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41 Nur Gott kann das beurteilen


„Nur Gott kann das beurteilen“, Kapitel 41 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 1, Das Banner der Wahrheit, 1815–1846, 2018

Kapitel 41: „Nur Gott kann das beurteilen“

Kapitel 41

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Das Mansion House

Nur Gott kann das beurteilen

Am 1. Juni 1843 gingen Addison und Louisa Pratt mit ihren Töchtern in Nauvoo zu einer der Anlegestellen für Dampfschiffe. Addison brach an diesem Tag zu einer dreijährigen Mission auf den hawaiianischen Inseln auf. Er trug seine jüngste Tochter Anne auf dem Arm. Die älteren Schwestern – Ellen, Frances und Lois – liefen traurig hinterher. Sie wollten nicht, dass ihr Vater fortging.1

Bei einem Gespräch hatte Addison vor einiger Zeit Brigham Young begeistert von Hawaii und seinen Jahren als Walfänger im Pazifik erzählt. Da die Kirche damals auf den Inseln nicht vertreten war, fragte Brigham, ob Addison bereit wäre, dort eine Mission zu eröffnen. Er erklärte sich unter der Bedingung bereit, dass andere ihn begleiteten. Bald darauf wurde er von Joseph und den Zwölf dazu berufen, eine Gruppe Älteste zu den Inseln zu bringen.2

Louisa hatte drei Tage lang geweint, als sie von Addisons Auftrag hörte. Hawaii war tausende Kilometer entfernt. Es war ein fremdes Land, dessen Name nach Gefahr klang. Sie hatten in Nauvoo kein eigenes Haus und besaßen kein Geld und nur wenige Güter für den Tauschhandel. Ihre Töchter brauchten Kleidung und Schulgeld, und ohne Addison würde Louisa sie mit allem selbst versorgen müssen.

Als sie mit ihrer Familie zum Dampfschiff ging, war ihr immer noch bange, aber sie freute sich inzwischen auch, dass Addison dieser Berufung würdig war. Sie war nicht die einzige Frau in der Stadt, die allein zurückblieb, während ihr Mann das Evangelium verkündigte. In diesem Sommer verließen Missionare die Stadt in alle Himmelsrichtungen. Louisa hatte beschlossen, sich ihren Prüfungen zu stellen und auf den Herrn zu vertrauen.

Addison hatte Mühe, seine Gefühle zurückzuhalten. Als er an Deck des Dampfschiffs stieg, das ihn weit weg bringen sollte, wischte er sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. An Land fingen nun auch seine Töchter zu weinen an. Frances sagte, sie glaube nicht, dass sie ihn je wiedersehen werde.3

Addison kannte die See und wusste, welche Gefahren ihn erwarteten. Doch als die Zwölf ihn als Missionar eingesetzt hatten, hatten sie ihm den Segen gegeben, dass er Macht über die Elemente und Mut im Angesicht von Stürmen haben werde. Wenn er treu bliebe, so verhießen sie ihm durch den Heiligen Geist, werde er sicher zu seiner Familie zurückkehren.4


Einige Tage später verließen Emma, Joseph und ihre Kinder Nauvoo, um Emmas Schwester in Dixon in Illinois zu besuchen. Dafür mussten sie einige Tage nach Norden reisen. Vor der Abreise gab Emma Ann Whitney den Auftrag, die Frauen der Frauenhilfsvereinigung zu ermuntern, dass sie auch weiterhin den Armen helfen und die Männer beim Tempelbau unterstützen.5

Joseph hatte jüngst zu den Heiligen über die heiligen Handlungen des Tempels gesprochen und hatte ihnen erklärt, dass sie den Tempel bauten, damit der Herr ihnen das Endowment geben konnte. Emma hatte Ann erzählt, dass der Tempel seitdem eine Herzensangelegenheit für sie war. Sie wollte, dass die Frauenhilfsvereinigung besprach, was die Frauen tun konnten, damit die Arbeit schneller voranging.

„Wir können mit dem Tempelkomitee sprechen“, schlug Emma vor, „und wenn irgendetwas gewünscht wird, was wir übernehmen könnten, dann machen wir es.“6

Ann nahm den Auftrag an und berief die Frauenhilfsvereinigung zur ersten Versammlung des Jahres ein. Sie bat die Frauen um Vorschläge, wie man zum Tempelbau beitragen könne. Einige erklärten sich bereit, um Spenden zu bitten und Wolle und andere Materialien zu sammeln, um neue Kleidung anzufertigen. Andere boten an, zu stricken, zu nähen und bei Bedarf alte Kleidung zu flicken. Eine Frau schlug vor, älteren Frauen Wolle zu geben, damit diese für die Bauarbeiter am Tempel Socken für den Winter stricken konnten.

