2002
Weisst du, wie man umkehrt?
April 2002


Weisst du, wie man umkehrt?

Vor zwanzig Jahren führte mein Bischof mit mir ein Tempelschein-Interview. Weil ich in der Pfahlpräsidentschaft war, kannte ich alle Fragen, die in diesem Interview gestellt werden. Ich stellte sie ja selbst jede Woche anderen Mitgliedern und war auf jede Frage, die der Bischof mir stellte, vorbereitet. Aber nach den formellen Fragen überraschte er mich mit einer weiteren Frage nach meinem Einblick ins Evangelium.

Er fragte: „Jay, weißt du, wie man umkehrt?“ Mein erster Impuls war, ihm zu antworten: „Ja, natürlich weiß ich, wie man umkehrt.“ Doch ich hielt erst einen Augenblick inne, um über die Frage nachzudenken, und je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger wusste ich, was ich antworten sollte. Die üblichen fünf, sechs Begriffe, mit denen die Umkehr erklärt wird (Erkenntnis, Reue, Wiedergutmachung, innere Wandlung, Entschluss, nicht wieder zu sündigen usw.) erschienen mir nicht ausreichend. Im Gegenteil – eigentlich erschienen sie mir zum damaligen Zeitpunkt sogar ziemlich nichts sagend. Sie kamen mir zu abgedroschen und zu wenig aussagefähig vor.

Ich weiß, dass in diesen Begriffen zur Umkehr einige große Lehren und Prinzipien stecken, aber ich wollte nicht gleich eine Antwort hervorsprudeln bzw. meine Antwort auf diesen Begriffen aufbauen. Deshalb sagte ich schließlich eher zögernd: „Ja, Bischof, ich glaube schon.“ An weitere Einzelheiten des Gesprächs kann ich mich nicht mehr erinnern, weil mich diese eine Frage so betroffen gemacht hatte. „Jay, weißt du, wie man umkehrt?“ Seitdem habe ich viel über diese Frage und auch über die damit zusammenhängende Lehre nachgedacht.

Die Macht Der Umkehr Und Des Sühnopfers

Vor einigen Jahren habe ich in der Missionsabteilung der Kirche gearbeitet. Wir waren damals gerade damit beschäftigt, Materialien zu entwickeln, die die Missionare anspornen sollten, an sich zu arbeiten und bessere Leistungen zu erbringen. Eine Generalautorität hat uns dabei das folgende Erlebnis im Zusammenhang mit der Umkehr erzählt:

„Vor gut einem Jahr durfte ich mit einem jungen Mann sprechen, der auf Mission gehen wollte. Weil er eine schwerwiegende Übertretung begangen hatte, musste er nach den damals geltenden Richtlinien von einer Generalautorität befragt werden. Als der junge Mann hereinkam, sagte ich: ‚Offensichtlich haben Sie eine schwer wiegende Übertretung begangen und müssen deshalb dieses Gespräch mit mir führen. Würden Sie mir sagen, worin das Problem bestand? Was haben Sie getan?‘

Er lachte und sagte: ‚Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht getan hätte.‘ Ich gab zur Antwort: ‚Vielleicht können Sie etwas konkreter werden. Haben Sie …?‘ Und dann fing ich an, die Angelegenheit mit einigen sehr konkreten Fragen zu untersuchen. Der junge Mann lachte wieder und sagte: ‚Ich habe es Ihnen doch schon gesagt: Ich habe alles getan.‘

Ich fragte: ‚Wie oft haben Sie …?‘ Ziemlich sarkastisch gab er zur Antwort: ‚Glauben Sie, ich hätte das gezählt?‘ Ich sagte: ‚Ich wünschte nur, Sie könnten es mir sagen.‘ Er entgegnete: ‚Kann ich aber nicht.‘

