2000–2009
Geht vorwärts!
Oktober 2004


Geht vorwärts!

Eines erwartet der Herr von uns allen – ganz gleich, was für Schwierigkeiten und Kummer wir erleiden: Er erwartet, dass wir vorwärts gehen.

Ich bin im Laufe meines Lebens schon mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert worden. Ich kenne außergewöhnliche Menschen, die äußerst schwere Prüfungen ertragen mussten, während anderen – zumindest nach außen hin – anscheinend das Glück in den Schoß fällt.

Wer Unglück erlebt, stellt sich oft die Frage: „Warum muss das gerade mir passieren?“ Schlaflose Nächte lang sinnt man darüber nach, weshalb man so einsam, krank, mutlos, bedrückt oder verzweifelt ist.

Die Frage „warum gerade ich?“ ist schwer zu beantworten und führt oft zu Enttäuschung und Verzweiflung. Es gibt da eine bessere Frage, die man sich stellen kann, nämlich: „Was kann ich aus dieser Erfahrung lernen?“

Wie wir diese Frage beantworten, bestimmt vielleicht nicht nur unsere Lebensqualität auf der Erde, sondern auch in aller Ewigkeit. Unsere Prüfungen hier sind ganz unterschiedlicher Natur, doch eines erwartet der Herr von uns allen – ganz gleich, was für Schwierigkeiten und Kummer wir erleiden: Er erwartet, dass wir vorwärts gehen.

Die Lehre vom Ausharren bis ans Ende

Zum Evangelium Jesu Christi gehört auch die grundlegende Lehre vom Ausharren bis ans Ende. Jesus hat gesagt: „Wer … bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“1 Und: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger.“2 So mancher meint, ausharren bis ans Ende bedeute, Schwierigkeiten einfach durchzustehen. Es gehört aber viel mehr dazu – es ist der Vorgang, wie wir zu Christus kommen und in ihm vollkommen gemacht werden.

Nephi, ein Prophet aus dem Buch Mormon, hat gelehrt: „Darum müsst ihr mit Beständigkeit in Christus vorwärts streben, erfüllt vom vollkommenen Glanz der Hoffnung und von Liebe zu Gott und zu allen Menschen. Wenn ihr darum vorwärts strebt und euch am Wort von Christus weidet und bis ans Ende ausharrt, siehe, so spricht der Vater: Ihr werdet ewiges Leben haben.“3

Die Lehre vom Ausharren bis ans Ende ist diejenige, die besagt, dass man auf dem Weg weitergeht, der zum ewigen Leben führt, nachdem man ihn durch Glauben, Umkehr, Taufe und das Empfangen des Heiligen Geistes eingeschlagen hat. Um bis ans Ende auszuharren, muss man sein ganzes Herz geben. Der Prophet Amaleki aus dem Buch Mormon hat dazu gesagt: „Kommt zu ihm und opfert ihm eure ganze Seele als Opfer, und fahrt fort mit Fasten und Beten, und harrt aus bis ans Ende; und so wahr der Herr lebt, werdet ihr errettet werden.“4

Bis ans Ende auszuharren bedeutet, dass unser Leben fest im Boden des Evangeliums verankert ist, dass wir zu dem stehen, was anerkannte Lehre der Kirche ist, dass wir unseren Mitmenschen demütig dienen, ein christusähnliches Leben führen und unsere Bündnisse halten. Wer ausharrt, befindet sich im Gleichgewicht, er ist unbeirrbar und demütig, er verbessert sich ständig und ist ohne Falschheit. Sein Zeugnis beruht nicht auf weltlichen Beweggründen, sondern beruht auf Wahrheit, Erkenntnis, Erfahrung und dem Geist.

Das Gleichnis vom Sämann

Der Herr Jesus Christus bringt uns anhand des einfachen Gleichnisses vom Sämann die Lehre vom Ausharren bis ans Ende nahe.

„Der Sämann sät das Wort.

Auf den Weg fällt das Wort bei denen, die es zwar hören, aber sofort kommt der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät wurde.

Ähnlich ist es bei den Menschen, bei denen das Wort auf felsigen Boden fällt: Sobald sie es hören, nehmen sie es freudig auf; aber sie haben keine Wurzeln, sondern sind unbeständig, und wenn sie dann um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt werden, kommen sie sofort zu Fall.

Bei anderen fällt das Wort in die Dornen: Sie hören es zwar, aber die Sorgen der Welt, der trügerische Reichtum und die Gier nach all den anderen Dingen machen sich breit und ersticken es und es bringt keine Frucht.

