Liahona
Frühe Schlaglichter: die Kirche in Minden
Februar 2024


Ein Blick in die Vergangenheit

Frühe Schlaglichter: die Kirche in Minden

Die Geschichte der Kirchengemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Raum Minden an der Weser reicht nachweislich zurück ins Jahr 1924. Die erste Taufe in Minden – Täufling war ein Mann namens Johann Heinrich Otto Desenis aus Beckedorf gewesen – ist jedoch bereits für den 31. August 1918 belegt, ohne dass eine Gemeinde nachweisbar wäre.1 Die ersten bekannten Missionare, die sich in Minden anmeldeten, hießen George Roymund Poulter und Joseph Sartor. Ihre Anmeldungen erfolgten laut Meldekartei am 13. Mai 1924 bzw. am 28. Oktober 1924.2 Ob es bereits früher Missionare im Mindener Raum gab, ist bisher nicht bekannt.

Für den 24. August 1924 ist die erste Aufzeichnung einer Versammlung erhalten; es handelt sich um ein Protokoll der an diesem Tag abgehaltenen Sonntagsschulklasse. Der Unterricht wurde von dem Missionar John D. Philipps abgehalten.3 Die Kirche in Minden erfuhr während der Zeit der Weimarer Republik Wachstum, wenngleich die Bedingungen oft schwierig waren und der Zweig klein blieb. Am 23. Mai 1925 wurde an der Weser ein Taufgottesdienst abgehalten. Der Missionar Emil Reimann taufte sechs Personen aus Minden und zwei Personen aus Beckedorf. Der Taufgottesdienst wurde angeblich durch johlende Zuschauer gestört. Am folgenden Tag soll die Lokalpresse negativ über die Taufen berichtet haben, und die Angelegenheit wurde von der Polizei untersucht.4

Als Adolf Hitler im Januar 1933 Reichskanzler wurde, änderten sich auch die Gegebenheiten für die Kirchen. Kurz vorher, nämlich zum Jahreswechsel 1932/33, kam der Missionar Kurt Schneider aus Bielefeld nach Minden. Er leitete bereits am Neujahrstag 1933 die Fast- und Zeugnisversammlung.5

Kurt Albin Max Schneider wurde am 19. August 1909 in Regensburg geboren. Seine Eltern scheinen keine Mitglieder der Kirche gewesen zu sein, da ihre Taufen stellvertretend nach dem Tod vollzogen wurden. Wie Bruder Schneider die Kirche kennenlernte, ist von hier nicht mehr nachzuvollziehen. Er wurde jedoch am 10. November 1929 getauft und konfirmiert und ging einige Jahre später auf Mission.6 Er heiratete im Jahr 1940 in Stuttgart Charlotte Eugenie Bodon. Später wanderte die Familie in die USA aus. Bruder Schneider verstarb am 2. Dezember 1991 in Salt Lake City. Während seiner Missionszeit in Minden diente Bruder Schneider bis September 1933 als Gemeindepräsident.7 In dieser Zeit geschahen einige bemerkenswerte Ereignisse, da Bruder Schneider sich trotz der politisch widrigen Umstände nicht scheute, die Kirche in den Blickpunkt der lokalen Öffentlichkeit zu rücken.

So wurde bereits am 18. Januar 1933 auf Betreiben der Missionare im Mindener Tageblatt ein durchaus positiver Artikel über die Kirche veröffentlicht.8 Der Artikel trug den Titel: „Besuch bei den Mormonen am großen Salzsee“ und war verfasst von einem Herrn Curt Bräuer aus Wuppertal. Bereits wenige Tage vorher war in der Mindener Zeitung eine Anzeige mit Versammlungsort und -zeiten erschienen. Demnach traf sich die kleine Gemeinde in der Königstraße 13 im alten Zeughaus.9 Im März 1933 führten die Missionare eine öffentliche Vortragsreihe durch, die Interesse bei einigen Zuhörern weckte, und vermerkten am 30. April 1933, dass sie eine Erwiderung auf einen Artikel über die Kirche im Westfälischen Sonntagsblatt veröffentlichen konnten.10

