2016
Abgesandte an die Kirche
November 2016


Abgesandte an die Kirche

Wir bitten Sie, als Heimlehrer die Abgesandten Gottes zu seinen Kindern zu sein und sich um die Mitglieder, für die Sie zuständig sind, zu kümmern, sie zu lieben und für sie zu beten.

Es ist noch nicht lange her, da kam eine alleinstehende Schwester, die ich hier Molly nennen werde, von Arbeit nach Hause und entdeckte, dass in ihrem Keller fünf Zentimeter hoch Wasser stand. Ihr war sofort klar, dass ihre Nachbarn, die an dasselbe Abwassersystem angeschlossen waren, einen Riesenberg Wäsche gewaschen und ausführlich gebadet haben mussten, sodass das Wasser nun bei ihr wieder hochkam.

Sie rief eine Freundin an und die beiden begannen, das Wasser abzuschöpfen und aufzuwischen. Da klingelte es an der Tür. Ihre Freundin rief: „Das sind deine Heimlehrer!“

Molly lachte. „Es ist der letzte Tag des Monats“, erwiderte sie, „aber ich kann dir versichern, dass das nicht meine Heimlehrer sind.“

Barfuß und mit nassen Hosen, die Haare mit einem Tuch hochgesteckt und mit äußerst schicken Gummihandschuhen ausgestattet, öffnete Molly die Tür. Ihr ungewohntes Aussehen war nichts gegen den ungewohnten Anblick, den sie vor sich hatte. Es waren ihre Heimlehrer!

„Ich war so verdutzt, man hätte mir mit einem Pümpel eins überziehen können!“, erzählte sie mir später. „Das war ein Heimlehrwunder – eines, wie es die führenden Brüder immer in Generalkonferenzansprachen erzählen.“ Sie fuhr fort: „Ich war noch am Überlegen, ob ich ihnen einen Kuss geben oder lieber einen Wischlappen in die Hand drücken sollte, doch da sagten sie: ‚O, Molly, das tut uns leid. Du bist offensichtlich beschäftigt. Wir wollen nicht stören, wir kommen ein andermal wieder.‘ Und damit waren sie weg.“

„Wer war es?“, rief ihre Freundin aus dem Keller.

„Ich wollte eigentlich sagen: ‚Ganz sicher nicht die drei Nephiten‘“ gestand Molly. „Aber ich riss mich zusammen und sagte ruhig: ‚Das waren meine Heimlehrer, aber sie meinten, es wäre wohl ein ungünstiger Zeitpunkt, um ihre Botschaft zu überbringen.‘“1

Brüder, lassen Sie uns kurz über die Priestertumspflicht sprechen, die „ersten Ansprechpartner in der Kirche“2 für die einzelnen Mitglieder und Familien zu sein. Ganze Wälder mussten daran glauben, um das Papier herzustellen, das verbraucht wurde, um das Heimlehren zu organisieren und wieder umzuorganisieren. In tausenden Ansprachen wurde versucht, die Priestertumsträger dazu anzuspornen. Ein ganzer Schwarm von Freud‘schen Flöhen würde es nicht schaffen, so viele Gewissensbisse zu verursachen, wie dieses Thema hervorgerufen hat. Und doch haben wir große Probleme, das Gebot des Herrn, durch das Heimlehren der Priestertumsträger „immer über die Kirche zu wachen“3, auch nur annähernd akzeptabel zu erfüllen.

Ein Teil der Herausforderung, vor der wir stehen, ist auch, dass die Kirche einen demografischen Wandel erlebt. Wir wissen, dass es jetzt, da unsere Mitglieder auf über 30.000 Gemeinden und Zweige in 188 Ländern und Territorien verteilt sind, viel schwieriger ist, unsere Brüder und Schwestern zu Hause zu besuchen als in der Anfangszeit der Kirche, als sich die Nachbarn in einem Straßenzug gegenseitig unterwiesen haben.

Hinzu kommt, dass in vielen Einheiten der Kirche nur eine begrenzte Anzahl an Priestertumsträgern zum Heimlehren verfügbar ist. Wer Heimlehrer ist, hat dann zum Teil an die 20 Familien – oder noch mehr – zu betreuen. Weite Anfahrtswege, teure oder unzureichend vorhandene Beförderungsmöglichkeiten und längere Arbeitstage und -wochen in manchen Regionen können ebenfalls Schwierigkeiten bereiten. Wenn man dann noch bedenkt, dass es in manchen Kulturen verpönt ist, unangekündigt zu Besuch zu kommen, und dass viele Gegenden gefährlich sind, dann erkennt man langsam, wie vielschichtig das Problem ist.

