Die Taufe am Freitagabend

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Eine Frau vor dem Tempel

Illustration von Katy Dockrill

Anfangs war ich begeistert, aus China in die USA zu ziehen und dort meinen Doktortitel zu machen. Doch schon bald belasteten mich die zahllosen Studienunterlagen, die ich bearbeiten musste. Auch im Umgang mit meinem Studienberater war ich unsicher, was mich zusätzlich belastete. Ich kam mir verloren vor, war einsam und wusste nicht, was ich tun sollte.

Irgendwann kam mir der Gedanke, dass meine Verfehlungen in der Vergangenheit die Ursache für mein Leid seien und dass ich daher umkehren müsse. Es war später Nachmittag, als ich im Internet den Begriff „Kirche“ eingab. Ich entdeckte, dass die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die einzige Kirche war, die bis 21 Uhr geöffnet hatte. Mein Entschluss, in irgendeiner Kirche meine Umkehr zu besiegeln, war gefasst, also machte ich mich auf den einstündigen Spaziergang.

Als ich gegen 18 Uhr in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ankam, sah ich Lichter, hörte fröhliches Lachen und Musik. Ich konnte aber den Eingang nicht sehen und ging um das Gebäude herum. Durch ein Fenster erspähte ich in einem der Zimmer einen Vater, der mit seinem Sohn spielte. Um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen, klopfte ich ans Glas. Er beschrieb mir den Weg zum Eingang, begrüßte mich dort und erzählte mir, dass sich gerade jemand taufen lasse.

Wir gingen zusammen in einen Raum, wo ein Mann einem Jungen, der gerade getauft worden war, einen Segen gab. Als ich so an der Tür stand und den Segen hörte, hatte ich das Gefühl, dass Gott auch mir Segensworte zuflüsterte. Mir wurde warm ums Herz – was ich spürte, war, wie ich später erfuhr, der Heilige Geist. Ich hörte auch eine Stimme sagen, dass mir vergeben worden sei.

Nach der Taufe kam ich mit Mitgliedern ins Gespräch und lernte viele nette Menschen kennen. Ich war nicht mehr einsam. Ein Mann, der sich als ehemaliger „Zweigpräsident“ vorgestellt hatte, bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Einige Monate später ließ ich mich, nachdem ich von den Missionaren unterwiesen worden war, taufen.

Am Tag meiner Taufe 2018 in Cambridge in Massachusetts sprach ein Bruder darüber, wie unser geliebter Vater im Himmel damals diese Taufe am Freitagabend veranlasst hatte. Er erklärte, dass die Taufe eigentlich am darauffolgenden Sonntag hätte stattfinden sollen, aber wegen einer Terminkollision verschoben worden sei. Ohne diese Planänderung hätte ich die Kirche, unseren Erretter, unseren Vater im Himmel und meine Brüder und Schwestern im Evangelium vielleicht nie kennengelernt!