Nachdem die Nationalsozialisten die Regierungsgewalt in Deutschland im Januar 1933 übernommen hatten, wurde auch die Kirche beobachtet. Die erste Kirchenversammlung im Deutschen Reich, die von den Nationalsozialisten unterbrochen wurde, fand gemäß Gilbert Scharffs im Mindener Gemeindegebiet statt.11 Dabei dürfte es sich um eine Hausversammlung in Lübbecke bei Familie Hermann Horstmann gehandelt haben, die am 17. Mai 1933 von der Sturmabteilung (SA) unterbrochen wurde. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, verlangten die Missionare die Vorlage der notwendigen Vollmacht, die der SA gestattete, die Hausversammlung zu unterbrechen. Nachdem diese nicht vorgelegt werden konnte, verließen die SA-Männer die Wohnung. Anstatt die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, trafen sich die Missionare abends mit einem der beteiligten SA-Männer in einem Café, um das Vorgefallene zu besprechen und eine Entschuldigung entgegenzunehmen.

In der Folge informierten die Missionare zusätzlich vorgesetzte Stellen der hiesigen Verwaltung und baten darum, die Kreis- und Landtagsleitungen darüber zu informieren, dass die Missionare in Zukunft postalisch über wichtige Mitteilungen informiert werden wollten, sofern diese die Interessen der Kirche beträfen. Am 23. Mai 1933 folgte noch ein Termin bei einem Regierungskommissar, der bestätigte, dass die Kirche weiterhin Versammlungen abhalten dürfe und er sich persönlich der Sache annehmen werde.12

Angesichts des äußerst offensiven Vorgehens der Missionare stellt sich die Frage, ob die jungen Männer, vor allem der federführende Bruder Schneider, sich der möglichen Gefahren nicht bewusst waren. Allerdings trugen die Anstrengungen Früchte: Die Versammlungen wurden zunächst nicht mehr gestört, was als Segnung für die Arbeit im Werk des Herrn verstanden wurde.

Im Herbst 1933, nämlich am 22. Oktober, war es Bruder Schneider noch vergönnt, im städtischen Schwimmbad zusammen mit dem neuen Gemeindepräsidenten, dem Missionar Crandall, einen Taufgottesdienst abzuhalten, bei dem sich elf Personen der Mindener Gemeinde der Kirche Jesu Christi anschlossen.13 Darunter waren auch Mitglieder, die später die Gemeinde in Minden wesentlich positiv beeinflussen sollten.

Wie so oft in der Geschichte der Kirche lässt sich rückwirkend die Hilfe des Herrn in Widrigkeiten erkennen. Obgleich die Mindener Gemeinde in ihrer Anfangszeit viele Schwierigkeiten durchstehen musste und diese damals vor allem mithilfe der Missionare bewältigt werden konnten, wurden in den 20er und 30er Jahren die Grundlagen gelegt für das hundertjährige Gemeindejubiläum, das die Gemeinde im Jahr 2024 begehen kann.

Anmerkungen

1. Minert, Roger P.: „Under the Gun, West German and Austrian Latter-Day Saints in World War II“, Provo 2012, Seite 303

2. Auswertung der Meldeunterlagen 1902–1931 des Kommunalarchivs Minden gemäß Nachricht des Archivleiters an den Verfasser im Jahr 2020

3. Church History Catalogue: Minden Ward General Minutes 1924–1977; hier vorliegend als PDF-Datei, Seite 1f.; Signatur im Katalog der Kirche: LR 5602 11

4. Bericht der Schweizerisch-Deutschen Mission; Church History Catalogue: Minden Ward manuscript history and historical reports, 1925–1983; hier vorliegend als PDF-Datei, Seite 2; Signatur im Katalog der Kirche: LR 5602 2

5. Gemeindegeschichte des Zweiges Minden, begonnen am 1.1.1931, handschriftliches Manuskript mit Versammlungsprotokollen etc.; liegt dem Verfasser vor; hier bezogen auf Seite 35 des Manuskripts

6. Die hier und auch später genannten Lebensdaten wie in FamilySearch zu finden unter der ID-Nummer KWC2-2H9

7. Gemeindegeschichte, Seite 71

8. Gemeindegeschichte, Seite 36. Der Zeitungsartikel wurde als Ausschnitt in das Buch geklebt.

9. Ebd., Seite 37. Auch hier ist der Artikel ausgeschnitten und eingeklebt worden.

10. Gemeindegeschichte, Seite 42ff. und 48

11. Scharffs, Gilbert: „Mormonism in Germany. A History of the Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints in Germany“, Salt Lake City 1970, Seite 80

12. Gemeindegeschichte, Seite 51ff.

13. Ebd., Seite 74f.