2016
Ein wertvoller Fund
July 2016


Ein wertvoller Fund

Reuben Wadsworth, Utah

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Illustration von Allen Garns

Ich bereue es, dass ich mich nie mit meiner Großmutter väterlicherseits zusammengesetzt habe, um mir von ihrem Leben erzählen zu lassen und ihre Erinnerungen für die Nachwelt aufzuschreiben. Nach ihrem Tod erzählten mir mein Vater und meine Onkel, dass sie sich für unbedeutend gehalten und sogar gelegentlich gefragt hatte: „Warum sollte jemand irgendetwas über mich wissen wollen?“

Als meine Familie aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten in das alte Haus meiner Großmutter zog, überfluteten mich viele glückliche Erinnerungen, aber auch das Bedauern war wieder da. Eines Abends, ein paar Tage nach unserem Einzug, schaute ich mir einige alte Fotoalben meiner Großmutter und eine Kiste mit alten Erinnerungsstücken an. Darunter waren auch alte Briefe, die mein Onkel geschrieben hatte, alte Tempelscheine und auch das Programm der Trauerfeier für meinen Großvater. Als ich diese Erinnerungen durchgesehen hatte, fragte ich mich, ob es wohl noch mehr gäbe.

Ich hatte das Gefühl, ich solle auf den Dachboden gehen. Dort stieß ich sogleich auf einen Sack, der aussah, als sei er für den Müll bestimmt. Darin steckte ein alter blauer Ordner. In dem Ordner entdeckte ich den Anfang der Lebensgeschichte, die meine Großmutter offenbar vor 30 Jahren zu schreiben begonnen hatte. Zu meinem Erstaunen stellte ich später fest, dass niemand aus meiner Familie irgendetwas davon gewusst hatte. Mein Vater und meine Onkel hatten Recht: Meine Großmutter hielt sich für so unbedeutend, dass sie noch nicht einmal jemandem erzählte, dass sie begonnen hatte, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben.

An diesem Abend las ich jedes Wort auf den acht Seiten. Dabei erfuhr ich eine ganze Menge über meine Großmutter: wie ihre Schulzeit gewesen war, wie sie meinen Großvater kennengelernt hatte und wie schwer es ihr gefallen war, das Kino zu schließen, das sie und mein Großvater gemeinsam betrieben hatten.

Ich spürte beim Lesen dieser Seiten ihre Gegenwart. Es war, als ob sie mir sagte, ich solle mir keine Gedanken mehr darüber machen, dass ich sie nie zu ihrem Leben befragt und ihre Geschichte aufgeschrieben hatte. Es bedeutete mir unendlich viel, in Großmutters eigener Handschrift etwas über ihr Leben zu lesen, und es milderte das Bedauern, das ich schon so lange empfunden hatte. Dieses Erlebnis zeigte mir wieder einmal die liebevolle Barmherzigkeit des Herrn. Es war mir ein Zeugnis dafür, dass es bei der Familienforschung nicht nur darum geht, die Vorfahren zu finden, die wir nicht kennenlernen konnten, sondern auch darum, mehr über liebe Angehörige zu erfahren, mit denen wir bereits kostbare Zeit auf der Erde verbringen durften.

Wenn ich mich jetzt mit Verwandten zusammensetze, um ihre Geschichte aufzuschreiben, und sie mich fragen, weshalb ihre Geschichte irgendjemand interessieren solle, versichere ich ihnen, dass ihre Geschichten es wert sind, erzählt zu werden, und dass ihre Nachkommen ihnen dankbar sein werden. So wie ich Großmutter dankbar bin, dass sie ihren wertvollen Bericht hinterlassen hat.