1990–1999
Auf dem Höhepunkt aller Zeiten
Oktober 1999


Auf dem Höhepunkt aller Zeiten

Möge Gott uns segnen, dass wir erkennen, was unser Platz in der Weltgeschichte ist und was wir … tun müssen, um aufrecht zu stehen und entschlossen zu leben--so, wie es sich für die Heiligen Gottes, des Allerhöchsten, geziemt.

Wie aufregend, wie wunderbar ist doch eine Jahrhundertwende, so wie wir bald eine erleben werden. Noch aufregender ist es, dass wir von dem Jahrtausend, das sich nun dem Ende zuneigt, in ein neues hinüberschreiten dürfen. Wenn ich die heutige Zeit betrachte, erfüllt mich großes, feierliches Geschichtsbewusstsein.

Erst vor zwei Jahrtausenden hat der Erretter auf der Erde gelebt. Sein Platz in der Geschichte wird auch dadurch anerkannt, dass der Kalender, der heute fast in aller Welt verwendet wird, seine Geburt als den Zentralpunkt angibt. Alles, was zuvor geschah, wird von diesem Datum an zurückgezählt, alles, was danach geschah, wird von diesem Datum an gerechnet.

Wann immer jemand eine Jahreszahl nennt, erkennt er wissentlich oder unwissentlich an, dass der Gottessohn zur Erde gekommen ist. Seine Geburt stellt, wie das gemeinhin festgelegt worden ist, den Zentralpunkt der Zeitrechnung auf der Erde dar. Wir denken bei der Datumsangabe zwar nicht daran, doch wenn wir einmal innehalten und darüber nachsinnen, muss uns klar werden, dass er der eine, der Höchste in der Weltgeschichte ist, nach dem wir die Zeit berechnen.

In den Jahrhunderten vor seinem Erdenleben ist sein Kommen schon vorhergesagt worden. Jesaja hat gesagt: ”Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater im Ewigkeit, Fürst des Friedens.” (Jesaja 9:5.)

König Benjamin hat seinem Volk mehr als hundert Jahre vor der Geburt des Erretters gesagt: ”Denn siehe, die Zeit kommt und ist nicht mehr fern, da der Herr, der Allmächtige, der regiert und der von aller Ewigkeit bis in alle Ewigkeit war und ist, mit Macht vom Himmel herabkommen wird unter die Menschenkinder; er wird in einer irdischen Hülle wohnen und unter die Menschen hinausgehen und mächtige Wundertaten vollbringen, indem er Kranke heilt, Tote auferweckt und bewirkt, dass Lahme gehen, Blinde ihr Augenlicht empfangen und Taube hören, und indem er allerart Leiden heilt… .

”Und er wird Jesus Christus heißen, der Sohn Gottes, der Vater des Himmels und der Erde, der Schöpfer aller Dinge von Anfang an; und seine Mutter wird Maria heißen.” (Mosia 3:5,8.)

Es erstaunt wahrlich nicht, dass bei seiner Geburt die Engel sangen und dass weise Männer von weit her kamen, um ihm zu huldigen.

Er war der einzige vollkommene Mensch auf der Erde. Er erfüllte das Gesetz des Mose und brachte der Welt eine neue Richtschnur der Liebe.

Seine Mutter war sterblich, und von ihr ererbte er einen sterblichen Körper. Sein Vater war unsterblich, nämlich der große Gott des Universums, und durch ihn kam sein göttliches Wesen.

Seine Liebe kam dadurch am erhabensten zum Ausdruck, als er durch seinen Tod sein Leben als Opfer für die Menschen hingab. Dieses Sühnopfer, das mit unaussprechlicher Qual einherging, wurde zum bedeutendsten Ereignis der Weltgeschichte--ein Akt der Gnade, dem der Mensch nichts hinzufügte und der ihm dennoch die Gewissheit brachte, dass jeder, der auf der Erde gelebt hat und noch leben wird, auferstehen wird.

Kein anderes Ereignis in der Menschheitsgeschichte lässt sich damit vergleichen. Nie ist etwas ähnliches geschehen. Völlig selbstlos und mit unendlicher Liebe für alle Menschen wurde dies ein nie dagewesener Akt der Barmherzigkeit für die gesamte Menschheit.

Mit der Auferstehung kam an jenem ersten Ostermorgen die glorreiche Erklärung der Unsterblichkeit. Paulus hat das so wundervoll zum Ausdruck gebracht: ”Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.” (1 Korinther 15:22.) Er hat nicht nur allen den Segen der Auferstehung gewährt, sondern auch einem jeden, der seinen Lehren und seinen Geboten Beachtung schenkt, den Weg zum ewigen Leben aufgetan.

Er war und ist die große Hauptfigur der Menschheitsgeschichte, der Höhepunkt aller Zeiten.

Vor seinem Tod berief und ordinierte er Apostel. Eine Zeitlang brachten sie das Werk voran. Seine Kirche war begründet.

Die Jahrhunderte vergingen und eine Wolke der Finsternis überschattete die Erde. Jesaja beschrieb das folgendermaßen: ”Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker.” (Jesaja 60:2.)

