2008
Kommen Sie zum Tempel!
December 2008


Kommen Sie zum Tempel!

1992 entschloss sich Benedito Carlos do Carmo Mendes Martins, mit seiner Familie zum nächstgelegenen Tempel zu fahren. Für die beschwerliche Reise von seiner Heimatstadt Manaus im Norden Brasiliens dorthin und wieder zurück brauchte er 15 Tage Urlaub. In seiner Firma gab es zu der Zeit jedoch viel zu tun, sodass sein Chef ihm nicht freigeben wollte.

Da sich die Familie aber vorbereitet, Opfer gebracht und die Fahrtkosten angespart hatte, betete sie dafür, dass die Reise irgendwie doch noch möglich werden möge. Ihre Gebete wurden schon bald erhört.

„Am Tag vor der Fahrt wurden bei mir Parasiten festgestellt“, berichtet Bruder Martins. „Ich war so froh, dass ich krank war!“

Sein Arzt verordnete ihm Medikamente und schrieb ihn zwei Wochen krank. Seine Firma war gesetzlich verpflichtet, ihm diese Freistellung auch zu gewähren. Am nächsten Tag brach die Familie zum Tempel auf.

„Ich nahm Medikamente mit, und unterwegs bekam ich Spritzen“, erzählt Bruder Martins. Bei seiner Rückkehr hatte er keine Parasiten mehr.

„Ich kam voll Glauben an die heiligen Handlungen des Tempels nach Hause und mit einem Zeugnis davon“, sagt er, „besonders, was die Siegelung an meine Frau und meine drei Kinder anbelangt.“

Ehe Manaus im Jahr 2005 dem Distrikt des Caracas-Tempels in Venezuela zugeordnet wurde, war der São-Paulo-Tempel in Brasilien, der sich tausende von Kilometern entfernt im Südosten des Landes befand, der nächstgelegene. Einige Mitglieder der Kirche in Manaus waren so entschlossen, zum Tempel zu fahren, dass sie ihr Haus, ihr Fahrzeug, ihre Arbeitsgeräte – alles, was irgendwie von Wert war – verkauften, um das Geld zusam-menzubekommen.

Um nach São Paulo zu gelangen, mussten sie mit dem Schiff zunächst auf dem Rio Negro bis zu seiner nahegelegenen Mündung in den Amazonas und von dort ostwärts zum Rio Madeira fahren – etwa 115 Kilometer. Danach fuhren sie auf dem Rio Madeira noch etwa 965 Kilometer weiter in südwestlicher Richtung, bis zur Stadt Pôrto Velho. Von dort ging es mit dem Bus weiter, nämlich noch einmal 2400 Kilometer bis nach São Paulo. Nach ihrem Dienst im Haus des Herrn machten sie sich dann auf die siebentägige Rückreise.

Als die Mitglieder aus Manaus Vorbereitungen für ihre erste Fahrt zum Tempel in Caracas trafen, riefen sie freudestrahlend: „Jetzt brauchen wir nur noch 40 Stunden bis zum Tempel!“ Um nach Caracas zu gelangen, mussten sie eine Busfahrt von 1600 Kilometern auf sich nehmen. Dabei ging es unter anderem durch kaum erschlossene Teile des Amazonas-Dschungels, und an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuela musste man von einem größeren in einen kleineren Bus umsteigen. Zwar war die Strecke kürzer, doch die Fahrt erforderte nach wie vor erhebliche finanzielle Opfer, da jetzt auch Gebühren für den Reisepass anfielen.

Als die Mitglieder in den Bus einstiegen, sangen sie: „Heilge, kommt zum Tempel.“1 Um eine andächtige Atmosphäre zu bewahren und den Zweck ihrer Fahrt im Auge zu behalten, hielten sie im Bus Firesides ab und sahen Videos der Kirche an, zum Beispiel The Mountain of the Lord (Der Berg des Herrn).

