2000–2009
Der Feind in uns
Oktober 2000


Der Feind in uns

„Jeder von uns muss sich schulen, um ein kühner, disziplinierter und treuer Priestertumsträger zu sein, der bereit ist, mit den richtigen Waffen gegen das Böse zu kämpfen und zu siegen.“

Meine lieben Brüder im Priestertum, ich möchte Ihnen allen meine Liebe und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Wir sind dankbar für alles, was Sie tun, um dieses heilige Werk in aller Welt voranzubringen. Ich fühle mich geehrt, einer von Ihnen zu sein.

Noch ehe die Welt begann, entbrannte im Himmel ein großer Kampf zwischen den Mächten des Guten und den Mächten des Bösen.1 Dieser Krieg tobt heute noch heftiger. Der Satan befehligt noch immer die Scharen des Bösen. Er versucht uns immer noch, wie er Mose versucht hat, nämlich: „Menschensohn, bete mich an!“2 Als Priestertumsträger formieren wir uns in dem großen Heer der Rechtschaffenheit, um die Streitkräfte des Satans zu bekämpfen. Jeder von uns muss sich schulen, um ein kühner, disziplinierter und treuer Priester-tumsträger zu sein, der bereit ist, mit den richtigen Waffen gegen das Böse zu kämpfen und zu siegen. Paulus sagte, diese Waffen seien der Panzer der Gerechtigkeit, der Schild des Glaubens, der Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes.3

Heute Abend möchte ich über den Kampf sprechen, den jeder in sich selbst austragen muss. Präsident Joseph F. Smith hat uns gelehrt: „Den Feind treffen wir in erster Linie in uns selbst an. Wir tun gut daran, zuerst diesen Feind zu überwinden und uns dem Willen des Vaters zu unterwerfen und den Grundsätzen des Lebens und der Errettung, die er der Welt zur Errettung der Menschenkinder gegeben hat, strikt zu gehorchen.“4 Einfach ausgedrückt heißt das, dass wir das Gute in uns stärken und den Versuchungen des Satans widerstehen müssen. Das Peilgerät ist zuverlässig. Alma sagt uns: „Alles, was gut ist, kommt von Gott, und alles, was böse ist, kommt vom Teufel.“5

Robert Louis Stevenson fing diesen ständigen Kampf zwischen Gut und Böse in seinem berühmten Roman über Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein. Wir erfahren, dass Dr. Jekyll am Anfang ein hoch angesehener Londoner Arzt ist, ein guter und freundlicher Mann, der zwar in seiner Jugend Neigungen zum Bösen gezeigt, diese jedoch erfolgreich unterdrückt hat. Er interessiert sich sehr für Drogen und stößt zufällig auf ein Mittel, das es ihm ermöglicht, seine äußere Gestalt zu verändern und sich in einen abstoßenden Zwerg zu verwandeln, die Verkörperung des Bösen, die er Mr. Hyde nennt. Eine ähnliche Dosis verwandelt ihn zurück in die Gestalt und Persönlichkeit des gütigen Arztes. Viele Male verwandelt sich der Arzt in Mr. Hyde, wodurch er dieser Seite seines Wesens immer mehr Macht gibt. Dr. Jekyll fällt es immer schwerer, seine tugendhafte Existenz wiederzuerlangen, und er muss feststellen, dass er sich manchmal auch ohne die Droge in Mr. Hyde verwandelt.6 Als Mr. Hyde begeht er Morde, und als die Droge ihn nicht mehr in den freundlichen Dr. Jekyll zurückverwandeln kann, kommt die Wahrheit ans Licht und Hyde bringt sich um. Drogenmissbrauch zerstörte sein Leben. Das kann auch im richtigen Leben geschehen.

Der Schlüssel dazu, dass mansich niemals in den bösen und schlechten Mr. Hyde verwandelt, ist, dass man beschließt, zerstörerischen Versuchungen nicht nachzugeben. Experimentieren Sie niemals, niemals mit süchtig machenden Substanzen. Konsumieren Sie nie Tabak in irgendeiner Form oder sonst eine versklavende Substanz. Meiden Sie alkoholische Getränke. Abhängigkeit führt zu tragischen Folgen, die nur schwer zu überwinden sind.