Ich fragte: ‚Wie steht es mit …?‘ Und dann versuchte ich es mit einer anderen Richtung. Er antwortete: ‚Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Ich habe alles getan.‘ Ich erkundigte mich: ‚Drogen?‘ Er gab zur Antwort: ‚Ja‘, und es klang ziemlich hochmütig. Darum fragte ich: ‚Wie kommen Sie dann auf die Idee, eine Mission zu erfüllen?‘ Er antworte: ‚Ich weiß, dass ich auf Mission gehen werde. In meinem Patriarchalischen Segen steht, dass ich eine Mission erfüllen werde, und ich bin umgekehrt. Das ganze letzte Jahr über habe ich nichts Verbotenes mehr getan. Ich bin umgekehrt, und ich weiß, dass ich auf Mission gehen werde.‘

Ich sagte: ‚Mein lieber Freund, es tut mir Leid, aber Sie werden nicht auf Mission gehen. Glauben Sie, dass wir Sie zusammen mit den reinen, unbefleckten jungen Männern aussenden können, die die Gebote niemals übertreten haben? Glauben Sie, Sie können ausgehen und dabei mit Ihrer Vergangenheit prahlen? Sie sind nicht umgekehrt; Sie haben nur aufgehört, etwas Bestimmtes zu tun.

Aber irgendwann in Ihrem Leben müssen Sie nach Getsemani, und wenn Sie dort gewesen sind, dann wissen Sie, was Umkehr bedeutet. Nur wenn Sie einen schwachen Abglanz dessen erlebt haben, was der Erretter in Getsemani gelitten hat, werden Sie wissen, was Umkehr wirklich bedeutet. Der Erretter hat auf eine Weise, die niemand von uns verstehen kann, für jede begangene Übertretung gelitten. Wie können Sie es da wagen, zu lachen und Ihren Scherz zu treiben und so hochmütig an die Umkehr heranzugehen? Es tut mir Leid; Sie gehen nicht auf Mission.‘

Da fing er an zu weinen, und er weinte eine ganze Weile. Ich sagte nicht ein einziges Wort. Schließlich schluchzte er: ‚Ich glaube, ich habe nicht mehr geweint, seit ich fünf Jahre alt war.‘ Ich entgegnete: ‚Wenn Sie genauso geweint hätten, als Sie das erste Mal in Versuchung gerieten, die Gebote zu übertreten, dann könnten Sie jetzt wahrscheinlich auf Mission gehen.‘

Er verließ mein Büro, und ich glaube, er fand mich ziemlich grausam. Ich erklärte dem Bischof und dem Pfahlpräsidenten, dass dieser Junge nicht auf Mission gehen konnte.“

Etwa sechs Monate später reiste dieselbe General- autorität erneut in die bewusste Stadt, um im Rahmen einer abendlichen Vortragsreihe eine Ansprache zu halten. Als er zu Ende gesprochen hatte, stellten sich viele junge Erwachsene in einer Reihe auf, um ihm die Hand zu schütteln. Er gab jedem Einzelnen die Hand, und als er aufschaute, sah er gerade den jungen Mann, mit dem er gesprochen hatte, in der Reihe stehen. Vier Personen standen noch vor ihm. Die Generalautorität erzählte weiter:

„Mir fiel unser Gespräch sofort wieder ein. Ich dachte daran, wie er gelacht hatte und wie hochmütig er gewesen war. Ich dachte auch an seinen Sarkasmus. Schon bald stand er mir genau gegenüber. Ich befand mich auf dem Podium und beugte mich nach vorn, und als ich ihm die Hand entgegenstreckte, sah ich, dass er sich sehr verändert hatte. Er hatte Tränen in den Augen. Fast schien ein heiliger Glanz von seinem Gesicht auszugehen. Er nahm meine Hand in die seine und sagte: ‚Ich bin dort gewesen. Ich bin in Getsemani gewesen.‘ Ich gab zur Antwort: ‚Ich weiß. Man sieht es Ihrem Gesicht an.‘

Unsere Übertretungen können uns vergeben werden, aber wir müssen uns bewusst machen, dass Umkehr nicht darin besteht, dass man etwas nicht wieder tut. Ohne den Erretter und das Wunder der Vergebung hätte der besagte junge Mann seine Übertretungen die ganze Ewigkeit hindurch mit sich herumtragen müssen. Wir müssen den Erretter schon aus diesem Grund und nur aus diesem Grund lieben und ihm dienen.“ (Nach Vaughn J. Featherstone, Gebietskonferenz in Stockholm, Schweden, 1974.)

