1990–1999
Ehrfurcht führt zu Offenbarung
Oktober 1991


Ehrfurcht führt zu Offenbarung

„ Wir müssen der Abendmahlsversammlung und den übrigen Versammlungen erneute Aufmerksamkeit schenken, um sicherzugehen, daß es sich wirklich um Gottesdienst handelt.”

Das Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi, eine Bestätigung, daß das Buch Mormon wahr ist, kommt als kaum wahrnehmbare geistige Kundgebung. In der heiligen Schrift wird es als Licht beschrieben (siehe LuB 88:11,67), als Brennen im Herzen. Am besten ist es mit dem Begriff Gefühl umschrieben (siehe l Nephi 17:45).

Normalerweise empfangen wir ein Zeugnis, wenn wir uns mit aufrichtigem Herzen und wirklichem Vorsatz darum bemühen (siehe Moroni 10:4). „Wenn du bittest, wirst du Offenbarung um Offenbarung, Erkenntnis um Erkenntnis empfangen, damit du die Geheimnisse und das Friedfertige erkennen mögest - das, was Freude bringt, was ewiges Leben bringt.” (LuB 42:61.)

Keine Aussage erscheint in den Schriften häufiger und auf vielfältigere Weise. „Bittet, dann wird euch gegeben.” (Matthäus 7:7; siehe auch Matthäus 21:22; l Johannes 3:22; l Nephi 15:11; Enos 1:15; Mosia 4:21; LuB 4:7; Mose 6:52.) Wir können uns zwar um eine solche Verbindung bemühen, aber wir können sie niemals erzwingen! Wenn wir das versuchen, kann es sein, daß wir getäuscht werden.

Enos, der „im Geiste rang”, sagte: „Siehe, da erging die Stimme des Herrn abermals an meinen Sinn.” (Enos 1:10; Hervorhebung hinzugefügt.) Solche geistigen Mitteilungen ergehen zwar an den Sinn, aber sie sind doch eher ein Gefühl, ein Eindruck, als ein bloßer Gedanke. Und wenn man das noch nicht erlebt hat, kann man es eigentlich auch nicht erfassen, wenn es einem beschrieben wird.

Das Zeugnis tut sich nicht nur dem Verstand kund, wie scharf er auch sein mag.

„Der irdisch gesinnte Mensch aber”, so Paulus, „läßt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann.” (l Korinther 2:14.)

Vor kurzem hat der Rat der Ersten Präsidentschaft und des Kollegiums der Zwölf eine Verlautbarung herausgegeben, in der die Mitglieder der Kirche davor gewarnt werden, sich an Kreisen zu beteiligen, die sich zwar mit der Lehre und den Verordnungen befassen, sie aber nur mit dem Verstand messen.

Wenn Lehre und Verhalten nur mit dem Verstand gemessen werden, fehlt die wesentliche geistige Komponente, und wir lassen uns irreführen.

Das Zeugnis erhalten wir durch die harmonische Verbindung von Verstand und Geist, die uns das Zeugnis auch immer wieder neu bestätigt und verstärkt.

Das Zeugnis ist eine sehr persönliche Angelegenheit; es kommt als Antwort auf ganz persönliches Beten und Flehen. Allerdings hat der Herr uns gesagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.” (Matthäus 18:20; siehe auch LuB 6:32.)

Es ist eine sichere Sache, wenn man die Lehre in den Zusammenkünften lernt, die von der rechten Autorität veranstaltet werden. Manche Mitglieder, auch solche, die die Tempelbündnisse eingegangen sind, gesellen sich zu diesen und jenen Gruppen, die etwas Heimliches an sich haben und die, was die Erfüllungen von Prophezeiungen angeht, vorgeben, eine höhere Quelle der Inspiration zu besitzen als die Führer in Gemeinde und Pfahl oder gar die Generalautoritäten der Kirche. Darüber muß man sich im klaren sein: Es gibt vorgetäuschte Offenbarungen, die, so lautet die Warnung, „wenn möglich, sogar die Auserwählten … täuschen, nämlich die gemäß dem Bündnis auserwählt sind” (Joseph Smith - Matthäus 1:22).

