2017
Vertrau auf den Herrn und neige dich nicht von ihm weg
Mai 2017


Vertrau auf den Herrn und neige dich nicht von ihm weg

Wir können unser Leben am Erretter ausrichten, indem wir ihn kennenlernen, dann ebnet er unsere Pfade.

Als ich Asien bereiste, kam einmal eine liebe Schwester auf mich zu. Sie umarmte mich und fragte: „Glauben Sie wirklich, dass dieses Evangelium wahr ist?“ Liebe Schwester, ich weiß, dass es wahr ist. Ich vertraue auf den Herrn.

In Sprichwörter 3:5,6 lesen wir den Rat:

„Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit;

such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade.“

In dieser Schriftstelle finden wir zwei Ermahnungen, eine Warnung und eine herrliche Verheißung. Die zwei Ermahnungen lauten: „Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn“ und „such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen“. Die Warnung lautet: „Bau nicht auf eigene Klugheit.“ Und die herrliche Verheißung: „Dann ebnet er selbst deine Pfade.“

Sprechen wir zuerst über die Warnung. Das Bild, das dafür in der englischen King-James-Übersetzung verwendet wird, regt zum Nachdenken an. Dort heißt es „neige dich nicht deiner eigenen Klugheit zu“. Neigen bedeutet, dass man in eine Schieflage gerät oder sich zur Seite lehnt. Wenn wir uns buchstäblich zu der einen oder der anderen Seite neigen, stehen wir nicht mehr gerade, wir verlieren das Gleichgewicht und fallen um. Wenn wir uns geistig unserer eigenen Klugheit zuneigen, neigen wir uns vom Erretter weg. Dann stehen wir nicht mehr fest; wir verlieren das Gleichgewicht; wir sind nicht auf Christus ausgerichtet.

Schwestern, vergessen wir nicht: Im vorirdischen Leben standen wir zum Erretter. Wir vertrauten ihm. Wir sprachen uns mit Begeisterung und Freude für den Plan des Glücklichseins aus, den der Vater im Himmel uns vorlegte. Wir waren nicht in Schieflage. Unser Zeugnis war unsere Waffe und wir „schlossen uns den Scharen Gottes an, und diese Scharen waren siegreich“1. Dieser Kampf zwischen Gut und Böse wütet jetzt auf der Erde. Erneut haben wir die heilige Pflicht, als Zeugin dazustehen und unser Vertrauen in den Herrn zu setzen.

Wir müssen uns fragen: Wie bleibe ich auf Christus ausgerichtet und neige mich nicht meiner eigenen Klugheit zu? Wie erkenne ich die Stimme des Erretters und folge ihr, wenn die Stimmen der Welt doch so überzeugend klingen? Wie übe ich mich in Vertrauen auf den Erretter?

Ich möchte drei Anregungen anführen, wie wir unsere Erkenntnis vom Erretter und unser Vertrauen in ihn vertiefen. Ihnen wird auffallen, dass diese Grundsätze nicht neu sind, aber sie sind elementar. Sie erklingen überall in den Liedern der PV. Die Lektionen bei den Jungen Damen handeln von ihnen und sie sind die Antwort auf viele Fragen, die in der FHV gestellt werden. Es sind Grundsätze, die uns Halt geben und nicht in Schieflage bringen.

Erstens: Wir lernen den Herrn kennen und lernen, ihm zu vertrauen, wenn wir uns „an den Worten von Christus [weiden]; denn siehe, die Worte von Christus werden euch alles sagen, was ihr tun sollt“2.

Vor einigen Monaten saßen wir als Familie beim Schriftstudium zusammen. Mein zweijähriger Enkel saß bei mir auf dem Schoß, während wir lasen. Ich ging ganz in meiner Rolle als Großmutter auf und genoss es, dass die Familie meines Sohnes zu Besuch war.

