2013
Kommt, lasset uns anbeten!
Dezember 2013


Kommt, lasset uns anbeten!

Aus der Ansprache „A Child Is Born“ [Uns ist ein Kind geboren], die am 9. Dezember 2008 bei einer Andacht an der Brigham-Young-Universität gehalten wurde. Den englischen Text finden Sie in voller Länge unter speeches.byu.edu.

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Elder Bruce D. Porter

Was immer uns auch fesselt – Sünde, Lebensumstände oder vergangene Ereignisse –, der Herr Jesus Christus, der große Immanuel, ist gekommen, uns zu befreien.

Mehr als 700 Jahre vor Christi Geburt prophezeite Jesaja vom Erlöser. Seine Worte hat Georg Friedrich Händel in seinem Oratorium Der Messias festgehalten: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.“ (Jesaja 9:5.)

In Händels Messias wird auch dieser Aufruf aus Jesaja 40:9 durch die wunderschöne Musik lebendig: „O du, die du Zion frohe Botschaft verkündigst … o du, die du Jerusalem frohe Botschaft bringst, erhebe deine Stimme mit Macht, erhebe sie und fürchte dich nicht; verkündige den Städten Judas: Seht euern Gott.“1

Seht euern Gott, als Kind in Betlehem geboren, in Windeln gewickelt. Seht euern Gott, in Armut und Schlichtheit geboren, damit er als gewöhnlicher Mensch unter gewöhnlichen Menschen wandle. Seht euern Gott, ja, den unbegrenzten und ewigen Erlöser, mit Fleisch bekleidet, gekommen, um auf der Erde zu leben, die er geschaffen hat.

Kehren wir doch einmal gemeinsam zu jenem ersten Heiligen Abend in Betlehem zurück, um über die Geburt unseres Herrn nachzusinnen. Er kam in der Stille der Nacht in der Zeiten Mitte – er, nämlich Immanuel (siehe Jesaja 7:14), der Stamm Isais (siehe Jesaja 11:1), das aufstrahlende Licht (siehe Lukas 1:78), der Herr, der Herrscher über die ganze Schöpfung (siehe 2 Korinther 6:18). Seine Geburt markierte das verheißene Erscheinen des Schöpfers auf der Erde, die Herablassung Gottes (siehe 1 Nephi 11:16-27). Jesaja schrieb über dieses Ereignis: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ (Jesaja 9:1.)

Aus neuzeitlicher Offenbarung wissen wir, dass der vorherordinierte König von Israel im Frühjahr auf die Welt kam (siehe LuB 20:1). Micha prophezeite, dass er in Betlehem – „so klein unter den Gauen Judas“ – geboren werden sollte (Micha 5:1). Sein Geburtsort lag im Schatten des mächtigen Jerusalem, das knapp zehn Kilometer nördlich lag. Jerusalem war die Hauptstadt Judäas, der Sitz des Tempels, das Bollwerk der römischen Macht. Dagegen war Betlehem ein idyllisches, schlichtes Städtchen auf dem Land. Sein einziger Ruhm bestand darin, dass es der Geburtsort Davids, des alten Königs von Israel war, aus dessen Geschlecht Christus abstammen sollte. Deshalb wurde Betlehem auch die Stadt Davids genannt. Der hebräische Name Beth Lechem, bedeutet „Haus des Brotes“2, was nicht weiter von Bedeutung war bis der Herr, der als das Brot des Lebens bekannt werden sollte, geboren wurde.

Auf den Feldern um Betlehem weideten viele Schafherden, und im frühen Frühjahr kamen die Lämmer zur Welt. Die Hirten blieben wohl in der Nacht meist wach und hüteten ihre Schafe unter dem klaren Nachthimmel; daher mussten die Engel, die die Geburt des Heilands verkündeten, sie auch nicht wecken.

Das Lamm Gottes

Das kleine Kind, das in dieser Zeit der Lämmer geboren wurde, wird auch „das Lamm Gottes“ genannt (Johannes 1:29; 1 Nephi 11:31; LuB 88:106). Dieser Titel ist von tiefer Bedeutung, denn Jesus Christus kam zur gleichen Zeit wie die Lämmer auf die Welt und sollte eines Tages wie ein Lamm zum Schlachten geführt werden (siehe Jesaja 53:7). Zugleich war er aber der gute Hirt (siehe Johannes 10:11), der sich um die Lämmer sorgt. Diese doppelte Symbolik steht sowohl für diejenigen, die dienen, als auch für diejenigen, denen gedient wird. Christus übernimmt zurecht beide Aufgaben, denn er ist in seinem irdischen Leben unter alles hinabgestiegen (siehe LuB 88:6) und in der Ewigkeit „in die Höhe aufgefahren“, und er ist in allem und durch alles und „rings um alles“ (siehe LuB 88:6,41). Er kennt das Leben von allen Seiten und jedem Blickwinkel, von oben wie von unten. Er, der der Größte war, machte sich zum Geringsten – der himmlische Hirte wurde zum Lamm.