Polly Stringham und Louisa Beaman sagten, sie wollten Kleidung für die Arbeiter herstellen. Mary Felshaw wollte Seife spenden. Philinda Stanley bot an, Flachs für Leinen zu spenden und noch dazu jeden Tag einen Liter Milch dazuzugeben. Esther Geen bot an, selbstgesponnenes Garn zu spenden.

„Die Engel freuen sich über euch!“, bezeugte Schwester Chase und lobte die Bereitschaft der Frauen, beim Bau des Hauses des Herrn zu helfen.

Bevor Ann die Versammlung schloss, bat sie die anwesenden Mütter eindringlich, ihre Töchter auf den Tempel vorzubereiten. Sie riet ihnen, sie liebevoll zu unterweisen und sie dazu anzuhalten, sich in den heiligen Mauern des Tempels besonnen und ruhig zu verhalten.7


Dreihundert Kilometer entfernt unterbrachen William Clayton und Stephen Markham den Besuch der Familie Smith bei Emmas Schwester. Es war der 21. Juni. Sie hatten beunruhigende Nachrichten. Der Gouverneur von Missouri verlangte erneut, dass Joseph in Missouri vor Gericht gestellt wurde. Wieder lautete die Anklage Hochverrat. Gouverneur Ford von Illinois hatte einen weiteren Haftbefehl gegen den Propheten ausgestellt.

„Ich habe keine Angst“, sagte Joseph. „Aus Missouri kann mir niemand mehr etwas anhaben.“8

Einige Tage später, als die Familie gerade beim Essen saß, klopften zwei Männer an die Tür und behaupteten, Älteste der Kirche zu sein. Emmas Schwager sagte ihnen, dass Joseph draußen auf dem Hof in der Nähe der Scheune sei.

Nur Augenblicke später hörten Emma und die Familie draußen Lärm. Sie rannten zur Tür und sahen, wie die Männer entsicherte Pistolen auf Josephs Brust richteten. Ein Mann hielt Joseph am Kragen fest. „Wenn du dich nur ein Stück bewegst“, fauchte er, „erschieß ich dich!“

„Schießen Sie nur!“, sagte Joseph und entblößte seinen Oberkörper. „Ich habe keine Angst vor Ihren Pistolen.“

Stephen Markham rannte hinaus und stürmte auf die Männer zu. Überrascht richteten sie ihre Pistolen auf ihn, doch dann schnell wieder auf Joseph, dem sie die Pistolenläufe in die Rippen rammten. „Stehen bleiben!“, schrien sie Stephen zu.

Sie zerrten Joseph hinten auf ihren Wagen und hielten ihn dort fest. „Meine Herren“, sagte Joseph, „ich möchte eine Haftprüfung beantragen.“ Mit einer solchen Verfügung konnte ein örtlicher Richter entscheiden, ob die Verhaftung von Joseph rechtmäßig war.

„Du verdammter Kerl!“, riefen sie und stießen ihm wieder die Pistolen in die Rippen. „Die bekommst du nicht!“

Stephen sprang zum Wagen und hielt die Pferde am Mundstück fest, während Emma schnell ins Haus lief, um Josephs Mantel und Hut zu holen. In diesem Augenblick sah Joseph einen Mann am Haus vorbeigehen. „Diese Männer entführen mich!“, rief er. Als der Mann jedoch weiterging, wandte sich Joseph an Stephen und sagte ihm, er solle Hilfe holen.

„Geh!“, rief er.9


Die Männer, die Joseph gefangen nahmen, waren Strafverfolgungsbeamte aus Illinois und Missouri. Am Nachmittag sperrten sie ihn in einem Gasthaus in der Nähe ein und weigerten sich, ihn mit einem Anwalt sprechen zu lassen. Stephen vergeudete keine Minute. Er meldete den örtlichen Behörden das Vergehen gegen Joseph, und diese nahmen die Beamten bald darauf wegen Entführung und Misshandlung fest. Dann beschaffte Stephen von einem Gerichtsbeamten in der Nachbarschaft eine Haftprüfungsanweisung. Darin wurde festgelegt, dass Joseph einhundert Kilometer weit zu einer Anhörung fahren musste.

