2018
Gestärkt durch Glauben und Geschichten über Vorfahren
September 2018


Gestärkt durch Glauben und Geschichten über Vorfahren

Wir können Schwierigkeiten besser bewältigen, wenn wir wissen, welchen Prüfungen unsere Vorfahren ausgesetzt waren.

Rosalene Pacini hat sich schon immer besonders mit ihrer Ururgroßmutter Elizabeth Xavier Tait verbunden gefühlt, weil ihr von klein auf Geschichten über sie erzählt wurden, in denen sie ihren Glauben unter Beweis gestellt hatte. Die Geschichten über Elizabeths Vertrauen in den Herrn auf ihrer Reise vom damaligen Bombay über Liverpool nach Zion und ihr Durchhaltevermögen in äußerst schmerzlichen Prüfungen fesselten Rosalene schon als junges Mädchen.

Diese Geschichten trugen außerdem dazu bei, dass Rosalene ebensolchen Glauben entwickeln und auf diesen bauen konnte, als sie selbst mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wurde.

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family photo

Verlust und Schmerz

Elizabeth, um 1850, Bombay

Elizabeth Xavier war eine sehr gebildete junge Frau, die einer wohlhabenden, adligen Familie in Indien angehörte und alle damit einhergehenden Annehmlichkeiten genoss. 1850 nahm ihr Leben jedoch eine drastische Wendung, als sie William Tait heiratete, einen Ausbilder bei der britischen Marine, der in Schottland von Elder Parley P. Pratt getauft worden war.

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mother with baby

Illustration von Michael T. Malm

Elizabeths Familie war entschieden gegen ihre Taufe. Die angespannten Beziehungen setzten Elizabeth zu. Kurz darauf verlor sie überdies auf tragische Weise ihren ersten Sohn: Er starb an Cholera. Später – als sie gerade im achten Monat schwanger war, sich aber sehnlichst wünschte, mit den Heiligen zusammen zu sein und an ihre Familie gesiegelt zu werden – schickte Elizabeth ihren Mann und ihren zweiten Sohn los, in Zion ein Zuhause für ihre Familie zu schaffen.

Als das Baby geboren war, flehten Elizabeths Angehörige sie an, ihren Mann zu verlassen, ihrer Religion zu entsagen und bei ihnen zu bleiben. Doch sie war fest entschlossen, dem Erretter nachzufolgen. Also machte sie sich mit dem Schiff auf die Reise nach Liverpool und verließ damit nicht nur ihre Familie, sondern auch ihr Heimatland für immer.

Rosalene, 2003, Colorado

Rosalene war das jüngste Kind in einer großen Familie in Enterprise, einem kleinen Ort im Süden Utahs. In den Jahren, die sie in ihrem Elternhaus verbrachte, und auf Mission erlebte sie oft, welche Macht der Glaube an Jesus Christus hat. Nach Rosalenes Heirat im Tempel begab sie sich gewissermaßen auf eine Reise, die ihr Zeugnis sehr auf die Probe stellte. Ihr Ehemann entschied sich nämlich für einen Beruf, der sie immer weiter von ihrem Zuhause wegführen sollte.

Nach ihrem Umzug in den Bundesstaat Colorado musste Rosalene aus der Ferne zusehen, wie ihre Mutter mit einem Krebsleiden rang, bis sie ein paar Jahre später verstarb.

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woman and boy standing in front of grave

Bilder von stock.adobe.com sowie von Getty Images

„Ich wäre glücklich gewesen, hätte ich mein ganzes Leben lang neben meinen Eltern in meinem Heimatort leben können“, meint Rosalene. „Es brach mir förmlich das Herz, als ich erwachsen werden und wegziehen musste. Meine Mutter zu verlieren, war niederschmetternd. Selbst jetzt vergeht kein einziger Tag, an dem ich sie nicht vermisse.

Ich muss davon ausgehen, dass es Tage gab, an denen auch Elizabeth ihr Zuhause schrecklich vermisste. Doch sie glaubte an Jesus Christus und ließ zu, dass seine Macht in ihrem Leben wirken konnte. Das half ihr, alles durchzustehen. Die gleiche Macht hat auch mir geholfen, wenn ich mich darauf verlassen habe, dass der Vater im Himmel mir Kraft gibt – ganz gleich, ob meine irdische Familie in der Nähe ist oder nicht.“

Der Stachel des Todes

Elizabeth, 1856, Liverpool

Während der langen Seereise von Indien nach England wurde Elizabeths kleine Tochter schwerkrank. Sie starb und wurde in Liverpool begraben. Später sagte Elizabeth, dass der Verlust ihres Babys sie so sehr schmerzte, dass sie nicht wusste, wie sie die Kraft aufbringen sollte, weiterzureisen. Sie war untröstlich und ganz allein. Doch nachdem Elder Franklin D. Richards vom Kollegium der Zwölf Apostel, der damals Präsident der europäischen Mission war, ihr Mut zugesprochen hatte, machte sich Elizabeth dennoch auf den Weg nach Boston.