Der Herr hat geboten: „Versammelt euch, und organisiert euch. … Auch gebe ich euch das Gebot, von dieser Zeit an in Beten und Fasten zu beharren. Und ich gebe euch das Gebot, einander in der Lehre des Reiches zu belehren. … Und meine Gnade wird mit euch sein -, damit ihr noch vollkommener unterwiesen seiet in Theorie, in Grundsätzlichem, in der Lehre, im Gesetz des Evangeliums, in allem, was das Reich Gottes betrifft und was ratsam ist, daß ihr es versteht.” (LuB 88:74,76-78.)

Wenn wir zusammenkommen, um die Lehren des Evangeliums zu lernen, dann muß das voll Ehrfurcht geschehen. Ich möchte heute über die Ehrfurcht und darüber sprechen, was sie mit Offenbarung zu tun hat.

Inspiration kann in einer friedlichen Atmosphäre leichter erfolgen. Solche Worte wie leise, ruhig, friedlich, Tröster kommen in den Schriften häufig vor: „Seid ruhig und wißt, daß ich Gott bin.” (LuB 101:16; Hervorhebung hinzugefügt.) Und die Verheißung: „Du sollst meinen Geist empfangen, den Heiligen Geist, ja, den Tröster, der dich das Friedfertige des Reiches lehren wird.” (LuB 36:2; Hervorhebung hinzugefügt.)

Elija spürte einen starken Wind, ein Erdbeben, ein Feuer. In keinem davon war der Herr; dann „kam ein sanftes, leises Säuseln” (l Könige 19:12).

Helaman hat über die Stimme der Offenbarung gesagt: „Als sie diese Stimme hörten, merkten sie, daß es nicht eine Stimme des Donners war, auch nicht eine Stimme von großem, heftigem Lärm, sondern siehe, es war eine sanfte Stimme von vollkommener Milde, gleichwie ein Wispern, und sie drang bis tief in die Seele.” (Helaman 5:30.)

Nephi machte seine Brüder darauf aufmerksam: Ein Engel „hat mit einer leisen, sanften Stimme zu euch gesprochen, aber ihr hattet kein Gefühl mehr dafür, und so konntet ihr seine Worte nicht fühlen” (l Nephi 17:45; Hervorhebung hinzugefügt).

In den letzten Jahren haben wir in der Kirche immer wieder Ehrfurcht und mangelnde Ehrfurcht erlebt. Viele Mitglieder müssen wir loben, aber der Trend ist besorgniserregend.

Die Welt wird immer lärmender. Die Kleidung, das Äußere und das Verhalten sind lockerer, schlampiger und unordentlicher. Rauhe Musik mit obszönen Texten, die aus den Lautsprechern dröhnen, während Lichtblitze psychedelische Farben ausstrahlen, sind ein Kennzeichen der Drogenkultur. In abgewandelter Form wird das alles auch von unseren Jugendlichen immer mehr akzeptiert und gewinnt an Einfluß auf sie.

Die Ärzte sagen sogar, daß das Hörvermögen durch all diesen Lärm auf Dauer geschädigt werden kann.

Dieser Trend hin zu mehr Lärm, mehr Aufregung, mehr Streit, weniger Zurückhaltung, weniger Würde, weniger Formalität ist nicht zufällig oder unschuldig oder harmlos.

Ein militärischer Befehlshaber, der eine Invasion starten will, gibt als erstes den Befehl, die Kommunikationskanäle des Landes, das er erobern will, zu unterbrechen.

Ehrfurchtslosigkeit nützt den Absichten des Widersachers, da sie die empfindsamen Kanäle der Offenbarung in Sinn und Geist blockiert.

Wir müssen der Abendmahlsversammlung und den übrigen Versammlungen erneute Aufmerksamkeit schenken, um sicherzugehen, daß es sich wirklich um Gottesdienst handelt, in dem die Mitglieder geistig aufgebaut werden und wo ihr Zeugnis gestärkt wird und die Untersucher die Inspiration spüren, die für die geistige Bekehrung so wesentlich ist.