Wir werden gesegnet, wenn wir unseren Grundsätzen treu bleiben. Als ich Präsident des Pfahles Cottonwood war, war Dr. Creed Haymond einer unserer Pfahlpatriarchen. Gelegentlich gab er eindrucksvoll Zeugnis vom Wort der Weisheit. Als junger Mann war er der Mannschaftskapitän der Leichtathletikmannschaft der University of Pennsylvania. 1919 wurde Bruder Haymond mit seiner Mannschaft eingeladen, an einem jährlich stattfindenden internationalen Wettkampf teilzunehmen. Am Abend vor dem Wettkampf wies sein Trainer, Lawson Robertson, der schon einige Olympiamannschaften betreut hatte, die Mannschaftsmitglieder an, etwas Sherry zu trinken. Damals glaubten die Trainer irrtümlicherweise, Wein sei ein „Tonikum“ für Muskeln, die vom harten Training verhärtet waren. Alle Mannschaftsmitglieder tranken den Sherry, aber Bruder Haymond weigerte sich, weil seine Eltern ihn das Wort der Weisheit gelehrt hatten. Bruder Haymond war sehr beunruhigt, da er ungern seinem Trainer widersprach. Er sollte gegen die schnellsten Männer der Welt antreten. Was, wenn er am nächsten Tag eine schwache Leistung brachte? Wie konnte er dann seinem Trainer in die Augen sehen?

Am nächsten Tag, dem Wettkampftag, waren alle seine Mannschaftskameraden krank, so dass sie keine gute Leistung brachten oder nicht einmal zum Rennen antreten konnten. Doch Bruder Haymond fühlte sich fit und gewann den 100-Meter-Lauf und den 220-Meter-Lauf. Sein Trainer sagte zu ihm: „Die 220 Meter bist du gerade in der schnellsten Zeit gelaufen, die je gelaufen wurde.“ An diesem Abend und sein Leben lang war Creed Haymond dankbar für seinen schlichten Glauben an das Wort der Weisheit.7

Beim Militär während des Zweiten Weltkriegs gehörten ein paar feine junge Männer mit vielversprechender Zukunft zu meinen Kameraden. Doch nach und nach beobachtete ich, wie manche sich von den anständigen, gottesfürchtigen Eigenschaften eines Dr. Jekyll abwandten und in die Niedrigkeit eines Mr. Hyde zurückfielen. Bei manchen fing es damit an, dass sie Kaffee tranken, weil das Wasser faulig war und die Tabletten zur Wasserentseuchung einen so unangenehmen Geschmack hatten. Der Kaffee verleitete manche auch dazu, ab und zu ein Bier zu trinken. Jedem Soldaten, der in übersee diente, wurde eine Ration Zigaretten und gelegentlich auch eine Flasche Whisky zugeteilt; beides war recht viel Geld wert.

Präsident George Albert Smith gab einmal den folgenden Rat: „Wenn Sie nur einen Zentimeter auf die Seite des Teufels gehen, sind Sie in der Macht des Versuchers, und wenn er Erfolg hat, können Sie nicht einmal mehr vernünftig denken; denn Sie haben den Geist des Herrn verloren.“8 Manche Soldaten blieben auf der sicheren Seite und experimentierten nicht mit diesen süchtig machenden Substanzen, sie handelten auch nicht damit, obwohl wir sie kostenlos erhielten. Andere probierten jedoch die Zigaretten oder den Alkohol, um sich von den Schwierigkeiten des Krieges abzulenken. Einige wenige gaben sich sogar der Unsittlichkeit hin und meinten, die Belastung durch den Krieg rechtfertige es, dass sie ihre Grundsätze lockerten und zuließen, dass der Mr. Hyde ihrer Persönlichkeit die Oberhand gewann.

Nach dem Krieg mussten diejenigen, die von Tabak, Alkohol oder Unsittlichkeit abhängig geworden waren, feststellen, dass es nicht leicht war, diese schlechten Gewohnheiten abzuschütteln. Die jungen Männer, die so viel versprechend gewesen waren, begaben sich Zentimeter um Zentimeter weiter auf die andere Seite und brachten sich und ihre Familie um das verheißene Glück; statt dessen lernten sie Scheidung, zerrüttete Familien und Herzeleid kennen.

Diejenigen, die ihre Grundsätze nicht lockerten, unterlagen der Sucht nicht. Sie gingen gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervor und waren bereit, als treuer Vater und Großvater einer rechtschaffenen Familie ein produktives, beispielhaftes und glückliches Leben zu führen. Sie dienten außerdem als geachtete und angesehene Führer in der Kirche und im Gemeinwesen.