Als sich herausstellte, dass der Richter nicht in der Stadt war, machten sich Joseph, die Männer, die ihn festgenommen hatten, und diejenigen, die diese Männer festgenommen hatten, auf den Weg zu einem anderen Gericht, um das juristische Durcheinander aufzulösen.10

In Nauvoo erfuhren Wilson Law und Hyrum von der Festnahme Josephs und rekrutierten mehr als hundert Männer für seine Befreiung. Sie schickten einige Männer mit einem Dampfschiff flussaufwärts und gaben den anderen den Auftrag, in alle Himmelsrichtungen zu reiten und nach dem Propheten zu suchen.

Als die ersten beiden Reiter des Befreiungstrupps in Sicht kamen, atmete Joseph auf. „Ich gehe jetzt nicht nach nach Missouri“, sagte er zu den Männern, die ihn festhielten. „Das sind meine Jungs.“ Aus den beiden Reitern wurden bald zwanzig – und dann immer mehr. Sie veranlassten, dass die Gruppe nach Nauvoo weiterzog, da sie überzeugt waren, das Stadtgericht dort könne über die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls entscheiden.11

Gegen Mittag näherte sich der Prophet der Stadt, flankiert von einigen Wachmännern und seinem berittenen Befreiungstrupp. Emma, die mit den Kindern bereits nach Nauvoo zurückgekehrt war, ritt Joseph mit Hyrum entgegen, während die Nauvoo Brass Band patriotische Lieder spielte und Freudensalven aus Gewehren und Kanonen abgefeuert wurden. Einige Kutschen, deren Zugpferde mit Prärieblumen geschmückt waren, schlossen sich ihnen zu einer Parade an.

Auf beiden Seiten der Straße bejubelte eine Menschenmenge die sichere Rückkehr des Propheten, während der Tross vorbeizog und sich langsam auf das Haus der Familie Smith zubewegte. Als sie ankamen, umarmte Lucy Smith ihren Sohn. Josephs Kinder rannten aus dem Haus, um ihn zu begrüßen.

„Pa“, sagte der sieben Jahre alte Frederick, „die Leute aus Missouri werden dich nicht noch einmal mitnehmen, oder?“

„Ich bin wieder aus ihren Händen befreit worden, Gott sei Dank“, sagte Joseph und kletterte auf einen Zaun, um zu den hunderten Heiligen zu sprechen, die sich um ihn scharten. „Ich danke euch allen für eure Liebe und Güte“, rief er. „Ich segne euch alle im Namen Jesu Christi.“12


Wie erwartet erklärte das Gericht in Nauvoo Josephs Verhaftung für gesetzwidrig. Wutentbrannt verlangten die beiden Wachmänner, die Joseph verhaftet hatten, dass der Gouverneur die Entscheidung anfocht. Doch Gouverneur Ford weigerte sich, der Entscheidung des Gerichts zu widersprechen. Damit verärgerte er die Gegner der Heiligen in seinem Bundesstaat. Sie fürchteten nun, dass Joseph der Strafverfolgung erneut entgehen würde.13

Unterdessen trafen ständig weitere Heilige in Nauvoo und den angrenzenden Pfählen ein. Sie kamen zu Hunderten. Im östlich gelegenen Bundesstaat Connecticut ging eine junge Frau namens Jane Manning mit ihrer Mutter, mehreren Geschwistern und weiteren Mitgliedern ihres Zweiges an Bord eines Kanalbootes. Auch sie machten sich auf die Reise nach Nauvoo. Sie wurden von Charles Wandell angeführt, einem Missionar, der auch ihr Zweigpräsident war.

Im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern ihres Zweiges, die alle weiß waren, waren Jane und ihre Familie freie schwarze Heilige. Jane war in Connecticut geboren und aufgewachsen und hatte die meiste Zeit für ein wohlhabendes weißes Ehepaar gearbeitet. Sie hatte sich einer christlichen Kirche angeschlossen, wurde dort jedoch schnell unzufrieden.