Sein Kommen war mehr als nur die Geburt eines großen Propheten, die Ankunft eines verheißenen Erben des königlichen Throns, ja, mehr als nur die Ankunft des einzig vollkommenen Menschen auf Erden. Der Gott des Himmels war „auf seinen Fußschemel“ gekommen, um hier „fast wie ein Mensch zu wandeln“.3

Jesus Christus ist der Schöpfer der Welt, der große Jehova des Alten Testaments. Seine Stimme ertönte auf dem Berg Sinai, seine Macht stützte das auserwählte Volk Israel auf dessen Wanderschaft, und er war es, der Henoch, Jesaja und allen Propheten die herrlichen zukünftigen Ereignisse kundtat. Und dies ist das größte Wunder der Geburt Jesu: Als der Gott und Schöpfer des Himmels und der Erde sich erstmals der Welt offenbarte, tat er dies als hilfloses, abhängiges Kind.

Gemäß einer alten hebräischen Überlieferung sollte der Messias zur Zeit des Paschafestes geboren werden. Wir wissen, dass die Paschawoche tatsächlich in jenen April in der Zeiten Mitte fiel – das Paschafest, an dem die Juden ihrer Rettung gedenken, als der zerstörende Engel den erstgeborenen Söhnen Ägyptens den Tod brachte. Alle israelischen Familien, die ein Lamm opferten und die hölzernen Türpfosten ihres Hauses mit dessen Blut bestrichen, wurden verschont (siehe Exodus 12:3-30). Dreiunddreißig Jahre nach der Geburt Christi zur Zeit des Paschafestes wurde der hölzerne Pfosten eines Kreuzes mit seinem Blut bestrichen, wodurch sein Volk vor dem zerstörenden Engel des Todes und der Sünde gerettet wurde.

Das Paschafest könnte auch ein Grund dafür gewesen sein, warum es für Maria und Josef keinen Platz in der Herberge gab. In der Paschawoche wuchs die Bevölkerung Jerusalems um Zehntausende an, sodass Reisende in den umliegenden Städten eine Unterkunft suchen mussten. Maria und Josef gingen nach Betlehem, der Heimat von Josefs Vorfahren, um die Vorgaben der von Kaiser Augustus angeordneten Volkszählung zu erfüllen. Sie hätten gemäß den Vorgaben der Volkszählung zu jeder Zeit des Jahres nach Betlehem reisen können, wahrscheinlich wählten sie aber deshalb die Paschawoche, weil es das mosaische Gesetz verlangte, dass sich jeder Mann zur Zeit des Paschafestes in Jerusalem zeigte.4 Da Betlehem sozusagen vor den Toren der Heiligen Stadt lag, konnte das Ehepaar aus Nazaret gleich zwei Verpflichtungen auf einmal nachkommen.

Dem Wirt hängt irgendwie schon seit jeher ein schlechter Ruf an. Bedenkt man aber, wie überfüllt die ganze Region zur Zeit des Paschafestes war, kann man es ihm schwerlich zur Last legen, dass er dem Ehepaar aus Nazaret keinen Platz anzubieten hatte. Die Mehrheit der Pilger wohnte in tausenden Zelten, die auf den Ebenen rund um Jerusalem aufgeschlagen wurden. Weitere Tausende suchten Obdach in den Herbergen, auch Karawanserei oder Khan genannt. Die Herberge in Betlehem war zweifellos bereits überbelegt, und dass der Wirt den Stall anbot, war vermutlich eine sehr gütige Tat.