Auf guten Boden ist das Wort bei denen gesät, die es hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißigfach, ja sechzigfach und hundertfach.“5

Im diesem Gleichnis werden verschiedene Bodenarten beschrieben, auf die der Same der Wahrheit fällt und wo er aufgeht. Jede Bodenart steht für einen bestimmten Grad der Verpflichtung und des Durchhaltevermögens.

Die erste Bodenart – „der Weg“ – stellt diejenigen dar, die das Evangelium zwar hören, der Wahrheit jedoch nie die Chance geben, Wurzeln zu schlagen.

Die zweite Bodenart – „der felsige Boden“ – stellt diejenigen in der Kirche dar, die beim ersten Anzeichen von Mühe oder Prüfung gekränkt davonlaufen und nicht gewillt sind, den Preis zu zahlen.

Die dritte Bodenart – „in den Dornen“ – stellt die Mitglieder der Kirche dar, die sich von weltlichen Belangen und von Reichtum und Vergnügen ablenken und in Anspruch nehmen lassen.

Dann gibt es auch die „auf gutem Boden“ – die Mitglieder der Kirche, deren Lebenswandel zeigt, dass sie Jünger des Herrn sind, tief verwurzelt im Boden des Evangeliums, und die deshalb reichlich Frucht hervorbringen.

Im Gleichnis vom Sämann nennt der Erlöser dreierlei, was uns davon abhält auszuharren und was unsere Seele zersetzen und unseren ewigen Fortschritt aufhalten kann.

Beim ersten Hindernis, den „Sorgen der Welt“, handelt es sich im Wesentlichen um Stolz.6 Der Stolz zeigt sein hässliches Gesicht auf vielfache und zerstörerische Weise. So ist heutzutage beispielsweise intellektueller Stolz weit verbreitet. Manche Menschen stellen sich wegen ihrer Schulbildung und wissenschaftlichen Leistungen über Gott und seine Gesalbten. Wir dürfen niemals zulassen, dass unser Intellekt wichtiger wird als unser Geist. Unser Geist kann vom Intellekt profitieren und unser Intellekt kann vom Geist profitieren; wenn wir jedoch zulassen, dass unser Intellekt wichtiger wird als unser Geist, dann stolpern wir, finden Fehler und verlieren möglicherweise sogar unser Zeugnis.

Wissen ist ganz wichtig und eines der wenigen Dinge, die wir ins nächste Leben mitnehmen.7 Wir sollen immerzu lernen. Aber wir müssen darauf achten, dass wir dabei nicht den Glauben beiseite schieben, denn eigentlich verstärkt der Glaube ja unsere Lernfähigkeit.

Das Zweite, was uns am Ausharren hindert, ist der „trügerische Reichtum“. Hängen wir doch nicht mehr so sehr am Reichtum! Er ist nur Mittel zum Zweck, und der besteht letztlich darin, das Gottesreich aufzubauen. Ich denke, dass einige Menschen so sehr mit der Marke ihres Wagens, dem Preisschild ihrer Kleider oder der Größe ihres Hauses – im Vergleich zum Haus ihres Nachbarn – beschäftigt sind, dass sie das Wichtigste außer Acht lassen.8 Wir müssen aufpassen, dass wir im täglichen Leben den Dingen dieser Welt nicht Vorrang vor geistigen Belangen einräumen.

Das dritte Hindernis, das Jesus Christus nennt, ist die „Gier nach anderen Dingen“. Die Seuche Pornografie greift in unserem Umfeld um sich wie nie zuvor. Pornografie zieht manches Übel nach sich – Unsittlichkeit, kaputte Familien und gescheiterte Existenzen. Sie nimmt einem die Geisteskraft, die man braucht, um auszuharren. Pornografie ist fast so wie Treibsand. Setzt man den Fuß hinein, gerät man leicht in die Falle und wird überwunden, ohne dass man merkt, wie gefährlich sie ist. Wahrscheinlich brauchen Sie Hilfe, um sich aus dem Treibsand der Pornografie zu befreien. Aber weitaus besser ist es, wenn man gar nicht erst hineingerät. Ich bitte Sie inständig: Seien Sie vorsichtig und auf der Hut.

Ausharren bis ans Ende ist ein Grundsatz, der für alle gilt

Einige Wochen vor dem Tod von Präsident Heber J. Grant besuchte ihn eine Generalautorität zu Hause. Ehe der Mann ging, sprach Präsident Grant ein Gebet: „Oh Gott, segne mich, dass ich mein Zeugnis nicht verliere und dass ich bis ans Ende treu bleibe!“9 Können Sie sich das vorstellen? Präsident Grant, einer der großen Propheten der Wiederherstellung, fast 27 Jahre lang Präsident der Kirche, betete darum, dass er bis ans Ende treu bleibe!

