnung verstanden wird.

Wenn wir uns darauf vorbereiten, im Auftrag des Herrn als seine Diener im Priestertum Beistand zu leisten, können wir uns von einer Schriftstelle leiten lassen. Darin ist von einer Gabe zu lesen, die wir für unsere Reise brauchen, wohin auch immer der Herr uns schickt. Der barmherzige Samariter hatte diese Gabe. Wir werden sie brauchen, und der Herr hat uns gesagt, wie wir sie bekommen können:

„Darum, meine geliebten Brüder, wenn ihr nicht Nächstenliebe habt, seid ihr nichts, denn die Nächstenliebe hört niemals auf. Darum haltet an der Nächstenliebe fest, die von allem das Größte ist, denn alles muss aufhören –

aber die Nächstenliebe ist die reine Christusliebe, und sie dauert für immer fort; und bei wem am letzten Tag gefunden wird, dass er sie besitzt, mit dem wird es wohl sein.

Darum, meine geliebten Brüder, betet mit der ganzen Kraft des Herzens zum Vater, dass ihr von dieser Liebe erfüllt werdet, die er all denen zuteilwerden lässt, die wahre Nachfolger seines Sohnes Jesus Christus sind; damit ihr Söhne Gottes werdet; damit wir, wenn er erscheinen wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist; damit wir diese Hoffnung haben; damit wir rein gemacht werden, so wie er rein ist.“3

Ich bete darum, dass wir uns darauf vorbereiten, jedweden Dienst im Priestertum zu leisten, den der Herr uns auf unserer irdischen Reise abverlangen mag. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.