2010
Kämpfen, fliehen oder Schläge einstecken?
Juli 2010


Bis aufs Wiedersehen

Kämpfen, fliehen oder Schläge einstecken?

Wenn wir verfolgt werden, welche Möglichkeiten haben wir da als Jünger Christi?

Ich wusste nicht, was ich tun sollte an jenem Nachmittag. Ich war damals dreizehn. Ich stand mit dem Rücken an der Außenwand der Schule, und ein Junge, der gerne andere drangsalierte, schlug mich. Da ein halbes Dutzend seiner Freunde um mich herumstanden, beschloss ich, die Schläge einzustecken.

Er schlug mich und trat mich. Immer wieder.

Schließlich zog er mit seinen Freunden ab. Mein Bus kam und ich stieg ein. Ich hob den Kopf nicht, bis der Bus an meiner Haltestelle hielt. Selbst fünfzig Jahre später frage ich mich noch, ob ich aus Feigheit oder aus christlicher Langmut so gehandelt habe.

Dieses Erlebnis unterstreicht einige schwierige Fragen, mit denen wir als Heilige der Letzten Tage konfrontiert sind. Wenn unsere Glaubensansichten angegriffen werden, sollen wir dann kämpfen, fliehen oder einfach die Schläge einstecken?

Der Heiland hat klar gesagt: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ (Matthäus 5:39.) Ich habe mich oft gefragt, ob Jesus hier nur eine Metapher verwendete, um seinen Jüngern zu erklären, dass sie auf Beleidigungen nicht mit blutiger Vergeltung reagieren sollten, wie das üblich war. Vielleicht.

Betrachten wir einmal den Rat, den der Herr im Buch Lehre und Bündnisse gibt.

1833 litt die Kirche unter heftiger Verfolgung, vor allem in Missouri. Um ihr Leben zu verteidigen, griffen einige Mitglieder der Kirche zur Waffe. Zu dem Zeitpunkt offenbarte der Herr Abschnitt 98. Hierin erklärte er ihnen, dass sie die Verfolgung geduldig ertragen sollten – bis zu einem gewissen Punkt. Sie hatten das Recht, sich zu verteidigen, aber wenn sie darauf verzichteten, wollte er sie belohnen. Wenn der Übeltäter nach Vergebung trachtete, sollten die Heiligen ihm „siebzigmal siebenmal“ vergeben (Vers 40). Ehe sie erwogen, in den Kampf zu ziehen, sollten sie zuerst ein Friedensangebot unterbreiten und nur kämpfen, wenn der Herr es gebot.

Die Zeiten haben sich seit diesen schrecklichen Tagen gewandelt, aber in mancherlei Weise wird die Kirche weiter angegriffen. Unsere Lehre wird oft missverstanden. Auf Unkenntnis beruhende Vermutungen, unverständliche Anschuldigungen und glatte Lügen werden als Wahrheit verbreitet.

Was sollen wir tun? Als Jünger Christi, die sich bemühen, „allzeit und in allem und überall … als Zeugen Gottes aufzutreten“ (Mosia 18:9), müssen wir etwas tun. Wir können nicht wegrennen. Kämpfen wir also oder stecken wir einfach die Schläge ein?

In solchen Fragen können wir uns an den Propheten orientieren. Bei Generalkonferenzen in letzter Zeit sind mir einige Ansprachen aufgefallen, in denen der Standpunkt der Kirche zu kontroversen Fragen erklärt wurde. Die Sprecher üben keine scharfe Kritik, aber sie kapitulieren auch nicht. Oft versuchen sie, eine gemeinsame Basis mit denen zu finden, die anderer Meinung sind als wir. Sie sind respektvoll. Sie versuchen, zu verstehen und verstanden zu werden.1

Manchmal kann es vorkommen, dass wir keine andere Wahl haben, als zu kämpfen, zu fliehen oder Schläge einzustecken. Oft gibt es aber eine bessere Alternative. Wir können liebevoll auf andere zugehen, wie Jesus und seine Apostel es tun.

Anmerkung

  1. Siehe Dallin H. Oaks, „Die Liebe und das Gesetz“, Liahona, November 2009, Seite 26; Jeffrey R. Holland, „Sicherheit für die Seele“, Liahona, November 2009, Seite 88; Jeffrey R. Holland, „Meine Worte … hören nie auf“, Liahona, Mai 2008, Seite 91; Robert S. Wood, „Werkzeuge für den Frieden des Herrn“, Liahona, Mai 2006, Seite 93

Foto von David Stoker