Unsere Gemeindehäuser sind so konstruiert, daß dort gesellige Veranstaltungen, Tanzabende, Theateraufführungen stattfinden können und wir sogar Sport treiben können. All das ist wichtig. Aber diese zusätzlichen Aktivitäten müssen im Vergleich zu dem, was in der Welt geschieht, in gedämpfter Atmosphäre verlaufen. Musik, Kleidung und Verhalten sind dort ganz anders als das, was am Sonntag in der Kapelle und im Klassenzimmer angebracht ist.

Wenn wir zu den Sonntagsversammlungen kommen, müssen Musik, Kleidung und Verhalten der Gottesverehrung angemessen sein. Das Foyer ist für die Begrüßung und die fröhliche Unterhaltung da, die typisch sind für Menschen, die einander liebhaben. Aber wenn wir die Kapelle betreten, müssen wir, muß jeder von uns achtgeben, daß er nicht jemanden behelligt, der darum ringt, Mitteilungen des Geistes zu spüren.

Die Führer fragen sich manchmal, warum so viele aktive Mitglieder in alle möglichen Schwierigkeiten geraten. Kann es daran liegen, daß sie nicht spüren, was sie spüren

müßten, weil unsere Versammlungen in geistiger Hinsicht nicht so sind, wie sie sein sollten?

Ehrfurchtloses Verhalten in der Kapelle muß erwähnt, wenn nicht sogar getadelt werden. Die Führer müssen lehren, daß Ehrfurcht zu Offenbarung führt.

Die Ehrfurcht, die ich meine, ist nicht das gleiche wie absolute Stille. Wir müssen tolerant sein, was die kleinen Babys und die gelegentlichen Ausbrüche eines Kleinkinds betrifft, das nach draußen gebracht wird, damit der Frieden nicht gestört wird. Wenn der Vater nicht gerade auf dem Podium sitzt, sollte er das Kind nach draußen begleiten.

Die Musik ist in unseren Gottesdiensten ungeheuer wichtig. Ich glaube, daß diejenigen, die die Musik auswählen, leiten, darbieten und begleiten, größeren Einfluß auf die Ehrfurcht in unseren Versammlungen haben können als die Sprecher. Gott segne sie.

Musik kann die Atmosphäre schaffen, die der Gottesverehrung angemessen ist und die den Geist der Offenbarung, des Zeugnisses einlädt. Im Handbuch steht: „Die Musik - und auch der Text - soll weihevoll und auch in jeder anderen Beziehung für eine HLT-Versammlung geeignet sein.” (Handbuch „Allgemeine Anweisungen”, Seite 2-5.) „Orgel und Klavier sind die Standardinstrumente für die Abendmahlsversammlung. Andere Instrumente, zum Beispiel Streichinstrumente, können, wo es angebracht ist, eingesetzt werden, aber die Musik muß zur Ehrfurcht und geistigen Gesinnung der Versammlung passen. Blechblas und Schlaginstrumente sind normalerweise nicht angebracht.” (Handbook for Church Music, 1975, Seite 17.)

Ein Organist, der so einfühlsam ist, daß er als Vorspiel leise Musik aus dem Gesangbuch wählt, wirkt besänftigend auf unsere Gefühle und veranlaßt uns dazu, in Gedanken auf den Text einzugehen, der ja das Friedfertige des Reiches lehrt. Wenn wir zuhören, dann lehren uns die Lieder das Evangelium, denn die Lieder der wiederhergestellten Kirche sind wirklich eine Unterweisung in der Lehre.