Als wir mit dem Schriftstudium fertig waren, klappte ich das Buch zu. Mein Enkel wusste, dass es nun bald Zeit war, ins Bett zu gehen. Er blickte mit seinen blauen Augen erwartungsvoll zu mir auf und sprach eine ewige Wahrheit aus: „Mehr Schriften, Oma.“

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Schwester Cordons Enkel

Mein Sohn – ein guter und konsequenter Vater – warnte mich: „Mutter, gib nicht nach. Er will nur nicht ins Bett gehen.“

Aber wenn mein Enkel mehr Schriftstellen möchte, dann lesen wir mehr davon! Durch vermehrtes Schriftstudium wird unser Verstand erleuchtet, unser Geist wird genährt, unsere Fragen werden beantwortet, unser Vertrauen in den Herrn wird gestärkt und es fällt uns leichter, unser Leben an ihm auszurichten. „Denkt [daran], eifrig [in den heiligen Schriften] zu forschen, damit ihr davon Nutzen habt.“3

Zweitens: Wir lernen den Herrn kennen und lernen, ihm zu vertrauen, wenn wir beten. Welch ein Segen es doch ist, dass wir zu unserem Gott beten können! „Betet mit der ganzen Kraft des Herzens zum Vater.“4

Ich erinnere mich gern an ein ganz besonderes Gebet. Als Studentin nahm ich einmal während der Sommerferien eine Stelle in Texas an. Ich musste mit meinem alten Auto hunderte Kilometer von Idaho nach Texas zurücklegen. Ich hatte das Auto liebevoll auf den Namen Vern getauft. Vern war bis oben hin vollgepackt, und ich war bereit für das neue Abenteuer.

Als ich gehen wollte, umarmte ich meine liebe Mutter. Sie schlug vor, dass wir vor meiner Abfahrt ein Gebet sprechen.

Wir knieten uns hin und meine Mutter fing an, zu beten. Sie flehte den Vater im Himmel an, mich zu beschützen. Sie betete für mein Auto ohne Klimaanlage, es möge gut funktionieren. Sie betete darum, dass Engel mich den Sommer über begleiten mögen. Sie betete immer weiter.

Der Friede, der diesem Gebet entsprang, gab mir den Mut, auf den Herrn zu vertrauen und mich nicht meiner eigenen Klugheit zuzuneigen. Und bei den vielen Entscheidungen, die ich in dem Sommer traf, ebnete der Herr meine Pfade.

Wenn wir es uns zur Gewohnheit machen, uns dem himmlischen Vater im Gebet zu nahen, lernen wir den Erretter kennen. Wir lernen, ihm zu vertrauen. Unsere Wünsche gleichen sich seinen an. Wir können für uns und andere all die Segnungen erwirken, die der Vater im Himmel uns gewähren möchte, wenn wir ihn nur im Glauben bitten.5

Drittens: Wir lernen den Herrn kennen und lernen, ihm zu vertrauen, wenn wir anderen dienen. Mit Amy Wrights Erlaubnis möchte ich Ihnen erzählen, wie sie während einer beängstigenden, lebensbedrohlichen Erkrankung ein besseres Verständnis vom Grundsatz Dienen gewonnen hat. Amy schreibt:

„Am 29. Oktober 2015 stellte sich heraus, dass ich Krebs hatte. Bei dieser Art Krebs liegt die Überlebensrate bei 17 Prozent. Die Chancen standen also nicht gut. Ich wusste, das würde der schlimmste Kampf meines Lebens werden. Ich war entschlossen, alles zu geben, nicht nur um meiner selbst willen, sondern auch für meine Familie. Im Dezember begann die Chemotherapie. Mir waren die vielen Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten bekannt, doch mir war nicht klar, dass es einem so schlecht gehen kann, ohne dass man stirbt.

Irgendwann betrachtete ich die Chemotherapie als Verletzung der Menschenrechte. Ich sagte meinem Mann, dass ich genug hatte. Das war es – ich würde nicht wieder ins Krankenhaus gehen. Weise, wie er ist, hörte mir mein geliebter Mann geduldig zu und sagte dann: ‚Dann müssen wir wohl jemanden finden, dem wir dienen können.‘“

Wie bitte? War ihm entgangen, dass seine Frau Krebs hatte und keinen einzigen weiteren Anfall von Übelkeit und nicht einen weiteren Moment qualvoller Schmerzen aushalten konnte?

