2014
Weihnachten unterm Wellblech
Dezember 2014


Weihnachten unterm Wellblech

Erwin E. Wirkus, Idaho, USA

Bild
illustration of a soldier decorating a tree for a family

Als ich im Zweiten Weltkrieg in Manila in den Philippinen stationiert war, kam ich häufig mit einer kleinen Gruppe Soldaten zusammen, die wie ich Mitglieder der Kirche waren, und wir hielten eine Abendmahlsversammlung ab. Während einer dieser Versammlungen bemerkte ich, wie eine Philippinerin an der Rückseite des ausgebombten Gebäudes durch eine Öffnung hereinspähte, die einmal eine Tür gewesen war. Hatte unser Gesang ihre Neugier geweckt? Während wir die Augen zum Schlussgebet geschlossen hielten, verschwand sie lautlos.

Als sie wieder einmal vorbeischaute, luden wir sie zu unserem Gottesdienst ein. Sie hieß Aniceta Fajardo und nahm unser Angebot freudig an. Von da an besuchte sie unsere Versammlungen und lernte das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi kennen.

Weihnachten rückte näher, und wir beschlossen, Aniceta und ihrer Familie mit ein paar Weihnachtsgeschenken eine Freude zu machen. Wir besorgten Milch, Fleisch und Gemüse in Dosen, ein paar Decken und ein Erste-Hilfe-Päckchen, darin unter anderem Penizillin für ihren kranken Enkelsohn.

An Heiligabend brachten wir Aniceta unsere Geschenke. Sie lebte mit ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn unter Wellblechbahnen, die gegen eine Backsteinmauer – den Überrest eines gesprengten Gebäudes – gelehnt waren. Wir fragten uns, wie sie mit so wenig Schutz den tropischen Regen überleben konnten, der zu dieser Jahreszeit immer wieder herniederprasselte.

Einer aus unserer Gruppe brach einen Zweig von einem Mangobaum ab und steckte ihn in den Boden. Mit Schnipseln von herumliegendem Abfall schmückten wir den Zweig.

Aniceta und ihre Familie schauten uns freudig staunend zu. Als sie die Geschenke sahen, die wir mitgebracht hatten, weinten sie vor Freude und Dankbarkeit. Solches Essen hatten sie schon lange nicht mehr gesehen oder gar gegessen, und vor lauter Weinen brachten sie eine Weile kein Wort heraus.

Da es Heiligabend war, wandten sich unsere Gedanken unseren Lieben und unserer Heimat zu. Nur zwei Tage zuvor hatte ich ein Telegramm erhalten und erfahren, dass ich Vater geworden war. Wir teilten einander unsere Gedanken und Gefühle mit und gaben schließlich Zeugnis vom Erlöser und vom wiederhergestellten Evangelium.

Wir versicherten dieser lieben Familie, dass der Heiland sie liebt. Unsere Worte trösteten sie, und eine wärmende Zuversicht schien uns in der kühlen Abendluft einzuhüllen. Schließlich verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und wünschten ihnen frohe Weihnachten.

Bald darauf wurde ich in ein anderes Gebiet versetzt und sah Aniceta und ihre Familie nie wieder. Jahre später jedoch las ich im Church Almanac einen Abschnitt über die Philippinen, und da stand, dass Aniceta Pabilona Fajardo die erste Philippinerin war, die sich in ihrer Heimat der Kirche angeschlossen hatte.1 Welch große Freude es doch ist, daran zu denken, dass Weihnachten 1945 der Same dafür gesät wurde.

Anmerkung

  1. Siehe „Philippines“, Deseret News 1991–1992 Church Almanac, Seite 157; in neueren Ausgaben des Church Almanac wird Schwester Fajardos Vorname „Aneleta“ geschrieben.