Selbst wenn das Paar einen Platz in der Herberge bekommen hätte, wäre das nur eine sehr primitive Unterkunft gewesen. Eine aus Stein errichtete Karawanserei bestand damals üblicherweise aus einer Reihe Schlafnischen, die an drei Seiten von Mauern umgeben und an einer Seite offen und frei einsehbar waren. Der Stall war wahrscheinlich ein von Mauern umgebener Innenhof oder eine Kalksteinhöhle, wo die Tiere der Reisenden untergebracht wurden.5 Ob in einem Hof, in einer Höhle oder in einem anderen Unterschlupf – dass Christus zwischen den Tieren zur Welt kam, hatte zumindest einen klaren Vorteil gegenüber der überfüllten Herberge: Es war friedlicher und abgeschiedener. In diesem Sinne war der angebotene Stall ein Segen, weil die heiligste Geburt der Menschheitsgeschichte in andächtiger Abgeschiedenheit stattfinden konnte.

Die Befreiung der Gefangenen

Siebenhundert Jahre vor jener ersten Weihnachtsnacht schrieb der Prophet Jesaja eine messianische Prophezeiung nieder, die der Erretter später in seiner Heimatstadt Nazaret vorlas: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung.“ (Jesaja 61:1; siehe auch Lukas 4:18,19.)

Wenn wir lesen, dass es die Mission Christi war, den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Gefesselten die Befreiung, denken wir wahrscheinlich zuerst an sein Wirken in der Geisterwelt. Aber wir alle sind gefangen – wir sind der Verderbtheit und der Schwäche des irdischen Körpers ausgesetzt und den Versuchungen des Fleisches, Krankheit und letztlich dem Tod unterworfen – und wir alle müssen befreit werden.

Was immer uns auch fesselt – Sünde, Lebensumstände oder vergangene Ereignisse – der Herr Jesus Christus, der große Immanuel, ist gekommen, uns zu befreien. Er verkündet den Gefangenen die Entlassung und die Freiheit von den Banden des Todes, die Freiheit von Sünde, Unwissenheit, Stolz und Irrtum. Es wurde prophezeit, dass er den Gefangenen sagen wird: „Kommt heraus!“ (Jesaja 49:9.) Die einzige Bedingung für unsere Freiheit ist, dass wir mit reuigem Herzen und zerknirschtem Geist zu ihm kommen, umkehren und danach streben, seinen Willen zu tun.

Vor etwa dreißig Jahren lernte ich einen Mann kennen, den ich Thomas nennen will. Er war 45 Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Zwanzig Jahre zuvor hatten sich seine Eltern der Kirche angeschlossen. Thomas interessierte sich nicht für die neue Religion seiner Eltern. Aber seine Eltern liebten ihn und hielten an der Hoffnung fest, ihr Sohn könne eines Tages zur Erkenntnis der Wahrheit des wiederhergestellten Evangeliums gebracht werden. Die Jahre vergingen, und sie versuchten oft, ihn davon zu überzeugen, sich doch wenigstens einmal die Botschaft der Missionare anzuhören. Er lehnte es jedoch immer wieder ab und verspottete seine Eltern wegen ihrer Religion.

Eines Tages schlug seine Mutter verzweifelt vor: „Thomas, wenn du dir ein einziges Mal die Missionarslektionen anhörst, hörst du von mir nie wieder ein Wort über die Kirche.“ Thomas fand, das sei für ihn ein guter Handel, und erklärte sich dazu bereit, den Missionaren zuzuhören. Bei den ersten drei Lektionen saß er nur stolz da und machte sich gelegentlich über das lustig, was die Missionare lehrten.

Bei der vierten Lektion ging es um das Sühnopfer Jesu Christi und die ersten Grundsätze des Evangeliums. Thomas sagte nichts dazu. Er war ungewöhnlich still und hörte aufmerksam zu. Am Ende gaben die Missionare Zeugnis vom Erlöser. Einer der Missionare hatte die Eingebung, er solle die Bibel aufschlagen und diese Verse vorlesen:

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.

Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.“ (Matthäus 11:28,29.)

Plötzlich brach Thomas in Tränen aus. „Wollen Sie mir damit sagen, dass Christus mir meine Sünden vergeben kann?“, fragte er. „Ich habe ein furchtbares Leben geführt. Die Erinnerung an meine Sünden verfolgt mich. Ich würde alles tun, um von meinen Schuldgefühlen befreit zu werden.“

Sein Stolz war eine Fassade gewesen, hinter der sich eine Seele verbarg, die von Sünde und Schuld gefangen gehalten wurde. Die Missionare versicherten Thomas, dass Christus ihm vergeben und ihm die Last der Schuld nehmen werde, wenn er umkehren und sich taufen und konfirmieren lassen würde. Dann gaben sie Zeugnis von der Macht des Sühnopfers. Von diesem Augenblick an änderte sich Thomas grundlegend. Er musste von vielem umkehren und vieles überwinden, aber der Herr segnete ihn und er bereitete sich auf die Taufe vor.

