2006
Es kommt auf das Herz an!
September 2006


Es kommt auf das Herz an!

Ich hatte gerade eine neue Stelle angetreten und bemühte mich, Geld für meine Mission zu sparen. Im Laufe der Zeit wurden neue Mitarbeiter eingestellt, und ich bekam den Auftrag, eine junge Frau, die etwa in meinem Alter war, einzuarbeiten.

Maria (der Name wurde geändert), meine neue Arbeitskollegin, war offensichtlich sehr auf ihr Äußeres bedacht. Sie ging mit den Modetrends der Zeit: Sie trug Miniröcke, verwendete dunkles Make-up und hatte ausgefallene Frisuren. Sie hatte sich auch ein paar schlechte Gewohnheiten angeeignet, beispielsweise das Rauchen. Trotz unserer Unterschiede kamen Maria und ich gut miteinander zurecht. Es war schön, sich mit ihr zu unterhalten, und wenn wir zusammen waren, verging die Zeit wie im Flug.

Eines Tages fragte sie mich: „Raquel, gehst du eigentlich tanzen?“ Ich sagte ihr, dass ich Tanzveranstaltungen meiner Kirche besuche. Sie wollte wissen, zu welcher Kirche ich gehöre, und ich erklärte ihr, es sei die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, deren Mitglieder man oft Mormonen nenne. Maria sagte, sie habe von den Mormonen gehört, aber wisse überhaupt nicht, was sie glauben. Ich wollte ihr gern mehr über die Kirche erzählen und gab ihr ein Exemplar des Buches Mormon, das sie bereitwillig annahm.

Nach einer Weile lud ich sie ein, den Zweig zu besuchen, in dessen Gebiet sie lebte. Ich war ziemlich überrascht, als sie meine Einladung annahm. Wir verabredeten, dass wir uns am kommenden Sonntag im Bahnhof treffen und dann gemeinsam zu den Versammlungen gehen würden.

Als mein Zug am Sonntag in den Bahnhof, in dem wir uns treffen wollten, einfuhr, hielt ich durch das Fenster nach der Maria Ausschau, die ich von der Arbeit kannte. Zu meiner Überraschung entdeckte ich stattdessen eine junge Dame, die einen anständigen Rock trug und die so frisiert und geschminkt war, wie man es sich von einer Heiligen der Letzten Tage wünschen würde. Es war tatsächlich Maria!

Ich muss gestehen, dass ich daran gezweifelt hatte, dass sie dort auf mich warten würde, und auch daran, dass das Evangelium in ihrem Leben auch nur das Geringste ändern würde, sei es innerlich oder äußerlich.

Wir begrüßten einander und gingen den 15 Minuten langen Fußweg zur Kirche. Zuerst gingen wir in die FHV, wo Maria Fragen beantworten und sich an allem beteiligen wollte, worum die Lehrerin uns bat. Auch die Sonntagsschule und die Abendmahlsversammlung gefielen ihr. Ich stellte sie den Missionarinnen vor, die sie einluden, sich die Lektionen anzuhören, womit Maria sofort einverstanden war.

Nur kurze Zeit später riss unser Kontakt ab, weil sie die Arbeitsstelle kündigte. Doch es dauerte nicht lange, bis ich eine Einladung zu ihrer Taufe erhielt. Zu meiner Enttäuschung war ich verhindert, und wir verloren uns wieder aus den Augen.

Nachdem ich bereits neun Monate in der Argentinien-Mission Mendoza gedient hatte, las ich im Lokalteil des Liahonas, dass Maria eine Mission in der Argentinien-Mission Resistencia erfüllte. Ich sprang vor Freude in die Luft und schrieb ihr sofort einen Brief.

Sie schrieb zurück und berichtete mir, wie sie sich auf ihre Mission vorbereitet hatte. Ihre Eltern waren nicht einverstanden gewesen, dass sie sich der Kirche anschloss. Dennoch war sie weiter zur Kirche und zum Religionsinstitut gegangen und hatte viel dafür geopfert, auf Mission gehen zu können.

Seither sind viele Jahre vergangen, und Maria und ich haben einander wiedergesehen. Sie ist Tempelarbeiterin im Buenos-Aires-Tempel in Argentinien und erfreut sich der Liebe ihres Mannes und ihrer Kinder. Sie lebt nach dem Evangelium und strahlt sein Licht aus. Heute spiegelt ihr äußeres Erscheinungsbild alles wider, was in ihrem Herzen ist. Ohne dass sie es weiß, hat sie mir nicht nur eine schöne Erinnerung geschaffen, sondern mir auch einen herrlichen Grundsatz vermittelt: Das Evangelium ist für alle da. Als Mitglieder der Kirche dürfen wir nicht davor zurückscheuen, unser Zeugnis zu geben, bloß weil unserer Meinung nach das Erscheinungsbild eines Menschen darauf schließen lässt, dass er unsere Botschaft zurückweisen wird.

Wenn ich an Maria denke, kommt mir jetzt immer 1 Samuel 16:7 in den Sinn: „Sieh nicht auf sein Aussehen und seine stattliche Gestalt, … Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz.“ Der himmlische Vater kennt das Herz seiner Kinder, und für ihn kommt es auf das Herz an.