Keiner ist gegen den Einfluss und die Versuchungen des Satans gefeit. Seien Sie nicht so überheblich zu meinen, Ihnen könne der Einfluss des Widersachers nichts anhaben. Passen Sie auf, dass Sie nicht seinen Täuschungen zum Opfer fallen. Bleiben Sie durch tägliches Schriftstudium und durch tägliches Beten dem Herrn nahe. Wir können es uns nicht leisten, uns zurückzulehnen und unsere Errettung als gesichert zu betrachten. Wir müssen uns unser Leben lang voll Eifer engagieren.10 Die folgenden Worte von Präsident Brigham Young sind motivierend und erinnern uns daran, dass wir in unserem Kampf, bis ans Ende auszuharren, nie aufgeben dürfen: „Die Männer und Frauen, die sich einen Sitz im celestialen Reich wünschen, werden feststellen, dass sie jeden Tag [für dieses heilige Ziel] kämpfen müssen.“11

Die Kraft, um auszuharren

Ich weiß, dass viele Kummer haben, dass sie einsam sind, Schmerzen haben und Rückschläge erleiden. Diese Erfahrungen sind ein notwendiger Teil des Erdenlebens. Verlieren Sie jedoch bitte nicht die Hoffnung auf Jesus Christus und seine Liebe zu Ihnen. Seine Liebe ist unwandelbar. Er hat verheißen, dass er uns nicht als Waisen zurücklassen wird.12

Die Worte des Herrn in Lehre und Bündnisse, Abschnitt 58, sind uns ein Trost, wenn wir mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben:

„Mit euren natürlichen Augen könnt ihr zur gegenwärtigen Zeit die Absicht eures Gottes in Bezug auf das, was später noch geschehen wird, nicht sehen, auch nicht die Herrlichkeit, die nach viel Drangsal folgen wird.

Denn nach viel Drangsal kommen die Segnungen. Darum kommt der Tag, da ihr mit viel Herrlichkeit gekrönt werdet; die Stunde ist noch nicht, aber steht nahe bevor.“13

So müssen wir, Brüder und Schwestern, vorwärts gehen und werden dadurch schließlich Jesus Christus ähnlicher. Wir alle kennen Menschen, die im Leben große Prüfungen bestehen mussten und die treu ausgeharrt haben. Ein zu Herzen gehendes Beispiel ist Warren M. Johnson, ein Heiliger aus der Anfangszeit der Kirche im neunzehnten Jahrhundert, der im Auftrag von Führern der Kirche Lee’s Ferry in Betrieb nahm, eine wichtige Fähre für die Überquerung des Colorados im Norden Arizonas. Bruder Johnson hatte große Herausforderungen zu bestehen, doch er blieb sein Leben lang treu. Hören wir, wie Bruder Johnson in einem Brief an Präsident Wilford Woodruff die Tragödie beschreibt, die seiner Familie widerfahren war:

„Im Mai 1891 kam eine Familie … aus Richfield in Utah hierher [zu Lee’s Ferry], wo sie den Winter über … bei Freunden blieb. Bei Panguitch begruben sie eines ihrer Kinder, … und ohne den Wagen oder sich selbst zu [reinigen] … kamen sie zu uns und blieben über Nacht in unserem Haus und hatten auch Kontakt mit meinen kleinen Kindern. …

Wir hatten keine Ahnung, um was für eine Krankheit es sich gehandelt hatte [Diphtherie], aber da wir hier eine sehr schwere Mission zu erfüllen hatten und bestrebt gewesen waren, so gut wir es nur konnten, die [Gebote] zu halten, … verließen wir uns darauf, dass Gott unsere Kinder bewahren würde. Aber ach! Viereinhalb Tage später [starb der älteste Junge] in meinen Armen. Zwei weitere Kinder erkrankten und wir fasteten und beteten so viel, wie es uns vernünftig schien, da wir hier ja viel Arbeit zu verrichten hatten. Wir fasteten vierundzwanzig Stunden und ich fastete einmal vierzig Stunden, doch es half alles nichts; meine beiden kleinen Mädchen starben auch. Etwa eine Woche nach ihrem Tod erkrankte [auch] meine fünfzehnjährige Tochter Melinda; wir taten für sie, was wir konnten, aber [bald] folgte sie den anderen ins Grab. … Drei meiner lieben Töchter und einer meiner Söhne [sind] von uns genommen worden, und es ist noch kein Ende in Sicht. Meine Älteste, die Neunzehnjährige, liegt nun [mit] der Krankheit darnieder, und wir fasten und beten heute für sie. … Ich möchte Sie bitten, dass Sie ebenfalls Ihren Glauben einsetzen und für uns beten. Was haben wir denn getan, dass der Herr uns verlassen hat, und was können wir tun, um wieder seine Gunst zu erlangen[?]“