Rosalene, 2006, New York

Kurz nachdem die Pacinis, bei denen Nachwuchs unterwegs war, nach New York gezogen waren, setzten bei Rosalene vorzeitig Wehen ein. Die Ärzte dachten darüber nach, das Kind per Kaiserschnitt zur Welt zu bringen, weil sein Herzschlag immer langsamer wurde. Schließlich normalisierte sich jedoch der Herzschlag und die Familie fuhr erleichtert nach Hause.

Aber bei einer Nachuntersuchung wenige Tage später konnte der Arzt keinen Herzschlag mehr feststellen. Ein paar Stunden darauf wurde Rosalenes Baby tot geboren.

„Als ich mein Baby verlor, brach es mir das Herz“, berichtet Rosalene. „Ich habe mich noch nie so leer gefühlt wie in dem Augenblick, als man mir den kleinen Körper aus dem Arm nahm.“

Die Familie flog nach Utah, um den kleinen Jungen neben Rosalenes Mutter beizusetzen. Danach brauchte Rosalene wochenlang, bis sie sich in der Lage fühlte, von dort abzureisen und ihr Leben weiterzuleben.

„Ich glaube, ich kann ein bisschen nachvollziehen, dass Elizabeth sich fragte, woher sie die Kraft nehmen sollte, weiterzureisen“, sagt Rosalene. „Aber sie machte sich wieder auf den Weg. Wir alle können irgendwann im Leben an diesem Punkt ankommen. Aber wir können nicht einfach aufgeben. Wir schreiten voran, indem wir uns mehr denn je auf unseren Erretter verlassen, und dann erkennen wir irgendwann die Wunder, die uns die ganze Zeit begleitet haben.“

Ein harter Winter

Elizabeth, 1856, Iowa

Nachdem sie den Ozean überquert hatte, fand sich Elizabeth in einer völlig neuen Kultur wieder. Sie reiste mit der Bahn nach Iowa. Das war damals der westlichste US-Bundesstaat, den man mit der Bahn erreichen konnte. Nach ihrer Ankunft im Juli 1856 schloss sich Elizabeth der Handkarrenabteilung Willie an.

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pioneers in the snow

Immer vorwärts, Gemälde von Joseph Brickey

Über das Leid der Handkarrenabteilungen Willie und Martin ist bereits viel geschrieben worden. Diese Gruppen brachen erst spät im Jahr auf und wurden in den Rocky Mountains vom frühen Wintereinbruch überrascht. Mehr als 200 Menschen starben infolge der Kälte und der knappen Lebensmittelvorräte.

In dem Rettungstrupp, der von Präsident Brigham Young ausgesandt wurde, befand sich auch Elizabeths Ehemann, William. In tiefem Schnee und bei Eiseskälte sah das Paar sich wieder.

Nachdem sich beide in Salt Lake City etwas erholt hatten, begaben sie sich nach Cedar City, wo ihre Reise endete. Rosalenes Reise nahm nur wenige Kilometer von dort entfernt ihren Anfang.

Rosalene, 2007, Hongkong

Genau wie Elizabeth Generationen zuvor überquerte auch Rosalene schon bald einen Ozean, um sich in einem Land niederzulassen, dessen Kultur ihr fremd war – als ihr Mann nämlich eine Anstellung in Hongkong annahm.

„Manche Leute blühen ja auf, wenn sie Veränderungen und Abenteuer erleben, aber für mich war das fast zu viel“, erklärt Rosalene.

Wiederum fand sie Kraft in ihrem Erretter und in dem Plan, den Gott für sie hat. Mit der Unterstützung ihrer Familie und lieber Schwestern in ihrer Gemeinde lernte Rosalene ihre neue Umgebung und die neuen Eindrücke lieben und schätzen.

Andere haben diesen Weg schon beschritten

Bei unserem Bemühen, Jesus Christus nachzufolgen, müssen wir alle Prüfungen durchleben. Auch wir reisen über die Prärie, überqueren Ozeane und müssen harte Winter durchstehen. Andere haben diesen Weg jedoch schon vor uns beschritten. Wenn wir erfahren, wie sie auf den Erretter vertraut haben, können wir Hoffnung und Kraft erlangen.

Rosalene Pacini ist klar, dass sie sich wohl noch mitten auf dem Weg befindet, da sie aber Elizabeths Lebensgeschichte kennt, kann sie gar nicht anders, als auch schon an das Ende ihrer eigenen Reise zu denken.

„Vielleicht habe ich einige von Elizabeths Eigenschaften, vielleicht auch nicht. Ich hoffe aber, dass meine Kinder Ähnlichkeiten feststellen, wenn sie mein Leben betrachten – dass wir beide bis ans Ende treu waren und zugelassen haben, dass unsere Prüfungen uns formen und wir dadurch mehr wie der Erretter geworden sind.“

Schwester Pacini erkennt, wie viel Kraft ihre Vorfahren ihr schon verliehen haben, und gibt diese Geschichten an ihre Kinder weiter.

„Wenn wir mit ihren Geschichten vertraut sind, wissen wir, dass sie viel Schweres durchgestanden haben“, sagt sie. „Wir kennen die Gründe und wissen, was sie antrieb. Jetzt liegt es an mir, diese Tradition des Glaubens an Jesus Christus und der Hingabe an sein Evangelium an meine eigenen Kinder weiterzugeben.“