Amy berichtet weiter: „Die Symptome wurden immer schlimmer, bis ich irgendwann nur noch ein, zwei erträgliche Tage im Monat hatte, an denen ich halbwegs wie ein lebendiger, atmender Mensch funktionieren konnte. An diesen Tagen haben wir als Familie Möglichkeiten gefunden, anderen zu dienen.“

An einem dieser Tage verteilte Amys Familie Trostpäckchen an andere Chemopatienten. Darin waren Dinge, die sie aufheitern oder die Symptome mildern sollten. Wenn Amy nicht einschlafen konnte, überlegte sie sich, wie sie jemand anderem den Tag verschönern konnte. Manchmal war es etwas Großes, aber oftmals waren es nur ein paar aufbauende, liebevolle Worte – handgeschrieben oder per SMS. Wenn sie nachts vor lauter Schmerzen nicht schlafen konnte, lag sie mit ihrem iPad im Bett und überprüfte, welche heiligen Handlungen noch für welche Vorfahren erledigt werden müssten. Wie ein Wunder ließ der Schmerz dann nach, sodass sie ihn aushalten konnte.

„Das Dienen“, bezeugt Amy, „hat mir das Leben gerettet. Die Freude, die ich darin fand, das Leiden der Menschen um mich herum zu lindern, gab mir die Kraft, weiterzumachen. Ich freute mich immer enorm auf unsere Dienstprojekte. Bis heute kommt es mir sehr paradox vor. Man würde meinen, dass jemand, der keine Haare mehr hat, vergiftet wird und um sein Leben kämpft, jedes Recht hat, zu meinen: ‚Jetzt geht es nur um mich.‘ Aber wenn ich über mich, meine Situation, mein Leid und meinen Schmerz nachdachte, erschien die Welt sehr finster und deprimierend. Wenn ich mich jedoch auf andere konzentrierte, spürte ich Licht, Hoffnung, Kraft, Mut und Freude. Ich weiß, dass dies dank der stützenden, heilenden und helfenden Macht des Sühnopfers Jesu Christi möglich ist.“

Amy lernte, auf den Herrn zu vertrauen, indem sie ihn kennenlernte. Wenn sie sich auch nur ein wenig ihrer eigenen Klugheit zugeneigt hätte, hätte sie den Gedanken, zu dienen, vielleicht verworfen. Das Dienen versetzte sie jedoch in die Lage, ihren Schmerzen und Bedrängnissen standzuhalten und dieser Schriftstelle zu folgen: „Wenn ihr im Dienste eurer Mitmenschen seid, [seid] ihr nur im Dienste eures Gottes.“6

Jesus Christus hat die Welt besiegt. Und dank ihm, dank seinem unbegrenzten Sühnopfer haben wir alle viel Grund, Vertrauen zu haben, weil wir wissen, dass am Ende alles gut wird.

Schwestern, wir alle können auf den Herrn vertrauen und sollten uns nicht von ihm wegneigen. Wir können unser Leben am Erretter ausrichten, indem wir ihn kennenlernen, dann ebnet er unsere Pfade.

Wir sind auf der Erde, um dasselbe Vertrauen in ihn unter Beweis zu stellen, das es uns ermöglicht hat, schon damals zu Jesus Christus zu stehen, als er verkündete: „Hier bin ich, sende mich.“7

Bild
Christus und die Schöpfung

Meine lieben Schwestern, Präsident Thomas S. Monson hat bezeugt, „dass die uns verheißenen Segnungen unermesslich sind. Sturmwolken mögen sich zusammenziehen, Regen mag auf uns herabprasseln, doch unsere Kenntnis vom Evangelium und unsere Liebe zum himmlischen Vater und zu unserem Erlöser werden uns trösten [und stützen], wenn wir untadelig wandeln. … Nichts in dieser Welt kann uns dann besiegen.“8

Ich füge dem Zeugnis unseres lieben Propheten mein eigenes hinzu. Wenn wir auf den Vater im Himmel und den Erretter vertrauen und uns nicht unserer eigenen Klugheit zuneigen, ebnen sie unsere Pfade und strecken uns den Arm der Barmherzigkeit entgegen. Im Namen Jesu Christi. Amen.