Brüder, in einer perfekten Welt und wo die Umstände es erlauben, ist ein monatlicher Besuch bei jeder Familie immer noch das Ideal, das die Kirche anstrebt. In vielen Gemeinden überall in der Welt ist es jedoch nicht möglich, dieses Ideal zu erreichen, und wenn wir von den Brüdern dort etwas verlangen, was, realistisch betrachtet, einfach nicht möglich ist, fühlen sie sich wie Versager. Die Erste Präsidentschaft hat das erkannt und daher in einem Schreiben an die Priestertumsführer der Kirche im Dezember 2001 diesen inspirierten, hilfreichen Rat gegeben: „Es gibt Orte in der Kirche, wo es … aufgrund einer unzureichenden Anzahl von aktiven Brüdern, die das Priestertum tragen, oder aufgrund verschiedener anderer Schwierigkeiten vor Ort nicht möglich ist, dass jeder Haushalt einmal im Monat besucht wird.“ Wir haben ja einiges davon schon angesprochen. „Wenn dies der Fall ist“, so die Erste Präsidentschaft weiter, „geben die Führungsbeamten bitte ihr Bestes und schöpfen die vorhandenen Möglichkeiten aus, um über jedes Mitglied zu wachen und es zu stärken.“4

Brüder, wenn es in meiner Gemeinde oder meinem Zweig solch schwierige Umstände gäbe, würde ich mit meinem Heimlehrpartner aus dem Aaronischen Priestertum den Rat der Ersten Präsidentschaft, der inzwischen ins Handbuch aufgenommen wurde, so befolgen: Zuerst würden wir das Ziel verfolgen, das die Schriften vorgeben, und „das Haus eines jeden Mitgliedes besuchen“5, wie viele Monate es auch dauern mag. Dafür würden wir einen Besuchsplan aufstellen, der realistisch und machbar ist. Dabei würden wir denjenigen am meisten Zeit einräumen und sie am häufigsten kontaktieren, die uns am meisten brauchen – Freunde der Kirche, die von den Missionaren unterwiesen werden, vor kurzem getaufte Mitglieder, die Kranken, die Einsamen, die weniger Aktiven, Alleinerziehende mit Kindern und so weiter.

Während wir unserem Besuchsplan folgen, was einige Monate dauern könnte, würden wir mit den Mitgliedern und Familien auf unserer Liste auf andere Weise in Kontakt treten und uns dabei der Mittel bedienen, die der Herr bereitet hat. Sicherlich würden wir in der Kirche nach unseren Familien Ausschau halten und, wie in der Schrift steht, „miteinander über das Wohlergehen ihrer Seele … sprechen“6. Zusätzlich würden wir anrufen, E-Mails und SMS schreiben oder auch über eines der zahlreichen sozialen Medien, die uns zur Verfügung stehen, einen Gruß senden. Wenn jemand besonderer Zuwendung bedarf, würden wir vielleicht ein Zitat aus den heiligen Schriften oder aus einer Generalkonferenzansprache schicken oder aus dem großen Angebot auf LDS.org eine Mormon Message auswählen. Um es mit den Worten der Ersten Präsidentschaft zu sagen: Wir würden entsprechend der Umstände unser Bestes geben und die vorhandenen Möglichkeiten ausschöpfen.

Brüder, ich möchte heute Abend an Sie appellieren, das Heimlehren aus einem erweiterten Blickwinkel zu betrachten. Bitte betrachten Sie sich in anderer und besserer Weise als zuvor als Abgesandte des Herrn zu seinen Kindern. Das bedeutet, die Tradition hinter sich zu lassen, am Ende des Monats im Stile des mosaischen Gesetzes in Hektik und nur aus Pflichtgefühl zu einer Familie zu eilen und die vorgegebene Botschaft aus den Zeitschriften der Kirche zu überbringen, die sie eh schon gelesen hat. Wir hoffen vielmehr, dass Sie eine Epoche einläuten, in der Sie sich aufrichtig im Sinne des Evangeliums um die Mitglieder bemühen, übereinander wachen und füreinander da sind und in jeder Weise, die nützlich ist, auf geistige und zeitliche Bedürfnisse eingehen.

Übrigens „zählt“ als Heimlehren alles Gute, was Sie tun, also berichten Sie von allem! Am wichtigsten ist der Bericht darüber, wie Sie den Mitgliedern, für die Sie verantwortlich sind, geholfen und sich um sie gekümmert haben – und das ist weder orts- noch zeitgebunden. Worauf es ankommt ist, dass Sie sie gern haben und das Gebot erfüllen, „immer über die Kirche zu wachen“7.

