2015
Kirche und Staat
Juli 2015


Kirche und Staat

Kirche und Staat nutzen unterschiedliche, doch parallel verlaufende Wege. Beide sind dann am erfolgreichsten, wenn sie einander schützen und fördern.

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A couple holding hands and walking on railroad tracks.

Foto von David Stoker

Kirche und Staat sind wie ein Ehepaar, das gelegentlich weniger gut miteinander auskommt, jedoch feststellt, dass der eine ohne den anderen nicht leben kann. Um zu gedeihen, brauchen zwar beide ihre Unabhängigkeit, die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass eine vollständige Trennung keinem von beiden zuträglich ist. Sie nutzen unterschiedliche, doch parallel verlaufende Wege. Beide sind dann am erfolgreichsten, wenn sie einander schützen und fördern.

Der Staat spielt eine wichtige Rolle, wenn es um den Schutz und die Bewahrung der Religionsfreiheit geht oder darum, die Stellung der Kirchen in der Gesellschaft zu fördern. Erfreulicherweise gestehen die meisten Staaten in der heutigen Welt ihren Bürgern zumindest in gewissem Grade Religionsfreiheit zu und garantieren ihnen, ihre Religion so ausüben zu können, wie es ihnen ihr Gewissen gebietet. Das war nicht immer der Fall.

Viele Generationen haben den bedrückenden Freiheitsverlust erlebt, der folgt, wenn eine Regierung den Bürgern eine Staatsreligion aufzwingt. Andere haben den sittlichen Verfall miterlebt, der einsetzt, wenn eine Regierung Religionsausübung gänzlich verbietet. Wir sind dankbar, dass eine zunehmende Mehrheit der Länder in der heutigen Welt eine Verfassung hat, die Kirche und Staat zwar voneinander trennt, den Glauben und die Ausübung des Glaubens aber unter Schutz stellt und garantiert, dass niemand religiöse Verfolgung erleiden muss.1

Die vom Himmel inspirierte Regierungsform, die im Buch Mormon beschrieben wird, gewährte dem Volk Religionsfreiheit:

„Wenn nun ein Mensch wünschte, Gott zu dienen, so war ihm dies freigestellt, oder vielmehr, wenn er an Gott glaubte, so war es ihm freigestellt, ihm zu dienen; wenn er aber nicht an ihn glaubte, so gab es kein Gesetz, ihn zu bestrafen. …

Denn es bestand ein Gesetz, dass die Menschen gemäß ihren Verbrechen zu richten seien. Doch gab es kein Gesetz gegen die Glaubensansichten eines Menschen.“ (Alma 30:9,11.)

Als gläubige Menschen müssen wir dankbar für den Schutz des Staates sein, der uns Glaubensfreiheit und freie Religionsausübung gewährt.

Religion spielt eine wesentliche Rolle

Für manche ist es vielleicht weniger offensichtlich, dass Religion und Sittlichkeit eine wichtige Rolle dabei spielen, eine gute und erfolgreiche Regierungsform zu bewahren und zu fördern. Viele schwerwiegende Probleme, denen wir uns heutzutage gegenübersehen, lassen sich im Grunde nur auf geistigem Wege und nicht mit politischen oder wirtschaftlichen Mitteln lösen. Rassismus, Gewalt und aus Hass begangene Verbrechen beispielsweise sind Probleme geistiger Natur, und die einzig mögliche Lösung ist auf geistiger Ebene zu finden. Elder Dallin H. Oaks vom Kollegium der Zwölf Apostel erklärte:

„Viele der wichtigsten moralischen Erkenntnisse in der westlichen Gesellschaft fußen auf religiösen Grundsätzen und wurden als allgemeine Regeln übernommen, nachdem sie immer wieder von der Kanzel gepredigt wurden. Beispiele hierfür sind die Abkehr vom Sklavenhandel in England und die Emanzipationsproklamation in den Vereinigten Staaten. Das Gleiche gilt für die Bürgerrechtsbewegung der letzten fünfzig Jahre.“2

Eine Gesellschaft hängt zu einem großen Teil von Religionen und Kirchen ab, wenn es darum geht, die sittliche Ordnung herzustellen. Der Staat kann niemals genügend Gefängnisse für alle Verbrecher bauen, die von einer Gesellschaft hervorgebracht werden, in der es an Moral, Charakterstärke und Glauben mangelt. Diese Eigenschaften lassen sich eher durch die Ausübung der Religion fördern als durch Gesetze oder die Polizei. Der Staat kann die Geisteshaltung, die Wünsche oder Hoffnungen, die dem menschlichen Herzen entspringen, unmöglich lenken. Und doch ist dies die Saat, die zu einer Verhaltensweise heranreift, die vom Staat reglementiert werden muss.

Der französische Historiker und Staatsmann Alexis de Tocqueville schrieb: „Willkürherrschaft mag ohne Glauben gelingen, Freiheit indes nicht.“3 Und selbst Willkürherrschaft kann ohne Glauben nicht auf unbestimmte Zeit funktionieren. Boris Jelzin, erster Präsident der Russischen Föderation, bemerkte einmal: „Man kann einen Thron aus Bajonetten bauen, doch ist es schwierig, darauf zu sitzen.“4

In der Bergpredigt vergleicht Jesus das in den Büchern festgehaltene Gesetz mit dem Gesetz, das ins Herz geschrieben ist.

„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein.

Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein.“ (Matthäus 5:21,22.)