In einem Tagebuch, das die Teilnehmer dieser ersten Fahrt zusammenstellten, erinnerten sie sich nicht an ihre Opfer, sondern an ihre Segnungen. Eine Schwester schrieb: „Heute gehe ich zum ersten Mal in den Tempel. Gestern war es genau 20 Jahre her, dass ich ein Mitglied der Kirche wurde – so viele Stunden, Tage und Jahre habe ich gewartet und mich vorbereitet. Mein Herz ist voll von Freude und Dankbarkeit für meine Freunde, Priestertumsführer und vor allem für Jesus Christus, sein Sühnopfer und diese Gelegenheit, zum Haus meines himmlischen Vaters zu fahren.“

Ein Bruder, der sich bei dieser Fahrt an seine Frau und seine Kinder siegeln ließ, sagte, der Tempel habe ihn die Ewigkeit erahnen lassen. „Ich zweifle nicht daran, dass unser Leben glücklicher und erfüllter sein wird, wenn wir die Bündnisse halten, die wir im Tempel eingehen“, schrieb er. „Ich liebe meine Familie, und ich werde alles in meiner Macht Stehende dafür tun, dass sie im celestialen Reich bei mir sein wird.“

Die Brasilien-Mission Manaus wurde am 1. Juli 1990 gegründet, damit das Evangelium in sechs Bundesstaaten im Norden Brasiliens verkündet werden konnte. Damals war die Kirche in diesen Bundesstaaten noch relativ unbekannt und hatte erst wenige Mitglieder. Doch wie der Herr im Buch Mormon erklärt hat, werden diejenigen, die umkehren und zu ihm kommen, in den Letzten Tagen seinem Volk zugezählt werden (siehe 3 Nephi 16:13).

Heute gibt es in der Stadt Manaus im Bundesstaat Amazonas acht Pfähle und weitere Pfähle in den anderen Bundesstaaten. Außerdem gibt es im Gebiet der Mission noch sieben Distrikte. Wenn ich darüber nachdenke, wie die Kirche gewachsen ist und welche Rolle der Tempel bei den Bemühungen des Herrn spielt, seine Kinder zu sammeln, kommt mir immer wieder diese Verheißung im Buch Mormon in den Sinn: „Ja, und dann wird das Werk durch den Vater unter allen Nationen beginnen, um den Weg zu bereiten, wodurch sein Volk gesammelt werden kann, heim in das Land seines Erbteils.“ (3 Nephi 21:28).

Als ich von 1990 bis 1993 in Manaus Missionspräsident war, sah ich viele Menschen in Amazonas die Grundsätze des wiederhergestellten Evangeliums Jesu Christi annehmen, sich der Kirche anschließen und „in den Bund eintreten“ (3 Nephi 21:22). Infolgedessen wirkte sich die Macht des Priestertums als Segen für sie persönlich und in ihren Familien aus, insbesondere durch die heiligen Handlungen des Tempels.

Die Mitglieder im Norden Brasiliens jubelten, als die Erste Präsidentschaft im Mai 2007 bekannt gab, dass in Manaus der sechste Tempel in Brasilien errichtet werden soll. Für Familie Martins und die wachsende Anzahl der Mitglieder im Norden des Landes wird es eine große Segnung sein, in Manaus einen Tempel zu haben. Viele Heilige der Letzten Tage in aller Welt werden jedoch auch weiterhin erhebliche Opfer bringen müssen, um den Tempel besuchen zu können.

Mögen diejenigen von uns, die nahe bei einem Tempel wohnen, ihre Dankbarkeit dadurch zeigen, dass sie den Tempel häufiger besuchen. Und mögen wir – wie die Mitglieder im Norden Brasiliens – dem Beispiel der Nephiten folgen, die sich „über die Maßen anstrengten“, zum Tempel zu kommen, „um … an dem Ort zu sein, wo Jesus sich der Menge zeigen würde“ (3 Nephi 19:3). ◼

Anmerkung

  1. Gesangbuch, Nr. 191

Illustration von Steve Kropp

Grafik des Manaus-Tempels in Brasilien von Craig Lofgreen

Architektenentwurf für den Tempel, der in Manaus errichtet werden soll