Letztes Jahr am 30. Mai fuhr mein Freund Troy Russell mit seinem Pick-up langsam aus seiner Garage, um ein paar Sachspenden wegzubringen. Er merkte, dass er mit den Hinterrädern über etwas gefahren war. Da er dachte, etwas wäre von der Ladefläche gefallen, stieg er aus. Doch auf dem Boden lag sein geliebter neunjähriger Sohn Austen mit dem Gesicht nach unten. Die Schreie, die Priestertumssegen, die Rettungssanitäter und die Ärzte und Pflegekräfte im Krankenhaus – nichts und niemand konnte helfen. Austen war tot.

Troy war untröstlich. Er fand weder Schlaf noch Frieden. Er sagte, es sei mehr als er ertragen könne, und dass er einfach nicht weitermachen könne. Doch inmitten dieser bodenlosen Trostlosigkeit traten drei erlösende Kräfte auf den Plan.

Zunächst ließ ihn unser Vater im Himmel seine Gegenwart, seine Liebe und seinen Trost durch den Heiligen Geist spüren, der Troy beistand, ihn belehrte, ihm Liebe gab und ihm zuflüsterte, dass Gott genau weiß, wie es ist, einen wunderbaren, perfekten Sohn zu verlieren. Außerdem war Troys Frau Deedra für ihn da, hielt ihn im Arm, schenkte ihm ihre Liebe und erinnerte ihn daran, dass auch sie ihren Sohn verloren hatte und entschlossen war, nicht auch noch ihren Mann zu verlieren. Der dritte im Bunde war John Manning, ein Heimlehrer der Luxusklasse.

Offen gesagt weiß ich nicht, nach welchem Zeitplan John mit seinem Juniorpartner die Familie Russell besuchte oder welche Botschaft sie ihnen überbrachten oder wie sie von ihren Besuchen Bericht erstatteten. Was ich weiß, ist, dass Bruder Manning letztes Jahr seine Hand ausstreckte und Troy Russell aus dieser Tragödie in der Auffahrt half und ihn aufrichtete, so als würde er den kleinen Austen selbst wieder aufrichten. Wie der Heimlehrer oder Wächter oder Bruder im Evangelium, der er sein sollte, übernahm John einfach die Priestertumsfürsorge und -betreuung für Troy Russell. Zuerst sagte er ihm: „Troy, Austen möchte, dass du weitermachst – auch auf dem Basketballplatz. Also werde ich jeden Morgen um 5:15 Uhr hier sein. Sei bitte fertig, denn ich möchte nicht erst hereinkommen und dich wecken – und ich weiß, Deedra möchte auch nicht, dass ich das mache.“

Troy erzählte mir später: „Ich wollte nicht dahin, weil ich Austen immer morgens zum Spielen in die Kirche mitgenommen hatte, und ich wusste, dass die Erinnerung mich quälen würde. Doch John bestand darauf, also ging ich hin. Ab diesem Tag meiner Rückkehr redeten wir. Vielmehr redete ich und John hörte zu. Ich redete während der ganzen Fahrt zur Kirche und während der ganzen Fahrt zurück. Manchmal redete ich, während wir in der Auffahrt standen und den Sonnenaufgang über Las Vegas beobachteten. Am Anfang fiel es mir schwer, doch mit der Zeit erkannte ich, dass mir dieser unglaublich langsame Kirchen-Basketballspieler mit seinen 1 Meter 90 Kraft gab. Sein Sprungwurf war unterirdisch, aber er war für mich da und hörte mir zu, bis endlich wieder die Sonne in meinem Leben aufging.“8

Meine Brüder im heiligen Priestertum, wenn wir vom Heimlehren oder fürsorglichen Wachen sprechen oder vom individuellen geistlichen Dienen im Priestertum – nennen Sie es, wie Sie wollen – meinen wir genau so etwas. Wir bitten Sie, als Heimlehrer die Abgesandten Gottes zu seinen Kindern zu sein und sich um die Mitglieder, für die Sie zuständig sind, so zu kümmern, sie so zu lieben und so für sie zu beten, wie wir uns um Sie kümmern, Sie lieben und für Sie beten. Mögen Sie in einer Art und Weise, die Ihre Situation Ihnen erlaubt, wachsam die Herde Gottes hüten. Darum bete ich im Namen des guten Hirten von uns allen, dessen Zeuge ich bin, ja, des Herrn Jesus Christus. Amen.