Der Staat verschafft dem in Büchern festgehaltenen Gesetz Geltung. Die Religion hingegen lehrt und ermutigt dazu, das Gesetz zu befolgen, das ins Herz geschrieben ist. Wer diesen letzten Punkt beherzigt, wird wohl kaum gegen den ersten verstoßen. Im Buch Lehre und Bündnisse heißt es: „Wer die Gesetze Gottes einhält, der braucht die Gesetze des Landes nicht zu brechen.“ (58:21.)

Aber wo Herzensangelegenheiten außer Acht gelassen werden, greifen letztendlich weder das festgeschriebene Gesetz noch der Gesetzesapparat des Staates. Ein ziviler Umgang in der Gesellschaft wird dann erreicht, wenn die Menschen mehrheitlich tugendhaft handeln – und das nicht, weil sie per Gesetz oder Polizeigewalt dazu gezwungen werden, sondern weil sie von sich aus davon überzeugt sind.

Der Staat beaufsichtigt das Verhalten der Bürger. Er bemüht sich, sie zu Sitte und Anstand zu bewegen. Die Religion hingegen versucht, in ihnen den Wunsch zu wecken, aus eigenem Antrieb sittlich und anständig zu handeln. Präsident Ezra Taft Benson (1899–1994), Kabinettsmitglied unter US-Präsident Dwight D. Eisenhower, hat auf einen entscheidenden Unterschied hingewiesen:

„Der Herr wirkt von innen nach außen. Die Welt wirkt von außen nach innen. Die Welt will die Menschen aus den Elendsvierteln holen. Christus holt das Elend aus den Menschen, und dann lassen sie die Elendsviertel von alleine hinter sich. Die Welt will den Menschen formen, indem sie seine Umwelt ändert. Christus ändert den Menschen, und dieser ändert dann seine Umwelt. Die Welt möchte das Verhalten des Menschen formen, Christus aber kann das Wesen des Menschen ändern.“5

Langfristig hängen alle freiheitlichen Staaten letztlich von der dem freien Willen entsprungenen Anständigkeit und Unterstützung ihrer Bürger ab. Der legendäre Staatsmann und politische Philosoph Edmund Burke sagte: „In der ewigen Verfassung aller Dinge ist festgelegt, dass ein unbeherrschter Geist nicht frei sein kann. Durch Leidenschaft schmiedet er seine eigenen Ketten.“6

Zu diesem Zweck wird ein guter Staat die Religionen schützen und die Religionsfreiheit fördern. Eine gute Religion hält dazu an, ein guter Staatsbürger zu sein und die Landesgesetze zu befolgen.

Ein guter Staat braucht nicht Partei zu ergreifen. Er sollte keine Religion der anderen vorziehen oder besonders fördern. Die Staatsvertreter müssen die Freiheit haben, zu glauben und zu handeln, wie es ihr Gewissen gebietet. Genauso wenig darf eine gute Religion eine politische Partei oder einen Kandidaten besonders unterstützen oder ablehnen. Und die Gläubigen müssen die Freiheit haben oder sogar dazu aufgefordert werden, am politischen Geschehen teilzunehmen und die Partei oder den Kandidaten ihrer Wahl zu unterstützen.

Erheben Sie Ihre Stimme

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A woman's hand putting a ballot into a ballot box.

Die Kirche als Institution hat wiederholt ihre politische Neutralität bekräftigt. Doch werden die Heiligen der Letzten Tage angehalten, sich am politischen Geschehen zu beteiligen und sich auch öffentlich zu äußern. Zu unserer Religion gehört, dass wir gute Bürger sind, wo immer wir leben.

In Handbuch 2: Die Kirche führen und verwalten heißt es: „[Die Mitglieder sind] aufgefordert, sich im Einklang mit den jeweiligen Landesgesetzen zur Wahl eintragen zu lassen, sich mit Sachfragen und Kandidaten gründlich auseinanderzusetzen und für diejenigen zu stimmen, die ihrer Ansicht nach redlich sind und ein gutes Urteilsvermögen haben. Die Heiligen der Letzten Tage haben die besondere Pflicht, Führungspersönlichkeiten zu suchen, zu wählen und zu unterstützen, die ehrlich, gut und weise sind (siehe LuB 98:10).“7

Eines Tages wird der Herr wiederkommen. Er hat das Recht, als König der Könige und als unser großer Hoher Priester zu herrschen. Dann werden das Zepter der Staatsmacht und die Macht des Priestertums vereinigt sein.

Bis zu diesem großen Tag müssen Kirche und Staat den Weg der Menschheitsgeschichte Hand in Hand beschreiten. Sie müssen Achtung vor der Unabhängigkeit des anderen haben und dessen wichtigen Beitrag wertschätzen.

Anmerkungen

  1. Siehe W. Cole Durham Jr., Silvio Ferrari, Cristiana Cianitto, Donlu Thayer, Hg., Law, Religion, Constitution: Freedom of Religion, Equal Treatment, and the Law, 2013, Seite 3ff.

  2. Dallin H. Oaks, aus einer Ansprache mit dem Titel „Strengthening the Free Exercise of Religion“ beim Becket Fund for Religious Liberty Canterbury Medal Dinner, New York, 16. Mai 2013, kann auf mormonnewsroom.org abgerufen werden

  3. Alexis de Tocqueville, Democracy in America, 2 Bände, 1835–1840, 1:306

  4. Boris Jelzin, zitiert in Donald Murray, A Democracy of Despots, 1995, Seite 8

  5. Ezra Taft Benson, „Born of God“, Ensign, November 1985, Seite 6

  6. Edmund Burke, A Letter from Mr. Burke, to a Member of the National Assembly; in Answer to Some Objections to His Book on French Affairs, 2. Auflage, 1791, Seite 69

  7. Handbuch 2: Die Kirche führen und verwalten, Abschnitt 21.1.29