Die Bedingungen Der Umkehr

Die Worte „Bedingungen der Umkehr“ (siehe Helaman 5:11; 14:11; LuB 18:12) sind von großer Bedeutung. Ich habe die heiligen Schriften studiert und über das Gelesene nachgedacht, um zu erfahren, worin diese Bedingungen bestehen. Dabei ist mir bewusst geworden, dass man diese Bedingungen auch als die Voraussetzung zu den fünf, sechs Begriffen verstehen kann, mit denen die Umkehr erklärt wird. Diese Begriffe sind wichtig und dringend notwendig, aber die im Folgenden genannten Bedingungen müssen ihnen vorausgehen.

-Die erste Bedingung lautet, dass man wissen muss: Gott lebt. Er ist im Himmel. Er kennt unseren Namen. Wir können uns nicht vor ihm verbergen. Er besitzt göttliche Eigenschaften und göttliche Vollkommenheit in Fülle, und dazu gehört auch, dass er alles weiß. Damit die Umkehr einsetzen kann, müssen wir mit Gott und unserer Beziehung zu ihm beginnen.

Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel hat etwas sehr Weises über die Umkehr und Gott gesagt: „Jemand hat einmal gesagt, Umkehr sei der erste Druck, den wir spüren, wenn Gott uns in den Arm nimmt.“ („Das Friedfertige des Reiches“, Der Stern, Januar 1997, Seite 80.)

  • Wir sind gefallen, sterblich und unrein und brauchen Hilfe. Wir sind Gott entfremdet – sterblich – und können nicht bei ihm leben.

  • Wir müssen die Lehre kennen, dass wir eines Tages sterben werden. Manche sterben früh, andere spät. Doch der Tag wird kommen; das steht absolut fest.

  • Es gibt ein letztes Gericht. Eine wichtige Bedingung der Umkehr besteht darin, dass man daran glaubt, dass wir eines Tages alle vor den Schranken des Gerichts stehen werden. Auch dieser Tag wird kommen.

  • Eine weitere Voraussetzung bzw. Bedingung der Umkehr besteht in der Gewissheit, dass nichts Unreines bei Gott wohnen kann (siehe 1 Nephi 10:21; 15:34; Alma 7:21; 40:26; Helaman 8:25). Man kann seine Sünden vor dem Bischof, vor den Eltern und den Freunden verbergen. Aber wenn man weiter sündigt und mit Sünden stirbt, die man nicht bereinigt hat, dann ist man unrein – und nichts Unreines kann bei Gott wohnen. Es gibt keine Ausnahmen.

  • Wir werden nur durch das Verdienst und die Barmherzigkeit und die Gnade des heiligen Messias errettet (siehe 2 Nephi 2:8). Er ist unsere einzige Hoffnung. Wenn uns schließlich bewusst wird, wo wir stehen, wenden wir uns ihm zu. Ich bin so dankbar für das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi, für die Botschaft der Hoffnung. Es gibt Hoffnung, und der Herr kann uns rein machen.

Ich habe mich schon um viele Menschen bemüht – auch um mich selbst – und das Wunder der Vergebung, das Wunder des Reinwerdens miterlebt. Und als einer seiner Zeugen gebe ich Zeugnis von ihm. Ich weiß, dass er lebt. Mögt ihr immer gesegnet sein und auf dem engen und schmalen Weg bleiben, der euch zu Gott führt.

Nach einer Ansprache am LDS Business College am 6. Mai 1998.