2016
Das Fläschchen voll Stille
August 2016


Das Fläschchen voll Stille

Der Verfasser lebt in Utah.

Warum hatte Jan von seinem Opa eine leere Flasche bekommen?

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ (Johannes 14:27)

Bild
the little bottle of silence

Jan starrte auf die leere alte Flasche und drehte sie in den Händen. Sie war klein und milchig grün und mit einem Korken verschlossen. Opa Reiner hatte sie ihm nach seiner Taufe gegeben.

„Was ist das?“, fragte Jan. „Ich sehe natürlich, dass es eine Flasche ist, aber da ist ja gar nichts drin!“

„Doch, sie ist voll“, erwiderte Opa.

Jan schüttelte die Flasche. „Also für mich sieht sie leer aus.“

Opa lachte. Er zog den Korken heraus und hielt die Flasche an Jans Ohr. „Kannst du es hören?“, flüsterte er.

„Was hören?“, flüsterte Jan zurück.

Opa lächelte. „Die Stille“, antwortete er. Dann steckte er den Korken zurück auf das Fläschchen. „Stille ist in der heutigen Welt ziemlich schwer zu finden. Sie ist wie Medizin, und jeder Tropfen ist sozusagen Gold wert.“

Jan bedankte sich, nahm Opas seltsames Geschenk mit nach Hause und dachte nicht weiter darüber nach.

Ein paar Wochen später starb Jans Onkel Vincent. Nach der Beerdigung war das Wohnzimmer in Jans Haus voll mit Verwandten. Jan zog sich in sein Zimmer zurück und schloss die Tür. Er konnte die gedämpften Stimmen seiner Eltern und Verwandten vom Flur her hören.

Da sah Jan die alte grüne Flasche auf seinem Schreibtisch stehen. Er griff danach und drehte sie in den Händen. Opa hatte doch gesagt, dass Stille wie Medizin ist. Jetzt, nach der Beerdigung von Onkel Vincent, wollte Jan so gern ein wenig Frieden und Trost verspüren.

Er zog den Korken aus der Flasche und hielt sie so über den Kopf, als würde er ein wenig Stille ausgießen. Er wusste, dass das Fläschchen nicht wirklich voll Stille war. Aber er wusste, dass er ein wenig Ruhe brauchte, um sich Gott nahe zu fühlen.

Jans Augen füllten sich mit Tränen. Onkel Vincent war nicht mehr da – keine albernen Scherze, kein Raufen mehr mit ihm. Jans Herz tat weh, weil er ihn so vermisste.

Doch da spürte Jan in der Stille, wie sich Wärme in seinem Herzen ausbreitete und den Schmerz linderte. Er erinnerte sich daran, dass Onkel Vincent nicht für immer fort war. Er war nur in die nächste Welt gegangen. Dank Jesus Christus und des Erlösungsplans wird jeder Mensch ja ewig leben. Jan wusste, dass er Onkel Vincent eines Tages wiedersehen konnte.

Er hielt die Flasche in den Händen und spürte inneren Frieden. Er wusste, dass dieses Gefühl vom Heiligen Geist und nicht von der Flasche kam. Die Flasche hatte ihn nur daran erinnert, ruhig zu sein, sodass er den Heiligen Geist verspüren konnte. Jan steckte den Korken aufs Fläschchen und stellte es zurück.

Dann ging er wieder ins Wohnzimmer, um bei seiner Familie zu sein. Auch wenn er nicht in seinem Zimmer war, konnte er doch den Frieden und den Trost des Heiligen Geistes in sich tragen.