Als sie erfuhr, dass ein Ältester der Heiligen der Letzten Tage in der Gegend predigte, beschloss sie, ihm zuzuhören. Ihr Pastor riet ihr davon ab, zu dieser Predigt zu gehen, aber das hielt Jane nicht ab. Sie ging hin und war überzeugt, dass sie das wahre Evangelium gefunden hatte. Der größte Zweig in der Gegend war nur wenige Kilometer entfernt und sie wurde am darauffolgenden Sonntag getauft und konfirmiert.14

Jane war eine wissbegierige Neubekehrte. Drei Wochen nach ihrer Taufe war die Gabe der Zungenrede auf sie herabgekommen, als sie gerade betete. Ein Jahr später zog sie nun mit ihrer Familie nach Zion.15

Jane und ihre Familie reisten ohne Zwischenfälle auf dem Kanal durch New York. Von dort sollten sie zusammen mit ihrem Zweig nach Süden durch Ohio nach Illinois weiterziehen, doch die Beamten am Kanal verweigerten der Familie Manning die Weiterreise, wenn sie die Reisekosten nicht zahlte.

Jane war verwirrt. Sie hatte angenommen, ihre Familie müsse erst bei der Ankunft in Ohio zahlen. Warum jetzt? Keiner von den weißen Mitgliedern ihres Zweiges musste den Fahrpreis im Voraus entrichten.

Familie Manning zählte ihr Geld, aber es war noch nicht genug für die Reise. Sie baten Elder Wandell um Unterstützung, doch er lehnte es ab, ihnen zu helfen.

Das Boot legte ab und verschwand außer Sichtweite. Jane und ihre Familie hatten kaum Geld übrig und zwischen ihnen und Nauvoo lagen noch mehr als dreizehnhundert Kilometer. Obwohl sie nun nur noch zu Fuß nach Westen gelangen konnten, beschloss Jane, die kleine Gruppe nach Zion zu führen.16


Am Vormittag des 12. Julis befand sich William Clayton in Josephs Büro, als der Prophet und Hyrum hereinkamen. „Wenn du die Offenbarung aufschreibst“, sagte Hyrum zu Joseph, „bringe ich sie zu Emma und lese sie ihr vor. Ich glaube, ich kann sie davon überzeugen, dass sie wahr ist, und danach wirst du Ruhe haben.“

„Du kennst Emma nicht so gut wie ich“, erwiderte Joseph. Im Frühjahr und Sommer dieses Jahres war er an weitere Frauen gesiegelt worden, von denen Emma einige selbst ausgewählt hatte.17 Doch Joseph bei der Auswahl der Ehefrauen zu helfen, hatte es Emma nicht leichter gemacht, diesen Grundsatz zu befolgen.

„Die Lehre ist so klar“, sagte Hyrum. „Ich kann jeden vernünftigen Mann und jede vernünftige Frau von ihrer Wahrheit, Reinheit und göttlichen Herkunft überzeugen.“

„Warten wir es ab“, sagte Joseph. Er bat William, Papier zu holen und die Worte des Herrn aufzuschreiben, die er sprechen würde.18

Vieles von dieser Offenbarung war Joseph bereits bekannt. Darin wurden der neue und immerwährende Bund der ewigen Ehe sowie die damit verbundenen Segnungen und Verheißungen beschrieben. Außerdem wurden die Bedingungen für die Mehrehe offenbart, die Joseph bereits 1831 bei der Übersetzung der Bibel erfahren hatte. Der übrige Teil der Offenbarung enthielt neue Ratschläge für ihn und Emma, bei denen es um ihre Fragen und momentanen Schwierigkeiten mit der Mehrehe ging.

Der Herr offenbarte, dass ein Mann und eine Frau mit der Vollmacht des Priestertums getraut werden mussten, dass dieser Bund vom Heiligen Geist der Verheißung gesiegelt werden musste und dass sie ihrem Bund treu bleiben mussten, wenn die Ehe über das Grab hinaus Bestand haben sollte. Wer diese Bedingungen einhielt, würde herrliche Segnungen der Erhöhung ererben.19

„Dann werden sie Götter sein, weil sie kein Ende haben“, verkündete der Herr. „Dann werden sie über allem sein, weil alles ihnen untertan ist.“20

Der Herr sagte anschließend noch mehr über die Mehrehe und über den Bund, mit dem er Abraham aufgrund seines Glaubens mit zahllosen Nachkommen segnete.21 Um seinen Plan zu erfüllen, hatte der Herr die Ehe zwischen Mann und Frau von Anfang an verordnet. Zu bestimmten Zeiten verfügte er jedoch die Mehrehe, damit Kinder in rechtschaffenen Familien aufwachsen konnten und ihre Erhöhung zustande gebracht werden konnte.22