Es war eine Zeit der Plünderungen und des Leids, eine Zeit langer, blutiger Kriege. Im Jahre 800 wurde Karl der Große zum Römischen Kaiser gekrönt.

Es war eine Zeit der Hoffnungslosigkeit, eine Zeit, in der es Herren und Leibeigene gab.

Das erste Jahrtausend verging und das zweite brach an. Die ersten Jahrhunderte waren die Fortsetzung des vorherigen. Es war eine Zeit voll Angst und Leid. Im 14. Jahrhundert brach in China die Pest aus. Sie breitete sich durch Europa bis nach England aus. Wo immer sie wütete, brachte sie den plötzlichen Tod. Giovanni Boccaccio sagte von den Pestopfern: ”Sie frühstückten mit ihren Freunden und tafelten abends mit ihren Vorfahren im Paradies.”1 Die Pest erfüllte das Menschenherz mit Schrecken. In nur fünf Jahren starben fünfundzwanzig Millionen Menschen an der Pest. Das entsprach einem Drittel der Gesamtbevölkerung Europas.

Von Zeit zu Zeit schlug die Pest erneut mit finsterer, ekelerregender Hand wahllos zu. Doch war dies zugleich auch eine Zeit größerer Aufklärung. In der unaufhörlichen Aufeinanderfolge von Jahren tauchten die ersten Strahlen des dämmernden Morgens die Erde in ein neues Licht. Es war das Zeitalter der Renaissance, der herrlichen Blütezeit der Künste, der Architektur und der Literatur.

Reformatoren machten sich daran, die Kirche zu verändern, allen voran Männer wie Luther, Hus und Zwingli. Es waren mutige Männer, und einige von ihnen starben für ihren Glauben eines grausamen Todes. Der Protestantismus kam auf, und mit ihm der Ruf nach Reformation. Als keine Reformation durchgeführt wurde, gründeten die Reformatoren eigene Kirchen. Sie taten es ohne die Vollmacht des Priestertums. Sie wollten nur eines: Einen Platz finden, um Gott so verehren, wie sie meinten, dass er verehrt werden müsse. Gleichzeitig mit dieser religiösen Unruhe im Christentum waren auch politische Kräfte am Werk.

Dann kam der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, wodurch ein Staat entstand, dessen Verfassung besagt, dass sich der Staat nicht in Religionsfragen einmischen darf. Ein neuer Tag war angebrochen, ein herrlicher Tag. Es gab hier keine Staatskirche mehr. Keine Glaubensgemeinschaft wurde bevorzugt.

Nach Jahrhunderten der Finsternis, der Pein und des Kampfes war nun die Zeit reif für die Wiederherstellung des Evangeliums. AltePropheten hatten diesen langersehnten Tag bereits angekündigt.

Alles Vergangene hatten auf diesen Tag hingedeutet. Jahrhunderte voll Leid und voll Hoffnung waren verstrichen. Der allmächtige Richter der Welt, der lebendige Gott, hatte festgelegt, dass nun dieZeit da ist, von der die Propheten gesprochen hatten. Daniel hatte gesehen, wie ohne Zutun von Menschenhand sich ein Stein von einem Berg löste, der zu einem großen Berg wurde und die ganze Erde erfüllte.

”Zur Zeit jener Könige wird aber der Gott des Himmels ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er keinem anderen Volk überlassen. Es wird alle jene Reiche zermalmen und endgültig vernichten; es selbst aber wird in alle Ewigkeit bestehen.” (Daniel 2:44.)

Jesaja und Micha hatten das schon lange vorher beschrieben, als sie in einer prophetischen Vision unsere Zeit sahen: ”Am Ende der Tage wird es geschehen: der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.

Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort.” (Jesaja 2:2,3 und Micha 4:2.)

Paulus hat den Ablauf der Zeit, all die Jahrhunderte, die kamen und gingen, gemeint, als er sagte: ”Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit erscheinen, der Sohn des Verderbens.” (2 Thessalonicher 2:3.)

Außerdem sagte er über diesen Tag: ”Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten herauszuführen, inChristus alles zu vereinen, alles,was im Himmel und auf Erden ist.” (Epheser 1:10.)

Petrus sah das große, ganzeSpektrum aller Jahrhunderte und erklärte mit prophetischem Vorausblick:

”Also kehrt um, und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden

und der Herr Zeiten des Aufatmens kommen lässt und Jesus sendet als den für euch bestimmten Messias.

Ihn muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, die Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat.” (Apostelgeschichte 3:19­21.)

Sie alle und noch weitere wiesen auf diesen wunderbaren Zeitabschnitt hin, dieses herrlichste Zeitalter der Menschheitsgeschichte, da der Tag der Wiederherstellung kommen sollte.

Dieser große Tag brach im Jahre 1820 an, als ein Junge ernsthaft und voll Glauben in einen kleinen Wald ging und dort seine Stimme im Gebet erhob und nach jener Weisheit suchte, deren er so sehr bedurfte.