Eine weitere falsche Philosophie, die den Mr. Hyde unseres Wesens anspricht, ist, dass es harmlos sei, einen kurzen Blick auf Pornographie zu werfen. Das ist ein furchtbarer Irrtum. Pornographie macht ebenso süchtig wie Kokain oder jede andere illegale Droge. Kürzlich erhielt ich einen herzzerreißenden Brief von einem exkommunizierten Mann, dessen Seele von Kummer und Reue erfüllt ist. Mit seiner Erlaubnis zitiere ich aus seinem Brief: „Hoffentlich bestätigt dieser Brief jedem, der noch Zweifel hat, dass der Weg der Zerstörung nichts als Leid und Kummer bringt und dass keine Sünde diesen Preis wert ist.“

Dann fährt er fort: „Ich habe Leid und Kummer über mich gebracht. Erst jetzt wird mir gänzlich bewusst, welch große Zerstörung ich über mich gebracht habe. Kein selbstsüchtiger oder lüsterner Wunsch ist es wert, dafür die Mitgliedschaft in der Kirche zu verlieren. Ich habe meiner Frau und unseren beiden wunderbaren Kindern schrecklichen Kummer verursacht. Ich bin dankbar, dass meine Frau sich so sehr bemüht, mir zu helfen, meine Sünden abzulegen. Meine Frau war ein Opfer meiner Sünden und musste großen Schmerz und viel Leid ertragen. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem ich wieder Mitglied der Kirche des Herrn und unsere Familie eine ewige Familie sein kann.“

In dem Brief gesteht er auch ein: „Meine Sünden sind eine direkte Folge davon, dass ich in meiner Kindheit süchtig war nach Pornographie. Es besteht kein Zweifel daran, dass Pornographie süchtig macht und uns vergiftet. Hätte ich schon früh im Leben gelernt, mich selbst zu beherrschen, wäre ich heute noch Mitglied der Kirche.“

Eine von Mr. Hydes Täuschungen ist, was manche irrigerweise „vorsätzliche Umkehr“ nennen. Diese Lehre existiert nicht in unserer Kirche. Sie mag recht verlockend klingen, tatsächlich ist es aber eine schädliche und völlig falsche Vorstellung. Es geht darum, uns dazu zu überreden, dass wir bewusst und absichtlich übertreten – mit der überlegung, dass eine rasche Umkehr es uns ermöglichen wird, die Fülle derSegnungen des Evangeliums zu empfangen, beispielsweise die Segnungen des Tempels oder eine Mission. Wahre Umkehr kann jedoch ein langer, schmerzhafter Prozess sein. Diese törichte Lehre sah schon Nephi voraus:

„Und es wird auch viele geben, die sprechen: Iss und trink und sei lustig, doch fürchte Gott – er wird es schon rechtfertigen, wenn man eine kleine Sünde begeht; ja, lüge ein wenig, übervorteile jemanden wegen seiner Worte, grabe deinem Nächsten eine Grube; da ist nichts Arges dabei; und dies alles tu, denn morgen sterben wir; und wenn wir schuldig sein sollten, so wird uns Gott mit einigen Streichen züchtigen, und schließlich werden wir doch im Reich Gottes errettet sein.“9

über alle, die diese Lehre vertreten, sagt der Herr: „Das Blut der Heiligen wird vom Erdboden her gegen sie schreien.“10 Und zwar deswegen, weil wir unsere Bündnisse nicht nur durch Verordnungen empfangen müssen, sondern weil sie auch vom Heiligen Geist der Verheißung gesiegelt werden müssen, um ewig zu sein.11 Dieses be-stätigende Siegel von Gott für unsere Verordnungen und Bündnisse erhalten wir nur durch Glaubenstreue. Die falsche Vorstellung der sogenannten vorsätzlichen Umkehr birgt ein Element der Täuschung in sich, aber der Heilige Geist der Verheißung lässt sich nicht täuschen.

