2006
Einen Tag lang Frau Bürgermeister
Juli 2006


Einen Tag lang Frau Bürgermeister

Nehmen wir einmal an, du wärest ein Mädchen aus Trujillo in Peru und gehörtest der Kirche an. Und jetzt stell dir vor, du wärest Frau Bürgermeister.

Mit 15 ist es an sich schon nicht leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Aber wenn sich diese Entscheidungen auch noch auf das Leben von hunderttausenden Menschen auswirken, dann steht man noch viel mehr unter Druck. In dieser Lage befand sich Amy Arreátegui Pozo, die unter 123 Schülern zur Frau Bürgermeister von Trujillo, der drittgrößten Stadt in Peru, ausgewählt worden war – wenn auch nur für einen Tag.

Als Amy ein Rosenmädchen in der Gemeinde Mousserat im Pfahl Trujillo Laureles war, besuchte sie eine weiterführende technische Schule. „Damals habe ich mir unter anderem zum Ziel gesetzt“, sagt Amy, „‚Schülerbürgermeister‘ [entspricht in etwa dem Schulsprecher] meiner Schule zu werden, und das habe ich auch geschafft. Das war mein Traum gewesen. Mein nächstes Ziel bestand darin, den Wettbewerb ‚Einen Tag lang Bürgermeister‘ zu gewinnen, und auch das habe ich geschafft. Mein Selbstvertrauen hat mir geholfen.“

Natürlich war auch ausschlaggebend, dass sie jede Menge guter Ideen zur Verbesserung der Schulen und Wohnviertel in der Stadt vorweisen konnte. All die Ideen zusammenzutragen war mühevoll, aber dann auszuwählen, welche sie wirklich vorlegen wollte, war ziemlich leicht. Da konnte sich Amy nämlich auf eine Methode stützen, auf die sie sich schon immer verlassen hat und die ihr Selbstvertrauen gibt – sie kann beten und Antwort auf ihre Gebete bekommen.

„Sämtliche Entscheidungen, die wir zu treffen haben, müssen wir dem himmlischen Vater vorlegen, denn dann treffen wir stets die richtige Wahl“, sagt Amy. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie ihren Verpflichtungen so gut nachkommen konnte, als die Stadtväter von Trujillo den Beschluss fassten, sie einen Tag lang Frau Bürgermeister sein zu lassen. Der Stadtrat hatte nämlich den Beschluss gefasst, sämtliche Amtshandlungen während der 24 Stunden, die sie Frau Bürgermeister war, als bindend anzuerkennen. Alle Verträge, Entscheidungen und Genehmigungen sollten rechtsverbindlich sein.

Einen Tag lang Frau Bürgermeister

Amy war schon um 7.30 Uhr im Rathaus – noch vor José Murgia Zannier, der schon seit mehr als zehn Jahren Bürgermeister von Trujillo ist. Nach der offiziellen Amtsübergabe ging sie mit Bürgermeister Murgia die Termine für den Tag durch und besprach mit ihm ein paar Einzelheiten. So begann ihr langer Tag als Frau Bürgermeister.

Im Bürgermeisterwagen wurde Amy zur Besichtigung eines Parks gebracht, in dem die Stadt ein Sport- und Freizeitzentrum errichten will. Danach fuhr sie zu einem Gespräch mit dem Direktor einer öffentlichen Schule und inspizierte dort auch den Fortschritt der Bauarbeiten an zwei neuen Klassenräumen.

Im Rathaus hatte Amy anschließend einen Termin mit einem Vertreter der Pflichtverteidigerkammer und mit dem Leiter des Kinderheims San José. Amy beschloss spontan, einen Trupp Arbeiter in das Kinderheim zu schicken, wo einige Reparaturen schon überfällig waren. Vertreter weiterer Schulen suchten bei ihr um finanzielle Unterstützung an.

Auf einer Pressekonferenz stellte Amy sodann ihr Programm „Künftige Herausforderungen“ im Rahmen des Projekts „Die Jugend führt“ vor. Seit Beginn des Programms kommen jugendliche Vertreter von über 100 Schulen allmonatlich mit Vertretern der Stadt zusammen und sprechen über schulische Belange.

Anschließend hatte Amy den Vorsitz über die Sitzung des Stadtrats. Sie eröffnete die Sitzung und stellte die Anwesenheit fest. Außerdem pflanzte sie am Eingang eines erneut angelegten Stadtparks einen Baum und hörte sich die Wünsche der Bewohner des Bezirks an. Am Abend besuchte sie eine kulturelle Veranstaltung auf einem Platz in der Stadt.

