2011
Das Gleichnis vom Bananenbaum
August 2011


Bis aufs Wiedersehen

Das Gleichnis von der Bananenstaude

In meiner Heimat Sri Lanka gibt es viele Bananenstauden. Sie haben einen weichen Stamm, den man leicht mit einem Messer einritzen kann, aber niemand beschädigt eine Bananenstaude, weil sie ja so gute Früchte trägt.

Vor vielen Jahren, als ich noch klein war, tobte einmal ein schrecklicher Sturm. Als er endlich aufhörte, ging ich nach draußen und sah, dass eine unserer Bananenstauden umgeweht worden war; sie war entwurzelt und hatte kein einziges Blatt mehr. Ich dachte, es würde mir sicher Spaß machen, etwas in den Stamm der kaputten Staude zu ritzen, also ging ich ins Haus und holte ein Messer. Aber als ich das Messer ansetzte, hielt mein Großvater mich zurück.

„Du darfst die Bananenstaude nicht verletzen“, sagte er.

„Aber warum?“, fragte ich. „Sie taugt doch nichts mehr, und es macht sicher Spaß.“

Mein Großvater sagte nichts, sondern gab mir ein Zeichen, dass ich ihm folgen sollte. Er trug mir auf, einen dicken Stock abzuschneiden. Dann ging er mit mir zurück in den Garten, wo die Bananenstaude lag. Es schien zwar sinnlos zu sein, aber wir machten uns daran, sie wieder aufzurichten. Sobald der Stamm wieder geradestand, stützten wir die schwache Staude mit dem Stock ab.

„Anton“, sagte mein Großvater, „bitte schau jeden Tag nach der Bananenstaude und sorge dafür, dass sie gerade bleibt. Du musst sie auch jeden Tag gießen, damit sie genügend Nährstoffe erhält.“

Also schaute ich jeden Morgen nach der Bananenstaude und achtete darauf, dass der Stamm gerade war. Jeden Tag füllte ich einen Eimer mit Wasser und goss es vorsichtig an die Wurzeln. Ich war eifrig darauf bedacht, die Staude zu pflegen.

Bald schon konnte man Blüten sehen und kurze Zeit darauf Bananen. Als die Bananen reif waren, gab Großvater jedem in der Familie eine Banane. Fröhlich sah ich zu, wie alle die Bananen schälten und aßen. Keine Banane hatte je so gut geschmeckt, und ich freute mich darüber, dass die Bananen allen schmeckten.

Das hat sich vor vielen Jahren zugetragen, lange bevor ich die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage kennengelernt habe. Aber das, was ich damals gelernt habe, als ich mich um die Bananenstaude kümmerte, trifft auch heute auf mein Leben zu. In meinen Berufungen in der Kirche und in meinem Beruf als Arzt treffe ich oft auf Menschen, die in einer schwierigen Lage sind. Wie die Bananenstaude sind diese Menschen vielleicht verlassen, ihrer Schönheit beraubt und am Ende – sogar in ihren eigenen Augen. Wenn der Gedanke kommt, diese Menschen aufzugeben, denke ich wieder daran, wie süß die Frucht dieser Bananenstaude geschmeckt hat, und ich finde den Mut, sie wieder aufzurichten, zu stützen, ihnen Nahrung zu geben und mich täglich um sie zu kümmern, wie der Erlöser es tun würde.

Die Bananen, die meine Familie damals aß, schmeckten süß, aber im Buch Mormon lesen wir von einer anderen Frucht – einer, die „sehr süß“ und „begehrenswerter war als jede andere“ (siehe 1 Nephi 8:11,12). Wir können selbst Freude finden, wenn wir denen beistehen, die mühsam ihren Weg durch die Nebel der Finsternis suchen, und sie dahin führen, von der Frucht zu essen, die süßer ist als alle anderen, nämlich die Frucht des ewigen Lebens.

Die vom Sturm beschädigte Bananenstaude schien abgestorben zu sein. Aber als ich sie sorgsam pflegte und täglich bewässerte, erholte sie sich nicht nur, sondern trug auch Frucht.

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