Auch wenn sich die Offenbarung an die Heiligen richtete, enthielt sie abschließend Ratschläge für Emma, die Josephs weitere Frauen betrafen. „Meine Magd Emma Smith soll alle diejenigen empfangen, die meinem Knecht Joseph gegeben worden sind“, wies der Herr an. Er gebot ihr, Joseph zu vergeben, bei ihm zu bleiben und ihre Bündnisse zu halten. Er verhieß ihr, sie zu segnen, zu mehren und ihr Freude zu bereiten, wenn sie dies tat. Er warnte sie auch vor den schwerwiegenden Folgen, mit denen diejenigen zu rechnen haben, die ihre Bündnisse brechen und das Gesetz des Herrn nicht befolgen.23

Als Joseph mit dem Diktieren der Offenbarung fertig war, hatte William zehn Seiten geschrieben. Er legte den Federhalter beiseite und las Joseph die Offenbarung noch einmal vor. Der Prophet sagte, es sei alles richtig, und Hyrum brachte sie zu Emma.24


Am selben Tag noch kam er in Josephs Büro zurück und erzählte seinem Bruder, dass ihm noch nie jemand so heftig die Meinung gesagt habe. Als er Emma die Offenbarung vorgelesen hatte, war sie wütend geworden und hatte sie verworfen.

„Ich habe dir ja gesagt, du kennst Emma nicht so gut wie ich“, sagte Joseph leise. Er faltete die Offenbarung zusammen und steckte sie in seine Tasche.25

Tags darauf führten Joseph und Emma stundenlang bedrückende Diskussionen. Noch am Vormittag rief Joseph William Clayton ins Zimmer, um zwischen ihnen zu vermitteln. Joseph und Emma standen beide vor einem unlösbaren Dilemma. Sie liebten einander sehr und waren um ihr beiderseitiges Wohl sehr besorgt. Sie wollten das ewige Bündnis, das sie eingegangen waren, halten. Doch ihre Schwierigkeiten, das Gebot des Herrn zu halten, entzweiten sie.26

Emma schien sich vor allem über die Zukunft Sorgen zu machen. Was würde geschehen, wenn Josephs Feinde von der Mehrehe erfuhren? Müsste er dann wieder ins Gefängnis? Würde man ihn umbringen? Sie und die Kinder waren finanziell von Joseph abhängig, doch die Finanzen der Familie waren mit denen der Kirche eng verflochten. Wovon sollten sie leben, wenn ihm etwas zustieß?

Joseph und Emma weinten immer wieder, während sie miteinander sprachen. Doch bis zum Abend hatten sie alles ausdiskutiert. Um Emma finanziell besser abzusichern, übertrug Joseph ihr und den Kindern einiges Eigentum.27 Und nach dem Herbst dieses Jahres ging er keine weiteren Ehen mehr ein.28


Ende August 1843 zog die Familie Smith in ein zweigeschossiges Haus nahe dem Fluss. Es wurde als Mansion House bezeichnet und war groß genug für sie, ihre vier Kinder, Josephs betagte Mutter, und alle, die bei ihnen arbeiteten oder logierten. Joseph hatte vor, einen Großteil des Hauses als Hotel zu nutzen.29

Einige Wochen später, als es in Nauvoo langsam Herbst wurde, kam Jane Manning mit ihrer Familie bei Joseph und Emma an. Sie wollten den Propheten sehen und suchten nach einer Unterkunft. „Kommt herein“, bot Emma den müden Reisenden an. Joseph zeigte ihnen ihre Zimmer für die Nacht und holte für jeden einen Stuhl.

„Du hast diese kleine Truppe angeführt, nicht wahr?“, wandte sich Joseph an Jane. „Ich möchte gern hören, was ihr auf eurer Reise erlebt habt.“

Jane erzählte Joseph und Emma von ihrer langen Reise, die in New York begann. „Wir liefen, bis unsere Schuhe abgetragen waren und unsere Füße schmerzten und rissig wurden und bluteten“, berichtete sie. „Wir baten Gott, den ewigen Vater, unsere Füße zu heilen, und unsere Gebete wurden erhört. Unsere Füße wurden geheilt.“

Sie hatten im Freien oder in Scheunen am Wegesrand geschlafen. Einmal drohten ihnen einige Männer an, sie ins Gefängnis zu werfen, weil sie keine amtliche Bescheinigung hatten, die bewiesen hätte, dass sie nicht entlaufene Sklaven waren.30 Ein andermal mussten sie einen tiefen Fluss überqueren, über den es keine Brücke gab. Sie ertrugen dunkle Nächte und Eiseskälte am Morgen. Und dennoch halfen sie anderen, wenn sie konnten. Nicht weit von Nauvoo gaben sie einem kranken Kind einen Segen, und das Kind wurde durch ihren Glauben geheilt.

