2002
„So, wie ich bin‘
März 2002


„So, wie ich bin“

Als meine Frau und ich in Deutschland lebten, lernten wir ein liebes Ehepaar aus der Schweiz kennen – Georg und Annarösli Birsfelder, die im Frankfurt-Tempel dienten. Im Februar 1991 gingen Bruder und Schwester Birsfelder nach der Arbeit noch beim Tempel spazieren. Die Straßen sind dort ziemlich eng. Plötzlich raste ein älterer Mann mit seinem Auto um die Ecke und geriet mit dem Wagen auf den Bürgersteig. Schwester Birsfelder wurde angefahren und in die Glastür eines Geschäfts geschleudert. Sie wurde mit einem doppelten Schädelbruch, einer Gehirnerschütterung und einem verletzten Auge sofort ins Krankenhaus gebracht.

Sieben Wochen lag sie im Koma und bekam nichts von dem mit, was um sie herum vorging. Ihr Mann blieb so oft wie möglich bei ihr, streichelte ihre Hand und sprach ihr liebevoll und aufmunternd zu. Endlich schlug sie die Augen auf. Zwei Monate nach dem Unfall begann sie zu sprechen und konnte auch bald wieder essen. Mit der Zeit konnte sie aufstehen, einige Schritte gehen und wieder in den drei Sprachen, die sie beherrschte (Englisch, Deutsch und Französisch), sprechen. Das war ein Wunder! Unsere Gebete waren erhört worden!

Schwester Birsfelder hatte aber immer noch starke Schmerzen und sie konnte auf dem rechten Auge nie wieder sehen. Drei Monate nach dem Unfall besuchte der Unglücksfahrer sie im Krankenhaus. Er machte sich Sorgen und hatte auch Angst vor den rechtlichen Folgen des Unfalls. Er wollte wissen: „Hassen Sie mich wegen dem, was ich Ihnen angetan habe?“

Doch auf ihre Antwort war er nicht gefasst. Schwester Birsfelder sagte: „Wissen Sie, wer ich bin? Ich gehöre zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Unsere Religion lehrt uns, dass wir einander lieben und einander vergeben sollen. Nein“, fuhr sie fort, „ich hasse Sie nicht. Ich liebe Sie und ich vergebe Ihnen.“ Dem Mann fiel ein Stein vom Herzen.*

Der Erretter stellte am Ende seines kurzen Wirkens unter den Nephiten die folgende tief schürfende Frage: „Was für Männer sollt ihr sein? Wahrlich, ich sage euch: So, wie ich bin.“ (3 Nephi 27:27.)

Es spricht sich leichter über christusgleiche Eigenschaften, als dass man sie auch in die Tat umsetzt, wenn etwas schief geht oder uns jemand durch sein Tun verletzt. Aber wenn wir so werden wollen wie Christus, müssen wir auch lernen, so zu vergeben, wie er es getan hat.

*Bruder und Schwester Birsfelder dienten später als Präsident und Tempeloberin des Tempels in der Schweiz.

Aus „The Fall and Infinite Atonement“, Ensign, Januar 1996, Seite 22 ff.