Kurze Zeit später schrieb Bruder Johnson an einen Freund, einen der örtlichen Führer. In diesem Brief schreibt er von seinem Glauben und dass er weiter vorwärts gehen wird:

„Dies ist die schwerste Prüfung meines Lebens, aber ich habe mich auf den Weg zur Errettung begeben und bin entschlossen, … mit der Hilfe des Himmlischen Vaters an der eisernen Stange festzuhalten, ganz gleich, was für Schwierigkeiten mich befallen. Ich habe meine Pflichten nicht vernachlässigt und hoffe, dass der Glaube und die Gebete meiner Brüder bei mir sind, dass ich so lebe, dass ich die Segnungen erlangen kann.“14

Auch wenn Bruder Johnsons Prüfungen uns helfen können, unsere Schwierigkeiten zu meistern, möchte ich drei Schlüssel zum Ausharren in unserer Zeit nennen.

Erstens: das Zeugnis. Das Zeugnis vermittelt uns die ewige Perspektive, die wir brauchen, um über die Prüfungen und Schwierigkeiten hinauszublicken, denen wir uns unweigerlich zu stellen haben. Erinnern Sie sich an das, was Heber C. Kimball prophezeit hat:

„Die Zeit kommt, da niemand mehr von geborgtem Licht leben kann. Jeder muss sich von dem Licht leiten lassen, das er in sich trägt. …

Wenn ihr keines habt, werdet ihr nicht bestehen. Trachtet daher nach dem Zeugnis von Jesus und haltet daran fest, damit ihr, wenn die Prüfungszeit kommt, nicht stolpert und fallt.“15

Zweitens: Demut. Demütig sein bedeutet, dass man anerkennt und sich dessen bewusst ist, dass der Mensch die Hilfe des Herrn braucht, um im Leben bestehen zu können. Wir können nicht aus eigener Kraft bis ans Ende ausharren. Ohne ihn sind wir nichts.16

Drittens: Umkehr. Das herrliche Geschenk Umkehr macht es uns möglich, mit neuem Herzen auf den Weg zurückzukehren; Umkehr gibt uns die Kraft, auf dem Weg auszuharren, der zum ewigen Leben führt. Daher spielt das Abendmahl in diesem Leben eine Schlüsselrolle beim Ausharren. Es gibt uns jede Woche die Möglichkeit, unseren Taufbund zu erneuern und umzukehren und unseren Fortschritt auf dem Weg zur Erhöhung zu beurteilen.

Wir sind Söhne und Töchter des Ewigen Gottes und wir können Miterben Christi werden.17 Und da wir wissen, wer wir sind, dürfen wir nie das Ziel aus den Augen verlieren, unsere ewige Bestimmung zu erfüllen.

Ich bezeuge: Wenn wir in der Ewigkeit auf unser kurzes Erdenleben hier zurückblicken, werden wir die Stimme erheben und frohlocken, dass wir trotz der Schwierigkeiten, denen wir gegenüberstanden, die Weisheit, den Glauben und den Mut hatten, auszuharren und vorwärts zu gehen.

Mögen wir dies jetzt und für immer tun. Darum bete ich demütig im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. Matthäus 24:13

  2. Johannes 8:31

  3. 2 Nephi 31:20

  4. Omni 1:26

  5. Markus 4:14-20

  6. Siehe Der Stern, Juli 1989, Seite 3ff.

  7. Siehe LuB 130:18,19

  8. Siehe Matthäus 23:23

  9. Zitiert von John Longden, Generalkonferenz, Oktober 1958

  10. Siehe LuB 58:27

  11. Discourses of Brigham Young, Hg. John A. Widtsoe, 1954, Seite 392

  12. Siehe Johannes 14:18

  13. LuB 58:3,4

  14. Zitiert in Jay A. Parry und andere, Hg., Best-Loved Stories of the LDS People, 3 Bände, 1997–2000, 3:107f.

  15. Orson F. Whitney, Life of Heber C. Kimball, 1945, Seite 450

  16. Siehe Johannes 15:5

  17. Siehe Römer 8:17