„Wir gingen unseren Weg“, fasste Jane ihre Reise zusammen, „und freuten uns, sangen Lobeslieder und dankten Gott für seine unendliche Güte und Barmherzigkeit.“

„Gott segne euch“, sagte Joseph. „Ihr seid jetzt unter Freunden.“

Familie Manning blieb eine Woche im Haus der Familie Smith. Währenddessen suchte Jane nach einem Koffer, den sie nach Nauvoo hatte schicken lassen. Soweit es sich nachvollziehen ließ, war er jedoch unterwegs verlorengegangen oder gestohlen worden. Ihre Familie fand in der Zwischenzeit Arbeit und Unterkunft, und einer nach dem anderen zog aus.

Eines Morgens bemerkte Joseph, dass Jane weinte, und fragte sie nach dem Grund. „Meine Verwandten sind alle gegangen und haben ein eigenes Zuhause“, sagte sie, „nur ich nicht.“

„Dein Zuhause ist hier, wenn du möchtest“, tröstete Joseph sie. Er ging mit Jane zu Emma und erklärte ihr die Lage. „Sie hat kein Zuhause“, sagte er. „Hast du nicht ein Zuhause für sie?“

„Ja, wenn sie es möchte“, sagte Emma.

Jane wurde schnell Teil des betriebsamen Haushalts, und die anderen Familienmitglieder und Pensionsgäste nahmen sie freundlich auf. Ihr Koffer tauchte nie wieder auf, aber Joseph und Emma versorgten sie bald mit neuer Kleidung aus ihrem Laden.31


Als sich die Familie in diesem Herbst im neuen Haus einlebte, wurde die Mehrehe für Emma immer mehr zur Belastung.32 Der Herr hatte ihr vor dreizehn Jahren in einer Offenbarung eine Krone der Rechtschaffenheit verheißen, wenn sie beständig an ihren Bündnissen festhielt und die Gebote hielt. „Wenn du das nicht tust, kannst du, wo ich bin, nicht hinkommen“, hatte er gesagt.33

Emma wollte die Bündnisse halten, die sie mit Joseph und dem Herrn geschlossen hatte. Doch die Mehrehe war für sie oft unerträglich. Sie hatte zwar zugelassen, dass einige von Josephs anderen Frauen bei ihnen zu Hause lebten, doch nur äußerst ungern, und so machte sie ihnen manchmal das Leben schwer.34

Schließlich verlangte Emma, dass Emily und Eliza Partridge für immer das Haus verließen. Mit Joseph an ihrer Seite rief Emma die beiden Schwestern ins Zimmer und sagte ihnen, dass sie ihre Beziehung zu ihm auf der Stelle beenden müssten.35

Emily fühlte sich im Stich gelassen und verließ das Zimmer. Sie war wütend auf Emma und Joseph. „Wenn der Herr ein Gebot gibt, darf man damit nicht leichtfertig umgehen“, sagte sie sich. Sie hatte vor, Emmas Wünsche zu respektieren, aber sie weigerte sich, ihren Ehebund zu brechen.

Joseph folgte den Schwestern und fand Emily im Erdgeschoss. „Wie geht es dir, Emily?“, fragte er.

„Ich schätze, so wie es jedem unter diesen Umständen gehen würde“, sagte sie mit einem Seitenblick auf Joseph. Er sah aus, als würde er gleich im Boden versinken wollen, und Emily hatte Mitleid mit ihm. Sie wollte noch etwas sagen, aber da hatte er das Zimmer schon verlassen.36

Jahrzehnte später, als alte Frau, dachte Emily an diese schmerzlichen Tage zurück. Inzwischen konnte sie Emmas zwiespältige Gefühle gegenüber der Mehrehe besser verstehen und nachvollziehen, wie sehr Emma gelitten hatte.37

„Ich weiß, es war in diesen Tagen schwer für Emma – und für jede Frau –, die Mehrehe anzunehmen“, schrieb sie. „Ich weiß nicht, ob irgendjemand sich unter den Umständen besser verhalten hätte als Emma.“38

„Nur Gott kann das beurteilen“, schloss sie, „nicht ich.“ 39