Mir ist aufgefallen, daß die Führer und die Mitglieder immer weniger mitsingen. Vielleicht kennen sie die Lieder nicht, oder es sind nicht genug Gesangbücher da. Wir müssen die Zionslieder singen - sie spielen in unserem Gottesdienst eine wesentliche Rolle. Wir dürfen die Kirchenlieder und die erhabenen Lieder, die von der Wiederherstellungkünden, nicht vernachlässigen. Der Herr hat gesagt: ”Meine Seele erfreut sich am Lied des Herzens; ja, das Lied der Rechtschaffenen ist ein Gebet zu mir, und es wird ihnen mit einer Segnung auf ihr Haupt be-1 antwortet werden.” (LuB 25:12.)

Wir dürfen unsere Kirchenlieder nicht aus den Augen verlieren und dürfen vor allem keine weltlichen Lieder an ihre Stelle setzen.

Wenn Musik dargeboten wird, die zwar zu anderen Anlässen passen würde, nicht aber zum Sonntag, dann verlieren wir viel. In den Nachrichten stand einmal: „Manche religiös orientierte Musik im populären Stil kann für manche unserer Mitglieder erbauend sein, aber ihr fehlt vielleicht die Würde und Eignung für unseren Gottesdienst. Auch Musik, die für ein Konzert geeignet wäre, paßt nicht unbedingt in unseren Gottesdienst.” (1986.)

Ein Chor, dem weltliche Musik am Sonntag lieber ist als unsere Kirchenlieder, lehrt die Wege der Menschen und ist dadurch nicht imstande zu inspirieren. Er leugnet die Macht, die er sonst haben könnte. Ansprachen und Musik, denen es an geistiger Substanz mangelt, kann der Geist nicht bestätigen.

Jetzt wird mir sicher jemand schreiben und mich daran erinnern, daß ich kein gelernter Musiker bin, und wird mir erklären, daß die große Musik der Welt durchaus sehr anregend sein kann. Das verstehe ich. Aber nicht alle große Musik und auch nicht alle populäre religiöse Musik entspricht den besonderen Kriterien für die heilige Musik der Gottesverehrung, des Sonntags, der Offenbarung.

Ohne Inspiration kann niemand in der heutigen Welt überleben, geschweige denn in der Welt, wie sie bald sein wird. Ehrfurcht kann und muß in jeder Organisation der Kirche und im Leben jedes Mitglieds zum Ausdruck kommen.

Eltern, Pfahlpräsidentschaft, Bischofschaft, HO-Führ er, Lehrer: sorgen Sie dafür, daß in den Versammlungen Ehrfurcht herrscht, und halten Sie die Mitglieder dazu an, bei den Liedern mitzusingen.

Wir werden zwar gewiß keine sofortige wundersame Wandlung erleben, aber, so wahr der Herr lebt, es wird eine leise Wandlung stattfinden. Die geistige Kraft im Leben der Mitglieder und in der Kirche wird zunehmen. Der Herr wird seinen Geist reichlicher über uns ausgießen. Wir werden weniger beunruhigt, weniger verwirrt sein. Wir werden offenbarte Antworten auf persönliche und familiäre Probleme finden, und zwar ohne die vielen Beratungsgespräche, die wir jetzt anscheinend nicht missen können.

Nephi hat erklärt: „Engel reden durch die Macht des Heiligen Geistes; darum reden sie die Worte von Christus. Darum habe ich zu euch gesagt: Weidet euch an den Worten von Christus; denn siehe, die Worte von Christus werden euch alles sagen, was ihr tun sollt.

Wenn ihr nun, da ich diese Worte gesprochen habe, sie nicht verstehen könnt, so deshalb, weil ihr nicht bittet und auch nicht anklopft; darum werdet ihr nicht ins Licht geführt, sondern müßt im Finstern zugrunde gehen.

Denn siehe, abermals sage ich euch: Wenn ihr auf dem Weg eintretet und den Heiligen Geist empfangt, wird er euch alles zeigen, was ihr tun sollt.” (2 Nephi 32:3-5.)

Und voll Ehrfurcht bezeuge ich, daß Gott lebt, daß Jesus der Messias ist, daß der Heilige Geist - unser Tröster, unser Lehrer - zu uns kommt, wenn wir immer ehrfürchtig sind. Im Namen Jesu Christi. Amen.