2012
Lektion gelernt
Juni 2012


Lektion gelernt

„Meine Familie liebe ich, sie bedeutet viel für mich; ich will in alle Ewigkeit mit ihr zusammen sein.“ (Liederbuch für Kinder, Seite 98)

Warum muss ich überhaupt hier sein?“, beschwerte sich Lindsay.

„Um deinen Bruder zu unterstützen“, sagte Mutti.

„Aber es ist so langweilig!“, klagte Lindsay. „Die meiste Zeit schaue ich doch gar nicht zu ihm hin.“

Lindsays kleiner Bruder Michael gehörte seit kurzem zu einer Baseballmannschaft der Kinderliga, und Mutti nahm Lindsay zu jedem Training und zu jedem Spiel mit. Lindsay langweilte sich die ganze Zeit. Während Michael immer wieder versuchte, den Baseball zu treffen, hörte Lindsay Musik, las Bücher oder zeichnete Bilder für ihre kleine Schwester.

Lindsay seufzte und sah zu ihrem Bruder hinüber, der mit seinen Mitspielern im Feld stand. Sie beobachtete, wie er losrannte, um einen Ball zu fangen, ihn aber verfehlte und ihn dann dem falschen Spieler zuwarf.

„Lass dich nicht unterkriegen, Michael!“, rief Mutti. „Du machst das gut!“

„Aber Mutti“, protestierte Lindsay, „er macht es nicht gut.“

„Darum sind wir ja hier, Lindsay“, meinte ihre Mutter. „Wir feuern Michael an, gerade dann, wenn etwas schiefgeht. Wenn wir nicht hier wären und Michael das Gefühl hätte, ein Versager zu sein, würde er vielleicht aufgeben. Ich möchte, dass er es immer wieder probiert. So wie ich möchte, dass du dich beim Zeichnen immer weiter verbesserst.“

„Niemand muss mich im Malkurs anfeuern“, sagte Lindsay. „Michael kommt ja nicht mit und jubelt mir zu, wenn ich die Farben richtig mische.“

„Nein, aber wenn du uns eines deiner Kunstwerke zeigst, macht er dir immer Komplimente“, erwiderte Mutti.

Lindsay dachte darüber nach. Sie musste daran denken, wie oft Mutti sie zum Malkurs gefahren hatte, und manchmal hatte Michael im Auto mitkommen müssen, obwohl er lieber mit seinen Freunden gespielt hätte. Sie beobachtete Michael auf dem Spielfeld. Der Schlagmann der gegnerischen Mannschaft hatte gerade den Ball getroffen. Er kam direkt auf ihn zugeflogen!

„Los, Michael!“, feuerte Lindsay ihn an. „Du fängst ihn!“

Michael rannte auf den Ball zu und streckte seinen Handschuh aus. Er fing den Ball!

Lindsay und Mutti sprangen auf und jubelten. „Klasse, Michael! Du bist mein Lieblingsbruder!“, rief Lindsay.

„Ich bin dein einziger Bruder!“, rief Michael mit einem breiten Grinsen zurück.

Lindsay setzte sich hin und lächelte übers ganze Gesicht.

„Vielleicht sollte ich doch zuschauen und Michael anfeuern“, dachte sie. „Wie er eben den Ball gefangen hat, das war das Spannendste, was ich heute erlebt habe. Und es bedeutet ihm offenbar viel, dass ich zusehe. Ich bin stolz auf ihn.“

„Mutti, ich glaube, du hast Recht“, meinte Lindsay. „Wir müssen Michael unterstützen.“

Mutti lächelte. „Ich bin froh, dass du deine Meinung geändert hast.“

„Komm, wir feuern ihn weiter an“, schlug Lindsay vor.

„Auf, Michael!“, riefen Lindsay und Mutti. „Du schaffst das!“

Illustration von Shawna J. C. Tenney