Manche Menschen tragen Masken und erscheinen äußerlich anständig und rechtschaffen, führen aber ein Leben voller Täuschung, weil sie der Meinung sind, dass sie, wie Dr. Jekyll, ein Doppelleben führen können, ohne dass es jemals bekannt wird. Jakobus sagte: „Er ist ein Mann mit zwei Seelen, unbeständig auf all seinen Wegen.“12 Im Buch Mormon lesen wir von Korianton, der mit seinem Vater und seinem Bruder auf eine Mission zu den Zoramiten ging. Sein Doppelleben führte dazu, dass er den geistlichen Dienst verließ und sein Vater klagte: „O mein Sohn, was für großes übeltun du über die Zoramiten gebracht hast; denn als sie dein Verhalten sahen, wollten sie nicht an meine Worte glauben.“13

Heuchler nennt man diejenigen, die nach außen hin gut erscheinen, innen aber voller Bosheit und Täuschung sind. Solcherart waren auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, die sich an den Erretter wandten und vorgaben, sie seien im Gewissen beunruhigt und suchten seinen weisen Rat. „Meister“, sagten sie schmeichlerisch, „wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person.“ Nach dieser verschlagenen Anrede hofften sie ihn zu überrumpeln und fragten: „Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?“

Ihre Frage war voller böser Absicht, denn eines der anstößigsten römischen Gesetze war die Kopfsteuer. Hätte er mit Ja geantwortet, hätten die Pharisäer ihm vorwerfen können, er sei den Juden gegenüber nicht loyal. Hätte er mit Nein geantwortet, hätte man ihn des Aufruhrs beschuldigen können. „Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle?“

Er bat sie, ihm eine Münze zu zeigen und fragte dann: „Wessen Bild und Aufschrift ist das?“ Sie antworteten: „Des Kaisers“, und er brachte die heuchlerischen Pharisäer mit seiner berühmten Antwort zum Schweigen: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“14 Wir sind in der Welt, aber wir dürfen uns von der Heuchelei und der Täuschung in dieser Welt nicht überwältigen lassen.

Die Wahrheit darüber, wer wir sind und was wir tun, wird am Ende offenbar werden. Der Herr hat uns ermahnt: „Denn ihre übeltaten werden von den Hausdächern geredet und ihre geheimen Taten offenbart werden.“15 Da wir in einer Umgebung leben, die, was Sittlichkeit angeht, desensibilisiert ist, fällt es uns schwer, uns selbst und anderen einzugestehen, dass unser Verhalten nicht richtig ist.

Brüder, mit dem schützenden Mantel des Priestertums Gottes können wir uns vor dem Feind in uns schützen. Jeder von uns mussdie großen Kräfte des heiligen Priestertums zur Wirkung bringen. Das bedeutet, dass wir diese göttliche Macht täglich nutzen, um anderen ein Segen zu sein, wenn wir heimlehren gehen, heilige Handlungen vollziehen oder den Familienabend abhalten. Gemeinsam haben wir den Auftrag, der Welt die Botschaft der Errettung zu bringen, ein Auftrag, den wir unter der Leitung unseres Präsidenten, Gordon B. Hinckley, ausführen, der zu dieser Zeit alle Schlüssel des Priestertums auf der Erde innehat. Wir können diesen Auftrag jedoch nur erfüllen, wenn jeder von uns seinen inneren Kampf gewinnt. Wenn wir das tun, können wir die Rüstung Gottes anlegen und die Segnungen erlangen, die zum Eid und Bund des Priestertums gehören. Der Herr hat verheißen: „Alle, die dieses Priestertum empfangen, die empfangen mich ...

und wer mich empfängt, der empfängt meinen Vater;

und wer meinen Vater empfängt, der empfängt meines Vaters Reich; darum wird ihm alles gegeben werden, was mein Vater hat.“16

Die Erhöhung im Reich des Vaters schließt Reiche, Throne, Mächte, Gewalten und Herrschaften mit ein, die sich in alle Ewigkeit vermehren.17 Mögen wir alle danach streben, den Feind in uns zu besiegen, damit wir diese Segnungen empfangen können, das erbitte ich im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Siehe Offenbarung 12:4–9; Mose 4:1–4; Abraham 3:24–28; LuB 29:36–38; Jesaja 14:12–20; Lukas 10:18.

  2. Mose 1:12.

  3. Siehe Epheser 6:14–17.

  4. Lehren der Präsidenten der Kirche (1998), Joseph F. Smith, 372.

  5. Alma 5:40.

  6. Thesaurus of Book Digests (1949), 206.

  7. „Speed and the Spirit,“ Improvement Era (Oktober 1928): 1001–1007.

  8. George Albert Smith, Sharing the Gospel with Others (1948), 43.

  9. 2 Nephi 28:8.

  10. 2 Nephi 28:10.

  11. Siehe LuB 132:7.

  12. Jakobus 1:8.

  13. Alma 39:11.

  14. Matthäus 22:16–21.

  15. LuB 1:3.

  16. LuB 84:35,37,38.

  17. Siehe Discourses of Brigham Young, 63f.