Mehr als zwanzig Jahre später saß ich in der Kapelle des Frankfurt-Tempels, als sich ein grauhaariger Mann vor mir umdrehte und mich fragte: „Sind Sie nicht Elder Porter?“ Zu meiner großen Freude sah ich, dass es Thomas war – ein Mann, der durch die Macht Jesu Christi aus der Knechtschaft befreit worden und in der Kirche des Herrn treu geblieben war.

Vielleicht wollen wir alle uns in dieser Weihnachtszeit dazu entschließen, uns demütig im Gebet an unseren Vater im Himmel zu wenden und darum zu bitten, dass die Macht seines geliebten Sohnes uns im täglichen Leben begleitet und uns aus allen Formen der Gefangenschaft befreit, im Großen wie im Kleinen.

O heilige Nacht

Im Dezember 1987, etwa zwei Wochen vor Weihnachten, reiste ich geschäftlich nach Israel. Zu der Zeit herrschte betrüblicherweise großer Unfriede im Heiligen Land. Es gab Demonstrationen im Westjordanland, die Straßen in der Altstadt Jerusalems waren verlassen, Geschäfte waren mit Brettern vernagelt. Politische Spannungen lagen in der Luft. Und fast die ganze Woche lang fiel ein kalter Regen. Aus Angst vor Gewalttaten blieben die üblichen Scharen von Touristen fern. Doch als ich durch die Straßen Jerusalems ging, wurde mein Herz bei dem Gedanken, dass dies die Stadt war, die der Heiland so liebte, von Frieden erfüllt.

Ich kehrte spätabends am Freitag vor Weihnachten in die Vereinigten Staaten zurück. Als zwei Tage später der Sonntag anbrach, weckte mich mein Wecker mit dem Lied „O Holy Night“:

„Der König der Könige lag in einer armseligen Krippe,

dazu geboren, uns in allen Prüfungen ein Freund zu sein.“6

Die Musik und die Botschaft drangen mir tief ins Herz, und ich musste weinen, als ich über das unfassbare Opfer und das vollkommene Leben des Erlösers Israels nachsann, der geboren wurde als Freund der Geringsten und als Hoffnung der Sanftmütigen. Ich dachte an mein Erlebnis in Jerusalem, und Liebe erfüllte mein ganzes Wesen, Liebe zu ihm, der zur Erde gekommen ist und unser aller Last auf sich genommen hat. Der Gedanke, dass er mich als Freund betrachten könnte, war überwältigend. Die tiefen Gefühle an jenem frühen Sonntagmorgen habe ich nie vergessen. Es war das reinste Zeugnis, das ich je empfangen hatte.

Ich gebe Zeugnis vom Erlöser der Welt. Ich weiß, dass er lebt. Ich weiß, dass er vor der Erschaffung der Welt dazu vorherordiniert wurde, den Gefangenen die Entlassung zu verkünden. Über seine Geburt und sein Leben sage ich: „O lasset uns anbeten den König, den Herrn!“7

Anmerkungen

  1. The Messiah, Hg. T. Tertius Noble, 1912, Seite VI

  2. Siehe Schriftenführer, „Betlehem“, scriptures.lds.org

  3. „O God, the Eternal Father“, Hymns, Nr. 175

  4. Siehe Bible Dictionary, „Feasts“

  5. Siehe Russell M. Nelson, „Wir finden Frieden und Freude in der Gewissheit, dass der Erlöser lebt“, Liahona, Dezember 2011, Seite 21

  6. „Cantique de Noël“ („O Holy Night“), Recreational Songs, 1949, Seite 143

  7. „Herbei, o ihr Gläubigen“, Gesangbuch, Nr. 139

Krippe von Bernardinus Indisur von iStockphoto/Thinkstock

Das Licht der Welt, Gemälde von Greg K. Olsen, Vervielfältigung untersagt; Die Kreuzigung, Gemälde von Harry Anderson; Das Pascha, Gemälde von William Henry Margetson

Licht und Wahrheit, Gemälde von Simon Dewey; Der heilende Balsam, Gemälde von David Lindsley, Vervielfältigung untersagt