Als Antwort darauf wurde ihm eine herrliche Kundgebung zuteil. Gott, der ewige Vater, und der auferstandene Herr Jesus Christus erschienen und sprachen mit ihm. Der Vorhang, der fast zwei Jahrtausende lang zugezogen gewesen war, wurde beseitegeschoben, und die Evangeliumszeit der Fülle brach an. Danach erfolgte die Wiederherstellung des heiligen Priestertums, zuerst des Aaronischen, dann des Melchisedekischen, unter den Händen derer, die es in alter Zeit getragen hatten. Ein weiterer Zeuge, der wie eine Stimme aus dem Staube ruft, gab Zeugnis, dass der Sohn Gottes wahrhaft lebt und von Gott stammt und der große Erlöser der Welt ist.

Schlüssel göttlicher Vollmacht wurden wiederhergestellt, darunter auch jene Schlüssel, mittels derer die Familie für Zeit und Ewigkeit miteinander verbunden bleibt durch einen Bund, den der Tod nicht zunichte machen kann.

Am Anfang war der Stein klein und kaum beachtenswert. Doch er wurde immer größer und rollt voran, bis er die Erde erfüllen wird.

Brüder und Schwestern, ist Ihnen klar, was wir haben? Erkennen Sie, welche Stelle wir in diesem großen Drama der Menschheitsgeschichte einnehmen? Das ist der Hauptpunkt all dessen, was vorher gewesen ist. Das ist die Zeit der Erneuerung, der Tag der Wiederherstellung. Das ist die Zeit, da die Menschen aus aller Welt zu dem Berg kommen, auf dem das Haus des Herrn steht, um zu suchen, um zu lernen und um auf seinen Pfaden zu wandeln und seine Weg kennenzulernen. Das ist die Krönung all der Jahrhunderte, die seit der Geburt Christi bis zum heutigen wunderbaren Tag vergangen sind.

Der Morgen naht, die Schatten fliehn,

seht, Zions Banner ist enthüllt!

Es dämmert über jenen Höhn

zum schönen Tag der ganzen Welt.

Jahrhunderte sind vergangen. Das Werk der letzten Zeit, jenes Werk des Allmächtigen, wovon vor alters gesprochen worden ist und das die Propheten und Apostel verkündet haben, ist gekommen. Es ist da. Aus einem uns unbekannten Grund wurde uns in Gottes Weisheit gestattet, zu dieser herrlichen Zeit auf die Erde kommen. Die Wissenschaft erlebt eine Hochblüte, die Kenntnis nimmt zu. Dies ist das größte Zeitalter, was menschliche Leistung und menschliches Unterfangen betrifft. Und, was noch wichtiger ist, es ist jene Zeit, in der Gott erneut gesprochen hat, in der sein geliebter Sohn erschienen ist, in der das Priestertum Gottes wiederhergestellt wurde und wir ein weiteres Zeugnis des Gottessohnes in Händen halten. Was für ein wunderbarer, was für ein herrlicher Tag das doch ist!

Gott sei gedankt für alle seine großzügigen Gaben. Wir danken ihm für das wundervolle Evangelium, dessen Macht und Vollmacht über den Schleier des Todes hinaus reichen.

Da wir nun so vieles haben und wissen, sollten wir eigentlich bessere Menschen sein, als wir es sind. Wir sollten Christus ähnlicher sein, vergebungsbereiter, hilfsbereiter und rücksichtsvoll zu allen.

Wir stehen heute auf dem Höhepunkt aller Zeiten, erfüllt von ehrfurchtsvollem und feierlichen Geschichtsbewusstsein. Dies ist die letzte, die abschließende Evangeliumszeit, auf die alle vergangenen hingedeutet haben. Ich gebe Ihnen Zeugnis und bezeuge, dass das alles wahr und wirklich ist. Ich bete darum, dass jeder von uns das feierliche Wunder dessen erkennen möge, wenn wir nun bald erleben werden, wie ein Jahrhundert zu Ende geht und sich ein Jahrtausend seinem Ende zuneigt.

So geht nun das alte Jahr zu Ende und ein neues beginnt. So neigt sich ein Jahrhundert dem Ende zu, und ein neues bricht an. So verabschieden wir uns von einem Jahrtausend und begrüßen ein neues.

Und irgendwann in diesem Prozess wird Jesus Christus erscheinen, um in Herrlichkeit auf der Erde zu regieren.

Komm, o du Heiland hehr,

du langersehnter Held,

des Gnad und große Huld

befreit die ganze Welt.

Komm, alle Völker warten dein,

lass Israel versammelt sein!

Möge Gott uns segnen, dass wir erkennen, was unser Platz in der Weltgeschichte ist und was wir, wenn wir diesen Platz einmal begriffen haben, tun müssen, um aufrecht zu stehen und entschlossen zu leben--so, wie es sich für die Heiligen Gottes, des Allerhöchsten, geziemt. Darum bete ich demütig im Namen Jesu Christi, amen.

  1. The Decameron of Giovanni Boccaccio, üb. Richard Aldington (1930), 7.