Es war ein anstrengender Tag für Amy, die in einer Zeitung als „gebildetes, ernsthaftes und redegewandtes Mädchen mit hervorragenden Führungseigenschaften“ beschrieben wird, „das vor allem durch seine hohen Ziele besticht“.

Ausbildung und Prioritäten

Amy hat an ihrem Tag als Frau Bürgermeister gelernt, was es in einer Stadt alles zu bedenken gibt. Ein Anliegen, nämlich die schulische Ausbildung, ist für Amy schon von jeher ein zentraler Punkt all ihrer Pläne und Projekte gewesen. Obgleich Amy bewusst ist, wie wichtig die Ausbildung ist, sieht sie doch auch, dass es einiges im Leben gibt, was sogar über der weltlichen Ausbildung stehen muss.

„Ich habe das Gefühl, hier in Trujillo – das als kulturelle Hauptstadt Perus gilt – schieben viele die Kirche beiseite und konzentrieren sich mehr aufs Lernen“, sagt Amy. „Viele junge Leute aus der Kirche gehen nicht auf Mission, weil sie lieber weiterstudieren wollen, oder sie besuchen die Institutsklassen oder die Versammlungen der Kirche nicht mehr.“

Amy strengt sich zwar in der Schule sehr an, denn sie will Psychologin werden, aber sie gibt sich auch in ihrer Berufung als Sonntagsschullehrerin und bei ihrem geistigen Fortschritt alle Mühe. Sie weiß: Es gibt für alles eine Zeit – Zeit zum Lernen, Zeit für die Kirche, Zeit für Freunde und Familie und Freizeit.

Es ist alles nur eine Frage der Sichtweise und der Prioritäten. Amy sagt: „Der Prophet möchte, dass sich die jungen Leute eine möglichst gute Ausbildung aneignen, und der Herr bereitet stets einen Weg. Wir brauchen also nicht die Kirche zu verlassen, nur weil wir auch Weltliches zu tun haben. Eine gute Ausbildung ist natürlich wichtig, aber wichtiger ist es, das zu tun, was der himmlische Vater gebietet.“

Grundsätze statt Druck von Gleichaltrigen

Die Jugendlichen in Peru stehen denselben Herausforderungen gegenüber wie die jungen Leute anderswo auch. Allenthalben lockt die Versuchung, nach der Weise der Welt zu leben: Pornografie, Unsittlichkeit und Unehrlichkeit.

„Mode und die neuestens Musiktrends stellen auch ein Problem dar, denn die meisten von uns leben ja unter Leuten, die nicht der Kirche angehören, und da ist es viel einfacher, sich dem Druck Gleichaltriger zu beugen, als zu seinen Grundsätzen zu stehen“, sagt Amy. Sie weist warnend darauf hin, dass wir uns nicht dem Druck derer beugen dürfen, die uns dazu verlocken möchten, unsere Maßstäbe zu lockern. „Noch ein Problem“, sagt sie, „ist das: Wenn sich ein junger Mensch der Kirche anschließt, verliert er bisweilen seine Freunde.“

Amy betrachtet es als Segen, dass sie zu Hause, in der Gemeinde und im Seminar gute Freunde hat, die ihr Kraft geben. Diese Menschen unterstützen sie und ermuntern sie, dem Herrn zu folgen.

Zutrauen in die eigene Entscheidungsfähigkeit

Amy hat nun einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie man sich als Bürgermeister von Trujillo so fühlt. Was für Pläne hat sie für die Zukunft? „Erst einmal kandidiere ich als Schülervertreterin“, sagt Amy, „dann werde ich vielleicht Bürgermeisterin einer Stadt, Chefin einer Provinz und schließlich die erste Präsidentin Perus.“

Amy zufolge fehlt vielen Jugendlichen das Selbstvertrauen, sich Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen, und zwar deshalb, weil sie nicht wissen, weshalb sie hier auf der Erde sind und was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Doch in Amys Leben steht das Evangelium im Mittelpunkt, und dadurch hat sie genug Selbstvertrauen gewonnen, dass sie schaffen kann, was sie in Rechtschaffenheit anstrebt.

„Ich komme dem himmlischen Vater näher, wenn ich bete und ihn um eine Bestätigung der Entscheidungen bitte, die ich treffen muss“, sagt sie. „Es ist etwas ganz Besonderes, wenn ich seinen Geist verspüre und weiß, dass er mit meiner Entscheidung einverstanden ist. Wenn er es gutheißt, dann geht es, so meine ich, auf jeden Fall gut.“